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ihren Niederschlag fanden. Wir können uns heute nur auf Vermutungen stützen, die nicht im künstlerischen Bereich zu suchen sind, weshalb das Violinkonzert durch den berühmten Geiger nie zur Aufführung kam. Nach Joachims Tod ging die Partitur, in die niemand Einblick er hielt, in den Besitz der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek über mit einer testamentari schen Verfügung, die eine Veröffentlichung erst nach Jahrzehnten gestattete. Durch Verkürzung der Sperrfrist erklang das Werk im Novem ber 1937 in Düsseldorf mit dem bedeutenden Solisten Georg Kulenkampff zum ersten Mal. Die Uraufführung fand somit in einer Zeit statt, deren barbarischer Ehrgeiz daran lag, die fa schistische Kriegsmaschinerie in Gang zu set zen. Daß diese Jahre nicht dazu angetan wa ren, das humanistische Erbe eines Robert Schumann zu pflegen und ein bis dahin un bekanntes Werk dieses Meisters in gebühren der Weise zu würdigen, liegt auf der Hand. Unsere Aufgabe ist es, nicht unkontrolliert Ge dankengut, das sich damals, nicht zum Vorteil des Violinkonzertes, gebildet hat, teilweise Einschränkungen und Abwertungen in sich birgt, unterschwellig zu übernehmen. Selbst in Schumann-Biografien der jüngsten Zeit, die dem Konzert ,Größe, ja Großartigkeit' nicht absprechen können, wird an Fehleinschätzun gen, die unschwer widerlegen sind, festge halten. Erst unserer Musikwissenschaft gelang es, wie in so vielen Fällen, durch Neubewer tung die Bedeutung dieses Werkes zu erken nen. Schumann bevorzugt im Violinkonzert die tiefe Lage des Instruments. Dazu stellt das Werk noch exorbitante Anforderungen an den So listen, ohne ihn jedoch brillieren zu lassen. Darin ist der entscheidende Grund zu suchen, weshalb dem Werk nur ganz vereinzelt in den Konzertsälen zu begegnen ist, obgleich der Mittelsatz beispielsweise zu den schönsten und edelsten Eingebungen Schumanns gehört. Dieser innige Gesang beschäftigte ihn noch mals kurz vor seinem Tode. Brahms schrieb zu diesem Thema: ,Wie ein im Entschweben freundlich grüßender Genius spricht es uns an, und wir gedenken mit Verehrung und Rührung des herrlichen Menschen und Künstlers.' Von bemerkenswerter Schönheit ist auch der pau senlose Übergang vom langsamen Satz in das Finale. Wie improvisierend kündigt sich im So lopart das Thema des letzten Satzes an, der von heiterer Grazie ist. Schumann übersandte Joachim das Werk mit den Worten: ,Sie erhalten hier das Konzert, möge es Sie anmuten.' Diese Worte Schu manns sollten endlich — 125 Jahre nach seinem Tod —Gehör finden und die Bereitschaft wek- ken, unsere Schumann-Pflege um ein wichtiges Werk zu bereichern." Es bedarf nicht der Annahme mystischer Un heilsahnungen, um das Eindringen ernster, ja tragischer Züge in Schumanns Musik zu ver stehen, wie sie uns im ersten Satz des Violin konzertes begegnen. Schwere und dunkle Er eignisse hatte es für ihn genug gegeben, im individuellen wie im sozialen Leben: Bereits der Tod Mendelssohns, des Verehrtesten Zeit genossen, im November 1847 war ein solches gewesen, genannt seien auch die Stürme Revolution und mehr noch die durch ihr Scn^F tern erzwungene Änderung des politischen Kli mas, die Schumann und andere progressive Künstler bedrückte, und die bedrohliche, am Ende katastrophale Verschlechterung seines Gesundheitszustandes. Es sollte aber nicht übersehen werden, daß die gedankliche Ver tiefung (nur zum Teil kann sie als „tragisch“ qualifiziert werden) in einem späten Werk wie dem Violinkonzert Schumanns an sich eine entschiedene Bereicherung dieses Genres und der Musikliteratur überhaupt darstellt. Das Bewußtsein davon hat sich freilich erst noch durchzusetzen, und das kann es nur, wenn das Konzert allgemeiner Besitz der Musikfreunde geworden sein wird. Der unverwechselbare, ernst-eindringliche Ge stus des Kopfsatzes im d-Moll-Violinkonzert von Schumann wird geprägt durch das maje stätische, kontrapunktisch angelegte und ver arbeitete Hauptthema. Wirkt dieser Gestus nicht in Brahms' Klavierkonzert gleicher Tonart weiter? Das Neue, das Schumann in das konzertante Genre eingebracht hat, trug tat sächlich dort schon Frucht. Ein wunderbar aus schwingendes Seitenthema tritt hinzu, Bk dann in der Reprise besondere Dominanz™ hält, wenn es die Wendung des Satzes nach Dur begründet, die bis zum Schluß nicht mehr in Frage gestellt wird. Tragen die beiden Rah menteile unverkennbar dramatische Züge, so ist die Durchführung eigentümlich verhalten, zurückgenommen — auch dies ein neues Aus druckselement, von Schumann zweifellos be wußt eingesetzt und nicht etwa mit Gestal tungsschwäche zu verwechseln (Exposition und Reprise enthalten ja genügend „Zündstoff"). Ganz unmittelbar erschließt sich der Mittelsatz des Konzerts, in dem aus schwebend-synkopi schem Gewebe die ausdrucksvoll-„romantische" Geigenmelodie gleichsam hervorsteigt. Schu ¬ mann hat sie wenige Monate später, als „Gei sterthema", nochmals aufgegriffen und in Kla viervariationen abgewandelt — seine letzte kompositorische Arbeit. Das Finale entwickelt sich direkt aus dem lang samen Satz, wobei als thematische Klammer des ganzen Werkes ein Motiv des Seiten themas im ersten Satz in Erscheinung tritt. Kräftig-volkstümliche Züge begegnen uns nun im Schlußsatz, der den Charakter einer Polonaise oder Mazurka trägt. Obwohl hier die virtuosen Möglichkeiten des Soloinstru ments vom Komponisten am stärksten ausge schöpft werden, enthüllt sich zugleich am deut- ten die ganz und gar sinfonische Anlage Konzerts, die es für den Nur-Virtuosen so wenig „dankbar" macht: Alles Passagen werk der Violine wird den thematischen Ge danken des Orchesters untergeordnet, muß zu rücktreten in dienende Funktion, bloße Um- spielung. Was Schumann hier vielleicht zu weit getrieben hat (eben den sinfonischen Zug im K onzert), erweist sich in den Werken Brahms’ und anderer als „Zug der Zeit" — an ders gesagt: Schumanns Violinkonzert war zu kunftsweisend, erhielt aber nie die Möglich keit, diese hohe Qualität öffentlich zu zeigen. Erst unser Jahrhundert vermag die unverdiente Zurücksetzung des Werkes wettzumachen. Wolfgang Amadeus Mozarts „gro ße" g-Moll-Sinfonie (KV 550) — so ge nannt zum Unterschied von der fünfzehn Jahre früher entstandenen „kleinen" in der gleichen Tonart (KV 183) — ist eine der berühmten letz ten drei Sinfonien des Komponisten, die auf diesem Gebiet seines Schaffens Abschluß und Höhepunkt zugleich darstellen. In unmittelba rer Folge wurden die Sinfonien in Es-Dur (KV f, g-Moll und C-Dur (KV 551) im Sommer Jahres 1788 in der unfaßbar kurzen Zeit Juni bis August niedergeschrieben. Es ist uns kein bestimmter Anlaß für die Entstehung dieser drei ihrem Charakter nach so verschie den gearteten Meisterwerke bekannt; wir wis sen nicht einmal, ob Mozart sie überhaupt jemals in einer Aufführung gehört hat. Wenn auch keine Hinweise dafür existieren, daß der Komponist die drei Sinfonien als eine Art Tri logie, als in sich zusammenhängende Einheit geplant hätte, so bilden die anmutig-heitere Es-Dur-, die dunkelgestimmte, schmerzerfüllte g-Moll- und die strahlende, lösende C-Dur- („Jupiter"-) Sinfonie doch durch organisches Sich-Ergänzen ihrer Inhalte eine natürliche Einheit, gehören sie innerlich zusammen. In einer Zeit schwerster wirtschaftlicher Sorgen geschaffen (gerade aus dem Sommer 1788 lie gen verzweifelte Briefe des Meisters vor), zeigt die g-Moll-Sinfonie den erschütternden Nie derschlag der „schwarzen Gedanken", von de nen Mozart einmal schreibt, zeigt die ernsten Zweifel, die ihn bedrängten. Nirgends finden wir bei ihm ein Gegenstück, in dem mit einer solchen Ausschließlichkeit schmerzlichen Emp findungen Ausdruck gegeben wurde, wie in diesem von Leid und Schicksalskampf gepräg ten Werk. Mozarts Zeitgenossen empfanden die Sinfonie denn auch als befremdend dü ster, ja noch im Jahre 1802 wird sie in einer Leipziger Kritik „schauerlich" genannt. Wäh rend die Romantik dagegen sogar hier wieder nur den „ewig heiteren" Mozart sah und die Komposition als „anmutig-graziös“ auffaßte, müssen wir heute doch trotz der Verklärung des Schmerzes durch wunderbar edle Formen, durch das klassische Streben nach Klarheit und Schönheit wieder die heftige seelische Erre gung, die das Werk durchzieht, sein tragisches, düsteres Grundgefühl und die volle Größe die ser Schmerzlichkeit zu erkennen suchen. Ohne Einleitung beginnt der erste Satz (Alle gro molto) sogleich mit der erregten Klage des Hauptthemas. Auch das zweite Thema bringt keinen Gegensatz, sondern erweitert lediglich den dunklen Charakter der herauf beschworenen Stimmung durch sehnsuchtsvoll wehmütige Töne. Die starke innere Spanung des Hauptthemas, dessen motivisches Material in der Durchführung dominiert, hält während des ganzen Satzes an. Nach erschütternden Wendungen, in denen trotziges Aufbegehren mit rührender Klage wechselt und zu drama tischen Auseinandersetzungen führt, klingt der Satz in schmerzlicher Resignation aus. — Im zweiten Satz, einem weit ausschwingenden, edlen Andante, bleibt der Grundcharakter trotz schwärmerischen Schwelgens in sanfteren, weicheren Klängen ebenfalls traurig und nach denklich. Neben dem schwermütigen ersten Thema werden hier zwei weitere, kunstvoll mit einander verwobene Themen bedeutungsvoll. — Selbst das folgende Menuett ver rät kaum noch seine Herkunft von der zierlichen, verspielten Tanzform des Ro koko, sondern ist in seiner herben, ja schroffen Anlage im Gegenteil ein Sinfoniesatz von der gleichen Bedeutung und Härte wie etwa der erste Satz. Nur im lieblichen Trio wird vorüber gehend ein heiter-tröstlicherTon angeschlagen. — Voller Unruhe und Leidenschaftlichkeit stürmt schließlich das Finale dahin, dessen