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Landtags-Beilage zur Sächsischen Staatszeitung. Nr. 42. Beauftragt mit der Herausgabe: Hofrat DoengeS in Dresden. 1916. LandtagsverhaMMgen. n. Kammer. 40. öffentliche Sitzung am 27. März. Präsident vr. Vogel eröffnet die Sitzung 5 Uhr 39 Min. Am Regierungstische: Se. Exzellenz Staatsminister Gras B tzthum v. Eckstädt, sowie die Negierungskvmmissare Ministerialdirektor Geh. Rat Heink, Geh. Baurat Reh, Regierungsräte vr. Barnewitz und Jeremias und Regierungsassessor v. Wilucki. Es erfolgt zunächst der Vortrag der Registrande. Daraus ist ein Schreiben des König!. Ministeriums des Innern h rvorzuheben, durch das die Regierung die Kammer ersucht, vier Mitglieder für den Ausschuß zur Beratung der Regierung in Ernähruugsfragcn zu be stimmen, der sich noch vor Landtagsschluß konstituieren und seine Tätigkeit möglichst in der ersten Hülste des April aufnehmen soll. Der Präsident teilt dazu mit, daß die Wahl auf eine der nächsten Tagesordnungen gesetzt werde. Das Ministerium sei damit einverstanden, daß außer den vier Mitgliedern noch vier Stellvertreter gelvühlt werde». Es möchten also die Wahlen vorbereitet werden. Entschuldigt sind für heute die Abgg. Fleißner, Sindermann und Bauer wegen dringender Geschäfte. Hr. Vizep äsident Opitz hat Urlaub bis zum 29 März. Hierauf tritt die Kammer in die Tagesordnung ein. 1. Schlußberatung über den mündlichen Bericht der Rechcnschaftsdeputatiou über Kap. 70 des Rechenschafts, berichts auf die Finanzperiode 1912/13, Landes au st alten betreffend. (Drucksache Nr. 249.) Berichterstatter Abg. Winkler (soz.) meist darauf hin, daß den bei diesem Kapitel vorgekommencn Überschreitungen bedeutende Ersparnisse gegenüberstehen, die wesentlich höher als die Überschreitungen seien. Die Rechen- schastsdeputation habe die Überschreitungen nicht bemängelt und ihn beauftragt, zu beantragen, die Kammer »volle beschließen: bei Kap. 70, Landesanstalten, die Etatüberschrcitungen zu sammen mit 262 875,53 M. nachträglich zu genehmigen. Die Kammer nimmt diesen Antrag einstimmig an. Punkt 2: Schlußberatung über den schriftlichen Be- r cht der Finanzdcputation über Kap. 70 des ordent lichen Staatshaushaltsetats für 1916/17, Landes anstalten betreffend, und eine hierzu eingegangene Petition. (Drucksache Nr. 261.) Berichterstatter Abg. Müller-Zwickau (soz.) weist auf den schr ft ichen Bericht zu Kap. 70 des ordentlichen Etats hin, dem er eine kurze Ergänzung hinzufügt, deren Be- gründung aus dem Besoldungsetat zu Kap. 70 auf Seite 152 zu ersehe»» sei. Der Antrag im schriftlichen Bericht lautet: Tie Kammer »volle beschließen, in Kap. 70, Landesanstalten, die Summe der Einnahmen mit 7211600 M. nach der Vorlage zu genehmigen; die Summe der Ausgaben mit 12 031650 M., darunter 435050 M. künftig wegfallend, nach der Vorlage zu bewilligen; die Vorbemerkungen und Vorbehalte in der Gegenstandsspalte zu genehmigen; die Petition der drei Privatanstaltsbesitzer auf sich beruhe»» zu lassen. Abg. Singer (nl.): Kap. 70 sei das traurigste Kapitel des Staatshaus- haltsctats; es umfasse allen menschlichen Jammcr und alles ver- chuldete und unverschuldete Elend auf Erder». Würde man es damit abmachcn können, mit Wünschen die Sache zu erledigen, er glaube, man würde sich in den» Wunsche vereinigen, diese Landesanstalten zu schließen. Die Vorsehung »volle, daß das Leben nicht durch erfüllte Wünsche, sondern durch erfüllte Pflicht lebcnswert gemacht werde. Von diesem Standpunkte aus be trachteten seine Freunde und er dieses Kapitel, und als seine erste Pflicht für heute sehe er eS an, festzustellcn, daß eine große Anzahl Beamte, Arzte, Pfleger und Pflegerinnen aus den Landcs- anstalten sich in den Dienst des Vaterlandes gestellt hätten. Meist trügen sie die Binde mit dem roten Kreuz am Arme, um die Schrecke»» des Krieges nach Möglichkeit zu lindern; eine gute An- zahl von ihnen stehe auch mit der Waffe im Arm auf der Wacht an» Rhein und im Osten, eine große Zahl von ihnen habe mit ihrem Blute fremde Erde genetzt, und manchen decke auch die fremde Erde. Ihrer rühmend au dieser Stelle zu gedenken, er- achte er als seine heutige erste Pflicht. Er komme nun zum Berichte selbst. Er erkenne dankbar an, daß die Negierung minderbcmittelten Gemeinden reichliche Vor schüsse und Ermäßigungen bei der Unterbringung von Kranken gewährt habe, und verspreche, auch weiter in dieser Beziehung tätig zu sei»'. Er möchte nur bitten, darin möglichst weitherzig zu Verfahren. Ein ganz großes Gebiet des Berichts beschäftige sich mit der Religions- frage. Bei allem Verlangen nach Freiheit des Geistes und des Glaubens glaubten seine Freunde aber doch, den religiösen Zuspruch bei den Landesanstalten nicht vermissen zu können. Er wolle nicht auf alles einzelne eingehen und nur erklären, daß seine Partei »nit dem Rechenwerk voll und ganz einverstanden sei. Wenn man der Summe des Elendes dieses Kapitels ein offenes Konto gebe, so müsse man dieser Stimme auch eine gewisse Summe von Hin- gebung und Opfer»» und Menschenliebe entgegensetzen; dieses diene zum Ausgleich. Die Petition des Hrn. Or. Schütz usw. beschäftige ihn nicht besonders; er erkenne das Votum der Deputation an, Privatintcressen müßten sich eben der Allgemeinheit unterordnen. Er habe das Gefühl, daß die hohen Preise der Gegenwart und wohl später große Etatübcrschreitnngcn bringen würden, aber er verheiße diesen Etatüberschrcitungen schon heute die Go nehmigung, genau wie seine Parteifreunde sie schon in dcn vorher- gehenden Etatjahren bewilligt hätten. Bor zwei Jahren hätte er sich unter Borbringung eigener und frenider Beobachtungen einen Wunsch auSznsprechen erlaubt. Es habe sich darum gehandelt, die einzige Möglichkeit, welcbe die Landesanstalten böten, dazu auszunutzen, sich einmal eine Statistik vorlegen zu lassen, aus der man erkenne, in wie vielen Fällen die Insassen aus Ehe»» zwischen Verwandten abstammtcn. Ihm sei vor »veiugen Tagen ein Fragebogen für Unterbringung von Kranken in den Anstalten in die Hände gekommen. Er habe zu seiner Freude darin die Frage geprüft gesehen. Wenn das auf Grund seiner Ausführungen von damals geschehe»» sei, so sei er dafür außerordc ntlich dankbar und gebe der Hoffnung Raum, daß der Hr. Gchciinrat Würzburger als Vorsitzender des Statistischen Landesamtcs in absehbarer Zeit einmal einen jedenfalls hoch interessanten Bericht über die statistischen Aufzeichnungen in dieser Beziehung herausgcben werde. Er habe vor zwei Jahre»» ebenfalls ausgesprochen, daß Sachsen »nit seinen Landesattstalten an der Spitze aller Böller mmschiere. Er wiederhole das heute. Kleine Unvollkommen heiten würden sich immer herausstellen, das sei menschlich und begreiflich. Den hohe»» Stand der Landesanstalten verdanke »»»an den» gedeihliche,» Zusammenwirken vieler Faktoren, und er stehe nicht an, allen, die an» Werke seien, Haupt und Händen, von dieser Stelle aus seine Anerkennung auszusprcchen. (Bravo!) Abg. Kleinhempel (nl.): Er möchte auf eine Verhandlung zurückkommcn, die in der Deputation stattgefundcn habe. Er habe dort um die Einrichtung von Anstalten gebeten, da nach seinen» Dafürhalten und nach Wahrnehmung verschiedener anderer Herren in Sachsen nicht ge nügend Anstalten vorhanden seien zur Unterbringung Kranker »nit ekelerregenden Krankheiten und voi» Personen, die von Geburt an blöde und völlig bildungsunfähig seien. Die Staatsregierung habe, wie er anerkenne, die Erfüllung der Wünsche zugesichcrt. Abg. Uhlig (soz.): Im Berichte der Deputation sei hinzugckommen auf einen Bortrag, der» der Direktor der Anstalt Braunsdorf gehalten habe, ii» dem er für die religiöse Gestaltung der Fürsorgeerziehung in den staatlichen Anstalten eingctreten sei. Er könne nicht umhin, einige Worte dazu zu sagen. Wenn in der Erklärung der Regie rung, die im Deputatiousberichl abgedruckt worden sei, verlangt werde, daß die Erziehung in den Anstalten christlich sein solle, so »volle er nichts dagegen haben, wenn man dabei an das wahre Christentun, denke, vor alle»» Dinge»» daran, daß das Christentum Menschenfreundlichkeit bedenke»» solle. Er müsse gestehen, daß er nicht immer den Eindruck habe, als ob nach dem Grundsätze der Menschenfreundlichkeit in der Fürsorge- Beziehung verfahren würde. Der Hr. Direktor der Landes anstalt Bräunsdorf habe allerdings seinerzeit auch die Dressur ab gelehnt, aber er trete ein für eine strenge Anstaltszucht. Welche Ergebnisse die strenge Anstaltszucht gezeitigt habe, sei ihm vielfach klar geworden, »venn er in der Presse Gerichtsverhandlungen ge lesen habe gegen junge Leute, die aus der Fürsorgeanstalt cut- spruugcn feie»» und strafbare Handlungen begangen hätten. Cs komme nicht selten vor, daß junge Leute sogar direkt bekennten, daß sie eine Straftat begangen hätten, um ins Gefängnis zu kommen und der Fürsorgeerziehung zu entrinnen. Er sei der Meinung, »venu man jemanden, der ii» seinen Entschlüsse»» un geschult und disziplinlos sei, auf die Bahn des gesunder» Urteils bringen wolle, müsse man vor allen Dingen dafür sorgen, daß die soziale»» Einflüsse, welche die Moral ungünstig gestalteten, ge bessert würden, und dafür, daß die Erziehungsnot, die viel fach herrsche, die herrsche infolge der Frauenarbeit, infolge der Kinderarbeit, infolge der ganze»» ungünstigen Lage der arbeitenden Klassen, beseitigt werde, und daß die jungen Leute, »venu ihnen schon die Familienerziehung unter den Füßen fortgleite, in eine andere, aber sachliche und nicht in den Höhen schwebende Erziehung hineingestellt würden. Es sei not wendig, daß man in den» jungen Menschen die Urteilskraft wecke. Tas könne inan auf keiner» Fall tun durch die angebliche religiöse Beeinflussung. Er nenne es sachliche Erziehung, die er zur Vor aussetzung mache, wenn man der seelischen Jndisziplin der jungen Leute begegnen »volle. Man müsse ihnen auch vor alle»» Dingen soziale- Bewußtsein und Verständnis dafür beibringen, daß sic Glieder einer Gesellschaft seien, die aus Menkchen bestehe, die alle aufeinander angewiesen seien. Auf diese Weise schasse man erzieherische Wirkung, indem man sie auf den Boden der mensch lichen Gesellschaft stelle. Er glaube, sich nicht zu irren, daß es der Direktor von Bräunsdorf gewesen sei, der einen jungen Mann genötigt habe, aus einer gewerkschaftlichen Organisation auszu treten. Wenn dos der Fall sei, so ergebe sich, daß der betreffende Herr seine Stellung als Erzieher gegenüber den» Fürsorge zögling durchaus verkenne, dem» gerade die Zugehörigkeit zu einer gewerkschaftlichen Organisation wäre geeignet, in dem jungen Manne das soziale Verständnis und gesell schaftliche Urteil zu schaffen, das notwendig wäre, seiner seelischen Disziplinlosigkeit entgegenzuarbeiten. Er möchte sich vor allen Dingen dagegen wenden, daß »nan immer voi» strenger Anstalts zucht rede. Er sei nicht gegen die Strenge, aber gegen das Dressurshstem, das in den Anstalten geübt werde und dazu bei trage, ein selbständiges Urteil nicht aufkonunen zu lassen und da- durch eher Schaden als Nutzen anrichte. Er möchte in» all gemeinen seine Stimme dafür erheben, daß die größte Humauität gegenüber den Fürsorgezöglingcn geübt werde. (Bravo! links.) Staatöministcr Graf Vitzthum v. Eckstadt (nach de»» stenographisch«»» Niederschriften): Ich möchte vor alle»» Dingen danke»» für das Interesse, de in der Deputation insbesondere auch seitens des Hrn. Bericht erstatters und hcnte auch hier im Plenum von verschiedenen Herre»» den Landesanstalten von neuem entgegengcbracht worden ist. Der Hr. Rcgierungskommissar hat in der Deputation bereits geschildert, mit welchen Schwierigkeiten wir während des Krieges in den Anstalten zu kämpfen haben. Ich will Ihnen in später Abendstunde Einzelheiten nicht aufzählen. Wenn wir auch während des Krieges gerechte Ursache haben, »nit Befriedigung auf den Zustand unserer Landesanstalten zu blicken, so verdanken wir das der Pflichttreue und Gewissenhaftigkeit, von der alle Beamten, die Direktoren an der Spitze, erfüllt sind und die durch kein Opfer, daS der Dienst von ihnen erfordert hat, mich durch kein Herzeleid, das die Verluste des Krieges ihnen gebracht haben, hat erschüttert werde»» können. Es ist nur ein Bedürfnis, auch ai» dieser Stelle rühmend und dankbar dieser Haltung der Beamten zu gedenken. (Sehr richtig! rechts.) Nun hat der Hr. Abg. Uhlig soeben die Frage der religiösen Erziehung wieder vom grundsätzlichen Gesichtspunkte ans an geschnitten. Ich bin daher genötigt, darauf einzugehcn. Das, was über diese Frage, in der der Deputation erteilten schrift lichen Auskunft gesagt worden ist, genügt nach meiner Meinung zur Rechtfertigung des angegriffenen Grundsatzes. Das Ziel und die Mittel der sittlichen Erziehung einer Besserungsanstalt können im wesentlichen leine anderen sein als diejenigen, die den Erziehungsanstalten zugrunde liegen. Hat die Besserungs anstalt ebenso wie die Erziehungsanstalt daS Ziel, den Zögling zu einer sittlich gefestigten Persönlichkeit m bilden, so wird die Besserungsanstalt bei ihrer Arbeit an die sittlichen Grundlagen anknüpfen müssen, die in der Bolkskchule gelegt worden sind Steht der Fürsorgezögling im schulpflichtigen oder fortbildungs pflichtigen Alter, so bedarf dieser Grundsatz keiner weiteren Recht, fertigung. Der religiöse Unterricht in der Anstalt ist Ersatz und Fortsetzung des religiöse»» Unterrichts, den der Schüler in der Schule erhalte»» hat und zu erhalten Hütte. Er unterliegt in bezug auf die Religions- und Konfessionsunterschiede denselben gesetzlichen Bestimmungen »vie der Schulunterricht. Da die Mehrheit der Fürsorgezöglinge des Landes der evangelisch lutherischen Kon fession angehört, hat die Anstalt Bruänsdorf von jeher einen evangelisch-lutherischen Charakter gehabt. Soweit in» einzelnen Falle ein Fürsorgezögling einer anderen Religio»» oder Konfession angehürt, wird die Behörde, die »nit dem Vollzüge der Fürsorge erziehung beauftragt ist, pflichtmüßig zu erwägen haben, ob der Zögling beser in einer seiner Konfession cmgehörendcn Familie oder Anstalt nnterzubringen ist. Wird er trotzdem in die Staats anstalt gebracht, so wird auf seine von der Mehrheit der Zög linge abweichende Religion oder Konfession die erforderliche Rück sicht genommen. Nun hat aber der Hr. Abg. Uhlig grundsätzlich die Frage an geschnitten, ob die christliche Religion als solche geeignet sei, die besserungsbcdürstigen Schüler zu beeinflussen. Er hat sich zu nächst auf einen entgegenkommenden Standpunkt gestellt und hat gesagt, er wolle nichts gegen das wirkliche Christentun» sagen, so weit nian darunter allgemeine Menschenfreundlichkeit verstünde. Aber er hat uns schließlich eine Erziehung empfohlen, die sich aus den Boden der Tatsachen stellt, eine Erziehung, die nur die Ur teilskraft ausbildet, die bei den» Knaben soziales Bewußtsein erwecken soll. Zur Beleuchtung seiner Ansicht hat er einen Fall erwähnt, wonach einen» Knaben Verbote»» »vorbei» fein soll, einer gewerkschaftlichen Organisation anzugchören. Er meint, daß ge rade die Zugehörigkeit zu der gewerkichaftlichen Organisation besonders geeignet wäre, derartige Zöglinge zu einer besseren und gesünderen Lebensauffassung zu führen. Ich muß das entschiede»» bestreiten. Ich bin der Ansicht, daß die K naben, die in der Besserungs anstalt untergebracht sind, sich nicht mit gewerkschaftliche»» und damit zusammenhängenden politischen Fragen zu befassen h iben. (Sehr richtig!) ES handelt sich um einen Knaben, der noch nicht aus der Anstalt entlassen, sondern nur zeitweise beurlaubt war. Solche Knaben haben sich nicht in politische Tinge zu mischen, sondern haben zu arbeiten, und (Sehr richtig! rechts) den Anordnungen zu folgen, die ihnen von der Anstaltsleitnng gegeben werden. Ich kann aber auch nicht zugeben, daß das Rezept, da) der Hr. Abg. Uhlig uns empfohlen hat, geeignet fei, die Knaben in ihrer sittlichen Auffassung zu befestigen. M. H! Tas Ziel der Erziehung kam» gewiß nicht allein darin begehen, gewisse Ver- standeskrüste auSzubiiden oder die Zöglinge zu einem formalen Ge horsam zu zwingen. Tas Ziel lann nur fein, das Verantwort- lichkeitsgesühl im eigenen Gewissen des Zöglings zu schärfen, diese) VcrantwortlichkeitSgefühl besteht gewiß auch der mcnsch icheu Gesellschaft gegenüber, anderseits aber genügt dieses Verant- wortlichleitSgcfühl, dieses Pflichtbewußtscin der mcnfchlichen Ge sellschaft gegenüber nicht, einen verkommene»» und verwahrlosten Menschen auf deu rechten Weg zurückznbringen. Zu diesen» Verantwortlichkeitsgefühl muß auch ein gewisses Selbstvertrauen hinzulvnimen. Cs muß bei den» Knaben das Bewußtsein des inneren Wertes der Menschenseele wieder geweckt werden. Dieses SclbstverlMi cn. dieses Bewußtsein des eigene»', höheren Wertes kann nur dadurch wieder gewonnen werden, daß der Knabe hin- gewiefen wird auf die göttliche Hilfe, die jeder suchenden Menschen» seele, auch deu» größten Verbrecher, die Kraft zu einen» neuen LebeuSansange und zu innerer Selbstcrneuerung gibt. (Sehr r.chtig! rechts.) Dieses Hilfsmittel einem unglücklichen, gefallene»» Menschen vorzuenlhalten, würde ein schweres Unrecht sein. Die Regierung glaubt daher, ai» ihrem Grundsätze durchaus festhaltcn zu sollen. M. H.! Nun noch ein allgemeines Wort! Es gibt wohl kann» einen größere»» Gegensatz, als zwischen der stillen Arbeit in unfern Landesanstalten und den» donnernden Völkcrkriegc, der jetzt die Welt verwüstet. Während dort infolge von Neid, Haß und Ver leumdung unserer Gegner die Blüte unserer Nation gebrochen, das Glück von Millionen in Trümmer geschlagen wird und un ermeßliche soziale Werte vernichtet werden, bemühen »vir uns in den Anstalten auch um die sozial wertlosen menschlichen Existenzen nnd suche»» auch in die zerfallenste»» Gemüter noch einen milde»» und erquickenden Schimmer zu werfen. Dort die scheinbare Wertlosigkeit des einzelnen Menschenleben), hier die Erhaltung cincr vielleicht wertlosen Persönlichkeit. Die Lösung liegt darin, daß es allerdings Güter gibt, die höher sind als Menschenleben, daß cs Fälle gibt, wo wir das Menschenleben wcgwerfen »nid cinfctzcn müssen, um höhere Güter zu schützen. Aus der anderen Seite schätzen wir doch den Wert des einzelnen Menschen so hoch ein, daß wir Leben und Gesundheit des Menschen zu erhalten als unsere Pflicht ansehcn auch dann, wenn dcr Mcnfch der Gcsanlthcch keinen Nutzen mehr bringt. Daß »vir an diesem Grundsätze festhaltcn und sogar durch große Verbesserungen unsrer Anstalten ihn immer mehr und mehr durchführen, ist ein Zeugnis der Humanität und der hohen Kultur, die sich trotz aller Kriegs- greucl sieghaft behaupten vor allem in unserem viclgefchmähten Volk und unseren» Vatcrlande. (Bravo! rechts.) Abg. Nhtig (soz.): Der Hr. Minister habe als Ziel der Fürsorgeerziehung die Erziehung zum Selbstvertrauen erwähnt. Er möchte aber hier ganz ruhig behaupten, daß das, was religiöse Gesinnung genannt werde und Selbstvertrauen miteinander in sehr schroffen» Wider spruch stünden, (Sehr richtig! links.) schon voi» dem Gesichts punkte aus, daß das religiöse Gefühl stets eii» Gefühl der Ab hängigkeit und nicht des Selbstvertrauens sein »vcrdc. Was die Sache selbst anlange, so sei ihm inzwischen das Schriftstück selbst in die Hände gekommen, um das cS sich bei der Frage der Zugehörig keit zu cincr Organisation handle. Ter Redner verliest sodann cm Schreiben des Direktors der Anstalt Bräunsdorf. Tie darin enthaltene DrohungmitdcrZurücknahmcindieAnstalteinemnngeführ 18jährigcn jungen Manne gegenüber spreche nicht gerade für große Humani tät dieser Anstalt. Die Drohung könne nur den Zweck haben, Angst vor der Anstalt zu machen. (Sehr richtig! links.) Dann müsse er noch bemerken, daß der jnnge Mann den» TranS- portarbeitcrvcrbande nicht angehört habe, sondern daß er sich ledig- lich verpflichtet gefühlt habe, »nit seinen Arbcitsgcnossen die Solidari tät zu halten, als seine Arbeitskollegen in den Streik eingctreten seien. Dani» wolle er noch ein Wort über die Verquickung sagen, die der Hr. Minister vollbracht habe in bezug auf die Gewerkschaft und die Politik. Er habe gesagt, »venn jemand einer Gewerkschaft angehöre, komme er naturnotwendigcrwcise auch in Berührung mit der Politik. Er möchte zunächst gar nicht darüber reden, ob es so ungesund sei, »venn ein 18jährigcr junger Mann anfange, politisch zu denken. Er müsse meinen, das diene seiner innere»» Festigkeit, seiner sachlichen Erziehung. Es handle sich aber in der Gewerkschaft nicht um Politik, sondern durch gemeiusameS Zusammenstehcn die Lage zu bessern. In diesen» gemeinsamen Zusammenstehen liege ein so hohes sittliches Momeüt, daß kein Anstaltsdirektor, der sein Ziel im Auge behalte, sich dazu ver steigen dürfe, mit solchen Zwangsmitteln dagegen cinzpschreiten. ( ravo! links.) Regierungskommissar Ministerialdirektor Geh. Rat Heink (nach den stenographischen Niederschriften): M. H.! Die Regierung ist noch dem Hrn. Abg. Kleinhempel eine Antwort schuldig. Ich habe schon in den Deputation--