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Leitung in Leipzig uraufgeführt. Das Konzert, das sich in bezug auf Aussage, Form und Anlage außerordentlich vom Typ des zeitgenössischen Virtuosen konzertes unterscheidet, war vom Komponisten zuerst viersätzig geplant worden. Da Brahms aber „über Adagio und Scherzo gestolpert ist", komponierte er den Adagio-Satz neu und ließ die beiden ursprünglichen Mittelsätze wegfallen. Trotzdem ist die ausgesprochen sinfonische Anlage des Konzertes unverkennbar. Schon Clara Schumann äußerte nach dem Kennenlernen des ersten Satzes, „daß es ein Konzert ist, wo sich das Orchester mit dem Spieler ganz und gar ver schmilzt". Niemals ist die virtuose Violintechnik hier Selbstzweck, wie bei so vielen zeitgenössischen Solokonzerten, sondern in vertiefter, gehaltvoller Gestal tung stets als dienendes Glied in den sinfonischen Ablauf eingefügt, wobei (für Brahmsens Zeit ganz neue) große Aufgaben an den Solisten gestellt werden. In seiner größtenteils lyrisch heiteren, innig-warmen Grundstimmung, seiner klassisch ausgewogenen Form gehört das ßrahmssche Violinkonzert zu den schönsten, vollendetsten und berühmtesten Werken dieser Gattung. Das weiche, in ruhigen D-Dur-Dreiklängen auf- und absteigende Hauptthema des großangelegten ersten Satzes (Allegro non troppo) erklingt eingangs in Bratschen, Violoncelli, Fagotten und Hörnern und findet seine Weiterführung in einer sehnsüchtigen Oboenmelodie. In der ausgedehnten sinfonischen Orche stereinleitung werden noch weitere Nebengedanken entwickelt. Darauf setzt nach einem rhythmisch scharf betonten, später vom Solisten erweiterten Seitenthema kadenzartig das Soloinstrument ein, in gleichsam improvisatorischen Umspie lungen zum Hauptthema findend. Nachdem auch das eigentliche zweite, sehr kantable Thema von der Solovioline vorgetragen wurde, werden im spannungs vollen Durchführungsteil die verschiedenen Themen und Motive in mannig fachsten Ausdrucksschattierungen verarbeitet. Die an die Reprise anschließende Kadenz des Solisten hat Brahms nicht selbst ausgeschrieben. In den höchsten Lagen der Violine ertönt danach noch einmal friedvoll die Anfangsmelodie, dann beschließt eine kurze, kraftvolle Coda den Satz. Ein wunderschönes, echt „Brahmssches" Adagio bildet den Mittelsatz des Wer kes. Der poesievolle dreiteilige Satz wird von den Bläsern eigeleitet, wobei die Oboen, von den übrigen Holzbläsern und zwei Hörnern begleitet, das liebliche F-Dur-Hauptthema zum Vortrag bringen, das dann von der Solovioline aufge griffen und variierend weitergesponnen wird. Nach einem leidenschaftlichen, weitgehend vom Solisten getragenen fis-MolI-MittelteiI wird das Anfangsthema wieder aufgenommen; arabeskenhaft umspielen die Figuren des Soloinstruments den Oboengesang. Das abschließende feurige Allegro giocoso, in Rondoform aufgebaut, beginnt sogleich mit dem durch den Solisten erklingenden, ein wenig ungarisch gefärbten tänzerischen Hauptthema, das durchweg in Doppelgriffen erscheint. Von den Seitenthemen des Finalsatzes wird besonders ein energisch-markantes, aufstei gendes Oktaventhema der Violine bedeutsam, daneben eine zarte, lyrische G-Dur-Episode. In einer Stretta gipfelnd, die das Rondothema noch einmal in rhythmisch veränderter Form bringt, beendet der glanzvoll virtuose, spritzige Finalsatz mit einer Fülle origineller Einfälle das Konzert. Die 4, Sinfonie in B-Dur op. 60 komponierte Ludwig van Beet hoven im Jahre 1806 und brachte sie im März 1807 neben anderen eigenen Schöpfungen in Wien zur Uraufführung. Der Meister war zu jener Zeit — trotz der Enttäuschungen, die er mit seiner einzigen Oper „Fidelio" eben erlebt hatte —, „heiter, zu jedem Scherz aufgelegt, frohsinnig, munter, lebenslustig, witzig, nicht selten satirisch", wie uns sein Zeitgenosse Seyfried überlieferte. Seine auch nach Mißerfolgen ungebrochene Schaffenskraft und jene geschilderte Stimmung haben sich in der „Vierten", die in relativ gedrängter Zeit entstand, niedergeschlagen. Die Sinfonie weist durchweg eine inhaltliche Helle, eine heitere Atmosphäre auf, die von Haydn und Mozart gewiß nicht unbeeinflußt ist, obwohl Beethoven auch in diesem Werk — nach der Eroica — eine neue Stufe seiner Entwicklung erreicht hat, die sich etwa in der diffizilen Harmonik und der inhaltlichen Klarheit offenbart. Der Aufbau der 4. Sinfonie ist locker, fast impro visiert, sie strotzt vor musikalischen Einfällen, die den Eindruck optimistischer Lebenshaltung erzeugen. Nur selten einmal werden Schatten beschworen, Hintergründe gesucht. Geheimnisvoll wirkt zunächst die Adagio-Einleitung des ersten Satzes, aus deren verschwebend-erregenden Klängen sich plötzlich in frischem Allegro-Vivace- Tempo das heiter-bewegte Hauptthema mit seinem Trioienauftakt herauslöst, das für den Satzablauf bestimmend wird. Dem reizvoll-beschwingten Spiel mit diesem Thema werden noch zwei Seitenthemen in F-Dur, durch Holzbläser vorgeführt, bei gegeben, die im Gefolge mit dem Hauptgedanken die urmusikantische Stimmung der Durchführung vorantreiben. Keine Konfliktsituation kommt auf. Doch allmäh lich weicht die Turbulenz der Entwicklung einer Episode inniger Ruhe und Schön heit. Auf schwebenden H-Dur-Harmonien scheint die Bewegung zu Ende zu sein. Doch über einem sich steigernden Paukenwirbel fängt das Spiel mit dem Haupt thema noch einmal an und wird zu einem glanzvollen Schluß geführt. Der melodisch-empfindungsvolle langsame Satz, ein Adagio in Es-Dur, wird von zwei Themen getragen. Dem Hauptthema, in den Violinen erklingend, schließt sich ein schwärmerischer Seitengedanke in den Klarinetten an. Unbeschreiblich friedvoll, traumhaft, sphärisch rein mutet dieses Adagio mit seiner differenzierten Dynamik und der eigenartigen Instrumentation an. Der Einbruch des Leides in diese glückhafte Welt wird überwunden. Typischen Scherzocharakter besitzt der dritte Satz, Allegro vivace, mit seiner rhyth mischen Ursprünglichkeit, der Derbheit seines Ausdrucks. Das Trio verarbeitet eine verspielt-heitere Ländlerweise, die in den Holzbläsern angestimmt wird. Lebens sprühend, wirblig gibt sich das Finale, Allegro ma non troppo, das zwar in Mo- zartschem und Haydnschem Geiste entworfen, doch in vielen Schroffheiten den typischen Beethoven erkennen läßt. Ruhelose Sechzehntelbewegungen charakte risieren das markante erste Thema, volksliedhafte Melodik das zweite. Welch ein Spiel mit Motiven, Stimmungen und Steigerungen! Welch meisterlicher Humor durchpulst diese Partitur! Man achte auch auf die Überraschungen des Schlußteils mit seinen Orchesterschlägen und Generalpausen. Mitreißend im wahrsten Wort sinn ist dieses Sinfonie-Finale. Dr. habil. Dieter Hartwig VORANKÜNDIGUNGEN : Dienstag, den 25., und Mittwoch, den 26. Dezember 1973, jeweils 20.00 Uhr, Kulturpalast 5. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Hartmut Haenchen Solist: Amadeus Webersinke, Dresden, Orgel Werke von Händel, Bach, David und Mozart Freier Karten verkauf Montag, den 31. Dezember 1973, 17.00 Uhr, und Dienstag, den 1. Januar 1974, 19.00 Uhr, Kulturpalast 6. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Günther Herbig Solisten: Elisabeth Breul, Leipzig, Sopran Ingeborg Springer, Berlin, Alt Eberhard Büchner, Berlin, Tenor Karl-Heinz Stryczek, Dresden, Bariton Chor: Philharmonischer Chor Dresden Einstudierung Wolfgang Berger Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 9 d-Moll Freier Kartenverkauf Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1973/74 — Chefdirigent: Günther Herbig Redaktion: Dr. habil. Dieter Hartwig Druck: Polydruck Radeberg, PA Pirna - 111-25-12 2,85 ItG 009-118-73 4. AUSSERORDENTLICHES KONZERT 1973/74