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Prag mit Franz Langer als Solisten und George Szell als Dirigenten höchst er folgreich uraufgeführt. Das Werk ist dreisätzig - in der äußeren Anlage wahrt es die überlieferte Form. Dennoch ist es alles andere als ein Virtuosenkonzert gewohnter Art, in dem der Solopart dem Orchester rivalisierend gegenübertritt. Gewiß steht das Klavier im Vordergrund des musikalischen Geschehens, nicht zuletzt durch die plastische Ornamentik seines Satzes, die sich freilich niemals zu virtuosen Klangeffekten veräußerlicht. Doch ist der Klaviersatz - außerhalb der Kadenzen - aufs innigste mit dem Orchesterpart verwoben, der seinerseits ausgesprochen solistisch be handelt ist. Das Dialogisieren der beiden Partner erfolgt auf eine ebenso geist volle wie elastische Weise, nicht im Sinne psychologisierender musikalischer Entwicklung, sondern wie bei den Meistern der Barockmusik herauswachsend aus kunstvoller kontrapunktischer Verdichtung und Fortspinnung vorwiegend moto- risch-rhythmischer musikalischer Kräfte, die zu einem polyphonen, konzertanten „Wettstreit" geführt werden. Indem an die Musizierhaltung des Barock an geknüpft wird, alte Formen gewissermaßen mit neuem Geist erfüllt werden, könnte man sagen: es handelt sich um ein Konzert im Bachschen Stil, geschrieben aber in einer Musiksprache des 20. Jahrhunderts, die durch die „Material revolution" hindurchging, wie sie für die Musikgeschichte der beiden ersten Jahr zehnte unseres Jahrhunderts so bezeichnend war. Mit dem Konzertbegriff des 19. Jahrhunderts hat Finkes Klavierkonzert nichts zu tun. Was an dieser Komposition unmittelbar bezwingt, sind die alle Sätze auszeich nende unerhörte rhythmische Lebendigkeit, die überschäumende Ubermütigkeit, der musikantische Elan, die ungestüme Fülle und Leidenschaftlichkeit des musi kalischen Ausdrucks. Dabei wird dies alles mit strenger Ökonomie der Mittel bewirkt. Das Orchester musiziert in kleiner Besetzung, der Bläserklang dominiert, Schlagzeug und Harfe fehlen gänzlich. Den kammermusikalischen Mitteln ent spricht die knappe, ebenso intime Prägnanz der musikalischen Gedanken. Die harmonische Sprache ist von typischer Finkescher Herbheit, ausgerichtet auf den Zentralton d, ohne die Frage nach Dur oder Moll zu klären. Der erste Satz, ein barocker Sonatensatz, beginnt in strenger Dreistimmigkeit. Die Trompete führt das rhythmisch scharf geprägte, nahezu barocke Hauptthema ein, kontrapunktiert von der Posaune und dem Horn. Das Thema, vor allem sein energisches, männliches Kopfmotiv, wird für den Satzverlauf entscheidend. Seine Impulse beherrschen die gesamte Entwicklung, seine motivischen Bestandteile liefern das hauptsächliche Material für die kontrapunktische Satzstruktur, wäh rend das von den tiefen Streichern, Fagott und Kontrafagott angestimmte zweite Thema nur eine episodische Rolle spielt. Nach der Exposition erfolgt der Einsatz des Soloinstrumentes mit dem Hauptthema. — Nach dem kraftstrotzenden, motorisch-elementaren Bewegungsablauf des ersten Satzes, der nirgends lyrisches Verweilen kennt, ist der langsame Mittelsatz von stärkerer emotionaler Gegen sätzlichkeit des streng kanonisch geführten musikalischen Geschehens. Es handelt sich hier um ein weitgeschwungenes, sich unaufhörlich aus sich erneuerndes lied haftes Klarinettenthema von 17 Takten, grundiert von einem Basso ostinato der tiefen Streicher, dem sich ohne Zäsuren fünf Variationen anschließen, die teil weise sowohl trauermarschartiges als auch scherzohaftesProfil besitzen. — Vitale, übermütige Musizierlaune kennzeichnet den Schlußsatz, ein sehr freies Rondo. Nach kurzem breiten Beginn — über wuchtigen Akkordschlägen des Orchesters stellt das Soloinstrument das Kopfmotiv des im 18. Takt einsetzenden heiteren Hauptthemas vor — wird allmählich mit virtuosem Laufwerk des Klaviers das sehr lebhafte Hauptzeitmaß erreicht. Die Stimmung des kunst- und temperament vollen Satzes wechselt zwischen geistvoller Vergnügtheit und Skurrilität, wie sie dem Wesen des Komponisten eigen war. Die Variationen und Fuge über ein Thema von Mozart o p. 132 sind neben den Hiller-Variationen rasch zu Max Regers be rühmtestem und volkstümlichstem Orchesterwerk aufgestiegen. Das im Sommer 1914 entstandene Werk mutet in der umfassenden überschau der Regerschen Kunst wie ein testamentarisches Vermächtnis an. Der Komponist hat hier den Gipfelpunkt seines jahrelangen Ringens um Einfachheit, Klarheit und Durch sichtigkeit des Ausdrucks und der Orchesterbehandlung erreicht. Sein reifstes, schönstes und bedeutendstes Orchesterwerk müssen wir also in den Mozart- Variationen sehen, denen das bekannte 6 /s‘Thema aus Mozarts Pariser A-Dur- Klaviersonate zugrundeliegt. Mit einem harmonischen Raffinement ohnegleichen, einer hochgesteigerten Chromatik und differenzierten Rhythmik, einer stark kontrastierenden Dynamik wird der großartige Cantus firmus des Mozart- Themas, das hier nur als Phänomen, nicht als stilistische Vorlage, dient, wundersam zu etwas völlig Eigenem und Neuem umgeformt. Regers Werk reicht also weit über den Begriff „Mozart" hinaus. Seine überlegene Phantasie und Gabe zu konzentrierter Ausdrucksverdichtung ließen ein Werk entstehen, des^s gestalterische Vielfalt, dessen schöpferischer Reichtum scheinbar alle Fori^B sprengt und das doch in die Formen der Klassik und des Barock, Variationen und Fuge, wie sie bei Reger oft begegnen, hineingepreßt ist. Das Mozart-Thema erklingt zunächst in Originalgestalt, von Holzbläsern und Streichern vorgetragen. Dann folgen acht Variationen, deren größter Teil das Thema oder Ausschnitte aus diesem unangetastet lassen. Im Sinne des barocken Figurationsprinzipes werden dabei neue Stimmungen durch andere Harmoni sierung (auch Mollversetzung), kontrapunktische Gegenstimmen, Umkehrungen, Veränderungen der Rhythmik und der Instrumentation usw. erreicht. In der vierten und fünften Variation verwandelt Reger auch den Charakter des Themas völlig, wie es in der Romantik üblich war. Die achte Variation ist eine ungemein ausdrucksstarke Fantasie über das Thema. Dann setzt als überwältigende Krö nung des Werkes eine Doppelfuge ein. Das erste Thema wird in leichtflüssigem Staccato angestimmt, das zweite besitzt einen mehr gesanglichen Charakter. Beide Themen werden verknüpft, als Kontrapunkte treten Reminiszenzen aus den Variationen hinzu. Auf dem Höhepunkt der Entwicklung erklingt zu den beiden Fugenthemen (in den ersten Violinen und in der Klarinette) mit strahlend-fest lichem Hörner- und Trompetenklang das originale Mozart-Thema gleichsam als fixe Idee. Der Kreis dieses einzigartigen Variationenzyklus hat sich geschlossen. Dr. Dieter Härtwig VORANKÜNDIGUNGEN : 24. und 25. September 1968, jeweils 19.30 Uhr, Kongreßsaal 2. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Kurt Masur Solist: Igor Oistrach, Sowjetunion, Violine Werke von Alban Berg und Johannes Brahms 28. September 1968, 19.30 Uhr, Kongreßsaal 3. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Kurt Masur Solist: Viktor Jeresko, Sowjetunion, Klavier Werke von Prokofjew und Tschaikowski Ausverkauft 10. und 11. Oktober 1968, jeweils 19.30 Uhr, Kongreßsaal 4. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Lothar Seyfarth Solisten: Leonid Kogan, Sowjetunion, Violine; Nina Kogan, Sowjetunion, Klavier Werke von Haydn, Mozart, Mendelssohn Bartholdy und Schostakowitsch Freier Kartenverkauf Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1968 69 — Chefdirigent: Kurt Masur Redaktion: Dr. Dieter Härtwig Druck: Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden, Zentrale Ausbildungsstätte 42079 III 9 5 1,8 968 ItG 009 72 68 (•HilHamnomio 2. PHILHARMONISCHES KONZERT 1968/69