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Und noch etwas beeinflußte den Komponisten Brahms im musikalischen Denken. Es war der „Riese“ Beethoven, den er „hinter sich mar schieren hört“. Nach Beethoven müsse man Sinfonien schreiben, die „ganz anders ausse hen“ - meinte er. Aber dies bezog er auch auf seine kammermusikalischen Arbeiten, für die Beethoven ebenfalls längst Entscheidendes ge leistet hatte. Eine eigenständige Konzeption der verschiede nen Gattungen nach Beethoven möglich zu machen, bedeutete für Brahms jedesmal eine neue, tiefgreifende Auseinandersetzung. Das zeigt sich auch bei der Erarbeitung seiner Violinsonaten, einem Genre, für das er sich be reits frühzeitig interessierte. Nachdem er bereits drei frühe Sonaten vernichtet hatte, kompo nierte er 1853 das Scherzo für eine Gemein schaftssonate, die der Geiger Joseph Joachim benötigte. Robert Schumann steuerte zwei wei tere Sätze bei, und dessen Schüler, Albert Dietrich, ein heute kaum mehr bekannter Komponist - übrigens ehemaliger Kreuzschüler aus Dresden -, komponierte den Kopfsatz. 1878/79 entstand die sogenannte „Regenlied- Sonate“, und im Sommer 1886 arbeitete Brahms an seinen beiden letzten Violinsonaten. Die in A-Dur op. 100 wurde fertig, nicht aber das andere Werk. Von der Sonate d-Moll op. 108 lag schließlich nur der 1. Satz vor. Das Werk blieb vorerst liegen und konnte erst zwei Jahre spä ter vollendet werden. Es scheint, als habe der Komponist für die Aufführung den großen Konzertsaal gemeint, nicht mehr, wie seinerzeit durchaus üblich, die intime „Kammer“, z. B. die Salons musikinteressierter Bürger. Es entstand eine regelrechte Konzertsonate. Virtuosität und leidenschaftlicher Ausdruck bedingen Klavier- und Geigenpart gleichermaßen. Groß sind die Kontraste, groß die Wirkung und voller Kühn heiten die Harmonik. ■