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Nr. 9 Der Kalvarienberg Jesus trug sein Kreuz und ging hinaus an die Schädelstätte, welche heißet auf hebräisch Golgatha. Allda kreuzigten sie ihn und mit ihm zween andre, einen auf jeder Seite, mitten inne aber Jesum. Pilatus aber schrieb eine Tafel und ließ sie nageln oben ans Kreuz; und war geschrieben dort: Jesus von Nazareth, der Juden König! Die Kriegsknechte aber, da sie Jesum gekreuzigt hatten, nahmen seine Kleider und machten vier Teil, einen für jeglichen Mann. Sie nahmen auch seinen Rock, und weil dieser ungenäht war, warfen das Los sie um ihn. Und es stund beim Kreuze Jesu Mutter, die Schwester der Mutter, Maria, Kleophas Weib und Maria Magdalena, in unsäglich qualvollem Schmerz. Da Jesus seine Mutter sah und neben ihr den Jünger, den er liebte, spricht er zur Mutter: „Weib sieh, das ist dein Sohn“. Darnach spricht er zum Jünger: „Sieh, das ist deine Mutter.“ Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich. Hernach, da Jesus wußte, daß alles schon war vollbracht, auf daß die Schrift würde erfüllet, da spricht er: „Mich dürstet.“ Da stund ein Gefäß voll Essig. Die Soldaten füllten einen Schwamm, spießten ihn auf den Zweig eines Ysop und hielten es ihm dar zu seinem Munde. Da nun Jesus den Essig genommen, sprach er: „Es ist vollbracht.“ und neigte das Haupt, und verschied. O mein Herr und mein Gott, blick hernieder auf ihn, durch den allein Erbarmen du mit uns hegest! Betrachte deinen Sohn, ausgestreckt an dem Kreuz. Sein Haupt mit Dornen gekrönt, neiget sich hin zur marmornen Brust, um das Leben zu verhauchen,- Du allmächtiger Schöpfer, du Quelle der Sanftmut, welche heilige Menschlichkeit verklärt deinen Sohn, den du so herzlich hast geliebt. Hab Er barmen mit uns, mein Gott, für deren Schuld er den Tod erlitt. Blick hernieder zum Kreuz auf den sterbenden Sohn, auf die entblößte Brust, von scharfer Lanze durchstoßen, auf die zerschlagenen Glieder, sein erloschen Aug, die bleichen schmalen Lippen, verdorrt in Todesqual, seine Arme und Beine so grausam ausgedehnt und überkrustet vom heiligen Blute. Vor dem Bild deines ewgen Sohnes, den du so sehr geliebt und doch hingabst zum Tod am Kreuz. O Vater, o Allmächt’ger, erbarme dich unsres Elends. Nr. 10 Meditation O Tod, wo ist dein Stachel? O du Hölle, wo ist denn dein Sieg? Es jauchze, frohlocke in der Höh, es jauchze, frohlocke hell die Schar der Engel! Für eines solchen Königs Sieg, töne die laut’ Posaun’ des Heils! Damit von deinem Glanz erhellt, o ew’ger Gott, die Erde fühle, daß jetzt der dunklen Last sie frei! Es soll die große Stimm’ der Völker widerhallen lassen die Welt! Denn das ist jene Nacht des Heiles, da Jesus Christus seine Todesfesseln brach, auf stieg als Sieger aus dem Grabe. O Nacht der Freude, so holdselig, o heilge Nacht, du bringest uns Vergebung und Frieden! O Nacht, so wahrhaft selig, die allein gewürdigt ward zu wissen Zeit und Stunde, da Christ von den Toten erstand. O Nacht, viel klarer als der Tag! Nacht, da der Himmel vermählt sich der Erde! Nacht, deren Sterne erstrahlen, um zu verklären meine Freude! O welche große Huld häufet auf uns dein Mitleid! Welch ein Überfluß des Erbarmens! Um den Knecht zu lösen, hast du gegeben den Sohn. Gottes Sohn wurde Mensch, die Engel lobpreisen ohne End nur ihn. Es beten ihn an die Höchsten. Die Gewalten des Himmels zittern und erbeben vor seiner Gestalt. O du Leuchte des Ruhmes, Vater, Allmächtiger und Herr, an dessen Himmels thron Cherubim dienen! O Leuchte reiner Wahrheit! Du einz’ge Quelle der Erkenntnis! Du wahrhaft Licht und allerhöchstes! 111-9-4 lt 1237/78