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dem jedoch Erfüllung versagt blieb. Grieg äußerte nach dem Besuch des „Rheingold" u. a. „Ich gehe heim und sage mir: Trotz des vielen, was man aussetzen könnte, trotz der Unruhe, mit der die Götter gezeichnet sind, trotz der ständigen chromatischen Übergänge und des unaufhörlichen Harmoniewechsels, wodurch man nach und nach nervös gereizt und schließlich vollständig erschöpft wird, trotz der vielen Fi ligranarbeit und des gänzlichen Mangels an Ruhepunkten, trotz der Stellung des Ganzen an der äußersten Grenze der Schönheit - trotz alledem ist dieses Musikdrama das Werk eines Riesen, dem die Geschichte der Künste vielleicht nur in Michelangelo einen Eben bürtigen zur Seite zu stellen hat". Der nicht von Wagner eingeführte Begriff der Leitmotivtechnik im Zusammenhang mit den anspruchsvollen sinfonischen Strukturen seiner Bühnenwerke sagt wenig über seine vielfältige Motiv- und Themenverarbeitung aus, die sein dramatisches Schaffen prägte, und führte allmählich zur schematischen Vorstellung eines motivischen Adreßbuches. Wagner selbst sprach von Grundthemen, deren Verarbeitung und Entwicklung ganz vom dichterischen Gehalt eines Werkes bestimmt ist. In welcher Weise Gestalten, Situationen, Stimmungen mono- oder polythematisch gekennzeichnet sind, ob Motive oder Themen nur zur Er innerung rhapsodisch auftauchen oder sinfo nisch verarbeitet werden, hängt ganz vom dramatischen Geschehen des jeweiligen Wer kes ab. Wagner entwickelte dazu das schon in der französischen Opera comique und von Carl Maria von Weber verwendete Verfahren der Erinnerungsmotive wie die motivisch thematische Arbeit der klassischen, besonders der Beethovenschen Sinfonik weiter und ver arbeitete auch Elemente aus der Programmatik der Berliozschen Sinfonie. Das volle Verständ nis des programmatischen Gehaltes der er klingenden Ausschnitte ist jedoch nur im Zu sammenhang des ganzen vierteiligen Werkes möglich, da es kein instrumentales Stück gibt, das nicht mit dem vorangegangenen oder folgenden dramatischen Geschehen unmittel bar verbunden ist. „Der Ritt der Walküren", die Einleitung zum dritten Aufzug des Musikdramas „Die Walküre", ist eine sinfonische Episode voll kraftvoller Bewegung, vibrierender Luft und zauberischem Kolorit. Das Bild der jauchzen den, in überschäumender Lust durch die Luft reitenden Geschöpfe Wotans, der Walküren, wird von Wagner in kühner, realer Bild haftigkeit wiedergegeben. Während in den Holzbläsern, Violinen und Bratschen ein einziges Flimmern herrscht, geben die Celli ein den Ritt charakterisierendes Motiv. Schließ lich erklingt in den Hörnern und Posaunen das Motiv der Walküren. Dann erschallt der Wal kürenruf. In chromatischen Gängen stürmt es im Orchester daher und führt zu einer großartigen Steigerung. Die ungestüme Kraft der Walküren, aber auch ihre Angst vor Wotans Zorn kommt in diesem Stück, einer Musik von bizarrer Größe und Gewalt, zum Ausdruck. „Morgendämmerung und Siegfrieds Rhein fahrt" - Vorspiel zum ersten Aufzug des Musikdramas „Götterdämmerung" - trägt im wesentlichen unbeschwerten Charakter. Die Fahrtenlust des Helden, wie sie im „Siegfried" pulsiert, zeigt sich auch hier als Beweggrund für die verhängnisvolle Trennung von Brün hilde. Siegfrieds Hornruf als Antwort auf ihren Liebesgruß bestimmt den ersten Abschnitt.