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DRESDNER PHILHARMONIE ZUR EINFÜHRUNG Mittwoch, den 28. November 1973, 20.00 Uhr Donnerstag, den 29. November 1973, 20.00 Uhr Festsaal des Kulturpalastes Dresden 4. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Lothar Seyfarth, Weimar Solistin: Liana Issakadse, Sowjetunion, Violine Christoph Willibald Gluck Ouvertüre zu „Iphigenie in Aulis" 1714-1787 Johannes Brahms Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 77 1833-1897 Allegro non troppo Adagio Allegro giocoso, ma non troppo vivace PAUSE Ludwig van Beethoven 1770-1827 Sinfonie Nr. 4 B-Dur op. 60 Adagio — Allegro vivace Adagio Allegro vivace Allegro ma non troppo lllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllilllllllllliilliilllilllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllilllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllliliiiiiiiiiiiiiiiiiiiniii LIANA ISSAKADSE, 1946 in Tiflis geboren, trat im Alter von sieben Jahren in das Konserva torium ihrer Heimatstadt ein. Bereits 1957 konzertierte sie erstmals in Moskau. 1960 errang sie den 2. Preis beim sowjetischen Allunions-V/etlbewerb der Musikstudenten. 1963 wurde sie Schülerin David Oistrachs am Moskauer Konservatorium und bereits zwei Jahre später gewann sie den 1. Preis im Long-Thibaud-Wettbewerb Paris. Seitdem hat die junge sowjetische Künstlerin im In- und Ausland eine verheißungsvolle Karriere angetreten. Erstmalig gastierte sie bei der Dresdner Philharmonie im Jahre 1972- Christoph Willibald Glucks musikdramatische Gestaltung des Iphigenie-Stoffes in seinen Opern „Iphigenie in Aulis" (1774) und „Iphigenie auf Tauris" (1779) erfüllt in der Verbindung von klassischem Geist der Antike mit den humanistischen Ideen der Aufklärung vollendet die Grundforderung dieses Kom ponisten nach „Einfachheit, Wahrheit und Natürlichkeit". In der Ouvertüre zu „Iphigenie in Aulis" besitzen wir auf dem Gebiete der Instrumen talmusik eines der schönsten Beispiele der edlen Tonsprache des großen Opern reformators, ein Werk von klassischer Klarheit, formaler Geschlossenheit (Sona tenform) und vorbildlicher Instrumentation. Seine Ansicht von der Bedeutung der Opernouvertüre legte Gluck in dem berühmten, das Bekenntnis seiner reforma torischen Ideen enthaltenden Vorwort zu „Alceste" (1769) dar: die Ouvertüre solle „den Zuhörer" auf den Inhalt der darzustellenden Handlung vorbereiten''. In diesem Sinne hat auch die Iphigenien-Ouvertüre einen ausgesprochen pro grammatischen Charakter, bereits hier wird das Drama in seinen großen Gegensätzen und erregenden menschlichen Konflikten entwickelt. Der Seelen kampf und die Zerrissenheit Agamemnons, der auf Artemis' Geheiß seine Tochter Iphigenie opfern soll, die Forderung des Volkes nach dem im Interesse der Allgemeinheit notwendigen Menschenopfer und die liebliche, jungfräuliche Zartheit Iphigenies erscheinen als die thematischen Kraftzentren der Kom position. Unmittelbar in den Anfang der Handlung übergehend und durch die Verwendung musikalischer Motive in engem Zusammenhang mit der Oper stehend, trägt die Ouvertüre schon gewisse Züge, die wir viel später im „Vor spiel" Richard Wagners wiederfinden. Dieser schätzte das Werk denn auch besonders hoch, fügte ihm einen heute allgemein benutzten Konzertschluß an und unterzog es eingehenden Betrachtungen. Wagner kennzeichnete bei seiner Analyse vier Hauptmotive: „1. ein Motiv des Anrufes aus schmerzlichem, nagen dem Herzeleid" (langsame Einleitung, Moll-Fugato), „2. ein Motiv der Gewalt, der gebieterischen, übermächtigen Forderung" (Unisono-Thema des Haupt satzes), „3. ein Motiv der Anmut, der jungfräulichen Zartheit, in Violine und Flöte“ (kontrastierendes Gegenthema in der Dominante), „4. ein Motiv des schmerzlichen, qualvollen Mitleids" (Fortführungsgedanke in Moll) und führte weiter aus: „Die ganze Ausdehnung der Ouvertüre füllt nun nichts anderes als der fortgesetzte, durch wenige abgeleitete Nebenmotive verbundene Wechsel dieser (drei letzten) Hauptmotive; an ihnen selbst ändert sich nichts außer der Tonart; nur werden sie in ihrer Bedeutung und gegenseitigen Beziehung eben durch den verschiedenartigen, charakteristischen Wechsel immer eindringlicher gemacht, so daß ... wir in das Mitgefühl an einem erhabenen tragischen Kon flikt versetzt sind, dessen Entwicklung aus bestimmten dramatischen Motiven wir zu erwarten haben." Johannes Brahms schrieb sein einziges, im Jahre 1878 komponiertes Violinkonzert D-Dur o p. 77 für seinen langjährigen Freund, den berühmten Geiger Joseph Joachim, der ihm auch bei der Ausarbeitung der Solo stimme in violintechnischen Fragen ratend zur Seite stand (ohne daß Brahms allerdings auf alle Änderungsvorschläge Joachims eingegangen wäre). „Nun bin ich zufrieden, wenn Du ein Wort sagst und vielleicht einige hineinschreibst: schwer, unbequem, unmöglich usw.", können wir in einem Brief vom August 1878 an Joachim lesen, den der Komponist ihm zusammen mit der zu begutachtenden Violinstimme schickte. In seiner Antwort darauf bemerkte der Geiger, daß „das meiste . . . herauszukriegen" und ein Teil sogar „recht originell violinmäßig" sei. Bereits am Neujahrstag des folgenden Jahres wurde das in einer glücklichen, fruchtbaren Schaffensperiode entstandene Werk (auch die 2. Sinfonie D-Dur und das 2. Klavierkonzert B-Dur stammen aus dieser Zeit und zeigen manche dem Violinkonzert verwandte Züge) mit Joachim als Solisten unter Brahmsens