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13. Mai 1837 Nr. UV Deutsche Allgemeine Zeitung Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!- Znsertionsgebübr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. Zu beziehe» durch alle Postämter des In- und Auslandes, sowie durch die Expedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). Preis für das Merteljahr 1'/, Thlr.; jede einzelne Nummer 2 Ngr. Mittwoch. Beilpzig. Di« Zeitung erscheint mit Ausnahme des Sonntags täglich Nachmit tags für den folgenden Tag. Deutschland. Preußen. .^Berlin, 1t. Mai. Man hatte mit Bestimmtheit darauf gerechnet, daß das Haus der Abgeordneten bei der durch die Be schlüsse des Herrenhauses nothwcndig gewordenen zweiten Berathung des Gewerbesteuergcsetzes dieses Gesetz verwerfen würde. Hatten doch un ter Andern auch die vcreiUigten Commissionen für Handel und Gewerbe und für Finanzen und Zölle sich mit Stimmeneinhelligkcit für die unbe dingte Verwerfung ausgesprochen! Aber das Unerwartete trifft im Hause der Abgeordneten nur zu oft zu, und es ist fast überflüssig, in dieser Be ziehung erinnernd auf einige bekannte Abstimmungen aus der jüngsten Zeit znrückzuverweisen. Man kann sich darum, von diesen, Standpunkt aus, auch über das Resultat der heutigen Abstimmung eigentlich nicht wundern. Die Dinge liegen jetzt folgendermaßen: Der von dem Herrcnhause gestri chene §. 1 ist in Betreff der Steuersätze, wie solche in der ersten Bera thung deS Abgeordnetenhauses beschlossen worden sind, wiederhcrgestellt, da gegen der Zusatz, welcher im Herrcnhause so großen Anstoß erregte: „Zum Zweck einer gleichmäßigen Vertheilung der Gewerbesteuer für den Handel mit kaufmännischen Rechten ist der Finanzminister ermächtigt, größere Fa briken aus der dritten und vierten Abtheilung auszuschcidcn und bezirks weise mit einer Stadt der ersten oder zweiten Abtheilung zu einer Stcuer- ' gcsellschast zu vereinigen", gestrichen und an dessen Stelle der folgende Zu satz angenommen worden: „Welcher der beiden Mittelsätze in der dritten und vierten Abtheilung zur Anwendung kommen soll, wird für jeden land- räthlichcn Kreis mit Rücksicht auf die größere oder geringere Lebhaftigkeit des Verkehrs und auf den mehr oder minder erheblichen Umfang der ge werblichen Tätigkeit in demselben durch königliche Verordnung bestimmt." Die Slaatstegicrung glaubte, daß sich auf Grund dieser Veränderung wol noch eine Einigung mit dem Herrcnhause herbeiführen lassen werde. Worauf diese Hoffnung der Staatsregierung sich gründet, wissen wir nicht; soviel aber liegt auf der Hand, daß das Herrenhaus, wenn cs den tz. 1 in die ser Fassung jetzt annähme, mit sich selbst in Widerspruch treten würde, in dem seine Opposition sich ja nicht blos gegen den Zusatz, sondern principiell auch gegen jede Erhöhung der betreffenden Gewerbesteuersätze überhaupt richtete. Ebenso würde das Herrenhaus auch in Betreff des ß. 8 mit sich selbst in Widerspruch treten, wo e^ eine Ermäßigung der Gewerbesteuer der Bäcker und Fleischer in den Städten der ersten und zweiten Abthei lung beschloß; eine Ermäßigung, welcher von Seiten des Abgeordneten hauses und der Regierung nicht zugestimmt worden ist. Solange nun aber das Gcgenlheil noch nicht faktisch vorlicgt, können wir unsererseits nicht glauben, daß das Herrenhaus cs mit seiner Würde vereinbar werde finden können, die erst vor einigen Tagen unter der Aufmerk samkeit des ganzen Landes gefaßten Beschlüsse nachträglich wieder um zuwerfen. Wir wollen darum vorderhand noch abwarten, was das Herrenhaus thun wird. Morgen Vormittag soll die betreffende Sitzung stattfinden. Nimmt das Herrenhaus die von dem Hause der Abgeordneten heute gefaßten Beschlüsse sämmllich an, oder verwirft es dieselben total, so wird wahrscheinlich noch morgen Nachmittag der officiclle Schluß der Ses sion erfolgen; nimmt es dagegen nur Einzelnes an oder trifft es einzelne neue Abänderungen, so kann der Gesetzentwurf vielleicht noch einmal an das Abgeordnetenhaus zurückgehen müssen, was den Schluß des Landtags dann wieder auf ein bis zwei Tage hinausschicbcn würde. Dieses Hin- und Herschicken des Gesehenlwufs, nachdem derselbe so sehr bekämpft Und so sehr zerstückt und geflickt worden ist, macht einen unerquicklichen Ein druck, und wir sind der Meinung, daß die Regierung um so besser gethan haben würde, das Gesetz wieder zurückzuziehen und für die nächste Session eine andere Vorlage auszuarbeiten, als an ein wirklich befriedigendes Re sultat der Sache, wie sic jetzt liegt, ja doch kaum zu denken ist. — Zu den Klagen der Freien Gemeinden, über welche zu berichten wir im Laufe der gegenwärtigen Session schon mehrfache Veranlassung gehabt haben, ist heute noch ein beachtenswerther Nachtrag gekommen. I)r. Rupp ist be kanntlich Prediger der Freien evangelischen Gemeinde zu Königsberg. Als solcher hat er den Kindern der Mitglieder der betreffenden Gemeinde Re ligionsunterricht gegeben. Die Polizei nähm ihn deshalb in eine Strafe von 10 Thlrn. l)r. Rupp sowol als auch der Vorstand der tönigsberger Freien Gemeinde, Kaufmann Sieburger, beschwerten sich darüber, wurden aber überall zurückgewiesen, einmal weil der Verein keine Genehmigung durch die Staatsregierung erhalten, und sodann weil dem vr. Rupp „keine Eonccssion zur Ertheilung von Privatunterricht erthcilt worden sei". Hr. Sieburger beschwert sich nun mit noch 21 andern Mitgliedern der königs- berger Freien Gemeinde bei dem Hause der Abgeordneten darüber und bittet gleichzeitig, unter Berufung auf Th. II Tit. 11 des Allgemeinen Land rechts, auf das allerhöchste Patent vom 30. Mai 1847 und auf den Art. 12 der Verfaffungsurkunde, um Abhülfe. Die Sache des vr. Rupp steht indessen nicht vereinzelt da, denn gleichzeitig lag auch eine ähnliche Petition des Predigers der Freien evangelischen Gemeinde zu Rothenburg a. O- im Kreise Grüneberg in Schlesien, Schöne, vor, welcher sich ebenfalls dar über beschwert, daß ihm von Seiten der Behörde nicht gestattet werde, den Kindern der Mitglieder seiner Gemeinde Religionsunterricht zu erthei- len. Daß das Haus, entsprechend seinem früher« Verhalten, auch über die gegenwärtigen Petitionen wieder zur einfachen Tagesordnung überging, kann bei der Zusammensetzung und Richtung der Majorität des Hauses nicht Wunder nehmen. Wir glauben indessen, daß die Sache selbst mit allen Tagesordnungen der Welt noch nicht abgelhan ist. Darauf, ob eine reli giöse Gesellschaft vom Staate ausdrücklich genehmigt sei oder nicht, kommt es, wie wir meinen, nicht an, sondern lediglich darauf, ob religiöse Vereine von einer andern als von der Landeskirche befolgten Richtung im Staate überhaupt cxistiren dürfen, und da dieses Letztere, mit Rücksicht auf unsere Gesetze, in Preußen keinem Zweifel unterworfen sein kann, so halten wir cs auch für durchaus unzuträglich, der Ertheilung von Religionsunterricht durch die Prediger der betreffenden Gemeinden durch ein Verbot in den Weg zu treten. Durch das Verfahren, welches man jetzt cingeschlagen hat, setzt man die betreffenden Gemeinden, wie der Abg. Wentzel sehr richtig be merkte, auf den „Aussterbeetat", und in nothwcndiger Folge davon läuft die verfassungsmäßig garantine Religionsfreiheit und Freiheit der Religions übung ernstlich Gefahr, nach und nach gänzlich zu verschwinden. Zu dem in Betreff des hiesigen Aufenthalts des Prinzen Napo leon bereits Mitgethcilten haben wir heute wenig hinzuzufügen. Uebcrsehen haben wir gestern, daß der Prinz gestern Vormittag das diplomatische CorpS empfing. Gestern Nachmittag war in Charlottenburg Galatafel von 130 Couverts. Abends besuchte der Prinz mit dem König und der Königin das Ballet „Satanclla". Heute Vormittag war Parade in Potsdam, heute Abend findet das bereits ««gekündigte große Ballfest bei dem hiesigen französischen Gesandten, Marquis de Moustier, statt. Morgen Vormittag wird die hie sige Garnison vor dem Könige und dem Prinzen auf dem Tempelhofer Felde im Feuer manövriren. Ob die Abreise des Prinzen morgen Nach mittag oder übermorgen früh erfolgt, ist bis heute noch nicht ganz bestimmt. Wahrscheinlich ist, wie auch die «Zeit» meldet, ein Besuch des Prinzen Napoleon bei dem Prinzen Friedrich Wilhelm in Breslau. Findet dieser Besuch statt, so ist es nicht unwahrscheinlich, daß der Prinz Napoleon auf seiner Rückreise von Breslau auch dem königlichen Hofe in Dresden einen kurzen Besuch abstattcn dürfte. —« Berlin, 11. Mai. Soeben habe ich dm Prinzen Napoleon gesehen. Er fuhr vom Potsdamer Bahnhose, wo er von Potsdam zurück- gekommcn war, nach dem königlichen Schlosse, wo ihm die Gemächer Kö nig Friedrich Wilhclm's ll., die 1806 von Napoleon l. bewohnt wurden, eingeräumt sind. Das Gespräch dreht sich in allen Kreisen um die Person des Prinzen, der nach Maßgabe der Sympathien oder Antipathien gegen das imperialistische Regiment in Frankreich auf die mannichfaltigste Weise abconterfeit wird. Darin stimmen jedoch Alle überein, daß er Napoleon I auf eine frappante Weise ähnlich sei. Auch ich habe als Knabe den ersten französischen Kaiser gesehen und sein Bild steht mir noch in aller Frische des ersten Eindrucks vor Augen. Ich war daher nicht wenig erfreut, das lebendige Abbild desselben vor Augen zu bekommen. Obgleich ich ihn nur im Fluge sehen konnte, während er in den ihn erwartenden Hofwagen stieg, so konnte ich doch sein Bild deutlich genug aufsassen, Um es mit dem von seinem großen Onkel zu vergleichen. Ich muß gestehen, daß ich nicht so viel Arhnliches zwischen den beiden Bildern faüd, als Diejenigen finden, welche Nüpoleon I. nur aus Bildern Und Beschreibungen kennen. Doch konnte auch ich in dem Prinzen den Näpoleoniden nicht verkennen. Bei dem Empfange desselben am 8. Mai war das Publicum nicht so zahlreich versammelt, als man es hätte erwarten sollen, und die versammelten Mas sen wußten nicht recht , wie sie sich zu verhalten hätten. Daher fand die Sympathie ebenso wenig als die Antipathie einen allgemeinen Ausdruck. Man verhielt sich im Ganzen still. Hier und da erschallte ein vereinzeltes Hurrah, aber dafür blieben an andern Stellen die Köpfe bedeckt und wer sich vor dem Prinzen entblößen wollte, setzte sich der Gefahr einer Straf predigt seiner Umgebung aus. Das Andenken an die verhängnißvollen Tage des Herbstes 1806 ist in jedem Gedächmiß aufgefrischt. Trotzdem hat der Prinz bei der Parade am folgenden Tage viele Eroberungen gemacht, «Heils durch die einfache Weise seines Erscheinens, theils durch die Art seines Verhaltens bei dem Defiliren der Truppen, wo er vor jeder Fahne, welche an ihm vorübergetragen wurde, mit unnachahmlicher französischer Grazie den Hut abgenommen haben soll, während er in den Zwischenräumen mit eiskalier Ruhe die vorüberziehenden Truppen betrachtete. Nachdem er am 8. Mai im Schlosse abgestiegen, erhielt er den Besuch des Königs, worauf er sich zu einem Gegenbesuch nach Charlottenburg begab und später im Opernhause dem Ballet „Thea" beiwohnte. Sie haben jedoch über alles Das gewiß schon die nöthigen Nachrichten; ich benutze daher den mir bc-