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SächsischeSMKMmg Staatsan^eiger für den Zreiftaat Sachfen Ankündigungen: Die 32 mru breite Grundzeile oder deren Raum 30 Pf, die 66 rom breite Grundzeile oder deren Raum im amtlichen Teile 60 Pf., unter Ein gesandt 90 Pf Ermäßigung aus GeschästSanzeigen, Familiennachrichten u. Stellen- gesuche. — Schluß der Annahme vormittags 10 Uhr. Erscheint Werktag- nachmittag- mit dem Datum de- Erscheinung-tage-. Bezugspreis: Monatlich 3 Marl. Einzelne Nummern 15 Pf. Fernsprecher: Geschäst-stelle Nr. 21295 — Schriftleitung Nr. 14574 Postscheckkonto Dresden Nr. 2486. — Stadtgirokonto Dresden Nr. 140, Zeitweise Nebenblätter: Landtags-Beilage, Verlaussliste von Holzpslanzen auf den Staatssorstrevieren. Verantwortlich für die Redaktion: I. B.: Oberregierungsrat Hans Block in Dresden. Dresden, Donnerstag, 12. November Nr. 213 1925 Lcr KWkmchr Mr die WmckM des 8criMs m Amm. Berlin, 11. November. Reichskanzler vr. Luther hielt heute abend im Verein Deutscher Kaufleute und In dustrieller eine Ansprache, in der er nach einlei tenden Worten folgendes ausführte: Ich erwarte, daß wir in wenigen Tagen klarer sehen werden über die sogenannten Rückwirkungen oder richtiger über denjenigen Teil der Rückwir' kungen, der alsbald eintreten soll. Näheres mit- teilen über den voraussichtlichen Inhalt dieser Rückwirkungen kann ich heute noch nicht; was in der Öffentlichkeit darüber verbrei tet wird, ist teils falsch, teils unvoll ständig, teils schief. Ich kann nur wieder holen, was die Regierung seit dem Abschluß der Verhandlungen von Locarno von allem Anfang an immer wieder gesagt hat, daß eine- endgültige Stellungnahme znm Vertragswert von Locarno erst angesichts detz Gesamttatbest and?S möglich ist. Erst angesichts dieses Gcsamt- talbcstandes wird man dann auch die inner- politischen Entschließungen fassen können, die durch den Austritt der Deutsch- nationalen aus der Regierung erforderlich ge worden sind. Ich begrüße es, daß schließlich doch das Ver halten der deutschen Parteien in der Zwischenzeit so gewesen ist, daß die Reichsregierung in ihrer jetzigen Gestalt sich mit aller erforderlichen Auf merksamkeit den außenpolitischen Fragen hat widmen können. Diese Feststellung ist auch die Antwort auf die zunächst nach dem Austritt der Deutsch nationalen in größerem Umfange aufgetauchte Be- hauvtung, die Reichsregierung, insbesondere der Reichskanzler, vernachlässige die Pflicht der Führung. Die Führung konntd eben nur dahin gehen, alle innerpolitischen Fragen der großen außenpolitischen Aufgabe unter zuordnen. Die Reichsregierung hat sich in der Zwischen- zeit, abgesehen von den laufenden und einigen be sonderen Angelegenheiten, neben der außenpolitischen Frage nur noch mit der großen Ausgabe der Preisbeeinfluffung besaßt. Beides sind Aufgabenkreise, die sich der Lösung durch parteipolitische Einstellung entziehen und nur als Gesamtlebensfragen des deutschen Volkes behandelt werden können. Beiden Auf- gabcnkreisen wird man in keiner Weise gerecht durch Aufstellung irgendwelcher allgemeinen Formeln, und auch Wunder kann man weder hinsichtlich der außenpolitischen Lage des deutschen Volkes noch hinsichtlich der Preisgestal- tung im Innern wirken. In beiden Fällen aber bedarf es fester, unermüdlicher, von Punkt zu Punkt fortschreitender Regierungsarbeit, und als Triebkraft solcher Arbeit eines sicheren, nach den wirklichen Verhältnissen der Welt sich richtenden Willens. Ungeachtet der Behauptung, daß die Einführung der Zölle eine Verteuerung auf der ganzen Linie zur Folge haben müßte, sind umgekehrt, wie die Indexziffern beweisen, die Preise seit dem Einsetzen der Regierung-Maßnahmen zum Still- stand gebracht, ja sogar um einen kleinen Betrag gewichen. Roch immer ist die Spanne zwischen dem, was der Erzeuger bekommt, und dem, was der Verbraucher bezahlt, in vielen Fällen untragbar groß. Roch immer besteht die Neigung bei den einzelnen in der Preisbildung beteiligten Lrwerbsständen, die Ursache des Obels vorwiegend bei den anderen zu sehen. Und alle Erwerbs- stände gemeinschaftlich neigen dazu, die Reichs- regierung al- solche verantwortlich zu machen. Hierzu nur das eine Wort, daß die Reichs- regierung, obwohl seit dem Abschluß de» Londoner Abkommen- die vom Reich erhobenen Steuern in immer erneuten Ansätzen gesenkt worden sind, doch nach aller Kraft auf dem Wege der Verbilligung der Unkosten de- Wirtschaft-! eben- auch von sichau sortschreiten wird. Sie wird da- um so stärker können, je mehr da» ganze Wirtschaftsleben fick davon durchdrungen hält, daß jeder ErwerbS stand, auf die Länge gesehen, sich selbst durch' Verbilligung seiner Arbeit und seiner Ware am besten d ent. Nun aber zur Autzenpolitik. Ich verzichte darauf, den ganzen Werdegang der jetzt brennenden außenpolitischen Fragestellung noch einmal vor Ihnen zu entwickeln. Es ist für prak tische Entscheidungen auch völlig müßig, zu unter suchen, ob ein anderer diesen oder jenen Schritt anders gemacht hätte. Der Gegenbeweis gegen das Gewordene oder, wie man es auch ausdrücken kann, der Beweis dafür, wie die Dinge bei an derem Verhalten abgelaufen wären, ist in der Weltgeschichte nie zu führen. Gerade im Kreise von Wirtschaftsführern erhoffe ich Verständnis sür diese nüchterne Einstellung auf die Tat sachen, wie sie sind. Ich will mit dieser Be merkung aber keinesfalls irgendeinen Zweifel darüber aufkommen lassen, daß ich als Reichskanzler für die all gemeine Entwicklung, die sich seit meiner Amtsüb ernahme, also seitMitte Januar v. I., vollzogen hat, die volle Verantwortung in A nspruch nehme. Auch diese Entwicklung ist selbstverständlich nichts Will kürliches. Dec--- < Vertrag von Versailles hatte sowohl in wirtschaftlicher wie in politischer Hinsicht einen Zustand geschaffen, der in immer steigendem Maße seine eigene Unmöglichkeit darlcgte. Nachdem in Loudon vom Dawesplan ausgehend eine Regelung ge funden war, die den Ausgangspunkt für eine wirtschaftliche Neuentwicklung bildet, mußte auch in politischer Beziehung die Grundlage sür den Wiederaufbau geschaffen werden. Daß Deutschland hierzu von sich aus die richtung gebende Anregung gegeben hat, und daß die anderen Staaten dieser Anregung gefolgt sind, ist für mich ein Zeichen der erstarkenden politischen Kraft unseres Vaterlandes. Ohne ein gewisses Kraftgesühl kann man meines Erachtens überhauvt zum Berlin, 11. November. Der am 31. v. M. zwischen Deutschland und Italien unterzeichnete, von Reichstag und Reichs rat angenommene Handels- und Schiffahrtsvertrag besteht aus dem eigentlichen Vertrage, den Tarifen für Zölle bei der Einfuhr nach Deutschland und für Zölle bei der Ein fuhr nach Italien sowie dem Schlußprvto- koll. Der Vertrag selbst bestimmt u. a.: Zwischen den vertragschließenden Tnlen be- steht gegenseitige Freiheit des Handels und der Schiffahrt. Die Angehörigen jedes vertragschließenden Teiles genießen im Gebiete de- anderen Teiles die gleichen Rechte, Vor rechte und VergünstigungenallerArt in Be ziehung auf Handel, Gewerbe und Schiffahrt, die den Inländern oder Angehörigen der meist- begünstigten Rationen zustehen oder zustehcn wer den. Demgemäß können die Angehörigen jede« vertragschließenden Teiles, vorausgesetzt, daß sie die Landesgesetze beobachten, das Gebiet de» an deren Teiles frei betreten, darin reisen, sich aufhalten und niederlassen, sowie dieses Gebiet jederzeit frei verlassen, ohne anderen allgemeinen oder örtlichen Be schränkungen irgendwelcher Art unterworfen zu sein, als die Inländer oder Angehörigen einer meist begünstigten Ration. Jeder der vertragschließenden Teile verpflichtet sich, dem anderen Teile alle Vergünstigungen und Befreiungen zukommen zu lassen, die er einem dritten Lande in Beziehung auf Ein-, Aus- und Durchfuhr sowie in allem ge währte, was sich auf die Ausübung von Handel und Gewerbe bezieht. Die Angehörigen eines ver tragschließenden Teile» genießen im Gebiete de« anderen Teiles in bezug auf gesetzlichen und gerichtlichen Schutz ihrer Person Vertragswert von Locarno die richtige Stellung nicht finden. Ich halte es darum auch für abwegig, alles, was sich jetzt entwickeln soll, ausschließlich unter dem Vorzeichen unserer wirtschaftlichen Notlage zu sehen. Gewiß haben wir alle Veranlassung, auch hinsichtlich unserer Wirtschaftslage den großm S.iwicrig- keiten, vor denen wir stehen, mit ruhigem Ernst ins Auge zu blicken. Sicher ist auch richtig, daß ohne eine wirkliche Befriedung Europas die deutsche Wirtschaft sich nicht dauerhaft erholen wird, und daß es ohne wirtschaftliche Grundlagen keine Politik gibt. Diese Tinge irgendwie zu übersehen, ist das Gegenteil sachlicher Politik. Hier bewegen wir uns auch auf einem Gebiete, wo uns eine vielfach ganz unmittelbare Gemein- schäft der Nöte und Wünsche mit all den anderen Staaten verbindet, die in Locarno mit uns am Beratungstischc ges ssen haben, und darüber hinaus mit Europa Ein wirklicher Friedens- zustand in Europa, aus dem sich weitaus schauende wirtschaftliche Maßnahmen aufvauen lassen, wird von Segen nicht nur sür Europa, sonder« für die gesamte von der Weltwirtschaft abhängige Menschheit sein. über solchen Gcdankcngängen darf das eigentlich Politische dcs Vcrtragswerlcs von Locarno aber nicht übersehen werben. - Die Politik ist nicht nur Ursache und Folge der wirtschaftlichen Verhältnisse, sondern führt ein Eigenleben. Nun ist cs ganz unzweifel haft, daß wir auch nach Unterzeichnung des Ver- tragcs von Locarno von dem Ziele noch weit entfernt sind, daß das deutsche Volk den ihm nach seinen Leistungen und Fähigkeiten gcbuhlenden Platz irr der Gemeinschaft der Völker wieder ein nimmt. Bis zur Erreichung dieses Zieles werden wir noch einen langen und mühsamen Weg zu gehen haben, den wir nur durch zähe Arbeit und hingebungsvolle Vaterlandsliebe zurücklcgen können. Gerade die Tatsache der Länge dieses Weges macht es selbstverständlich und muß cs auch dem Aus land begreiflich machen, daß das deutsche Volk mit besonderer Aufmerksamkeit auf die nächsten ' Schritte seiner Befreiung von schwerer Last blickt und ihrer Güter tue gleiche Behandlung wie Inländer. Die vertragschließenden Teile verpflichten sich, den gegenseitigen Verkehr durch keinerlei Ein- oder Ausfuhrverbote zu hindern und gewähren sich gegenseitig Freiheit der Durchfuhr durch ihr Gebiet. Die Schiffe des einen vertragschließenden Teiles werden in den Häfen des anderen Teiles in jeder Hinsicht wie einheimische Schiffe behandelt. Im Zu sammenhänge hiermit tritt das Abkommen zwischen Deutschland und Italien über die Anerkennu ng der Schiffsmeßbriefe vom 17. Februar und 1. April 1907 wieder in Kraft. Wenn sich bei Auslegung oder Anwendung dieses Vertrages Streitfragen ergeben und einer der vertrag schließenden Teile ihre Überweisung an ein Schiedsgericht verlangen sollte, so muß der andere Teil zustimmen. Das Schiedsgericht wird für jeden Streitfall aus je einem Staatsangehörigen eines dritten befreundeten Staates als Obmann ge bildet. Einigen sich die vertragschließenden Teile nicht über die Wahl dcs Obmannes, so wird der Präsident des ständigen internationalen Ge- rilbtshofes im Haag um seine Ernennung ersucht werden. Der Vertrag bleibt sechs Jahre in Geltung und läuft im Falle der Nicht- kündigung mit sechsmonatiger Kündigungsfrist weiter. Wenn indessen einer der vertragschließenden Teile seinen jetzt geltenden Zolltarif durch einen neuen ersetzen sollte, kann jeder Teil die Gültig keit diese« Vertrages mittel- einer drei Monate vorher anzuzeigenden Kündigung beendigen, jedoch nicht vor dem 1. August 1927. Da- Schluß- Protokoll des Vertrage- enthält eine Reihe von Vorbehalten und Erklärungen, welche die vertrag schließenden Bevollmächtigten zu den einzelnen Artikeln des Vertrage- machten, die einen inte arierenden Bestandteil de- Vertrage- bilden. Daraus ergibt sich das besondere Schwergewicht, das das ganze deutsche Volk aus die grundsätzliche und wesentliche Veränderung der mit der Rheirllaudbtsetzuilfl zusammenhängenden Fragen legt. Wenn im Aus- land vielfach gesagt worden ist, es könne zwischen den sogenannten Rückwirkungen und dem Vertrag von Locarno kein Kaufgeschäft gemacht werden, so ist darauf zu erwidern, daß auch das deutsche Volk eine solche Verbindung auf das »ach- drücktichste ablehnt. Gerade die Rheinländer selbst haben mit vaterländischer Tapferkeit immer wieder betont, es dürfe nicht, um ihnen eine Erleichte rung zu verschaffen, irgendein Gesamtnachteil für Deutschland übernommen werden. Dieser Stand punkt ist nicht nur mutig, sondern auch von hoher Warte aus einzig richtig, weil die Rheinlands ein glückhaftes Geschick ja nur in einem gesunden Deutsch land haben können. Gleichwohl kann das deutsche Volk zu einer inneren und äußrren Zustimmung znm Ver- tragswcrk von Locarno sicherlich nur gebracht werden, wenn es die Auswirkungen von Locarno in unmittelbarer An schauung am Rheinland erlebt. An- dernfalG wird jener tiefe Argwohn gegen alles, was politischer Vertrag heißt, nicht überwunden werden können, jener Argwohn, der seine Wurzeln aus den Erfahrungen mit dem Vertrage von Versailles und der Aus legung dieses Vertrages durch einige der Siegerstaaten des Weltkrieges gezogen hat. Wenn ich somit in voller Übereinstim mung mit den Regierungen der an deren Länder jedes Verhältnis von Leistung und Gegenleistung zwischen dem Vertrag von Locarno und den Rückwirkungen, selbstverständlich auch mit der nach ganz anderen Gesichtspunkten zu beurteilenden Räumung der Kölner Zone ablehne, so ist es meine Aufgabe, Ihre Aufmerksamkeit nun nochmals auf das Vertragswert von Locarno selbst zu lenke». Ich beabsichtige dabei nicht, nachdem die deutsche Öffentlichkeit den Text dcs Vertrages von Locarno so lange kennt, noch einmal, wie ich es heute vor zwei Wochen in Essen getan habe, auf die Einzelheiten als solche einzugehe» oder eine Gesamtdarstellung der politischen Wirkungen zu geben. Auch die Auffassung der Reichsregierung über die einzelnen in Deutschland kritisierte» Punkie sind so oft und meines Erachtens mit juristisch so überzeugenden Gründen dargelegt worden, daß ich von einer Wiederholung an dieser Stelle ab ehe. Selbstverständlich wird vor dem Reichstage alles politisch Erforderliche gesagt werde», besonders auch über die mit dem Ein tritt in den Völkerbund zusammenhängen den Fragen. Vor Ihnen, meine Herren, lassen Sie mich heute nur drei Leitgedanken aus sprechen: Der Vertrag von Locarno stellt keinerlei Option zwischen drm Westen und dem Lsten dar. Eine solche Option wäre in Deutsch lands geographischer, wirtschaftlicher und politischer Lage nicht nur ein Verbrechen, sondern um ein bekanntes Wort anzuwenden, schlimmer als das, eine Dummheit. Es ist keine Option gegen den Osten, wen« wir für die Herstellung eines wirkliche« Friedensznstandes im Westen sorge«, n«d es ist sicher leine Steigerung der Gefahr enropäischer Kriege, wenn das zwischen dem Westen und dem Osten in der Mitte gelegene Deutsche Reich für rin weiteres Vorwärtsdringen des Friedens- gedankt«« überhaupt sorgt. Wohl aber — und das ist der zweite Leit gedanke — enthält der Vertrag von Locarno eine Option des deutsche« volle» sür de« Friede«. Dabei verstehe ich unter Frieden nicht nur den Verzicht auf den Krieg, nicht nur eine Angelegen heit mit negativen Vorzeichen, sondern ich verstehe darunter auch de« feste» E«tschl«ß, di« de»tsche K»it»r I «,d die de»tfche volltzlraft of de» Ter ötM-italitnW HMelsmtW.