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Sonntag. Nr L93. LS. August L8SS jkelpzig. Die Zeitung erscheint mit Ausnahme des Montags täglich und wird Nachmittags 4 Uhr aus- gegeben. Mreia für das Viertel jahr 1'/, Thlr.; jede ein zelne Nummer 2 Ngr. Deutsche Mgeuieim Zeituug. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» Zu beziehen durch alle Postämter des Zn- und Auslandes, sowie durch die Expedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). Bnsertionsgevühr für de» Raum einer Zeile 2 Ngr. Die pariser Industrieausstellung, in. Paris, 13. Aug. Auf dem Gebiete der Preiserniedrigung hat ein wiener Industrieller eine Erfindung gemacht, indem er Thicrknochen die Ei genschaften des Elfenbeins zu geben weiß. Wir haben seine Stockknöpfe und andere Schnitzereien gesehen, au denen kaum der Unterschied zu ent decken war; nur der Unterschied im Preise beträgt fast das Zehnfache. Da man aber bei uns selten Knochen von solchen Dimensionen findet, wie die Elefantenzähne liefern, so besteht die Hauptkunst dieser Arbeit in den fei- nen und unsichtbaren Zusammenfügungen. In so vielen Dingen geht die Industrie unserer Zeit auf ein billige res Surrogat aus; die Romantiker des Luxus schmähen darüber, aber ist ein anderer minder seltener Stoff, der mit weniger Kosten Dasselbe leistet, ein bloßes Surrogat und verächtlicher als das ursprünglich Nachgeahmte? Warum stehen diese kostbaren pariser Tcrnaux- und Bie'try-ShalwS hinter den orientalischen zurück? Das Vorurthcil, welches daran schuld ist, bezieht sich zumeist auf verschiedene Kleidungsstoffe der Damen, weil diesen oft das Ucbcrflüssige als Zweck und daS Zweckmäßige als überflüssig erscheint. Bei den Stoffen für Männer bemerken wir dagegen eine andere, aber doch ver wandte Verirrung: die Solidität nimmt ab, weil die Mode so rasch wech selt, daß cs auf die Dauerhaftigkeit deS Stoffs nicht mehr ankommt. 1.» form« empört« I« sonck! Wir bestellen unsere Kleider fertig beim Kleidcr- künstler, ohne das Tuch dazu nur anzusehen. Auch wird überall das alte niederländische Tuch von dem neuen englischen Buckskin und die Leinwand von der Baumwolle verdrängt, Letzteres freilich mit höchster Approbation der Aerzte und der Nationalökonomcn. Wenn die Verfeinerung der Industrie solche Betrachtungen weckt, so werden ganz andere Reflexionen von den Goldbarren hervorgerufen, welche Kalifornien und Australien am östlichen Ende der großen Galerie des Haupt- palasteS pyramidenartig aufgestapelt haben. Mit sehnsüchtigen Blicken haftet die Menge an diesem verführerischen Anblick. In unförmlichen Blöcken, die oft kaum mit fremden Bestandtheile» vermischt sind, wird das Gold dort dicht unter der Erdoberfläche gefunden; dies ist der große Archimedi sche Hebel, von dem die modernen Staatswcisen eine rasche Umwälzung aller gesellschaftlichen Formen erwarteten. Allein die Gelehrten haben die Rech nung ohne den Wirth gemacht! Die Industrie, welche ihr heuriges Fest in den Elyse'eischen Feldern von Paris feiert, ist schon so mächtig, ihre Com- binationen sind dermaßen mit den Bedürfnissen und den politischen Einrich tungen verwachsen, daß auch die bedeutendste Veränderung in den Verhält nissen der Tauschmittel spurlos an ihr abgleitcn. Wie ein Besiegter wohnt daS transatlantische Gold dem Triumphzuge der europäischen Industrie bei. Der Vollständigkeit halber gehörte auch das Gold in die Industrieausstel lung; jedes Nohproduct hat doch eine Seite, wonach es der Industrie an gehört, oder, wie die Oekonomistcn sagen: jeder Werth ist ein Product der Arbeit. Die Classification sammtlichcr Arbeitsprodukte bot natürlich die größ- ten Schwierigkeiten. Mit richtigem Takt hat die Commission bei dieser Auf gabe alle theoretischen Controversen dialektischer Finessen vermieden, indem sie sich auf den praktischen Standpunkt der Arbeit stellte und ihre 50 Clas sen mit einigen 100 Unterabkheilungen (Sektionen) so arrangirte, daß die verschiedenen Jurys nur über Dinge zu urtheilen haben, welche sie auch empirisch verstehen, welche in der Wirklichkeit wie Ursache und Wirkung ne- beneinanderstehcn und in denselben Gewerbszweigen sich begegnen. Diese Classifikation fängt mit den Rohprodukten (Bergwerkserzeugnissen rc.) an und hört mit den schönen Künsten auf. Nehmen wir acht große Gruppen an, so fällt in die erste: die Metallurgie und der Ackerbau; in die zweite die Anwendung physikalischer Gesetze für Lokomotion und Manufakturen; in die dritte Gruppe die Chemie und die höhere Mechanik, Astronomie, Optik rc.; in die vierte die Anwendung der gelehrten Fächer: Medicin, Pharmacie, Nautik, Kriegswissenschaft und Jngcnieurwesen. Die fünfte Gruppe umfaßt sämmtliche höhere Verzweigungen der ersten Grup pen, nämlich Stahl-, Glas- und Krystallfabrikationen rc. Die sechste Gruppe enthält sämmtliche Bekleidungsstoffe, und die siebente Alles, was an Mcublcs und Geräthschaften zur Ausstattung eines Hauses gehört. Die achte Gruppe endlich zerfällt in g) Malerei (Zeichnung, Reproduktion in Schwarzblättern rc. einbegriffen), b) Bildhauerei, und o) Architektur. Man sollte glauben, daß die Ausstellung der Rohprodukte wenig Neues lei sten könnte. Allein unsere Zeit ist an Wundern so reich, und die Wis senschaft, welche noch alljährlich neue Planeten entdeckt, componirt auch neue Mineralien und bringt neue Lebensmittel auf den Markt. Die Pa- nification, d. h. die Bereitung billigen Brotes aus andern Stoffen, als das Getreide bietet, ist heutzutage in Frankreich die wichtigste Frage auf der Tagesordnung. Algerien sendet dazu seine Produkte, deren Neichthum alle Erwartung übertrifft. Eine eigene Gesellschaft in Frankreich beschäf tigt sich mit der Einführung neuer Haus- und Schlachtthierc, und das Pack wird sich in der französischen Landwirthschaft und sogar in den Speise häusern vor dem Pferde acclimatisiren, obgleich es noch nicht auf der all gemeinen Thierschau des pariser Mar-feldes erschienen ist, auf welchem zum ersten male schweizerisches und französisches Zug- und Schlachtvieh mit englischem und dänischem in Concurrenz gebracht wurde. Die wich tigste Neuerung in den Quasi-Rohproducten gehört diesmal der Chemie an; es ist das Aluminium, dessen Erfindung und Ausbildung für uns Deutsche an Wöhler's und Rose's wohlverdienten Ruhm anknüpft, wäh rend die Franzosen ihre Deville und Dumas dafür krönen. Freilich ge hört der französischen Regierung das Verdienst, dieses neu componirte Me tall zum ersten male zur Fabrikation im Großen benutzt zu haben. Die HH. v. Sussex in Javel, Besitzer einer großen chemischen Produclenfabrik, wurden mit den betreffenden Aufträgen betraut. Demnach werden wir bald daS Versprechen verwirklicht sehen, daß ein billiges Metall, welches nicht rostet und leicht zu verarbeiten ist, in die Industrie eingcführt werde. Die Hauptaufgabe für die praktischen Zwecke dieses neuen Industriezweigs besteht in der billigen Beschaffung der Hauptbestandlhcile, des Chlorsalzes und der Soda. Das Chlorsalz wäre, wie der Chemiker Dumas behaup- tet, noch viel wohlfeiler zu beschaffen, wenn man die Fabrik nach Mar seille verlegte, und die Soda wird heute schon zu annähernd ebenso gerin gem Preise dargcstellt wie das Zink z. B-, zu 30 Fr. das Kilogramm. Nichtsdestoweniger haben Detailschwierigkciten in der letzten Phase der Fa brikation bisjetzt den Preis des Aluminiums noch fast auf der Höhe des Goldes erhalten; aber man verspricht, es bald zu 5 Fr. das Kilogramm, also das Pfund zu 2'/, Fr.,.folglich 400—500 mal billiger als das Gold herzustellen. Sprechen wir heute noch von iencm andern Industriezweige, der gleichfalls ein Resultat der neuesten naturwissenschaftlichen Forschungen ist, von der Daguerreotypie und Photographie. Man hatte lange ge schwankt, ob man diese Produkte in die Kunst- oder in die Industrieaus stellung weisen sollte, und hat sich endlich mit Recht für die letztere ent schieden; denn zur Kunst gehört mehr als technisches Verfahren, gehört eine selbständige und idealistische Auffassung eines poetischen Gedankens. Indessen lehrt uns die Exposition der photographischen Leistungen, daß die ses Handwerk wol bestimmt ist, der Kunst die wichtigsten Dienste zu lei sten und namentlich dem Künstler nicht nur das Studium der Natur sehr zu erleichtern, sondern auch die Geschichte der Künste allgemein zugängli cher zu machen. Die Photographie auf Papier hat die sogenannte Da- gnerreotypie, nämlich die Lichtbildncrci auf Metall, fast ganz verdrängt. Gehört diese Erfindung einem Franzosen an, so ist jene Vervollkommnung das Verdienst eines Engländers, Namens Fox Talbot, und könnte Talbo- typie heißen. Fast alle Völker haben ihr Contingcnt an Lichtbildern ge- stellr. In den einfachen Porträts exccllircn die Nordamerikaner, in grö ßern' architektonischen Darstellungen einige Pariser, die Brüder Bisson und Baldus, in Landschaften die Engländer. Die Vorzüglichkeit der französi schen Photographien in architektonischer Beziehung soll von der Anwen dung des CollodiumS kommen, welches den Physiognomien wiederum einen zu kalten Ton gibt. Ein Engländer, Namens Robertson, hat eine äußerst anziehende photographische Sammlung griechischer und byzantinischer Mo numente eingcschickt. Dasselbe hat, aber mit weniger Glück, Carlo Ponti, ein italienischer Unterthan Oesterreichs, für die Bauwerke Italiens versucht. Unter den photographischen Porträteurs zeichnet sich Hanfstängl aus Mün chen aus, dessen Vortrefflichkeit wir um so sicherer bezeugen können, da er viele berühmte und uns persönlich bekannte Persönlichkeiten vorführt. Das Coloriren der Lichtbilder, eine unglückliche Leidenschaft der geschmacklosen Engländer und auch der industriösen Franzosen, verdirbt in der Regel das Ganze und verfehlt den Zweck. Dieö ward uns besonders klar bei dem Verfahren, welches die Photographie mit der Stereoskopie verbindet und Bilder, ja Sccnen liefert, die, wäre nicht die matte Farbe daraufgckleckst, wie der Natur abgestohlene Hautreliefs erschienen. Williams aus London und Claubet aus Paris haben darin das Vorzüglichste geleistet. Man muß diese Bilder durch eine Art Enterns mggios ansehcn; das hier an gewandte Verfahren wird wol mit der Zeit neue Panoramen veranlassen, welche das Reisen als Naturgenuß überflüssig machen werden! Man sieht auch noch andere Versuche, die Photographie mit der lästerns magicu zu verbinden, auf der Ausstellung. Diese mögen ein wissenschaftliche- Inter esse haben, ein praktisches haben sie nicht. In diesem und verwandten Gebieten stoßen wir auf viel verunglückte Experimente und häßliche Pro- ducke. Zum Ersatz machen wir den Leser auf einen äußerst gelungenen Versuch aufmerksam, der in Paris erschienen, nämlich auf die photographi- che Reproduction sämmtlicher Rembrandt'schen Meisterwerke, die sich so vor- restlich dazu eignen.