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mir doch vergönnt, meine 9. Sinfonie zu vollenden! Drei Sätze sind nahezu, fer tig, das Adagio ist fast zu Ende komponiert, bleibt nur mehr der vierte Saiz übrig. Der Tod wird mir hoffentlich die Feder nicht früher aus der Hand neh men," Das Werk sollte, wie die h-Moll-Sinfonie Franz Schuberts, unvollendet bleiben. Am 11. Oktober 1896 saß er morgens noch am Klavier über den Skizzen zum Finale. Am Nachmittag war sein Leben ausgelöscht. Blieb uns also die 9. Sinfonie Anton Bruckners ais gewaltiger Torso. In ihrem ersten Satz scheint er noch einmal alle Kampfe seines Lebens zusammenzufas sen. Zugleich aber gibt er die Zusammenfassung seines musikalischen Ringens, seines Ringens um die neue Form der Sinfonie, seiner Sinfonie. Dieser erste Teil seines Testaments zeigt die Maße der Architektur, die den oft gebrauchten Vergleich Bruckners mit Mlichelangelo, dem großen Baumeister und Bildhauer, rechtfertigen. Und man wird an das Wort Goethes erinnert: „Ich bin in dern Augenblicke so für Michelangelo eingenommen, daß mir nicht einmal die Natur aut ihn schmeckt, da ich sie doch nicht mit so großen Augen wie er sehen kann." Wieder einmal läßt Bruckner das Hauptthema erst allmählich sich formen. Es wird vorbereitet in einer Einleitung, die mit einem 18taktigen Orgelpunkt auf d, dem Grundton des ersten Satzes, beginnt. Acht Hörner künden das Haupt thema an, indem sie vom Grundton aus zuerst die Terz, dann die Quinte er reichen. Im Gegensatz zur Beethovenschen Neunten, die in der gleichen Ton art steht und mit einem ähnlichen Vorgang beginnt, wird hier die Terz von vornherein einbezogen, werden die drei Töne des Dreiklangs verwendet — wir wissen, welche Bedeutung die Zahl drei in Bruckners Werk hat. Das Haupt thema bricht dann im Unisono des vollen Orchesters mit einer Urgewalt herein, wie sie nur Bruckner entfesseln konnte. Es ist das Schicksal, dessen Hammer schläge ertönen, und es ist zugleich ein Symbol für die Titanenkraft des Men schen, der sich gegen das Schicksal stemmt. Die melodische Linie des Themas wird bestimmt durch den Absprung von dem Grundton auf die Dominante A, die beiden Töne, die schon in der Einleitung eine so wichtige Rolle spielten. Im Gegensatz dazu ist die Gesangsgruppe mit einer süßen Melodie in den er sten Violinen, einem Begleitgesang der zweiten Violinen, der Bratschen und der Celli, die sich zu, wärmenden Harmonien finden, beseligende Musik glück hafter Zeiten. Das dritte Hauptthema aber greift wieder auf das erste zurück: Unisono des d-Moll-Akkords (d—f—a) in den Violinen und Bratschen, dem die tiefen Streicher in Gegenbewegung antworten, dazu Umschreibungen des Ak kords in den Holzbläsern, Mit diesem Material wird eine Durchführung von gewaltigen Maßen und schier unübersehbarem Reichtum der thematischen Be ziehungen gestaltet, die sich bis in die Reprise hinein — sie bringt keine wört liche Wiederkehr des ersten Themas! — erstrecken. Die Coda greift sinngemäß auf die Einleitung zurück, so daß der ganze Satz in einem festen Rahmen steht. Das Scherzo, wie in der 8. Sinfonie an zweiter Stelle, greift noch einmal die Brucknersche Scherzo-Idee auf, wie sie schon in der 1. Sinfonie aufgezeichnet war und seitdem in sieben Variationen durchgeführt wurde. In dieser achten und letzten Variation hat der todkranke Mann, im Hauptteil sowohl wie im Trio, das kühnste geschrieben. Das hat schon Hermann Kretzschmar, der dem Mei ster im allgemeinen nicht ganz gerecht wird, erkannt, als er schrieb: „Der zweite Satz ist das vielleicht grausamste und unheimlichste Scherzo, das die sinfoni sche Literatur aufzuweisen hat. Die Themen sind, auch im Trio, nur Figuren, die im verminderten Septakkord spukhaft, fahl, gehetzt und entsetzt hinauf- und hinabjagen; als Kern der Musik trägt die Erinnerung die mörderisch dröh nenden Rhythmen der Hörner, Trompeten und Posaunen heim." Das ist Elfen tanz und Geisterraunen, Rauhnachtschreck und Walpurgiszauber, Weltentaumei und Höllenspuk. Das Adagio aber stößt die Tore des Himmels auf. Das este Thema ist ein Ab bild des ganzen Satzes; wie es, zuerst im vergeblichen Ansprung der kleinen None, dann aber immer sehnsüchtiger und inbrünstiger sich aufschwingt, be sonders markant auf den Tönen des D-Dur-Dreiklangs (glänzend instrumentiert mit dem Einsatz der drei Trompeten) und damit den d-Moll-Dreiklang des ersten Satzes aufhebend, so schwang sich Bruckners Seele auf den Flügeln dieser Töne in die ewige Verklärung. Mehr als ein langsamer Satz ist dieses Adagio mit Rückbeziehungen auf die Thematik der vorangegangenen Sätze ein echtes Finale, und man kann die Sinfonie trotz des fehlenden vierten Satzes als vollendete ansehen, genau wie die „Unvollendete" Franz Schuberts. Da aber auch Themen aus früheren Sinfonien auftauchen (erstes Adagio = Thema der 8. u.nd Hauptthema der 7. Sinfonie), ist es der Finalsatz für Anton Bruck ners gesamtes Schaffen, das in ihm eine letzte Verinnerlichung von überirdi scher Schönheit erfährt. VORANKÜNDIGUNGEN : Donnerstag, den 30., und Freitag, den 31. Januar 1975, jeweils 20.00 Uhr, Kulturpalast 6. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Hartmut Haenchen Solist: Michail Waiman, Sowjetunion, Violine Werke von Ives, Bach, Martin und Beethoven Freier Kartenverkauf Sonnabend, den 15., und Sonntag, den 16. Februar 1975, jeweils 20.00 Uhr, Kulturpalast Einführungsvorträge jeweils 19.00 Uhr Dr. habil. Dieter Hartwig 6. ZYKLUS-KONZERT UND 6. KONZERT IM ANRECHT C Dirigent: Hartmut Haenchen Solist: Jewgeni Mogilewski, Sowjetunion, Klavier Werke von Prokofjew und Bruckner Anrecht B und C Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1974/75 — Chefdirigent: Günther Herbig Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Die Einführung in die 9. Sinfonie von A. Bruckner schrieb Prof. Dr. K. Laux Druck: GGV, Produktionsstätte Pirna - 111-25-12 2,85 ItG 009-10-75 5. ZYKLUS-KONZERT UND 5. KONZERT IM ANRECHT C 1974/75