Volltext Seite (XML)
Beilage zur Weiheritz-Zeikung Nr. 289 Sonnabend, den I I. Dezember 1937 103. Jahrgang Lt» «»Isr ir»1LL«1v» Abenteuer in der Andianer- Aeservation von Karl Ey «aS ve«i c^ii Bürozimmcr, in welchem er jede Woche ein« der bmu«, Hefte mit „Rauhbein WUs«S Abe«- schmtd« ouch«, wir» ver Bersasser durch die unerwartote «tnlndung einer jungen Deutschamerikanerin in daS «M»t«Mche Le»« o« letzten freie« Indianer i» Norden de» StaateS Minnesota versetzt. , Mr erlebe», mit ihm da» Schweigen der riesige» Milder, den Kampf der Rothäute um den letzten Rest ihrer rhewattG«» Kmchett, daS Lebe« i« den Winterquartieren d«S einst nrüchtigen Siouxstammes und daS Dasein der M«tGM wähen, die in de« Tagereisen wett auSeinanderliegenden Blockhütten Hausen. Md «ne diese« gewaltigen Hintergrund der «rwttchfigen Natur rollen stch die kleinen abenteuerlichen Einzel- iWMOe «G, die dieser fesselnd«, ErttbstSßeri« die Schannung gebens die bis zur letzten Zeile anhält «kmyvem Miso« -an« ab . . . obwohl „Rauhbein' Wilson noch immer de« Ba» wußtlof« fptette, glaubte er doch, durch den engen Schlitz sein« halbgeschlofsenen Augen bemerkt zu haben, daß sich ein schleichender Schatten vom Lagerfeuer der Rothäute ge löst hatte. Waren das nicht eben leise Fußtritte auf Weichen Mo- 'usfiMS? Kann» hörbar, aber für das geschärfte Ohr des WildwestmarmeS doch vernehmbar? „Nauhbein" Wikson hielt den Atem an. Was würde jetzt kommen? Der tödliche Schlag mit dem Tomahawk oder . . .? Ein Seufzer der Er leichterung hob die breit« Brust des Gefangenen. Er spürte, wie sich seine Fesseln an Füßen und Händen gelockert hat ten, wie ihm ein Bowiemesser in die Hand gedrückt wurde, wie eine melodische Mädchenstimme flüsterte: „O bawnee, comtaune" (Schleich fort, weißer Freund). „Rauhbein' Wilson war frei! Vorsichtig wälzte er stch bis znm nahen Abhang, geduckt kroch er bis zu dem Pflock, an dem sein Pferd angebunden war. Er schnitt eS ab, fthwang stch mtt frohem Aufschrei in den Sattel und setzte mit einem gewaltigen Sprung über die tiefe Schlucht, welche die Badlands von dem Lager der Nothäute trennte. Hinter ihm brach das Jndianerlager in wilder Erregung aus. Höher schürte man die Flammen, lauter wurden die Rufe des Zorns und der Wilt über die Flucht des gefürch teten Feindes. „Rauhbein' Wilson wandte stch nicht um. Er ritt dem jungen Morgen und der Freiheit entgegen... Wer hatte „Rauhbein' Wilson vom martervollen Tode Sooettet? Das erfahren unsere Leser im nächsten Heft von „Rauhbein" Wilsons Abenteuer. Mit klappernder Hast hatte der junge Mann diese Zei- w« auf der Maschine geschrieben, denn neben ihm stand ein alter, glattrasterter Herr, der wie ein Baptistenpfarrer, der's eilig hat, aussah und bald auf die Uhr in seiner Hand, bald auf den schreibenden jungen Mann blickte. Als dieser endlich das letzte Blatt aus der Maschine zog und zu dem neben ihm auf dem Tisch liegenden Ziga rettenpaket griff, meinte der alte Herr tadelnd: „Daß Sie auch niemals pünktlich fertig werden kön ne«! Das Heft hätte schon heute mittag abgeschlossen wer den müssen, und jetzt ist es gleich 4 Uhr ... Sie bekommen Fhr Geld prompt, und ich verlange die Arbeit prompt. Mor gen mittag sollen die Hefte nach de« Osten expediert wer den, und jetzt müssen die Setzer und Drucker wieder Nacht arbeit machen, und das kostet mich 'n« Stange Geld. Heft 109 muß aber bestimmt übermorgen fertig sein, sonst wird der Versand durch den Dankfagnngstag verzögert. Ra, machen Sie's gut. Der alte Herr wollte stch mit dem Schlußboqe« des Manuskripts aus der Tur des kleinen Raumes entfernen, als der junge Mann ihm noch nachrief: „Mr. Anderson!" und dann mtt dem Daumen und Zeigefinger der rechten Hand die Bewegung des Geldzählens machte. Der akte Herr grinste ein bißchen sauer: »Ist gut, Miß Murphv bringt es Ihne« hinaus. Da ist auch wieder ein Stapel Post Mr Sie." Sehe« Sie. -a- M ein Geschäft... Ort der Handlung dieser Szene war ein großes Ber- lagShauS in Minneapolis, das eine ganze Reihe von Zeit schriften und Kolportageheften im Lohndruck herstellte, die Zett ein herrlicher Nachmittag im Herbst, die Personen der Verleger Anderson und der junge Mann, der gegen ein festes Gehalt von 80 Dollar pro Nummer jede Woche ein Heft von 36 Setten mtt den Abenteuern von „Rauhbein" Wilson zu füllen hatte, das dann in mehreren hundert tausend Exemplaren in allen Städten der Union kolpor tiert und in vielen kleinen Papierläden gegen zehn Cent pro Heft verkauft wurde. Der dramatische Höhepunkt aus jedem Heft wurde in buntem Vierfarbendruck auf dem Um schlag nach dem „Gemälde" einer jungen Sunstfiudenttn wiedergegebe«, die für diese fürchterliche artistische Leistung sieben Dollar erhielt. Der erwähnte junge Mann aber war ich. Ich hatte „Rauhbein" Wilson beim 72. Heft übernommen, de« mein Vorgänger, ein alter ehemaliger ZirkuSreNameagent aus den zittrigen Hände« geben mußte, weil er, zu ost betrun- ken, den Faden verlor« und die Abenteuer des Helden so durcheinander gebracht hatte, daß die Leser nicht mehr fol gen konnten und der Verkauf rapide zurückging. Den Hut in die Hand gedrückt bekam er aber als er im Heft 72 den Helden tatsächlich am Marterpfablc sterben und die Leiche in einen verbaffenen Bergwerksschacht werfen ließ, wobei er sogar nach die gefräßigen Wölfe hineinbrachte, die schauerlich, «wer doch gesättigt heulend im Mondlicht aus vom Schacht wieder hervorkamen ... Es bedurfte einer literarischen Gewaltkur, um „Rauh bein" Wilson wieder als nur leicht Scheintoten aus den Mägen der Steppenwölfe zu erwecken Aber es gelang! Und „Rauhbein" Wilsons Abenteuer führten stch wieder in der Gunst der Leßer ein und gingen flotter denn je. Daß mein Vorgänger bei seiner Arbeit mehr, als es unbedingt nötig ist, zur Flasche griff, konnte ich ihm übri gens bereits bei Heft 91 nachflchlen. Auch ich kam mehr als einmal in die Versuchung, mir meine Phantasie von dem Schwarzbrenner an der Ecke zu holen, bis ich schließlich einen probaten Ausweg fand, nm die Serie reibungslos weitetzuführen. Sobald nämlich ein Heft abgeschlossen war, schrieb ich mir schon die Anfangsworte für das nächste Heft nieder, lease drei Daoe RiMevauie ein und tivvte dann alt die gangen sechsunddreitzig Seiten an einem Nachmtttag M Ende, wie es ja auch an diesem Tage geschehen war. Der Trick ist überaus einfach, denn der gute Anfang fft eben die Hauptsache, und die anderen Verwicklungen stellen sich schon im Laufe des Schreibens ein. Wenn man erst in Schwung ist, sind dann zehn bis zwölf Tote pro Heft eine Kleinigkeit. Sagen Sie, bitte, selbst, verehrter Leser und schöne Le serin, ob Sie stch nicht auch imstande fühlen, einen Wikd- weftschmöker mtt allen Schikanen zu schreiben, wenn Sie schon als Beginn die Eröffnungszeile haben: „Peng, peng. Wieder bissen zwei Nothäute ins GraS.. . Oder ob Sie lange die Feder zerkauen müssen, wenn zum Anfang schon bastelst: „Mir gefällt das Wesen der Donna Inez nicht, Pard- uer. Kalkuliere, wir schlafen heute nacht mit offenen Augen", sagte der Schwarzbärtige im heiseren Flüsterton zu „Rauhbein" Wilson ..." Dee Brief aus Milwaukee Ich hatte schon meinen Mantel an, um mir selbst an der Kaste meine 50 Dollar zu holen, als Miß Murphy mit dem Geld und der Post kam. Die fünf Scheine wanderten in meine Tasche, die Briefe auf den Tisch und Miß Murphy wieder zur Tür hinaus. Natürlich waren sämtliche Briefe geöffnet, denn alle trugen die Anschrift: „Mr. Nauhbein Wilson. Henneptn Avenue, Minneapolis, Minn." und konnten natürlich eben sogut Bestellungen auf die Lieferung von Heften wie Mit teilungen an den Verfasser enthalten. Die Post war klein, wie sie immer war, denn wenn auch ein paar hunderttau send Menschen sich jede Woche die bunten Hefte kauften, so fiel es doch wenigen ein, an den mythischen „Nauhbein" zu schreiben. Da waren die paar üblichen Briefe in unge lenker Knabenhand, die niemals fehlten, da waren einige „Richtigstellungen" von alten Westmännern, weil ich mich etwas in der Geographie oder sonstwie geirrt hatte, da waren die paar Vorschläge für den weiteren Verlauf der Abenteuer, die mir oft sehr gut zustatten kamen, und schließ lich waren da noch zwei Briefe, die ich mehrfach durchlas: Der eine lautete: „Dear Dr. „Nauhbein" Wilson, bitte lassen Sie doch in einem der nächsten Hefte ein mal wieder den drolligen „Shorty" Kieselhahn er scheinen. Mein Junge liegt so krank darnieder und spricht so viel von Ihnen. Er muß jedes Heft lesen! Auch der Doktor menst, wenn Sie ihm die Freude machen würden, „Shorty", seinen Liebling, recht bald wieder ausführlich zu behandeln, dann würde das meinem Jungen für seine Gesundheit güt tun. Mit bestem Dank im voraus Mrs. Grace Muehlberger 234 139. Street. New Bork Citv." Diesem Brief war ein Photo eines kleinen Jungen im Krankenbett mit magerem Gesicht und Hellen Augen beigelegt . . . Der andere Brief kam aus Milwaukee. Auch er trug einen deutschen Namen als Unterschrift. Er war kurz und aufregend und besagte: „Wenn Sie als Verfasser der Abenteuer „Rautz- bein" Wilsons sich entschließen könnten, mich und meine Freundin auf eine Tour durch das Jndianerreservato- rium am Superiorsee zn begleiten, so wäre ich Ihnen zu großem Dank und selbstverständlicher Tragung aller Kosten usw. verpflichtet. Ihre ergebene Mary Leingießer, 70 Park Avenue, Milwaukee. NB.: Ich bin mit meiner Freundin am 19. Oktober an Stag-Hotel in Moorhead, wo ich Sie bestimmt er warte. Ich bitte um Ihre Zusage." Eine Jndianerfamilic von heute. Die meisten leben in primitiven Hütten und sind gekleidet wie die Armen deö Lande«. Tatsächlich sind nur wenige Indianer Nordame rikas wohlhabend oder gar reich. Die meisten leben in de« Reservationen ein ziem lich kümmerliches Dasein. Während in Südamerika die Zahl der Indianer etwa 9 Millionen beträgt und noch viele Stämme in den Ur wäldern wild Hausen, sind die Indianer Nordamerikas stark dezimiert und kulturell herabgckommen. In den Vereinigten Staaten lebten 1920 noch etwa 245 000 In dianer. Diese Zahl ist auf etwa 300 000 angestiegen. In der Tatsache, daß die Jndianerbevölkerung stch wieder vermehrt, will man eine Regeneration der In dianer in USA. sehen. Ausnahme: Manritins M. Die letzte Arbeit Eine Weile saß ich noch überlegend au» Schreibtisch und starrte auf das Kalenderblatt: 18. Oktober. Dam» trat ich an das Fenster meines kleinen Arbeitszimmers und blickte hinaus über die Dächer und Höfe der großen Stadt nach Westen, wo sich wie ein purpurglühender Riesenball die Präriesonne senkte, wo die Mühlenanlagen und Güter schuppen und Getreidesilos sich in dem blaue,» Abendnebel verloren, hinter dem sich die unermeßliche Prärie dehnt« und die dunklen Wälder und blauen Seen der Reservatio« der letzten Siouxindianer . . . Ich ging an den Tisch zurück und schrieb die Antwort: „Mn am 19. Oktober im Stag-Hotel, Moorhead." Noch ein« anderen Brief tippte ich. In ihm stand meine Kün digung an den Verleger. Er würde Zett genug haben, einen neuen Mann für meinen Posten zu sind«. Ich wollte jetzt nicht mehr die Jndianerro»nantik von der Schreibmaschine aus erledigen, ich wollte einmal selbst wissen, wie es sich anfühlt, sich in den riesigen Wäldern des Nordstaates zu verlieren ... Ms ich aber meine paar Privatsachen zusammenpackte, fiel mir das Bild des kranken New Norker Jungen wieder in die Hand. Ich zog den Mantel nun nochmals aus, knipste daS Licht an, stopfte die Pfeife, spannte einen weißen Bogen in die Schreibmaschine und begann mit dem üblichen Ver merk für die Setzerei: „Heft 109 (Rauhbein WilsonS Aben teuer)." Dann überlegte ich eine Weile, zündete mir die Pfeife an und schrieb den Untertitel, der einen deutschen Jungen in New dork erfreuen würde: „Shorty Kieselhahn bei den Apachen". Vier Stunden später war die letzte Arbeit beendet. Ich legte das Manuskript zu dem verschlossenen Kündi gungsbrief an den Verleger, stieg langsam, da der Fahr stuhl nicht mehr fuhr, die neun Stockwerke hinunter tu»d ging mit leichtem Herzen und voller Tasche aus dem Ver lagsgebäude und aus dem Dasein des papiernen „Rauh bein" Wilson... ll. Begegnungen im Stag-Hotel In den Vereinigten Staaten leben heute noch unge fähr 250 000 Indianer. Und das ist allerhand! Aber ft« sristen ihr Dasein unter einer buntgewürfctten eingewan derten und importierten Nutznießerschaft ihres Heimat landes Amerika, die 130 Millionen Köpfe zählt! Da be deutet die Viertelmillion Rothäute bitter wenig, ungefähr so viel wie die Kopfzahl der Beamten und Angestellte« der Bundespost, ein kleines Häufchen, das noch obendrek» in alle Winde zerstreu« ist. Ein Teil der Rothäute darf glatt als Artisten bezeich net werden. Sie gehören den zahlreichen Zirkusunterneh- mungen an, führen ihre Kriegstänze bei den großen Cow- bohfesten im Westen auf und verlangen wahrscheinlich bei voller Kriegsbemalung einen Zusatz zu ihrem feste« Wochenlohn bei voller Kost. Viele arbeiten in Sägemühlen und Holzfällerlagern, beackern winzige Farmen im Norden des Staates New Aork oder sind für d,e großen Touristenhotels in den Rorch Mountains und den Naturschutzparks als lebende Atmo sphäre engagiert, genau wie man dort noch vielfach zahme Bären, behäbige Büffel und lammfromme Elche des glei che», Ziveckes wegen hält. Einige wenige Indianer haben es aber auch in d« Wissenschaften oder in der Politik zu etwas gebracht, fttz« auf Richtersesseln, lehren an Hochschulen. In Moorhead, dem Einfallstor zu der riesigen In dianerreservation im Norden des Staates Minnesota, wohin mich der Zug in wenigen Stunden von Minnea polis gebracht hatte, sollte ich aber noch eine neue Abart von Rothäuten kennenlernen. Ich war zwei Tage vor dem verabredeten Termin in diesem Prärienest eingetroffen, hatte mir in dem niedri gen Stag-Hotel ein Zimmer geben lassen und war dann durch den kleinen Ort geschlendert, in welchem man fast mehr Schwedisch als Englisch hörte, und an dessen Nein« Geschäftshäusern in der kümmerlichen Mainstreet oftmals dentßhe Ramon standen. (Fortsetzung folgt.)