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Auf Wiedersehen, lieber Freund Bongartz! Im Namen Deines Orchesters, im Namen der Dresdner Musikfreunde, die zu Deinem begeisterten Publikum gehören, in meinem eigenen Namen rufe ich Dir, lieber Freund, heute, da Du zum letztenmal ex officio, also von Amts wegen, vor den Dresdner Philharmonikern stehst, nicht etwa: Lebe wohl!, sondern: Auf Wiedersehen! zu. Wir verstehen es, daß Du, der Du in wenigen Tagen 70 Jahre alt wirst, Dein Amt in die Hände eines Jüngeren legen willst. 70 Jahre — das ist keine Kleinigkeit, schon gar nicht die siebzig Jahre, die Du erlebt hast, die Zeit zweier Weltkriege, die Zeit der Inflation, die Zeit des Faschismus, die Zeit der Zerstörung der Kultur und dann die Zeit eines mühevollen Wiederaufbaus, dem Du Dich mit ganzen Kräften gewidmet hast. In der Seele eines Generalmusikdirektors, eines Orchesterchefs, wohnen, ach, zwei Seelen, die künstlerische und die verwaltende. Die erste will sich, die zweite muß sich betätigen. Bei Dir, lieber Heinz, kommt noch eine dritte Seele hinzu: die Seele des Komponisten, der manchmal den Takt stock mit der Notenfeder vertauschen möchte und doch keine Zeit dazu findet: 17 Jahre lang hast Du die Geschicke der Dresdner Philharmonie geleitet. Im April 1947 konnte ich Dich — ich war damals als Ministerialrat in der Landesregierung Sachsen tätig — im Auftrag der Landesregierung und zugleich im Namen des Rates der Stadt Dresden in Dein Amt einweisen. Wir fragten uns: wird er es schaffen? Wird es Bongartz gelingen aus der Philharmonie wieder einen Orchesterkörper zu machen, würdig seiner Ver gangenheit, für die etwa die Namen Eduard Mörike, Paul van Kempen und Carl Schuricht'.'bürgen, aber auch gerüstet für die neuen Aufgaben, die sich für das Orchester in der neuen Zeit ergeben werden? Wir sagten uns: Heinz Bongartz bringt vieles mit, was die Frage positiv beantworten läßt. In Krefeld geboren, war er in Köln Schüler von Stein bach (Dirigieren), Neitzel (Komposition) und Elly Ney (Klavier). Als Dirigent sammelte er Erfahrungen in Düren, Mönchen-Gladbach, Berlin, Meiningen, Gotha, Kassel und Saarbrücken. Seit 1946 war er Professor für Dirigieren und Leiter der Opernklasse an der Hochschule für Musik in Leipzig. So brachte er, sagten wir uns damals, Erfahrungen als Dirigent an hervorragenden Stellen des deutschen Musiklebens und vor allem auch Erfahrungen als Pädagoge, als Orchestererzieher mit. Und die Pläne, die Heinz Bongartz damals entwickelte, ließen uns aufhorchen. Das waren nicht die Pläne eines Pult-Routiniers, das waren die Pläne eines hervor ragenden Musikers, der zugleich ein verantwortungsbewußter Kulturpoli- ker war. Und so konnte ich, lieber Heinz, Du wirst Dich entsinnen können, zur Einleitung der ersten Bongartz-Saison schreiben: „Es fügt sich Stein