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sinfonisches Schaffen umspannt also zeitlich gerade ein Jahrzehnt. Aber welch eine Fülle herrlichster Musik, welch eine einzigartige Weite und Wärme musikalischen Ausdrucks verbirgt sich hinter dieser nüchternen Feststel lung. Brahms fiel die Auseinandersetzung mit der großen zyklischen Form des 19. Jahrhun derts nicht leicht (allein sein schmerzvolles Rin gen um die 1. Sinfonie bestätigt dies: lag der erste Satz bereits 1862 vor, so konnte doch das gesamte Werk erst 14 Jahre später vollendet werden). Mit seiner „Ersten" lieferte der Kom ponist ein hervorragendes Beispiel schöpferi scher Aneignung der sinfonischen Tradition eines Beethoven (dessen „Fünfter" sie an Tiefe des Ausdrucks und Größe der Problemstellung verwandt ist), Schubert und Schumann. Von dem berühmten Dirigenten Hans von Bülow stammt das bekannte Bonmot, daß Brahmsens „Erste" Beethovens „Zehnte" genannt werden könne. Damit ist die musikgeschichtliche Stel lung dieser Sinfonie als bedeutendster sinfoni scher Beitrag des 19. Jahrhunderts seit Beetho ven klar umrissen. Und nichts anderes stellte auch Eduard Hanslick fest, als er nach der er sten Wiener Aufführung schrieb: „Mit den Worten, daß kein Komponist dem Stil des spä teren Beethoven so nahegekommen sei wie Brahms in dem Finale der 1. Sinfonie, glaube ich keine paradoxe Behauptung, sondern eine einfache Tatsache zu bezeichnen." Die am 4. November 1876 in Karlsruhe unter Max Desoff uraufgeführte Sinfonie beginnt mit einer langsamen Einleitung (Un poco sostenuto) von 37 Takten, die den thematischen Kern in sich trägt, aus dem der erste Satz her vorwächst: ein chromatisch eindrucksvolles Mo tiv, zu dem in den Bässen ein unerbittlich häm mernder Orgelpunkt ertönt. Quälende Unruhe, Gefahr, schmerzliches Leid drückt die Einleitung aus. Das anschließende Allegro begehrt trot zig gegen diese Stimmung auf. Aber das chro matische Motiv, dem auch das zweite Thema (in der Oboe) unterliegt, löst ein leidenschaft liches Ringen aus, das in der Durchführung seine Höhepunkte erfährt. Mit dem Kopfmotiv der Einleitung kündigt sich die Coda an. Die verzweifelte Spannung löst sich trostvoll in C-Dur. Eine zwingende einheitliche thematische Ge staltung besitzt der zweite Satz (Andante sostenuto) mit seinem trostvoll innigen Haupt thema, das die Violinen, von den Fagotten unterstützt, anstimmen. Mehr elegischen kla genden Charakter hat das Nebenthema cis- Moll der Holzbläser. Im Mittelpunkt wechseln sich Oboe, Klarinette, Celli und Kontrabässe konzertant in der Führung ab. In der Reprise greift die Solovioline den zweiten Teil des Hauptthemas auf. Die verhaltene Heiterkeit des dritten Satzes (Un poco allegretto e grazioso) läßt Hoffnung schöpfen, daß die düsteren Kräfte und Ge danken überwunden werden können. Holzblä ser führen die Motive dieses Satzes ein (dfik Klarinetten das wiegende, herzliche Hau^^ thema). Humorvoll musizieren Bläser und Strei cher im H-Dur-Trio gegeneinander. Mit Recht hat man das Finale dieser Sinfonie als den gewaltigsten Sinfoniesatz seit Beetho ven bezeichnet. Drei tempomäßig unterschied liche Teile geben die äußere Gliederung. Der Satz beginnt mit einer Adagio-Einleitung, die der des ersten Satzes ähnlich ist. Zunächst er klingt ein chromatisch-schmerzliches Motiv, das in eine drohende, unheilvolle Stimmung hin übergeführt wird (synkopische Pizzicato-Stei- gerungen, verzweifelte Bläserrufe, erregte Streicherfiguren). Da ertönt plötzlich — nach einem Paukenwirbel — ein Seelen- und fried volles Hornthema (Piü Andante), das an We bers „Freischütz"-Ouvertüre und Schuberts gro ße C-Dur-Sinfonie erinnert. Danach beginnt der dritte Teil des Finales (Allegro non troppo, ma con brio) mit seinem weitläufigen, jubeln den Marschthema in vollem Streicherklang, das teilweise an den Freudenhymnus von Beetho vens 9. Sinfonie gemahnt. Nun erfolgt der Durchbruch zu optimistischer Haltung; die dunklen Kräfte werden bezwungen. Neben dem innigen zweiten G-Dur-Thema und dem akgak drängenden dritten Thema kehren auch anderen thematischen Gestaltungen des Sat zes wieder und beteiligen sich an der stürmi schen Durchführung. Den hymnischen Ausklang dieser einzigartigen Sinfonie bringt das Piü Allegro. PHILHARMONISCHE NOTIZEN Pressestimmen Einen ganz ausgezeichneten Einduck hatten die Dresd ner Philharmoniker unter der Leitung ihres Chefdiri genten Jörg-Peter Weigle bei der Aufführung des „Deutschen Requiems" von Johannes Brahms hinter lassen. So war es für die Besucher des „Kissinger Sommers" außerordentlich erfreulich, dieses großar tige Orchester noch einmal bei einem Symphoniekon zert erleben zu können . . . Das Engagement der Mu siker und die hervorragende dynamische Durchgestal tung der einzelnen Stimmen gaben den „Metamor phosen" (Strauss) eine erschütternde Tiefe . . . Die Bedrückung war allgegenwärtig . . . Daß aber auch die Aufführung der d-Moll-Sinfonie von Cesar Franck zu einer Sternstunde werden würde, hatte wohl nie mand geahnt. Selten ist im Regentenbau eine Sinfo- mit so großer musikalischer Kraft und konzeptio- Kr Geschlossenheit aufgeführt worden wie an die- Abend. Während bei den meisten Interpretatio nen die Zelebrierung des Spätromantikers Franck im Vordergrund steht, lenkte Weigle den Blick auf den Neuerer an der Schwelle zur Moderne, zeichnete er einen Romantiker mit Ecken und Kanten . . . Der Glanz punkt allerdings war der Schlußsatz, in dem alle The men noch einmal Revue passierten . . . Der Beifall war frenetisch. Er galt dem Orchester, das man bald einmal wieder in Bad Kissingen hören möchte. Saale-Zeitung, 8. 7. 1989 (Bad Kissingen) Am Pult der Dresdner Philharmoniker stand deren hochbegabter junger Chefdirigent Jörg-Peter Weigle. Hervorragend gelang unter seiner Leitung der wie eine Traumvision, wie ein duftiges musikalisches Pa stellbild herüberwehende zweite Satz (Mahler, 2. Sin fonie) — ein Ländler, dessen unüberhörbar wieneri scher Tonfall durch eine kleine agogische Verzögerung noch herausgekitzelt wurde. Und ohne Frage kam dem ehemaligen Leiter des Leipziger Rundfunkchores (und einstigen Thomaner) bei der überlegenen klanglichen Disposition des Schlußsatzes jahrelange Chorerfah rung zugute . . . Sicher ist der eher behutsame Chef der Dresdner kein Mann der fiebrigen, „wild herausfahrenden" Orchester- Exzentrik (auch sie gehört zu diesem Mahler-Werk). Doch eine imponierende, aufs sorgsamste ausgefeilte Leistung bot er im „Michel" allemal. Die Welt, 14. 9. 1989 (Hamburg) Unter ihrem jungen Chefdirigenten Jörg-Peter Weigle spielte das Orchester Beethovens Werk (Egmont-Ouver- mit Energie und breitem, pastosem Streicher- W^Vg. Weigle bewies Sinn für Tempoproportionen, agogische Stimmigkeit und auch dramatische Span nung. Kölnische Rundschau, 15. 9. 1989 (Köln) GMD Jörg-Peter Weigle wurde anläßlich des 33. In ternationalen Beethovenfestes 1989 in Bonn die Ehre zuteil, sich in das Goldene Buch der Stadt Bonn ein zutragen. Damit gehört er zu dem Kreis von Künstlern, die von den Stadtverordneten dazu auserwählt wur den. Jörg-Peter Weigle hatte, wie bereits berichtet, mit den Philharmonikern im letzten Monat während dieses renommierten Musikfestivals in Bonn konzer tiert. Vom 4. bis 20. Oktober gab unser Orchester unter Lei tung von GMD Prof. Herbert Kegel als Gast zehn Kon zerte in Japan: in Urawa, Osaka, Kyoto, Kobe, Na goya, Hiroshima, Kitakyushu, Tokyo und Yokohama. Auf dem Reiseprogramm standen Werke von Beetho ven, Mahler, Mozart und Schumann. Solisten waren der Leipziger Pianist Andreas Pistorius und die Leip ziger Sopranistin Venceslava Hrubä-Freiberger. Die Dresdner Philharmonie gastierte damit bereits zum fünften Mal in Japan. Eine große Orchestertournee fand erstmalig 1976 statt, als mit den Dirigenten Gün ther Herbig und Hartmut Haenchen 20 Konzerte in 17 Städten gegeben wurden. Außerdem reiste das Orche ster 1975 mit dem Leipziger Thomanerchor unter Hans- Joachim Rotzsch sowie 1979 und 1988 mit dem Dresdner Kreuzchor unter Martin Flämig zu Konzerten in das fernöstliche Land. Alle Sinfonien von Ludwig van Beethoven, seine Eg- mont-, Coriolan- und 3. Leonoren-Ouvertüre spielen die Philharmoniker unter ihrem Chefdirigenten in fünf Konzerten vom 22. bis 26. November d. J. in Madrid. Am 28. November folgt noch ein Konzert im spanischen Valencia ebenfalls mit Beethoven-Werken. GMD Jörg-Peter Weigle leitet im Dezember das Bach- Collegium München in zwei Konzerten in München und Düsseldorf. Er dirigiert die „Unvollendete" von Schubert, das Violinkonzert von Beethoven — mit Flo rian Sonnleitner als Solisten — und Haydns Sinfonie Nr. 88. Das Barock-Collegium der Dresdner Philharmonie, das von Kammermusiker Volker Karp geleitet wird, gastier te auf der Burg Kriebstein, auf Schloß Weesenstein sowie im Rahmen der Silbermann-Tage des Bezirkes Karl-Marx-Stadt in der Schloßkapelle Rochlitz. Auf dem Programm standen Werke der Bach-Familie, der Bach-Schüler Krebs und Goldberg sowie von Vivaldi und Telemann. Philipp Beckert, Violine, hat in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal an der Internationalen Sommeraka demie Mozarteum Salzburg teilgenommen. Wiederum wurde er in den Kurs von Ruggiero Ricci, dem 69jäh- rigen großen Virtuosen und Pädagogen, der 1978 letzt malig mit der Dresdner Philharmonie musiziert hat, aufgenommen. Im 15. Konzert der Akademie trat Phi lipp Beckert als Solist hervor: Er spielte mit dem ja panischen Pianisten Kyoko Hashimoto die Violinsonate Es-Dur op. 18 von Richard Strauss. Kammervirtuos Siegfried Kornek, Violine, begeht am 1. Dezember 1989 sein 40jähriges Dienstjubiläum bei der Dresdner Philharmonie. Prof. Dr. Dieter Hartwig, seit 1965 Chefdramaturg und Stellvertretender Künstlerischer Leiter, beging kürzlich sein 30jähriges Berufsjubiläum. Nach dem Studium der Musikwissenschaft und Germanistik in Leipzig trat er 1959 sein erstes Engagement als Musikdramaturg am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin an, dem 1960 eine fünfjährige Tätigkeit in gleicher Position an den Landesbühnen Sachsen folgte. Solo-Baßposaunist Kammervirtuos Paul-Gerhard Schmidt erhielt als erster Philharmoniker eine Profes sur. Er ist seit 1961 Mitglied der Dresdner Philharmo nie, unterrichtet seit 1956, erhielt 1968 einen Lehrauf trag an der Bezirksmusikschule „Paul Büttner", 1972 an der Hochschule für Musik „Carl Maria von Weber" Dresden, die ihn 1986 zum Honorardozenten und im September dieses Jahres zum Honorarprofessor berief. Dort ist er seit 1984 Studienrichtungsleiter der Blech bläser, nachdem er bereits sechs Jahre als Stellvertre ter für dieses Amt gewirkt hatte. Wichtige ehrenamt liche Dienste leistet Paul-Gerhard Schmidt auch über regional für die Ausbildung, Profilierung und die me dizinische Betreuung von Blechbläsern: als Jury-Mit-