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Zur Einführung Peter Tschaikowski hat die Musik der deutschen Romantiker nicht nur geliebt, sondern auch eifrig studiert, desgleichen die Werke französischer und italienischer Komponisten. Ausgedehnte Reisen in diese Länder ver tieften die vielfältigen musikalischen Anregungen vorteilhaft. Dennoch blieb Tschaikowski seiner Heimat und seiner Nation treu, er fühlte sich immer „als Russe im wahrsten Sinne des Wortes“, und er liebte alles „Russische in seinen verschiedenartigen Äußerungen“. Die Fantasie-Ouvertüre nach Shakespeares „Romeo und Julia“ erklang 1870 zum erstenmal. Nikolai Rubinstein war der Dirigent. Nach verschiedenen Umarbeitungen wurde schließlich der dritten Fassung der Vorzug gegeben. Auch heute erklingt fast immer diese letzte Formung des Jahres 1880. Choralartig eröffnet eine ernste, ausdrucksstarke Einleitung das musikalische Geschehen, spürbar beeinflußt von den Klängen russischer Volksmusik, der sich Tschaikowski innig verbunden fühlte. Diese Lied weise ist manchmal als „Thema des Paters“ bezeichnet worden. Gemeint ist Pater Lorenzo. Ein sehnsüchtig sich aufschwingendes, von Harfen akkorden umspieltes Motiv (fast an Richard Strauß gemahnend!) leitet über zu einem markanten „Allegro mit Säbelhieben“, wie es Balakireff (dem die Ouvertüre gewidmet wurde!) nannte. Es ist aber auch als Mord oder Todesthema bezeichnet worden. Damit wird der Streit der sich ver feindeten Familien Montague und Capulet charakterisiert. Als Gegensatz folgt das eigentliche Liedthema, das Liebesthema, von dem Balakireff schrieb: „Das zweite Des-Dur ist einfach wundervoll. Ich spiele es mir oft vor und möchte Sie dafür abküssen. Das ist höchste Liebesglut und Wollust und Sehnsucht.“ Tschaikowski arbeitete mit diesem ergiebigen Themenmaterial in der Anlage einer klassischen Ouvertüre. Die Instru mentation muß meisterhaft genannt werden, ja, das gesamte Stück ist ein erster großer Wurf des dreißigjährigen Meisters, erfüllt von Dramatik und Lyrik, von menschlichen Konflikten und beglückenden Stimmungs malereien. Wenn auch die Uraufführung ein Mißerfolg wurde, begann doch bald danach der Siegeszug dieses Werkes durch ganz Europa. Serge Rachmaninow lebt heute noch als international bekannter und umjubelter Klaviervirtuose großen Stiles in der Erinnerung vieler Menschen.