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Böhmens Gaue dahinfließend, zu einem gewaltigen Strome anwächst. Er fließt durch dichte Waldungen, in denen das fröhliche Treiben einer Jagd immer näher hörbar wird und das Waldhorn erschallt. Er fließt durch wiesenreiche Triften und Niederungen, wo unter lustigen Klängen ein Hochzeitsfest mit Gesang und Tanz gefeiert wird. In der Nacht belustigen sich die Wald- und Wassernymphen beim Mondenschein auf den glänzenden Wellen, in denen sich die vielen Burgfesten und Schlösser als Zeugen vergangener Zeiten wider spiegeln. In den Johannisstromschnellen braust der Strom durch die Katarakte, und bahnt sich gewaltsam mit schäumenden Wellen den Weg durch die Felsen spalte in das breite Flußbett, in dem er mit majestätischer Ruhe gegen Prag weiter dahinfließt, bewillkommnet vom ehrwürdigen Vysehrad, worauf er in weiter Ferne den Augen des Tondichters entschwindet. ANTONIN DVORAK (imi-wo*) Sinfonie Nr. 5 e-moll, op. 95 „Aus der neuen Welt" Mit der 5. Sinfonie - die bei richtiger Zählung eigentlich seine neunte ist - gelang dem großen tschechischen Meister, dessen 50. Todestag die friedliebende Welt in diesem Jahr feiert, ein wahrhaft volkstümliches Werk. Als Huldigung an Amerika, wo er einige Jahre lebte, nimmt dieses Werk melodische Elemente aus dem Indianischen auf, verarbeitet rhythmische Impulse der Negerweisen und spiegelt das amerikanische Leben vor der Jahrhundertwende wider. Aber es ist noch mehr in dieser Sinfonie enthalten. Niemals in diesen Jahren, da er Direktor eines amerikanischen Konservatoriums war, hat Dvorak seine tschechi sche Heimat vergessen, niemals hat er sein Heimweh ganz besänftigen können. Und gerade in dieses Werk ist seine Sehnsucht hineingeflossen. Vielleicht liegt in diesen beiden Eigenschaften, in der Darstellung der Kraftfülle eines jungen Kontinents und im Ausdruck des Heimwehs, das Geheimnis dieser Sinfonie begründet. Die alte und die neue Welt konnte an diesem Werke außerdem noch eine unerhört formale Könnerschaft Dvoraks bewundern. Man vermutet gerade bei ihm, dem Vollblutmusikanten, daß ihm formale Belange nicht so wichtig waren. Und doch ist alles da: die zwei Themen des ersten Satzes und ihre Durchführung, die dreiteilige Liedform des zweiten Satzes, mit der wunder samen Melodie des Englischhorns, das kapriziöse Scherzo und das gewichtige Finale, das in der Form des Rondos mit melodischen Zwischenspielen nieder geschrieben ist. Daß die Sinfonie „Aus der neuen Welt” ein Meisterwerk ist, empfand die neue und die alte Welt, und die Gegenwart erkennt ihren Wert mehr und mehr. 11116/29 701 0,8 Kv G 779 54