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Nach den großen, ja großartigen Anfängen als Tondichter mit „Don Juan" (1888/89), „Macbeth" (1888/90), „Tod und Verklärung" (1889) wandte sich Strauss erneut einem Tongemälde zu: Till Eulen spiegels lustige Streiche. Er bezog sich dabei - im vollständigen Titel humorvoll altertümelnd - auf eine „alte Schelmenweise" und kompo nierte das Werk „in Rondeauform" für großes Orchester. Ursprünglich hatte Strauss eine Oper geplant, doch nach dem geringen Erfolg seines „Guntram" ließ er diesen Plan fallen. Dennoch schwebten ihm natürlich Bilder vor, ein Pro gramm. Schon im „Don Juan", auf den er sein eigenes Verständnis als Künstler projeziert hatte, war die Figur des gesellschaftlichen Außen seiters thematisiert worden, der ge gen festgefahrene Normen rebel liert. Jetzt wandte er sich mit den Mitteln des Humors protestierend gegen überlieferte Wertesysteme, benutzte das Bild des Narren, der die „Philister verhöhnt, der Freiheit frönt, gegen Dummheit wettert." Strauss wollte seine Ideen dazu allerdings nicht veröffentlichen, denn: „Was ich mir bei den einzel nen Teilen gedacht habe, würde in Worte gekleidet sich oft seltsam ausnehmen, vielleicht sogar An stoß erregen." Den Hörern würden genügend Möglichkeiten gegeben, die Nüsse aufzuknacken, die ihnen der Schalk verabreicht. Ob man sich nun an ein Programm der ver schiedenen Streiche Tills hält oder nicht - in der Tat, die Musik macht Aufführungsdauer: ca. 18 Minuten sich dem Hörer auf jeden Fall ver ständlich, so deutlich, daß bösarti ge Kritiker animiert wurden, von einer „albernen Illustrationsmusik" zu sprechen. Das einsätzige Werk ist eine großangelegte Sinfonische Dichtung mit raschen Stimmungs wechseln in einer klaren, illustra tiven Klangsprache, raffiniert in strumentiert, quicklebendig und humorvoll. Die Uraufführung er folgte 1 895 im Kölner Gürzenich unter Franz Wüllner. Der „Eulenspiegel" erlebte seit Kriegs ende weit über 100 Aufführungen bei der Dresdner Philharmonie, bisher letztmals im Mai 1992 in Athen. Musik Nach einer kurzen, gemütvollen Prolog-Geste im Sinne von „Es war einmal..." intoniert das Horn die „Schelmenweis’“. Als alles verbindender Gedanke tritt sie immerfort in Erscheinung, wird mannigfach verändert oder verkürzt. Das eigentliche Till-Motiv, eine spöttisch freche Gebärde, kommt uns meist in den Holzbläsern, hier besonders in den selten verwendeten spitzen D-Klarinetten entgegen, meist als Pointe nach einem der Streiche. Virtuose und rasch vorüberziehende Bildfolgen erzählen Episoden aus dem Leben des Schalks, etwa sein Auftreten unter den töpfeverkaufenden Marktweibern, als dreister Wander prediger und als ernsthaft Verliebter, der einen Korb erhält. Herauszuhören ist, wie er sich in gelehrte Disputationen einläßt und die trockenen Wissenschaftler mit einem Gassenhauer verspottet. Doch dem weltlichen Gericht entgeht er nicht, wird viermal hochnotpeinlich befragt und antwortet in immer kläglicher werdenden Gesten (gedämpfte Trompeten, Hörner, D-Klarinette). Das Todesurteil folgt prompt (Posaunen, Hörner). Ein zerflatterndes Klarinettenmotiv, ein schriller Flötentriller - kläglich endet Till am Galgen. Nach einer Generalpause ertönt es wieder, dieses „Es war einmal...“. Doch dann blitzt es nochmals auf in triumphalem Schwung: der närrische Geist ist doch unsterblich.