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8MMU zm WUni NackzeitW Nk. 235. zu Nr. 116 des .Hauptblattes. 1925. Beauftragt mit der Herausgabe: RegierungSrat Brauße in Dresden. Landtagsverhandlungen. 137. Sitzung. Donnerstag, den 14. Mai 1925. Punkt 5 der Tagesordnung: Erste Beratung über den Antrag des Abg. Renner u. Gen. betr. die Auf hebung des Staatsgerichtshoses in Leipzig- (Drucksache Nr. 1256.) Der Antrag lautet: Der Landtag wolle beschließen: die Regierung zu beauftragen, bei der Reichsregierung die Aufhebung des Staatsgerichtshofes in Leipzig zu beantragen. Abg. Renner (Komm. — zur Begründung.) Die Forderung nach der Aufhebung des Staatsgerichtshoses zum Schutze der Republik ist keineswegs eine Forderung, die allein von den Kommunisten gestellt wird, sondern geht durch weite Kreise. Dieser Staatsgerichtshof wurde damals nach dem Rathenau-Mord gegründet mit der Forderung und Tendenz, sich gegen die Gefahren von rechts zu wenden, den völkischen Mölderorganisationen das Genick zu brechen. (Abg. Gündel: Sofia!) Der Zwischenruf Sofia ist absolut nicht stichhaltig, weil nicht nur wir, sondern auch die gesamte anständige europäische Preße das Märchen von den Kommunisten- Attentaten dementiert hat. Dieser Staatsgerichts hof hat aber im großen und ganzen nichts weiter getan, als diese Mörderorganisationeu gestützt, und ist zu nichts weiter geworden als zu einein Instrument gegen die Kommunisten, gegen die revolutionäre Arbeiterschaft. Seit der Zeit des Bestehens des Staatsgerichtshoss in Leipzig sind eine Unmenge von Arbeitern von diesem Staatgerichtshof in die Zuchthäuser und Gefängnisse geschickt worden, undHunderte von Zähren von Zuchthaus und Gefängnis sind durch diesen Staats gerichtshof ausgesprochen worden und auf der anderen Seite hat dieser Staatsgerichtshof gegen die Organi sationen, gegen die er eigentlich bestehen sollte, absolut nichts unlernommell. Man braucht nür das Buch von Vr. Gündel über „4 Jahre Mord in Deutschland" aufzu schlagen. Da wird man sofort seststellen, welche Arbeit dieser Staatsgerichtshof vollbracht hat. Eine Begründung der Tätigkeit des Staatsgerichtshoses bildete ja letzthin der sogenannte Tschckaprozeß, in dem mit der Autorität dieses Staatsgerichtshoses die gesamte deutsche Spieß- büraerschaft vor allen Dingen vor den Kommunisten geschreckt werden sollte, in dem aber auch gleichzeitig die Arbeiterschaft geschreckt und das Fundament gelegt werden sollte, die Arbeiterschaft von der kommunistischen Partei zu isolieren, und in dem das Fundament gelegt werden sollte zur Verfolgung der Kommunistischen Partei, zum Prozeß gegen die Zentrale der Kommu nistischen Partei und zu den: Verbot der Kommunistischen Partei. Der Erfolg war freilich, daß dieser Staats gerichtshof dabei in noch weiterem Maße in der Be völkerung an Kredit verloren hat. Es fehlt bei diesem Spitzelprozeß an Beweisen und an Material zur Begründung des Urteiles, aber je mehr all das fehlte, um so mehr mußte man sich anstrengen, durch ein drakonisches Urteil die Berechtigung des Staatsgerichts hofes und eines solchen Prozeßaufzuges zu rechtfertigen. Dieser Prozeß hat mehr als einer Seite enthüllt, welchen Zwecken dieser Staatsgerichtshof dient. Er verfolgt nicht den Zweck, die Republick gegen rechts zu schützen, sondern er verfolgt den Zweck, die revolutionäre Arbeiterbewegung zu unterdrücken. (Lebhaftes Sehr richtig!b.d. Komm.) Er verfolgt jetzt aber auch noch einen anderen Zweck, nämlich die Tendenz, diesen Prozeß in der allgemeinen internationalen Bolschewisten- Hetze anszunutzen, die gemacht wird mit dem Zweck und der Absicht, die westeuropäische Arbeiterschaft zum Kampf gegen Sowjetrußland ideologisch vorzubereiten. Eine Maßnahme, die von der deutschen Industrie und von der internationalen Schwerindustrie unbedingt durchgeführt werden mußte, wenn diese Industrien weiter bestehen und sich ausdehnen und festigen wollte. Denn die Industrie war aus dem Kriege hervorge gangen mit nicht erweiterten, sondern begrenztercn Absatzgebieten und Rohstoffquellen als vorher, und hat durch die Politik Sowjetrußlands in China, Japan nnd überhaupt in Ostasien dauernd gewaltige Stöße gegen ihre imperialistischen Fundamente erhalten, so daß sie gegen dieses Räterußland anstürmen muß, wenn sie die immer für sie bestehenden revolutionären Gefahren beseitigen will. Aber die Arbeiterschaft glaubt trotz aller Verleumdungen noch an Rußland, sie sieht,, daß es in Ruhland besser ist als in Deutschland, und sie ist trotz der gewaltigen Gegenarbeit der Sozialdemo kratischen Partei und des Amsterdamer Gewerkschafts bundes in einigen Städten Deutschlands schon dazu übergegangen, Arbeiterdeligationen nach Rußland zu schicken, damit sie aus den durch die entgegengesetzten Darstellungen verursachten Unklarheiten herauskommt und selbst ein klares und objektives Bild von Rußland bekommt. Wir wissen, keine Partei ist augenblicklich überhaupt über die Maßnahmen des Staatsgerichtshoses einig mit Ausnahme vielleicht der Demokraten. Die Deutschnationale Partei hat vor längerer Zeit schon einmal einen Antrag im Reichstage auf Auflösung des Staatsgerichtshoses eingebracht, freilich von anderen Gesichtspunkten auS -l- wir. W r wissen, daß die Deutschnationale Partei und die um sie stehenden richterlichen Kreise nicht aus «chtlichem Empfinden während des Anwaltstages gegen den Staat-gericht-hof proklamiert haben, sondern auS einem ganz anderen Grunde die Aufhebung des Staats gerichtshofes verlangt haben. Die Deutschnationale Partei weiß, man kann die Klassenjustiz gegen die Kommunisten und gegen die revolutionären Arbeiter viel geschickter anwenden, rechtlich viel besser begründen, wenn man sie nicht beim Staatsgerichtshof ausübt. Insoweit hat der Staatsgerichtshofspräsident Niedner den Karren der Republik etwas verfahren, hat vor allen Dingen die Absicht verfahren, die ihm aufgetragen war, nämlich die Absicht, wirklich eine internationale Kommunistenhetze durchzuführen. Er hat den Herren der Schwerindustrie, den Herren Deutschnationalen bei der Geschichte den Wind aus den Segeln genommen. Sie möchten auch deshalb einen solchen Staatsgerichtshof nicht, weil inan nicht weiß, ob nicht doch einmal irgendwie ein blindes Huhn, ein Republikaner hereinkommt und dann auch einmal gegen die Rechtsputschisten etwas unternehmen könnte. (Abg. Gündel: Justitia ist immer blind!) Nein, nur wenn sie die schwarz-rot-goldene Brille der Sozial demokraten aufgesetzt hat, sieht sie alle Fehler nicht, dann ist sie immer blind. Der Prozeß in Leipzig, der geendet hat mit der Verurteilung von drei der Angeklagten zum Tode, der geendet hat mit der Verurteilung zu 747, Jahren Zucht haus und 117, Jahren Gefängnis, war ein Tendenzprozeß, wie man ihn nach revolutionären Bewegungen in Zeiten der konterrevolutionären Epoche immer gegen die revo lutionären Parteien führen wird. Es war ein unge heuerer Spitzelapparat ausgeboten, der in einen Teil ehrlicher revolutionärer Elemente, die glaubten, daß man auf dem Wege des individuellen Terrors etwas erreichen könnte, seine phantastischen Ideen nnd Gedanken hineintrng und so eine Anzahl sollst ehrlicher Arbeiter nlit sich schleppte und dann der Polizei ans Messer lieferte. Tas war die Arbeit, die von langer Hand vorbereitet war in der Absicht, den Kampf gegen die revolntionüre Arbeiterschaft vernichtend zn führen und die revolntionüre Arbeiterschaft vernichtend zu schlagen, eine Arbeit, die inszeniert wnrde nicht von der Kom munistischen Partei, wie man behauptet, sondern von den Stützen des Staates. Worauf baute sich der Pro zeß überhaupt auf? Auf die Aussagen eines geistig minderwertigen Menschen, namens Neumann von Berlin, der die tollsten Phantasien in die Welt hinansschrie. Daß Neumann ein Spitzel war, zeigt sich in seinen vielfachen Widersprüchen vor Gericht und darin, daß er selbst zugeben mußte, daß er falsche Angaben ge macht hatte. Auch die übrigen Kronzeugen, die in diesenr Prozeß auftraten, waren nationale Spitzel. DieHTendenz dieses Prozesses in aller Deutlichkeit zeigte darin, daß der Staatsgerichtshofspräsident Niedner alle Anträge, die die Spitzeltätigkeit oder die vollständige Abwegigkeit der Verhandlung des Prozesses zeigen sollten, unterdrückte, daß der Verteidigung keine Mög lichkeit gegeben wurde, zu allen Fragen Stellung zu nehmen, daß Koppenhöfer, der Jnquisator der deutschen republikanischen Justiz, der die Angeklagten im Gefängnis hatte hungern lassen, der ihnen tagelang nichts zn essen gegeben hatte, um sie zur Aussage zu zwingen, der ge droht hatte, daß man die Angeklagten hinrichten werde, wenn sie nicht aussagen, der aber andererseits dem Neumann versprochen hatte, daß er freigelassen werden würde nach einigen Monaten, wenn er aussagen würde, was die Justiz wollte, vor dem Gerichtshof auftrat mit einer Unmenge von Beweisanträgen, die nicht zum Prozesse gehörten und von denen die Verteidigung nichts wußte. Andererseits wurde der Verteidigung jede Beweisführung eingeschränkt; ein Verteidiger wurde durch bewaffnete Polizei aus dem Saale geschleppt, ein Skandal in der Prozeßführung, gegen den s-ch die gesamte Anwaltschaft in Deutschland wendete, gegen den zuerst einmal Stellung nahm eine Tagung der Anwälte in Berlin, die sich sehr ernsthaft gegen die Vorstöße gegen die Verteidigung aussprach, die sich da gegen wehrte, daß die Verteidigung in dieser Weise eingeschränkt wnrde, und dann eine ganze Anzahl vonPresse- stimmcn nnd eine ganze Anzahl Schreiben von Juristen, die dieses Verfahren aufs entschiedenste mißbilligten. Ich könnte u. a. eine Entschließung des Amvaltsvereins zeigen, an der Justizrat vr. Trucker und Rechtsanwalt vr Thiele beteiligt sind, die sich gegen eine Beschränkung der Verteidigung' in einem so wichtigen Prozeß ge wendet haben. Dann wurde eine weitere Einschränkung der Verteidigung dadurch vorgenommen, daß es abge lehnt wurde, die Beweisanträge der Verteidigung zu hören. Die Verteidiger beantragten zuerst einmal zur Richtigstellung des gesamten Sachverhaltes eine Ver nehmung der Zeugen, die praktisch nnd politisch während des Jahres 1923 tätig waren und zeigten, aus welchen Motiven solche Geschichten entstehen konnten, wie sie ini Prozeß verhandelt wurden, die aber vor allen Dingen die politischen Absichten der Kommunistischen Partei zeigen sollten, die zeigen sollten, daß die Kommunistische Partei nicht für den Einzelterror ist. Das wnrde abgelehnt, weil es dem Staatsgerichtshof nicht galt, objektiv über die auf der Anklagebank Sitzen den zu urteilen, sondern weil es ihm galt, die Kom munistische Partei zu vernichten. Ter «taatsgerichts- hof wurde zum Mordtribunal und forderte die Köpfe von drei Arbeitern. Die Absicht dcS Staatsgerichts hofes war nicht, die Kommunistische Partei des Hoch verrats anzuklagen, sondern der Kommunistischen Partei die politische Unzurechnungsfähigkeit -u-uschanzen, um sie damit bei den Arbeitern zu diskreditieren. Diese Absicht muß man kennzeichnen, man muß zeigen, wa- vorgelegen hat. Redner vergleicht den Tschekaprozeß mit dem Hitler Prozeß und ähnlichen Prozessen, in denen man einfach unterstellt, daß es sich um Phantasien unreifer Burschen gehandelt habe, im Tschekaprozeß dagegen unterstellt man alle Aussagen des Spitzels Neumann für wahr, obwohl festgestellt ist, daß es sich hier um die Aussagen eines pathologischen Spitzels handelt. Sehr interessant bei dieser ganzen Geschichte ist die Arbeit der Polizei, die Spitzeltätigkeit der Polizei. Es ist, wie der „Montagmorgen" sagt, ein grotesker Kon kurrenz- und Kompetenzkampf, der sich nicht bloß zwischen den Kriminalorganen, sondern auch zwischen den einzelnen Polizeibehörden des Reiches abgespielt hat. Auch das Urteil der bürgerlichen Presse über diesen famosen Prozeß, ist das, was ich schon vorhin einmal sagte, nämlich, daß, je weniger Material vorliegt, das Urteil nm so trakonischer sein muß. Neben den Presse stimmen haben eine ganze Anzahl geistig führender Persönlichkeiten ebenfalls gegen den Prozeß und jetzt neuerdings gegen das Urteil Stellung genommen. Sie protestieren in allen Ländern gegen die Ausführung dieses Urteils, das schon vorher festgelcgt war, denn Wochen vor dem Urteil, ja Wochen nnd Monate vor dem Beginn des Prozesses erklärte der Führer dieses Staatsgerichtshoses, Reichsgerichtsrat vr. Niedner in Berlin im Rechtsausschuß, er werde nicht nur das Todesurteil für Skoblewski durchsetzen, sondern er werde auch seine Hinrichtung durchsetzen. Jetzt haben eine ganze Menge deutscher Gelehrter und Schriftsteller einen Aufruf unterzeichnet, der sich gegen dieses Tcn- denzurteil wendet. Auch der deutsche Anwaltstag hat sich einstimmig gegen den Staatsgerichtslwf aus gesprochen. Wir fordern die Aufhebung dieses Staatsgerichts hofes, weil wir sehen, daß dieser Staatsgerichtshof nur gegen die Kommunisten angewendct wird. Wenn bei einer solchen wichtigen Frage der Aufhebung eines Sondergerichts von den Abgeordneten .außer den kom munistischen Vertretern, fast kein einziger im Saale ist, so zeigt sich darin die Verächtlichkeit des sächsischen Landtag gegen die Arbeiterschaft. Ein Landtags dessen Abgeordnete sich bei so wichtigen die proletarische Ar beiterschaft berührende Fragen in den Wandelgängen herumdrücken oder im Speisesaal sitzen, muß von der sächsischen Arbeiterschaft so schnell wie möglich zum Teufel gejagt werden. Die Parteien, von den Sozial demokraten angefangen bis zu den Deutschnationalen, die nur einen einzigen Vertreter da gelassen haben, zeigen nur, daß sie zu den wichtigsten und elementar- sten Fragen, die das Proletariat berühren, keine Stellung nehmen wollen, zeigen, daß sie in diesen: Landtage nur sitzen, wenn es gilt, die Interessen des Bürgertums zu vertreten und daß sie ansrücken, wenn über die Inte ressen der Arbeiterschaft gesprochen wird. Das kenn zeichnet die Schmach und die Erbärmlichkeit eines solchen hohen Hauses. Präsident: Wegen dieser letzten Bemerkung ruse ich Herrn Abg. Renner zur Ordnung. (Abg. Renner: Ich wiederhole diese Bemerkung!) Ich rufe Sie zum zweiten Male zur Ordnung und mache Sie auf die Folgen eines dritten Ordnungsrufes aufmerksam. Miuisteriatratj I)r. Walde Tie Regierung ist nicht in der Lage, eine Erklärung abzugeben, weil das Kabinett noch keine Stellung zu dem Antrag Nr. 1256 hat nehmen können. Abg. Gündel (Ttschuar ): Bei der „Überfüllung" dieses Hauses wird man es verstehen, wenn ich mich auf wenige Bemerkungen beschränke. Ich möchte erklären, daß wir dem Antrag zustimmen wer den. Wir haben bereits gegen das Gesetz zum Schutze der Republik gestimmr und unsere Freunde im Reichs tag haben im vorigen Jahre im Reichstag einen An trag auf Aufhebung des Staatsgerichtshoses eingebracht. Tabei ist für uns nicht maßgebend, ob Rechtsgerichtete oder Linksgerichtete vor den Staatsgerichtshof kommen, ebenso wenig prüfen wir nach, ob das Urteil richtig oder nicht richtig oder wenig richtig ist. Für uns ist maß gebend, daß der Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik ein politisches Sondergericht ist und wir nicht wollen, daß jemand seinem ordentlichen Richter entzogen wird. Wir wünschen, daß die Sachen, die vor ihn ge- bracht worden sind, vor das ordentliche Gericht kommen wohin sie gehören, das; ein politischer Ausnahmegerichts« Hof, dessen Beisitzer nach politischen Gesichtspunkten ausgewählt sind, verschwindet, und daß die Fälle der ordentlichen Justiz übertragen, werden. Zu dem sind wir der Auffassung, daß der Staatsgerichtshof dem Reiche sehr viel Geld kostet, wie das bei den Reichs- tagsverhandlungeu neulich im Ausschuß des Reichstages zutage getreten ist Tie sechs Beisitzer müssen be sonders bezahlt werden, und die Kosten dafür sind so hoch, daß die zwei Reichsgerichtsräte, die man braucht, um einen Senat zu bilden, dadurch vielfach gedeckt würden. Wir beantragen, den Antrag dem Rechtsausschuß zu über weisen. Das wird ohne weitere Aussprache einstimmig be- schlossen. (Schluß der Sitzung 6 Uhr 34 Min. nachm.)