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ROBERT SCHUMANN Er ist ein Jahr jünger als Mendelssohn, am 8. Juni 1810 als Sohn eines Buchhändlers in Zwickau geboren. Trotz der früh hervortretenden und vom Vater durchaus geförderten musikalischen Begabung findet er aber erst später endgültig zur Kunst, als Zwanzigjähri ger, nachdem er das Gymnasium und einige Semester Jura in Leipzig und Heidelberg absolviert hat. Soviel Licht in sein Dasein schien, so ist ihm doch im Grunde eines der tragischsten Künstlerschicksale überhaupt beschieden gewesen. Das beginnt schon mit jener Dissonanz, die ihm die aussichtsvolle Pianistenlaufbahn, die in der vorzüglichen Schule seines späteren Schwiegervaters, Friedrich Wiecks, begonnen wird, zunichte macht. Im Übereifer hatte er sich eine Vorrichtung zur Erreichung der völligen gegenseitigen Unabhängigkeit der Finger erdacht, die aber in Wirklichkeit eine Lähmung des zweiten Fingers der rechten Hand herbeiführte. Schumann macht aus der Not eine Tugend, indem er sich ganz der Komposition und Musikscbriftstellerei widmet und zunächst die „Neue Zeitschrift für Musik“ begründet, die dank seinen klugen und stilistisch glänzenden Bei trägen eines der wichtigsten musikpolitischen Organe der Folgezeit wird. Etwas später bricht auch die schöpferische Kraft sieghaft durch, nach der glücklichen Heimführung der hochbegabten Pianistin Clara Wieck, deren Vater der Ehe mit Rücksicht auf Schu manns unsichere Existenz heftigen Widerstand entgegensetzte. Die ideale Lebensgemein schaft dieser beiden ebenbürtigen Künstlermenschen bat in der Musikgeschichte kaum ihresgleichen. Die Befürchtungen des Schwiegervaters erwiesen sich indessen bald als berechtigt. Schon nach einjähriger Tätigkeit als Lehrer für Partiturspiel am neubegründeten Konservato rium scheint Schumann in Leipzig den rechten Boden zu entbehren. Einer Konzertreise der Gatten nach Rußland, 1844, folgen in Dresden Jahre des Notbehelfs mit Privat unterricht und der Chormeistertätigkeit, aber auch eifriger Kompositionsarbeit, bis 1850 die Berufung zum städtischen Musikdirektor in Düsseldorf erfolgt. Aber hier bricht auch das Verhängnis herein, das diesem begnadeten Künstlerleben ein schreck liches Ende setzt. Ein Gebirnleiden, das sieb bereits sehr früh — 1833 - angemeldet batte und seit 1845 zusehends verschlimmerte, verwirrt die musikalische Auffassung der schnellen Tempi, so daß Schumann schon im Herbst 1853 sein Dirigentenamt auf geben muß. An einem Februarabend des Jahres 1854 erfolgt ein akuter Ausbruch, mitten aus einem Beisammensein im Freundeskreis springt Schumann auf und stürzt sieb von der Rheinbrücke hinab in die Flut. Zwar gelingt es, ihn zu retten; aber die tückische Krank heit, die seinen Geist umfangen hält, gibt ihn nicht mehr frei. In einer Irrenanstalt in Endenicb bei Bonn, in der er die letzten zwei Jahre verbringt, ist er am 29. Juli 1856 gestorben. Hier stehen wir zum ersten Male einem Künstler gegenüber, bei dem die geistige und gefühlhafte Reizsamkeit der Romantik die ganze Kunst und den ganzen Menschen erfaßt bat. Das erst macht den neuen Typus verständlich, den Schumann auf gestellt hat, den Typus des ästhetisch-literarisch reflektierenden Künstlers. Anknüpfend an Carl Maria von Weber führt er in umfassender Form den Versuch durch, das musikalische Geschehen mit den allgemeinen geistigen Strömungen der Zeit, mit Philosophie, Literatur und bil dender Kunst, mit den Werken Jean Pauls und Ludwig Richters in Beziehung zu setzen. Die Pbantasiegemeinschaft der „Davidsbündler“, die durch Schumanns Beiträge für die „Neue Zeitschrift für Musik“ — später herausgegeben als „Gesammelte Aufsätze“ - geistert, verkörpert ihn selbst und seine Gesinnungsgenossen. Zum erstenmal erscheint hier eine bewußte Parteiung in musikpolitischem und weltanschaulichem Sinne. Denn Schumanns Haltung als Schriftsteller ist eine unbedingt kämpferische; sie erbebt die ROBERT SCHUMANN Fahne des radikalsten romantischen Fortschritts, aufbegebrend gegen den Regelzwang der klassischen Tradition und einer formalistischen Kritik, bereit, die „Philister tot- zuschlagen“, die an der Verflachung des Geschmacks Behagen finden, prophetisch im Auf spür en junger Talente wie Chopin, Berlioz oder Brahms. Aber diese schriftstellerische Kampfstellung ist doch nur eine Begleiterscheinung yi Schumanns künstlerischem Schaffen. Das zeigt sich am deutlichsten an seinen Werken für Klavier, von dem Schumann auch als Komponist seinen eindeutigen Ausgang nahm - bis zum Opus 23 schreibt er ausschließlich für dies Instrument -, und das auch weiterhin im Zentrum seiner Arbeit steht. Er, der selbst die pianistische Technik von Grund auf kennt, stellt sie in gesteigertem Maße in seinen Dienst, erfüllt sie jedoch zugleich mit tief stem romantischem Erleben. Es ist eben jene feinsinnige Empfindungswelt seines Jean- Paulscben Ideals, die hier in die Musik einzieht. In seinen „Papillons“, dem „Carneval“, den „Davidsbündlertänzen“, dem „Faschingsschwank“, den „Novelletten“ schafft Schumann das poetisierende Charakterstück, oft mit jener leicht programmatischen Beziehung, die „mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei“ ist. Hier drängt es vollends die große zyklische Formgestaltung zurück, die allenfalls zur großartigen Variationskunst der „Symphonischen Etüden“ und. der „Kreisleriana“ oder zur lockeren suitenhaften Folge der „Kinderszenen“ ihre Zuflucht nimmt. Diese neue Klavierkunst gebiert auch den neuen, romantischen Klavierstil, der sich in einer feingliedrigen Figurierung und in einer Auflösung der periodisch-geschlossenen Thematik der Klassiker zu sensiblen, verwehen den Motivbildungen unverkennbar ausspricht.