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Erst von hier aus versteht sich auch Schumanns Kammermusik und Sinfonik. Denn sein Weg zu ihnen führt über das Klavier, und recht besehen bieten sie sieb als instrumen tierte Übertragungen seines Klavierstils dar. Das gilt ebensowohl vom Klavierquartett und -quintett, den Streichquartetten, dem d-Moll-Trio wie von den vier Sinfonien des Meisters. Auch bei ihnen, soviel herrliche Musik, sie bergen, tritt das eigentlich Sinfo nisch-Gestalterische zurück, dringt das Poetisierend-Pro grammatische vor, ganz offenkundig in der Frühlingssinfonie in B-Dur, die sich an einem Gedicht Adolf Böttigers inspiriert, verborgen in der „Rheinischen“ in Es-Dur, die eigentlich eine Orchesterserenade zu heißen verdient. An den großartigsten Orchesterwerken, der d-Moll-Sinfonie und dem Klavierkonzert, sieht man vollends, wie die romantische Ausdrucksdifferenzierung die Architektur der klassischen Satzfolge aufzulösen beginnt ■' Hier stehen wir unmittelbar vor neuen und entscheidenden Ereignissen, und sie verwirklichen sich im Schaffen eines Altersgenossen Schumanns, der nicht wie er vorzeitig abberufen wurde: bei Franz Liszt- Dr. Fred Hamel ZUR EINFÜHRUNG Daß Robert Schumann auch eine Oper - „Genoveva“ op. 81 - geschrieben hat, ist we nig bekannt. Freilich gehört dieses Werk, dem ein vom Komponisten nach den Geno veva-Dramen von Tieck und Hebbel zusammengestelltes Textbuch zugrundeliegt, in noch stärkerem Maße etwa wie Carl Maria von Webers „Euryanthe“ oder „Oberon“ zu den Schmerzenskindern der deutschen Operngeschichte. Es konnte sich trotz herrlichster Musik infolge des undramatischen Librettos und einer betont lyrischen Grundkonzeption nicht auf der Bühne durchsetzen. Der Komponist war schlecht beraten, als er Wagners wohlmeinende Ratschläge über die dramaturgischen Schwächen seines Opcrnbuchcs „Genoveva“ unbeachtet ließ. Ihre Uraufführung erlebte die Oper am 28. Juni 1850 in Leipzig. Schumann entschied sich für den „Genovcva“-Stoff, weil in ihm, ähnlich wie in „Faust“ oder in Byrons „Manfred“, das „Ringen gigantischer Doppelnaturen“ gezeigt wurde. Der innere Bruch des Werkes aber liegt darin, daß Schumann als Musiker das Schwergewicht auf die Gestalt der Genoveva - einer romantischen Dulderin - legte und zwar so ausgeprägt, daß selbst die Partie des Gegenspielers Golo musikalisch von dieser Seite aus beeinflußt erscheint. Anders aber noch in der 1847 in Dresden komponierten Ouvertüre zur Oper „Genoveva“, die, unter dem unmittelbaren Eindruck des Hebbelschen Dramas entstanden, geistig und auch in der Thematik auf Golo, der aus Sinnlichkeit zum satanischen Verbrecher wird, abzielt! Diese Ouvertüre zählt neben der Manfred-Ouvertüre zu Schumanns besten Or chesterwerken. Schon die langsame Einleitung bestimmen zwei düstere Motive, die in der Oper dem finsteren Golo zugewiesen sind. Im schnellen Hauptteil der Ouvertüre spiegelt ein leidenschaftlich-bcgehrendes, herausforderndes Thema in der ersten Violine die dunklen Absichten Golos wider. Das leidvollc Scitenthcma, in den Klarinetten und Violinen wechselnd ertönend, weist auf die Gestalt der Genoveva hin. Es kann sich je doch nicht durchsetzen. Da erscheint eine weitere Themengestalt, die die unverbrüch liche Treue des getrennten Gattenpaares Siegfried und Genoveva symbolisiert. Das Motiv Golos beherrscht die Situation wieder am Schluß der Durchführung und in der Reprise. Erst in der C-Dur-Coda erscheinen die lichten Gedanken Genovevas und Sieg frieds wieder. Freilich endet die Ouvertüre dann, um eine direkte Verbindung zum Be ginn der Oper herzustellen, mit dem nach Dur versetzten Golo-Motiv. Schumanns aus der Düsseldorfer Zeit stammendes, im Oktober 1850 vollendetes Violo i- cellokonzert a-Moll op. 129 gehört neben Dvoraks Konzert für das gleiche Instrument zu den schönsten des 19. Jahrhunderts. Der Form nach ist es ein zusammenhängendes Konzertwerk, dessen drei Sätze unmittelbar ineinander übergehen. Das virtuose Element, obschon vorhanden, tritt völlig hinter dem eigentlichen musikalischen Ausdruck zurück. Das schwärmerische, auf einen elegisch-kantablen, echt romantischen Ton gestimmte Kon zert setzt das Soloinstrument in seinen besten Klangregionen ein — neue Hoffnungen, Be glückung über wiedergewonnene Schaffenskraft sprechen aus dieser Partitur Schumanns. Nach kurzer viertaktiger Orchestcreinleitung stellt das Violoncello, begleitet von Achtel figuren des Streichquartetts, das schwärmerische Hauptthema des ersten Satzes (Nicht zu schnell) vor. Das Orchester bringt sodann einen kraftvolleren, vorwärtsdrängenden Gedanken ins Spiel, und das Seitenthema erzeugt eine heitere beschwingte Atmosphäre. In der Durchführung herrscht das Hauptthema vor, das auch den strahlenden Satzschluß bestimmt. - Eine ausdrucksvolle Romanzenmelodie trägt das Soloinstrumcnt zu Beginn des kurzen langsamen zweiten Satzes vor. In einem kontrastierenden lebhaften Abschnitt stimmen die Bläser wie aus der Ferne die vier ersten Takte vom Hauptthema des ersten Satzes an. - Ein Rezitativ des Solisten leitet in den rhythmisch bewegten, schwungvollen dritten Satz (Sehr lebhaft) über. Während das frische und spritzige Hauptthema vom Orchester cingeführt wird, erklingt das gesangvollerc zweite Thema im Wechselspiel von Soloinstrument und Holzbläsern. Die Durchführung arbeitet vor allem mit dem Hauptthema. Horn und Klarinette bringen eine Reminiszenz an das Hauptthema des ersten Satzes. Eine Kadenz des Solisten führt zur Reprise und zum brillanten, wirkungs vollen Ausklang des Stückes. Auch die Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 91, die sogenannte „Rheinische Sinfonie“, wider legt die Theorie, daß allen Schöpfungen des Komponisten seit der Jahrhundertmitte Läh mung und Schwäche innewohnen, auf das entschiedenste. Die im November 1850 in Düs seldorf abgeschlossene Partitur der „Rheinischen“ spiegelt unverkennbar die natürliche Frische der für den Meister neuen Umgebung wider, die ihn zu diesem in seinem Grund zug heiteren, lebensfreudigen Werk anregte. Den ersten Anstoß zu der Komposition gab nach Schumanns Äußerungen der majestätische Anblick des Kölner Domes. Es entstand der Plan, in dem neuen Werk die Lieblichkeit der rheinischen Landschaft, die Erhaben heit des Kölner Domes und die Fülle rheinischen Volkslebens zu schildern. Um alle Ein drücke musikalisch gestalten zu können, erweiterte der Komponist die klassische Vicr- sätzigkeit des sinfonischen Zyklus um einen fünften Satz. Der erste Satz (Lebhaft) beginnt mit einem schwung- und kraftvollen synkopierten Es- Dur-Thcma, das fast im ganzen Satzverlauf dominiert, während das von den Holzbläsern angestimmte anmutige zweite Thema sich nicht entfalten kann. Wuchtig verklingt der frische Einleitungssatz. - Der zweite Satz, ein Scherzo, formt Landschaftsbilder. Die Violoncelli und Fagotte führen ein gemächliches Ländlcrthema ein. Später entfaltet sich ein übermütiges schcrzohaftcs Geschehen. Dem Trio folgt die Wiederholung des Haupt teiles. — Serenadenhaften Charakter hat der dritte Satz (Nicht schnell) in As-Dur, der lediglich vom Streichquartett, von den Holzbläsern und zwei Hörnern musiziert wird. Innig und gemütvoll wirkt der Hauptgedanke. Man glaubt sich in die Stimmung einer milden Mondnacht versetzt. - Den vierten Satz (Feierlich) schuf der Komponist eingestan denermaßen unter dem Eindruck einer Prozession anläßlich der Feierlichkeiten zur Kardinalserhebung des Kölner Erzbischofs. Der ges-Moll-Satz trug ursprünglich die Überschrift „Im Charakter der Begleitung einer feierlichen Zeremonie“. Zur Gestaltung der erhabenen Stille, die von dem Bauwerk des Kölner Domes ausgeht, und der pom pösen Feststimmung, der Kardinalscrhcbung benutzte Schumann kompliziertere musi-