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Bach, aus dessen Feder u. a. über vierzig Cembalokonzerte, zahlreiche Sinfonien und Sonaten, Lieder und geistliche Werke vorliegen, muß als einer der wichtigsten Mittler zwischen Spätbarock, Empfindsamkeit und Klassik angesehen werden. Seine musikalische Sprache besitzt bereits jenen neuen Subjektivismus des Ausdrucks, der so kennzeichnend und entscheidend für den neuen Kompositionsstil war. Von den Wiener Klassikern, deren Schaffen er stark beeinflußte, wurde er als „Vater“ bezeichnet. 1775/76 komponierte Carl Philipp Emanuel Bach — als seine letzten Sinfonien — einen Zyklus von vier Sinfonien zu 12 Stimmen (zwei Flöten, zwei Oboen, zwei Hörner, Fagott, zwei Violinen, Viola, Violoncello und Generalbaß), die er dem Prinzen Fried rich Wilhelm von Preußen, Neffen und Thronfolger Friedrichs II., widmete, der ein guter Musikkenner war. Bei diesen Werken handelt es sich um reife Meisterwerke; sic galten zu ihrer Zeit als „ungemein schwierig“. Aus dem Zyklus erklingt in unserem Kon zert die erste Sinfonie in D-Dur. Das Werk besitzt noch Züge des alten Concerto-grosso- Stils mit dem Wechsel zwischen Orchestertutti und kleineren Instrumentengruppen (Concertino); sein teils feurig bewegter, teils nachdenklicher Charakter verweist jedoch auf die neue, persönliche Sprache des Bachsohnes. Im ersten Satz (Allegro di molto) antworten einem energischen profilierten Thema der Streicher die Bläser mit mehr lyrisch geprägten Wendungen. Auf eine harmonisch spannungsvolle Überleitung folgt ein knappes Es-Dur-Largo - mit seiner besinnlichen Ausdruckshaltung zwischen altem und neuen Stil vermittelnd. Wieder in der Haupttonart steht das zügig von den Geigen ge führte Presto mit seinem strahlenden Schluß. Richard Strauss mied in seiner frühen Schaffensperiode zunächst die Opernkomposition, mit der er sich später Weltgeltung verschaffte, und widmete sich mit großer Hingabe - in der Nachfolge Franz Liszts, doch bald über diesen hinauswachsend - der sinfonischen Dichtung. Straussens sinfonischen Dichtungen liegen stets „konkrete Programme“ zu grunde: „Aus Italien“, „Don Juan“, „Macbeth“, „Tod und Verklärung“, „Till Eulen spiegel“, „Also sprach Zarathustra“, „Don Quichote“, „Ein Heldenleben“, „Sinfonia domestica“, „Eine Alpensinfonie“. Einen künstlerischen Höhepunkt innerhalb dieser an sich höchst ungleichwertigen Werkreihe erreichte der Komponist mit der genialen sinfonischen Dichtung Till Eulenspiegels lustige Streiche (nach alter Schelmenweise in Rondoform) op. 28, die 1895 in Köln uraufgeführt wurde, wohl Straussens liebenswür digstes, heiterstes und amüsantestes Stück. Mit Recht sind der geistreiche Humor, der prickelnde Witz, die Ironie, aber auch die Gefühlskraft dieser Musik so berühmt. Einmalig ist die Art, wie der Komponist alle Nuancen der großen Orchesterpalette in diesem musikalischen „Schelmenstück“ ausnützt. Die beiden wichtigsten Motive des Werkes sind Tills gemächliche „Schelmenweis“, vom Horn angestimmt, die in allerlei Verwandlungen - je nach den Erlebnissen des „Hel den“ - refrainartig wiederkehrt, und ein prägnantes, nie überhörbares Klarinettenmotiv, die „Pointe“ zu jedem Abenteuer Tills. Und wer Phantasie hat, hört unschwer heraus, was Meister Strauss seinen Till erleben läßt: wie er das Geschirr der Marktweiber von den Hufen seines Pferdes zerschlagen läßt, wie er in Priesterverkleidung vor dem Volke spricht, wie er sich verliebt, schmachtet und einen Korb erhält, wie er sich in „gelahrte ‘ Disputationen einläßt und brave Wissenschaftler mit einem Gassenhauer zum Narren hält. Aber damit haben Tills Streiche ein Ende gefunden. Vor Gericht gebracht, wird er nach viermaliger Befragung zum Tode verurteilt (Posaunen und Hörner). Und schon wird Till am Galgen aufgeknüpft (das zerflatternde Klarinettenmotiv deutet die letzten kläglichen Seufzer Tills an). Das Nachspiel, das den volksliedhaften Ton des Beginns wieder aufnimmt, vermittelt die trostreiche Gewißheit, daß der närrische Geist Till Eulenspiegels unsterblich ist und in den Erzählungen des Volkes weiterleben wird. „Es war immer mein Wunsch und mein Bestreben, eine Musik zu schaffen, die der großen Masse der Zuhörer verständlich und doch vom Banalen soweit frei wäre, daß sie auch noch die wirklichen Musikfreunde zu fesseln vermöchte.“ Dieses Bekenntnis stammt von dem 1955 verstorbenen Arthur Honegger, dem unter allen Schweizer Komponisten überragender Meister. Er studierte in Paris (u. a. bei Vincent d’ Indy) und in Zürich. 1916 verband er sich mit Milhaud, Satie und Cocteau zur Gruppe „Les Nouveaux Jeunes“; ab 1920 gehörte er der französischen Komponistengruppe „Les Six“ neben Milhaud, Poulenc, Auric, Durey und Germaine Tailleferre an. Honegger schrieb Bühnenwerke, Ballette, Orchester- und Kammermusik, Vokal- und Filmmusik. Mit dem szenischen Oratorium „König David“, zu dem später das Opernoratorium „Johanna auf dem Scheiterhaufen“ (heute das wohl meistgespielte Werk des Komponisten) und der „Totentanz“ kamen, wurde Honegger weit über französische und schweizerische Grenzen bekannt. 1924 hatte das Orchesterwerk „Pacific 231“, eine Art sinfonische Dichtung, die mit illustrativen Mitteln das Fauchen und Zischen einer Riesenlokomotive schildert, sensationellen Erfolg. Der Sinfonik wandte sich der Komponist verhältnismäßig spät, erst im Jahre 1935, zu, schuf jedoch auf diesem Gebiet höchst bedeutsame Werke, darunter die erregende zweite und die dritte (Symphonie Liturgique), die man als die bisher gewichtigste Sinfonie eines Schweizers bezeichnet hat. In seinem Lebensbericht „Ich bin Komponist“ (1952) schilderte er sein Leben und Schaffen in pessimistischem Licht zwar, aber ehrlich und allgemeingültig. Ein im wesentlichen tragisches, ernstes, jedoch in jedem Takt ehrliches und allgemein gültiges Werk eines zutiefst humanistischen Künstlers ist auch die 1950 komponierte dreisätzige Sinfonie Nr. 5 („Di tre re“). Der Untertitel „Di tre re“ bezieht sich auf die Schlußnote der drei Sätze, die jedesmal D („re“) ist. Über den tieferen Sinn dieser drei zarten, gewissermaßen resignierenden Schläge (der Pauken und Bässe) hat der Kom ponist keine Erklärung abgegeben. Aus dieser seiner letzten Sinfonie, die wie sein ge samtes Schaffen bei aller unmittelbaren Gegenwartsnähe im Boden der überlieferten musikalischen Tradition wurzelt, von vitaler Erfindungskraft ist und in ihrer rhythmischen Besessenheit geradezu Strawinskysche Energien entfesselt, spricht jedenfalls ein tra gisches Lebensgefühl sowie „eine tiefe Erkenntnis der letzten Dinge des Menschen“. Neben der strengen Schönheit ihres musikalischen Ausdrucks beeindrucken auch ihre un erhörte gedankliche Konzentration, der starke konstruktive und architektonische Willen, von dem diese meisterhafte Partitur kündet. Die Harmonik ist polytonal; die differen zierte Rhythmik bezieht ihre Impulse nicht zuletzt aus einer vielschichtigen und doch transparenten Polyphonie. „Ein mächtiger, breit dahinströmender Choral des vollen Or chesters leitet den ersten Satz (Grave) ein. Nach und nach wird die Klangfülle reduziert und schließlich bringt die Baßklarinette ein zweites, melodisches Thema. Nun wird das Eingangsthema wieder aufgegriffen, erst im Fortissimo des Orchestertuttis, dann im Pianissimo der geteilten Streicher, die von den Holzbläsern umspielt werden. Eine abschließende Coda verwendet beide Themen. Der Mittelsatz (Allegretto), ein Mei sterwerk kontrapunktischer Arbeit, ist fünfteilig (Allegretto - Adagio - Allegretto - Adagio - Allegretto) und verbindet Scherzoelementc mit den Teilen eines langsamen Satzes. Den durchsichtig-linearen Allegrettoteilen stehen die rein harmonischen, düsteren Adagioeinwürfe gegenüber. Bei seinem zweiten Auftreten wird das Adagio mit der Thematik des Allegrettos kontrapunktiert. Das Finale (Allegro marcato) entfesselt geballte Klangmassen, erregte rhythmische Kräfte und dynamische Ent ladungen. Ein wilder Sforzando-Aufschrei bildet den Höhepunkt, dann stürzt die Klang fülle jäh in sich zusammen, und das Werk erstirbt im Dunkel der abschließenden Pianissimotakte.“ (M. Gräter). Dr. Dieter Härtwig VORANKÜNDIGUNG : 14. und 15. Mai 1967, jeweils 17 Uhr. Dresdner Zwinger 1. SERENADE Dirigent: Siegfried Kurz, Dresden - Solist: Walter Hartwich, Violine Werke von G. Rossini, J. Haydn, A. Vivaldi und S. Kurz Freier Kartenverkauf Programmblätter der Dresdner Philharmonie - Spielzeit 1966/67 - Künstlerischer Leiter: Prof. Horst Förster Redaktion: Dr. Dieter Härtwig Druck: Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden, Zentrale Ausbildungsstättc 40789 III 9 5 1,9 467 ItG 009/32/67 10. PHILHARMONISCHES KONZERT 1966/67