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9SS LMMlU zm AAGm NMKiU Nk. 216. zu Nr. 67 des Hauptblattes. 1925. Beauftragt mit der Herausgabe: RegterungSrat Brauße in Dresden. Landtagsverhandlungen. 12«. Litzung. Mittwoch, de« 18. März 1925. Präsident Winkler eröffnet 10 Uhr 11 Minuten nachmittags die Sitzung. Am RegierungStische Ministerpräsident Heldt, sämtliche Minister und eine größere Anzahl Regierungs vertreter. Zunächst werden die Punkte 4 und 25 abgesetzt und die Anfrage der Abgg. Bethke, Berger und Frau Büttner (Mehrh. d. Soz.) über die Desorganisation in der Staatsverwaltung (Drucksache Nr. 840) — Punkt 5 der Tagesordnung zurückgezogen. Dann wird in die Aussprache über den Etat eingetreten. Abg. Lchnirch (Mehrh. d. Soz.): Den Wünschen des Landtags entsprechend ist der Haushaltplan Übersicht- licher gestaltet worden als früher. Er ist zunächst auf gebaut auf dem Steuerertrag. Man darf aber die Zahlen hier nicht allenthalben als feststehend betrachten. Dieselbe Auffassung hat ja auch der Herr Finanzminister in seinen gestrigen Ausführungen zum Ausdruck gebracht. Es sind nur Schätzungszahlen, und es besteht die Ge fahr, daß letzten Endes, wenn es nicht gelänge, das Reich von seinem gegenwärtigen Standpunkte ab zubringen, Sachsen immerhin einen erheblichen Mehr ertrag an Steuern aufbringen müßte. Es ist dabei auch die Frage zu prüfen, wieweit die steuerliche Belastung den sozialen Verhältnissen der einzelnen Bevölkerungs klassen entspricht. Do muß ich feststellen, daß man einen großen Teil indirekter Steuern mit zu verzeichnen hat, die von unserem Standpunkte aus nicht nur aufs entschiedenste bekämpft werden müssen, sondern für deren vollständige Beseitigung gesorgt werden muß, da sie eine große Härte für die unteren Volksschichten be deuten. Auch in der Frage der Lohnsteuer zeigen sich heute noch außerordentlich große Härten. Die Lohn steuer ist vom 1. Mannar 1924 bis Dezember desselben Jahres von 75 auf 126 Mill. M. gestiegen. Der Anteil der Lohnsteuer an der Einkommensteuer ist von 45 auf über 60 gestiegen. Wenn man den Anteil am Ertrag aller Steuern berechnet, so findet man, daß derselbe von 15 auf 20 Proz. gestiegen ist. Damit hat nach meinem Dafürhalten die Lohnsteuer den größten Mehrertrag geliefert. Die Sozialdemokratie hat ja im Reichstage, um eine wesentliche Steuerentlastung für die arbeiten- den Klassen und die unteren Volksschichten herbei- zufüheen, beantragt, daß der steuerfreie Lohnbetrag von 60 auf 100 M. erhöht werden soll. Die Reichsregie rung will nicht dazu kommen und nur Rücksicht auf die kinderreichen Familien nehmen. Nach der Regie rungsvorlage würde ein steuerpflichtiger Familienvater mit 4 Kindern statt bisher 5 Proz. künftig nur 4 Proz. zu zahlen haben, bei 5 Kindern statt 4 Proz. nur 2 Proz. und bei 6 Kindern soll er statt 3 Proz. über- Haupt steuerfrei bleiben. Diese Regelung würde un serer Ansicht nach nur bei einem ganz kleinen Teile von Steuerpflichtigen sozial wirken. Es würde außer dem zu verzeichnen sein, daß diese Erleichterung nicht nur den Niedrigbesoldeten, sondern auch den Höchst besoldeten zugute käme. Wir würden dann sehen, daß derjenige, der ein hohes Einkommen hätte und lohn- steuerpflichtig mit 6 Kindern wäre, auch nichts zu be zahlen hätte, wenn er also z B- ein Jahresgehalt von rund 8000 M. bezöge. Das ist nicht haltbar, und wir verlangen von der Regierung, daß sie bei der Beratung dieser Vorlage darauf hinwirkt, daß man auf einem anderen Wege, und zwar auf dem Wege der Steuer milderung, in der Form vorgeht, daß man das steuer freie Einkommen von 60 auf 100 M. erhöht. Dadurch wird die Möglichkeit geschaffen, daß die Minderverdiener wesentlich entlastet werden, während bei den Höher- besoldeten die Entlastung nicht in (derselben Form zu verzeichnen wäre, wie es nach dem Vorschläge der Reichsregierung gegenwärtig der Fall sein würde. Ich habe vorhin bemerkt, daß man die Grundlagen des Staatshaushaltplans auf der Steuer aufgebaut hat. Man wird aber nicht umhin können, zu sagen, daß die gesamte Einnahme des Staates auch sehr viel von dem Geschäftsgänge der Industrie, von der Lage der Wirtschaft abhängt, und das sehen wir heute leider, daß lebhafte Klagen darüber geführt werden, daß die Industrie so gut wie brach liege, daß man keine Absatzmöglichkeiten habe, daß der Auslandsmarkt so gut wie verstopft sei, daß man verlange, daß nicht nur der Staat, sondern das Reich dafür sorgen müsse, daß auf diesem Gebiete Wandel geschaffen werde. Wir sind der Meinung, daß es nicht nur Aufgabe des StaateS, des Reiche- sein kann, hier Wandel zu schaffen, sondern daß letzten Endes auch die Industrie, die Pro duzenten die Verpflichtung haben, einmal nachzuprüfen, ob ihre Gewinnquote, ihre ganze Berechnungsart nicht einer gründlichen Revision bedarf. Man findet dort vielfach, daß Gewinnraten in Ansatz gebracht werden, welche eine wesentliche Herabminderung vertragen könnten. Wir meinen, daß man eine Regulierung der Preise in oer Weise vornehmen muß, daß man den JnlandSmarkt damit beleben kann und damit den Ar- beitern im eigenen Lande die Möglichkeit grbt, Anschaf fungen zu machen. Daß die Arbeiterschaft, die An gestellten, die Beamtenschaft sehr wohl in der Lage wäre, Neuanschaffungen zu machen, ist irrig, weil ihre Einkommensverhältnisse derart sind, daß sie kaum ihre Lebenshaltung bestreiten können. Auf diesem Gebiete Wandel zu schaffen, ist ebenfalls eine notwendige Vor aussetzung. Dabec will ich noch auf eine andere Frage Hinwei sen. Es wird heute so dargestellt, als ob die Wirtschaft nur dann wieder in die Höhe kommen könnte, wenn man sich vom Achtstundentag lossagt, eine längere Arbeitszeit einführe und die soziale Belastung von den Betrieben mehr und mehr wegnehme. Wir erklären, wie wir das wiederholt getan haben, daß wir grund sätzlich der Auffassung sind, daß der Achtstundentag bei zubehalten ist. Die Leistungsfähigkeit des Arbeiters ist um so größer, je kürzer die Arbeitszeit ist. Wir sind aber der Meinung, daß die Industrie die Verpflichtung hat, sich die technischen Neuerungen, die sich auf allen Gebieten bemerkbar machen, nutzbar zu machen Da durch würde man nicht nur eine Erleichterung für den Arbeiter schaffen, sondern auch die Produktion wesent lich erhöhen. Eine andere Frage, welche außerordentlich wichtiger Natur ist, betrifft den Wohnungsbau. Wir meinen, daß die Mietaufwertungssteuer in der gegenwärtigen Gestalt und auf der Grundlage, auf der sie aufgebäut ist, nicht geeignet ist, in absehbarer Zeit die Woh nungsnot zu beheben, daß sie nur ein Behelfsmittel sein kann. Man wird die Frage zu prüfen haben, ob man die Mietaufwertungssteuer nicht auf anderer Grundlage aufzieht, um so die Möglichkeit zu schaffen, speziell in den Gemeinden, wo die Wohnungsnot am größten ist, helfend einzugreifen. Es wird auch die Frage zu prüfen sein, ob der Staat nicht von sich aus dazu kommen muß, Mittel zur Verfügung zu stellen, um helfend einzugreifen. Im Reiche besteht die Absicht, die Mieterschutzgesetzgebung so schnell wie möglich abzubauen. Es wäre wünschenswert zu erfahren, welche Stellung die sächsische Regierung zum Vorgehen des Reiches in dieser Beziehung einnimmt. Was das Kapitel Forsten anlangt, so ist festzu stellen, daß trotz der Verminderung der Fläche eine höhere Einnahme erzielt worden ist. Es wird öffent lich behauptet, daß der sächsische Staat mit seinen Holz preisen am höchsten sei. Ich bin überzeugt, daß wir als Staat an sich nicht den Ausschlag geben können auf dem Holzmarkte, dazu sind wir viel zu schwach, wir dürfen den Vorwurf, daß wir preistreibend gewirkt haben, nicht ohne weiteres hinnehmen, sondern müssen in der Ofsentlil keit dokumentieren, wie die Verhältnisse in Wirklichkeit sind. Wir begrüßen es, daß die Forstverwaltung sich endlich dazu auf- geschwungen hat, dazu überzugehen, gemischten Wald anzupflanzen. Gegenüber dem Vorjahre sehen wir, daß das Elster bad eine kleine Mehreinnahme hat, wenn es sich selbst erhalten wollte, würde es noch sehr viel höhere Mehr einnahmen brauchen. Sie wissen, daß bei Bad Elster, welches heute als Luxusbad bezeichnet wird, mehr und mehr den Charakter des Volksbades erhalten soll. Wir sind grundsätzlich der Meinung, daß man das Bad so ausgestalten soll, daß es den wirklich Kranken und Erholungsbedürftigen, den Minderbemittelten ebenfalls zur Verfügung gestellt werden kann. Dabei soll beileibe nicht gejagt werden, daß die zahlungsfähigen Kreise hinausgedrängt werden sollen, nein, sie sollen im Gegen teil mit zur Erhaltung des Bades beitragen. Aber wir dürfen uns auf die Dauer nicht dem Vorwurf aussetzen, daß wir lediglich Staatsmittel aufwenden, um das Bad einem kleinen Kreis von Besitzenden zugängig zu machen. Bei dieser Gelegenheit wäre auch einmal die Frage zu prüfen, ob das Bad Brambach nicht ebenfalls dem Elsterbade oder dem Staate nutzbar gemacht werden könnte. Die Umorganisierung unserer staatlichen gewerblichen Betriebeist, so weit aus dem Haushalt plan ersichtlich ist, noch nicht vollendet. Sie leidet ganz erheblich unter Kapitalmangel, und wir sind der Auf- fassung, daß man versuchen muß, auch diese Betriebe so zu gestalten, daß sie sich in der Öffentlichkeit sehen lassen können. Dabei will ich zum Ausdruck bringen, daß auf die Interessen der Arbeiter und Angestellten in den Betrieben weitgehendst Rücksicht zu nehmen ist, daß Arbeitserleichterungen durch technische Neuerungen herbeigeführt werden müssen und wir so letzten Endes als Musterbetrieb in Sachsen und darüber hinaus dastehen. . Die staatlichen Verkehrsmittel scheinen sich rm günstigen Sinne weiterzuentwickeln. Immerhin, glaube ich, wird man auch über das, was im Haushaltplan vorgesehen ist, noch hinausgehen müssen, soweit die Aus breitung des Kraftwagenverkehrs notwendig ist. Bezüglich der Straßenbahnen werden lebhafte Klagen darüber geführt, daß der Fahrpreis so außerordentlich verschieden ist. Es muß die einheitliche Preisgestaltung und auch der einheitliche Verkehr in weitem Umfange garantiert werden. Wir haben unS in letzter Zeit wiederholt mit der Frage der Justiz beschäftiat. Wir möchten heute zum Ausdruck bringen, daß die Mehrzahl der Richter und Staatsanwälte in unserem Freistaats den lauteren Charakter haben möchten, von dem der Herr Justizminister Bünger beseelt ist. Leider wissen wir, daß heute ein ganzer Teil Richter in ihrer Stellung zum Staate da- vollständige Gegen teil von dem vertreten, wa- notwendig wäre. Wir wissen leider daß ein ganzer Teil Richter heute noch nicht von dem menschlichen Empfinden getragen wird, wie e- notwendig wäre, um sich da- vertrauen de- Volkes zu erwerben. Das zeigt sich besonders bei Pro zessen auf einem besonderen Gebiete. Es bestehen heute in der Frage der Impfung außerordentlich scharfe Gegensätze. Nicht nur Nichtmediziner, sondern auch ein ganzer Teil Mediziner stehen auf dem Standpunkt, daß das Reichsimpfgesetz längst beseitigt werden müßte, daß man es jedem freistellen müßte, ob er sein Kind impfen lassen will oder nicht. In verschiedenen Gegenden unseres Landes und darüber hinaus hat sich nun der Kampf gegen die Impfung mehr oder minder stark ent wickelt, besonders im vogtländischen Bezirk in der Stadt Plauen. In letzter Zeit haben dort Prozesse statt gefunden, die der Justiz keine Ehre machen, denn man Hal dort Strafbefehle von 50, 100, 120 bis 150 M. er lassen, die viel zu hoch sind. Wir sehen hier kein Ver ständnis für die gegenwärtige Zeit, sondern glaubt, daß durch Strafen in dieser Hinsicht Besserung erzielt würde. Ich glaube, es ist notwendig, daß die Regierung einmal die Urteile bzw. die Begründung der Urteile einer Nachprüfung unterzieht, und letzten Endes Ge legenheit nimmt, den Herren zu sagen, daß so die Dinge nicht gehen können. Wiederholt sind in letzter Zeit auch Überfälle auf einzelne oder mehrere Reichsbannerleute nicht nur von links von roten Frontkämpfern, sondern auch von Hakenkreuzlern und anderen Leuten erfolgt. Wir haben geglaubt, daß es Aufgabe einer objektiven Justiz sein muß, daß, wenn solche Überfälle sich ereignen und An zeigen gegen die betreffenden Leute erstattet werden, man diese Anzeigen auch weiter verfolgt. Statt dessen konnten wir sehen, daß man für die Anzeigeerstatter keine andere Bemerkung übrig hatte, als daß man sagte: ja, wenn ihr seht, daß dort große Haufen von Haken kreuzlern oder anderen kommen, dann dürft ihr eben in eurer Uniform nicht dorthin gehen; denn dadurch habt ihr jene Leute gereizt und habt ihnen Veranlassung gegeben, gegen euch einzuschreiten! Wir glauben, daß dieser Zustand unerträglich ist und wir verlangen, daß das Justizministerium dafür sorgt, daß auf diesem Ge biete Abhilfe geschaffen werde. über Vorgänge in den Gefängnissen, in den Ge fangenanstalten liegt uns ein ganz Teil Beschwerden vor, welche die Behandlung in den Gefängnissen be treffen. Man soll möglichst versuchen, die Beschwerden, soweit sie die Behandlung und die Beköstigung be treffen, abzustellen. Wir zweifeln nicht daran, daß auch die Herren, welche die Gefängnisverwaltung zu über wachen haben, von gutem Willen beseelt sind, möglichst alle Beschwerden abzustellen, aber es schadet nicht-, wenn man öfters darauf hinweist, daß man alles unter lasse« soll, was zu Beschwerden Anlaß gibt. Weiter wünschen wir eine Nachprüfung der Frage der Anrechnung der Krankenhaftzeit und möchten wissen, wie sich die Tätigkeit der Gefangenenbeiräte bewährt und die Gefangenenfürsorge ihren Zweck erfüllt hat. Weiter wäre es für uns von Interesse, zu erfahren, wie weit die Vorarbeiten für das neue Straf recht gediehen sind. Das Ministerium des Innern hat einen so außerordentlich großen Aufgabenkreis, daß es unmöglich ist, auf alle Einzelheiten einzugehen. Ich will aber nur auf eins Hinweisen: es steht heute wiederum ein Antrag mit zur Beratung, welcher auf das Vorschlagsrecht für die Amtshauptleute Bezug nimmt, und dem Ministerium den Borwurf macht, daß man auch hier wieder über die Vorschläge von Bezirken hinweggeht. Wir sind der Meinung, daß dieser Zustand, wie er gegenwärtig ist, auf die Dauer unhaltbar ist, und ich glaube, der Entwurf der Re gierung zur Gemeindeordnung räumt mit dieser Be stimmung endlich auf. Ich will bei dieser Gelegenheit noch darauf Hinweisen, daß es uns dringend geboten erscheint, daß das Ministerium des Innern endlich dazu kommt, die Frage zu erörtern, vb nicht eine allgemeine Berkehrsordnung zu erlassen sei. Wir meinen, daß bei dem zunehmenden Kraftwagenverkehr es notwendig ist, daß einheitliche Verkehrsvorschriften erlassen und auch durchgeführt werden. Die Denkmalspflege, die Erhaltung der alten Kunstbauten ist ebenfalls ein Kapitel, über das allerhand zu sagen wäre. Ich will mich aber darauf beschränken zu sagen: wir wünschen, daß die Regierung für oie Denkmäler und Kunstbauten, deren Unterhaltung von allgemeinem Interesse ist, die notwendigen Mittel zur Verfügung stellt. Die Frage der Reorganisierung der Polizei ist bereits eingehend bei Beratung des Nachtragsplans be handelt worden. Wir sind der Auffassung, daß der Zustand, wie er gegenwärtig ist, unhaltbar ist und wir werden bei der Beratung dieses Kapitels mit allem Nachdruck darauf dringen, daß hier Wandel geschaffen wird. Dann ist eine andere Institution vor einiger Zeit wieder von der sächsischen Industrie angegriffen worden, nämlich die sogenarpiten früheren Re gierungskommissare, welche gegenwärtig als Re gierunasamtmänner tätig sind. Man verlangt, daß die Regierungskommissare aus dem Staatsdienst schnellstens wieder entfernt werden. Ich kann nur er klären, daß meine Parteifreunde derartigen Versuchen auf das entschiedenste widersprechen werden. Wir haben umere Stellungnahme in dieser Frage ja erst kürzlich gekennzeichnet. , Die Verhältnisse in den Heil- und Pflege anstalten haben zu mancherlei Beschwerden Anlaß gegeben. Wir sind der Überzeugung, daß e- Aufgabe der Regierung sein muß, dafür zu sorgen, daß speziell