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PETER RÖSEL wurde 1945 in Dresden geboren. Sein Klavierstudium an der Hochschule für Musik „Carl Maria von Weber" in Dresden bei Ingeborg Finke- Siegmund beendete er 1963 und setzte es von 1964 bis 1969 am Moskauer Konservatorium fort. Dort waren seine Lehrer die Professoren Dmitri Baschkirow und Lew Oborin. Bei mehreren international hoch dotier ten Wettbewerben war Peter Rösel unter den ersten Preisträgern, so 1963 beim III. Internationalen Schu mann-Wettbewerb in Zwickau, 1966 beim III. Interna tionalen Tschaikowski-Wettbewerb in Moskau und beim IV. Internationalen Musikwettbewerb in Montreal 1968. Der Künstler, der zahlreiche Rundfunk-, Fernseh- und Schallplattenaufnahmen produzierte, konzertiert seit Beendigung seines Studiums mit außergewöhnlichem Erfolg in über 30 Ländern Europas, in Asien, Nord- und Südamerika und in Australien. Bei der Dresdner Philharmonie ist er seit 1963 ständiger Gast. Er zählt heute nicht nur zu den erfolgreichsten Künstlern der DDR, sondern auch zu den besten seines Faches im europäischen Maßstab. 1972 erhielt Peter Rösel den Kunstpreis der DDR, 1978 und 1987 wurden seine her vorragenden künstlerischen Leistungen mit dem Natio nalpreis gewürdigt. Seit 1976 ist er Solist des Gewand hausorchesters Leipzig. 1985 wurde er zum Professor ernannt und begann 1988 eine Tätigkeit als Juror in Kanada. ZUR EINFÜHRUNG Das Klavierkonzert Nr. 1 d - M o I I o p. 1 5 von Johannes Brahms gehört zu den Jugendwerken des Meisters. Es wurde in sei ner Urform als Sonate für zwei Klaviere ent worfen (1854), auch Pläne für eine Sinfonie hatte der Komponist ursprünglich damit ver bunden. Die ersten Aufführungen des dann endgültig zum Klavierkonzert umgestalteten Werkes fanden mit Brahms als Solisten kurz nacheinander Anfang 1859 in Hannover und Leipziger Gewandhaus statt, wobei es al- rerdings besonders in Leipzig zu einem völli gen Durchfall des Konzertes kam. Der Kompo nist äußerte sich darüber in einem Brief an seinen Freund, den berühmten Geiger Josef Joachim, recht sarkastisch: „Ohne irgend eine Regung wurden der erste Satz und der zweite angehört. Zum Schluß versuchten drei Hände, langsam ineinanderzufallen, worauf aber von allen Seiten ein ganz klares Zischen solche Demonstrationen verbot. Weiter gibt’s nun nichts über dieses Ereignis zu schreiben, denn auch kein Wörtchen hat mir noch jemand über das Werk gesagt! Dieser Durchfall machte mir übrigens durchaus keinen Eindruck . . . Ich glaube, es ist das beste, was einem passieren kann: das zwingt die Gedanken, sich ordent lich zusammenzunehmen, und steigert den Mut. Ich versuche ja erst und schaffe noch. Aber das Zischen war doch zuviel ..." Die Gründe für diese überaus schlechte Auf nahme der ersten bedeutenden Orchester schöpfung des jungen Brahms bei seinen Zeit genossen mögen besonders darin zu suchen sein, daß es sich hier nicht um eines der üb lichen Virtuosenkonzerte, sondern um ein rein fcfonisch angelegtes Werk handelte, bei dem rras Klavier — kein virtuos konzertierendes So loinstrument mehr — ebenso wie die anderen Orchesterinstrumente der sinfonischen Ent wicklung nutzbar gemacht wird. Daneben mö gen auch die Monumentalität und die drama tische Schroffheit besonders des ersten Sat zes, der unter dem Eindruck des Selbstmord versuches des verehrten Robert Schumann ge schrieben sein soll, zunächst befremdet haben. Und doch müssen wir in diesem Werk, bei des sen Entstehung wohl persönliches Erleben des jungen Komponisten eine wichtige Rolle spiel te, eines der großartigsten Beispiele seiner Gattung erblicken, das uns durch seine düstere Größe und seinen starken Gefühlsreichtum aufs tiefste zu fesseln vermag. Der erste Satz (Maestoso) wird mit dem groß artigen Hauptthema des Orchesters eröffnet. Nach einem Zwischenspiel und einer kontra- punktischen Steigerung setzt das Klavier piano espressivo mit klagenden Terzen- und Sexten gängen ein. Sparsam begleitet das Orchester. Die ernste, schmerzliche Stimmung konzen triert sich. Dann erklingt — im Klavier allein — das edle zweite Thema, das zu Brahms’ schön sten Einfällen gehört. Das Orchester greift die Melodie auf, das Klavier umspielt sie figura tiv. Die Durchführung bemächtigt sich dieses Materials und mündet in einer Verarbeitung des Hauptthemas. Düster klingt die Reprise aus. Wie faszinierend die melodischen Entfal tungen, der großflächige Aufbau, der herbe Mollklang des Satzes wirken, läßt sich kaum mit Worten sagen. Der Einsatz des Solokla viers erfolgt sinfonisch-konzertant und stellt an den Solisten höchste physische Anforde rungen. Andere Gefühlsbereiche eröffnen sich schon mit dem zweiten Satz (Adagio), den Brahms ursprünglich — wohl im Gedanken an Schu mann — mit „Benedictus, qui venit in nomine Domini" überschrieben hat. Ein innig-gesang volles Geigenthema steht im Vordergrund des Satzes. Einen weiteren edlen Gedanken bringt das Klavier. Die Anlage des Adagios ist drei teilig. Der mittlere Teil wird von elegischen und schmerzlich-trotzigen Stimmungen be herrscht. Die variierte Wiederholung des er sten Teiles — mit einer Kadenz des Klavieres — schließt im Pianissimo. Das Rondo-Finale (Allegro non troppo) steht inhaltlich im Gegensatz zu den vorangegan genen Sätzen. Rhythmisch und melodisch be gegnet fast ungarischer Schwung. Kraftvoll, stürmisch setzt das rhythmisch pointierte Hauptthema ein. Welch einen Kontrast schafft dazu das wunderschöne zweite Thema in F- Dur, das besonders wirkungsvoll in einer fu- gierten Episode mit Klavier und Horn zum Ausdruck kommt. Die Gestaltung des Rondos meidet insgesamt belastende Problematik. Nach einer konzertanten Kadenz verklingt das Werk mit hellem Dur-Klang. Erst 17 Jahre später, 1876, vollendete Johan nes Brahms seine 1. Sinfonie c - Moll op. 6 8 und schuf bereits neun Jahre danach seine vierte und letzte Sinfonie. Sein