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Das Konzert Nr. 2 für Violine und Streichorchester E-Dur (BWV 1 0 42) hat insgesamt einen festlich-freudigen Charakter. Wie dicht ist das kontrapunktische Gewebe im einleitenden Ailegro-Satz! Kaum erkennt man noch die alte Form unablässigen Wechselns zwischen Orchester und Solo. Der Satz ist nach der dreiteiligen Arienform aufgebaut mit einem Mittelteil in der Mollparallele (cis-Moll), der mit einer virtuosen Adagiokadenz schließt. Sehr charakteristisch ist das Kopfthema des Satzes und seine Fortführung. Wenn die Solovioline das Thema anstimmt, erklingt zugleich im Orchester die Fortführung, während der Baß das Kopfthema andeutet. — Stimmungsmäßig erinnert das Adagio an den Moll-Teil des ersten Satzes; es steht ebenfalls in cis-Moll. In dieser seltenen Tonart wird eine innige, ernste, fast klagende Weise über einem ständig wiederholten Baßmotiv (Basso ostinato) aufgebaut, die dem Solisten die Grundlage für einen seelenvollen, ergreifenden Gesang gibt. — überschäu mend vor Lebensfreude eilt der Schlußsatz (Allegro assai) dahin. Seine Musi zierfreude und heitere Spiellaune sind bezaubernd. Formal handelt es sich um einen rondoartigen fröhlichen Ausklang; immer wieder erscheint der Tutti-Refrain von 16 Takten in der Grundtonart. Viermal steht dazwischen ein Solo des Soli sten, das letzte Solo ist besonders ausgedehnt und virtuos angelegt. Johannes Brahms schrieb sein einziges, im Jahre 1878 komponiertes Vio linkonzert D-Dur o p. 7 7 für seinen langjährigen Freund, den berühmten Geiger Joseph Joachim, der ihm auch bei der Ausarbeitung der Solostimme in violintechnischen Fragen ratend zur Seite stand (ohne daß Brahms allerdings auf alle Änderungsvorschläge Joachims eingegangen wäre). „Nun bin ich zu frieden, wenn Du ein Wort sagst und vielleicht einige hineinschreibst: schwer, unbequem, unmöglich usw.", können wir in einem Brief vom August 1878 an Joachim lesen, den der Komponist ihm zusammen mit der zu begutachtenden Violinstimme schickte. In seiner Antwort darauf bemerkte der Geiger, daß „das meiste . . . herauszukriegen" und ein Teil sogar „recht originell violinmäßig" sei. Bereits am Neujahrstag des folgenden Jahres wurde das in einer glücklichen, fruchtbaren Schaffensperiode entstandene Werk (auch die zweite Sinfonie D-Dur und das zweite Klavierkonzert B-Dur stammen aus dieser Zeit und zeigen manche dem Violinkonzert verwandte Züge) mit Joachim als Solisten unter Brahmsens Leitung in Leipzig uraufgeführt. Das Konzert, das sich in bezug auf Aussage, Form und Anlage außerordentlich vom Typ des zeitgenössischen Vir tuosenkonzertes unterscheidet, war vom Komponisten zuerst viersätzig geplant worden. Da Brahms aber „über Adagio und Scherzo gestolpert ist", kompo nierte er den Adagio-Satz neu und ließ die beiden ursprünglichen Mittelsätze wegfallen. Trotzdem ist die ausgesprochen sinfonische Anlage des Konzertes unverkennbar. Schon Clara Schumann äußerte nach dem Kennenlernen des ersten Satzes, „daß es ein Konzert ist, wo sich das Orchester mit dem Spieler ganz und gar verschmilzt". Niemals ist die virtuose Violintechnik hier Selbst zweck, wie bei so vielen zeitgenössischen Solokonzerten, sondern in vertiefter, gehaltvoller Gestaltung stets als dienendes Glied in den sinfonischen Ablauf eingefügt, wobei (für Brahmsens Zeit ganz neue) große Aufgaben an den Solisten gestellt werden. In seiner größtenteils lyrisch heiteren, innig-warmen Grund stimmung seiner klassisch ausgewogenen Form gehört das Brahmssche Violinkon zert zu den schönsten, vollendetsten und berühmtesten Werken dieser Gattung. Das weiche, in ruhigen D-Dur-Dreiklängen auf- und absteigende Hauptthema des großangelegten ersten Satzes (Allegro non troppo) erklingt eingangs in Bratschen, Violoncelli, Fagotten und Hörnern und findet seine Weiterführung in einer sehnsüchtigen Oboenmelodie. In der ausgedehnten sinfonischen Or chestereinleitung werden noch weitere Nebengedanken entwickelt. Darauf setzt nach einem rhythmisch scharf betonten, später vom Solisten erweiterten Seiten thema kadenzartig das Soloinstrument ein, in gleichsam improvisatorischen Um spielungen zum Hauptthema findend. Nachdem auch das eigentliche zweite, sehr kantable Thema von der Solovioline vorgetragen wurde, werden im span nungsvollen Durchführungsteil die verschiedenen Themen und Motive in mannig fachsten Ausdrucksschattierungen verarbeitet. Die an die Reprise anschließende Kadenz des Solisten hat Brahms nicht selbst ausgeschrieben. In den höchsten Lagen der Violine ertönt danach noch einmal friedvoll die Anfangsmelodie, dann beschließt eine kurze, kraftvolle Coda den Satz. Ein wunderschönes, echt „Brahmssches" Adagio bildet den Mittelsatz desWerkU Der poesievolle dreiteilige Satz wird von den Bläsern eingeleitet, wobei die Oboen, von den übrigen Holzbläsern und zwei Hörnern begleitet, das liebliche F-Dur-Hauptthema zum Vortrag bringen, das dann von der Solovioline auf gegriffen und variierend weitergesponnen wird. Nach einem leidenschaftlichen, weitgehend vom Solisten getragenen fis-Mo!I-MittelteiI wird das Anfangsthema wieder aufgenommen; arabeskenhaft umspielen die Figuren des Soloinstru mentes den Oboengesang. Das abschließende feurige Allegro giocoso, in Rondoform aufgebaut, beginnt sogleich mit dem durch den Solisten erklingenden, ein wenig ungarisch ge färbten tänzerischen Hauptthema, das durchweg in Doppelgriffen erscheint. Von den Seitenthemen des Finalsatzes wird besonders ein energisch-markantes, aufsteigendes Oktaventhema der Violine bedeutsam, daneben eine zarte, lyrische G-Dur-Episode. In einer Stretta gipfelnd, die das Rondothema noch einmal in rhythmisch veränderter Form bringt, beendet der glanzvoll virtuose, spritzige Finalsatz mit einer Fülle origineller Einfälle das Konzert. Dr. Dieter Hartwig VORANKÜNDIGUNGEN : 14. November 1967, 19.30 Uhr, Steinsaal 2. Kammermusikabend Werke von Jan Kleczynski, Georg Philipp Telemann, Max Butting und Wolfgang Amadeus Mozart Anrecht D und freier Kartenverkj^^ 20. und 21. November 1967, jeweils 20 Uhr, Kongreßsaal SONDERKONZERT Dirigent: Kurt Masur Solist: Henryk Szeryng, Mexiko, Violine Violinkonzerte von Bach, Beethoven und Brahms Freier Kartenverkauf 25. und 26. November 1967, jeweils 19.30 Uhr, Kongreßsaal 7. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Lothar Seyfarth Solisten: Tanja und Eric Heidsieck, Frankreich, Klavier Werke von Gluck, Mozart und Brahms Freier Kartenverkauf Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1967/68 — Chefdirigent: Kurt Masur Redaktion: Dr. Dieter Härtwig Druck: Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden, Zentrale Ausbildungsstätte 41589 III 9 5 1,3 1167 ItG 009,85/67 •Hiilhannnomi 6. AUSSERORDENTLICHES KONZERT 1967/68