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L9LS . Aber es ist zu fürchten, daß diesmal ein Ministerwechsrl nicht viel in den Zuständen, die Frankreich beherrschen, ändern wird. Es ist zu klar geworden, daß die besten Freunde nicht auf die Politik des Juli systems rechnen können, und deswegen wird ein noch so schön geleimtes Bündniß mit England doch nur Flickwerk bleiben. Für die innern Ver hältnisse Frankreichs wird die Unterdrückung der Republik Krakau und der Nachklang, den dieses Ereigniß in der öffentlichen Meinung Frank reichs gehabt hat, eben so wenig wieder bald verwischt werden. Man hat das Vertrauen verloren, und wer da weiß, wie nothwendig dieses Vertrauen für alle höhere gesellschaftliche und politische Thätigkcit ist,, der wird auch leicht berechnen können, wie die Abwesenheit desselben, wie öffentliches und allgemeines Mistrauen in die Beständigkeit der bestehen den Zustände diese unsichtbar, aber unablässig untergräbt.. Es wird eine starke Hand, neue, unabgcnutzte Kraft dazu gehören, das Steuer in der nächsten Zukunft zu führen. Belgien. Brüssel, 23. Nov. Nach der glühenden Bcredtsamkeit der be kannten Chefs der Altlibcralen, welchen darum zu thun war, die Anschul digungen des Hrn. de Decker von sich abzuwälzen, als ob die Doctrinaires (unter denen sie selbst gemeint sind) den politischen und religiösen Skep- ticismuS hauptsächlich veranlaßt und unterhalten, das Hinschwinden eines kräftigen Nationalgefühls gefördert hätten; nach der Kittern Ironie, wo mit der fast einzige Vertreter des jungen Liberalismus in der Kammer, Hr. Castiau, die Maßregeln des Ministeriums durchzog, letzteres, seines in vollem Schwange befindlichen Dcstitutionssystcms halber, sogar in An klagestand zu versetzen sich den Anschein gab und alle die Unglücksgenien Karl's heraufbeschwor; nach dem Wortgcpränge endlich des kühnen Hrn. Vechaegen? der den Satz aufstellte, das Cabinet schöpfe seine Kraft nicht aus der Eintracht, sondern aus der Zwietracht seiner Feinde, könnte sich aber in seinen Erwartungen um ein Bedeutendes verrechnet haben, der sogar, zur gewaltigen Entrüstung der Ministeriellen, diesen das stechende Schimpfwort „servile Instrumente" hinwarf; nach allen diesen Re den war es erfreuend, die ruhige, besonnene und gemäßigte Stimme des Hrn. Dolcz zu vernehmen, des Hrn Dolez, dem die Rechte stets Gehör und Vertrauen geschenkt hat. Er stellte mit lebendigen Farben, ohne Ue- bertreibung, die Hemmungen, welche die Klerikalen der sittlichen und gei stigen Bildung des Landes, besonders seit 18-10, entgcgengestellt haben, und erwähnte schonungslos die Maßregeln der Bestechung oder der Ein schüchterung, welche unter der Pflege der Katholiken die Verwaltung und das öffentliche Leben untcrwühlen, schob den Vorwurf der Entsittlichung des Landes von seinen Freunden auf die Freunde des Hrn. de Decker, der denselben ausgesprochen hatte, zurück und schloß mit dem Gedanken, -aß trotz divergirender Ansichten im Lager des Liberalismus die Einheit nicht fester werde, wo es auf Recht und Befestigung der Volksinstitutio- men ankomme. Alles war aufgeboten worden, um die politischen Leiden schaften auf beiden Seiten zu'entzünden; der Liberalismus des Papstes hatte sogar Hrn. Lebeau einen pikanten Stoff zu Bemerkungen und dem Grafen de Merode zu Gegenbemerkungen geliefert; die Jesuiten hat ten Gegner und Freunde zum Sprechen bewogen; die herben Erinnerun gen von 1839 waren gegen die Opposition als Angriffswaffcn ausgcbeu- tet worden. Freilich sind diese Schläge an der mächtigen und zermalmen den Beredtsamkcit Rogier's zurückgeprallt; ja die Person des Königs war im Feuer des Gefechtes nicht verschont geblieben, als diese „traurigen" De batten, wie sie der Präsident einmal bei Aufhebung der Sitzung qualifi- cirte, durch das gestern erwähnte Votum ihr Ende erreichten. In der letzten Cabinctskrisis, die durch die Abstimmung des 2. April zu Gunsten -es Cabincts gelöst wurde, hatten sich (Nr. 127) -10 Mitglieder gegen daS Ministerium ausgesprochen; vorgestern zählte man nur 32 von diesen 40 unter den Opponenten; 4 nämlich haben sich der Rechten angeschlos sen, darunter der Präsident, Hr. Liedts, 3 waren abwesend und einer ge storben. Vorgestern schritt die Kämmer zur Verhandlung der einzelnen Paragraphen des Adreßentwurfs, was zu einigen längern Schilderungen der flandrischen Trübsale Veranlassung gab. Der Minister verwies auf die bevorstehende Berathung der über die Verminderung des Elends vor gelegten Entwürfe. Einige flandrische Repräsentanten beschwerten sich über den neuen Tarif des Zollvereins, der, ihnen zufolge, der Leinenindu strie, weniastens was die Zwirne betreffe, den Todesstoß versetze. Nach dem diese Bedenklichkeiten vom Handelsminister Dechamps gehoben wor den waren und die Kammer unter andern unbedeutenden Abänderungen des Entwurfs das Amendement des Hrn. Delchaye, dahin lautend, zu er klären, daß das auf Vermehrung der Nationalvertrctung bezügliche Gesetz „Wünschen entsprechen werde, denen es billig sei, Genüge zu leisten", ge nehmigt hatte, wurde der Gesammtentwurf mit 73 gegen 5 angenommen. Schweiz. Nach einer Corrcspondenz des Schweizerboten wäre Staatsschreiber Meier aus Luzern in Turin gewesen, wo er mit der sardinischen Re gierung einen Ankauf von Waffen im Betrage von 40,000 Fr. auf Rechnung des Sondcrbundcs abgeschlossen habe. — Der Regicrungsrath von Bern hat beschlossen, im ganzen Canton die Polizeistunde für die Schließung der Wirthshäuscr strenge hand haben zu lassen, damit genau um 10 Uhr alle Gäste fortgewiescn werden. Italien. Der Rheinische Beobachter enthält eine Corrcspondenz aus Rom vom 13. Nov., in welcher die Behauptung, daß der Enthusiasmus der Lib eralen für Pius IX. sich zu legen anfange, mit der Erzählung eines neuerlichen Vorgangs belegt wird. Es soll nämlich dem Papst in einem Futteral sein eignes Wappen, in Gold gestickt, aber an der Stelle der beiden Löwen, welche das Wappen halten, zwei Schildkröten, überschickt worden sein. Ebenso habe ihn am 4. Nov., als er vom Besuche der Kirche San Carlo zurückkchrte, das Volk sehr kalt empfangen. Die selbe Corrcspondenz erwähnt auch dcs nationalen Festmahls im Theater Aliberti, wobei allerdings Ausländer (der Korrespondent der augsburger Allgemeinen Zeitung hatte gesagt, alle Ausländer seien ausgeschlossen ge wesen) zugelaffen worden wären, mit Ausnahme aller Deutschen. Denn da» ganze Festessen sei nichts als eine Demonstration gegen die österreichische Rc- . gierung gewesen. Um dem Festmahl einen möglichst demokratischen Charak ter zu geben, seien nur vier Speisen und Eine Sorte Wein aufgetragen worden. Von den politischen Trinksprüchen hätten diejenigen den meisten Beifall geärntet, ipelche die Bestrebungen der Giovine Italia priesen, sowie einige Stellen, welche direct gegen die Deutschen gerichtet waren, mit dem einstimmigen Rufe: „Es lebe Pius IX.! Es lebe der italienische Bund!" gleichsam überschüttet worden seien. Darauf wird der Vorfall vor dem Palaste dcs Fürsten Borghese erzählt, auf den man erbittert war, daß er an diesem Abende Gesellschaft gehabt und nickt auf dem Volksfest erschienen sei. Als der Fürst auf bas mehrfache Rufen nicht erschienen sei, seien Einige in die ungestümsten Verwünschungen ausge brochen: „Zum Teufel mit dem Adel; Tod den Gleichgültigen; Tod den Aristokraten!" Das Alles habe nun auf die bessern Klassen der Bevölkerung den peinlichsten Eindruck gemacht, und selbst Diejenigen, welche die liberalen Absichten Pius' IX. am.eifrigsten vcrtheidigtcn, wür den besorgt und ständen zum Theil auf dem Punkte, sich der reactionai- ^en Partei anzuschließcn. Rußland und Polen. *^0N der Elbe. 26. Nov. Nicht außer Zusammenhang mit der neulich (Nr. 321) in Betreff Esthlands angeführten Aeußcrung steht, waS^ die Verfasserin der „Baltischen Briefe" über Rußland im Allgemeinen bemerkt. „Nach sorgsamer Beobachtung und dem Urthcil Erfahrener dürfte cs sich immer bestimmter Herausstellen, daß die Bürgschaft für daö fort dauernde Bestehen Rußlands einzig und allein in der Person dcs Monar chen und in der Masse der Nation liegt. In dkm Adel, dessen nationale Elemente in seinem Charakter weit unter denselben bei seinen Leibeigenen stehen, findet der Monarch keine ausreichende Stütze. Erziehung durch Berührung mit Fremden hat diese — mit wenigen leuchtenden Ausnah men — in Schwelgerei und Leichtfertigkeit viel mehr eingcwciht als in die Humanität oder Cultur, oder sie mit utopisch demokratischen Meinungen angcstcckt, die in keinem Staate, am wenigsten aber in Rußland, gute Frucht bringen können. Der Kaiser hat mithin vollen Grund zu dein doppelten Mißtrauen, womit er das Geld aus dem Reiche ausführen und verderbliche Ideen cinführcn sieht. Wieder in der sogenannten Mittel klasse, hier der bloße Auswuchs einer halbschlächtigcn Cultur, der auf seine Nationalität vollkommen verzichtet Hai, mit Ausnahme ihrer Barbarei, scheint eine wirksame Stühe für die Krone noch weniger gesucht werden zu können. Diese Klasse ist im Besitze der untern Staatsbedienungen, hemmt jeden fröhlichen Fortschritt, verderbt die Gesetze in der Anwen dung und entstellt jede menschliche kaiserliche That durch die verschmitzteste, gesinnungsloseste Niederträchtigkeit. Was soll man von andern bedeuten dem Intentionen des Kaisers sich versprechen, wenn cs bekannt ist, daß die eine gute Handlung zu belohnen bestimmte Dose, die aus der kaiser lichen Hand mit Diamanten besetzt kommt, die ihres bestimmten Eigners erst jeglichen Steines beraubt erreicht! Und an ein Besserwerdcn ist un ter Gesetzen nicht zu denken, wo die gchäuftestcn Formalitäten und ver- hältnißmäßig natürlich auch die Möglichkeit ihres Mißbrauchs dem Un schuldigen bei jedem Schritt entgegentreten. Verachtet von den Adeligen, rächt sich diese Klasse mit einer Art von Verfolgung, gegen die sich zu verwahren unmöglich ist. Nicht Löwenzähne oder Schergen der Inquisi tion können helfen bei einem Stande der Dinge, wo, bevor eine falsche Angabe als solche herausgewittcrt und erledigt sein kann, der Angegebene unfehlbar um den letzten Heller seines Vermögens gekommen und von be ständiger Sorge aufgcricben ist, und nirgend, es ist traurig zu sagen, sind Angebereien dieser Art so häufig als zu dieser Zeit in Rußland, nirgend ist cs so widerwärtig und gefährlich, ihnen ausgesetzt zu sein. Rang, An sehen, langer Dienst, guter Ruf sind von keinem Betracht dagegen. Ist die Angabe einmal geschehen, mag sie den Stempel der Bosheit noch so offen an sich tragen, so muß sie alle Korkzieherwindungen des russischen Ge setzes durchwachen, bevor das Eigenthum dcs Angeklagten von der Beschlag nahme, sein Geist von der nagendsten Angst befreit ist, und kommt eS so weit, so entbehrt der Beleidigte noch immer jedes Ersatzes, der Beleidiger jeder Bestrafung, da er seine Habsuckt oder Rache mit dem Anscheine Dessen bemäntelt hat, was dem Volke hier am höchsten gilt, mit dem der Erge benheit. Diese Klasse hat die russischen Gerichtshöfe zum Schimpf und Spott gemacht, sie hat Rußland den unverdienten Sarkasmus zugezogen, es sei «eher faul als reif« geworden, und durch eine ganz natürliche Ver geltung ist der Name Tfchinownik — oder der Betitelte — beinahe syno nym geworden mit niedriger Gemeinheit und Pfiffigkeit. Man hat vor- hcrgcsagt, daß, wenn irgend ein politisches Ereigniß Rußland erschüttern sollte, diese elende Mcnschenklasse, die das doppelte Misgeschick trägt, Ideen zu haben, die unter ihrer Stellung, und eine Stellung, die über ihrer moralischen Kraft ist, mit dem Adel in einen schneidenden Conflict gcrathcn werde, und zwar in einen für beide Theile gleich gefährlichen, während die Krone schon durch die instinktmäßige Loyalität der Nation nichts zu fürchten haben würde. Durch eine Schickung der Vorsehung, die alle Spekulationen legislativer Philosophie überflügelt, verehrt das russische Volk seinen Souverain einfach deswegen, weil er absolut ist. Bei ihm ist die Ehrfurcht vor dem gesalbten Souverain Religion, und