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ZUR EINFÜHRUNG Ernst Hermann Meyer wurde im Jahre 1905 in Berlin als Sohn eines Arztes und ei ner Malerin geboren. Seit 1919 erhielt er von Walter Hirschberg Unterricht in Musiktheorie. 1927 begann er in Berlin bei Johannes Wolf, Friedrich Blume, Arnold Schering und Erich von Hornbostel das Studium der Musikwis senschaft, das er in Heidelberg bei Heinrich Besseler mit einer Dissertation über „Die mehrstimmige Spielmusik des 17. Jahrhun derts" abschloß. Gleichzeitig vervollkommnete er sich bei Max Butting, Paul Hindemith und namentlich bei Hanns Eisler in der Komposi tion. In den schweren Jahren der Emigration nach 1933 mußte er sich notgedrungen Brot berufen zuwenden, die mit seinem künstleri schen und wissenschaftlichen Beruf wenig oder nichts zu tun hatten. Doch die Verbindung zur Arbeiterschaft — er emigrierte nach England und betätigte sich als Dirigent von Arbeiter chören, für die er auch komponierte — gab ihm neue Energie, seine wissenschaftlichen und kompositorischen Ziele zu verfolgen. 1948 wur de er als Ordinarius für Musiksoziologie an die Humboldt-Universität Berlin berufen. Prof. Meyer, der mehrfach mit dem Nationalpreis und anderen hohen staatlichen Auszeichnun gen unserer Republik geehrt und 1965 zum Ehrendoktor der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ernannt wurde, ist seit 1950 Ordentliches Mitglied der Akademie der Kün ste der DDR und war 1965—1969 deren Vize präsident. Seit 1967 ist er ferner Präsident der Georg-Friedrich-Händel-Gesellschaft und seit 1968 des Verbandes der Komponisten und Musikwissenschaftler der DDR (1965—1971 auch des Musikrates der DDR). Das künstlerische und wissenschaftliche Wir ken verschmilzt bei E. H. Meyer zur Einheit; er genießt Achtung und Verehrung als bedeuten der Komponist und Gelehrter. Neben grund legenden Beiträgen zur marxistischen Musik wissenschaft hat er eine Fülle vielfältiger und kontrastreicher Kompositionen vorgelegt, dar unter Standardwerke der sozialistischen Vo- kalsinfonik, Oratorien, Kantaten, Massen- und Sololieder, Chöre, die Oper „Reiter der Nacht", Filmmusiken, aber auch bedeutende Kammermusiken und Werke für Orchester, die den Besuchern unserer Konzerte größtenteils vorgestellt wurden. In E. H. Meyers Stil sind die verschiedensten Nuancen von zarter Lyrik bis zur grellen Dissonanz und Härte drama tischer Höhepunkte vereinigt. Aus den Inter pretationen Meyerscher Werke bei der Dresd ner Philharmonie heben sich die Uraufführun gen der Konzertanten Sinfonie für Klavier und Orchester (1962) sowie der im Auftrag des Orchesters geschriebenen Sinfonietta (1967), aus der die Sinfonie in B hervorging, und die Sinfonia „Kontraste, Konflikte" (1977) hervor. Letzteres Werk gab auch den Titel für ein 1979 erschienenes Erinnerungsbuch. Als Nachklang zu seinem 75. Geburtstag, den der Künstler unter großer Anteilnahme der Musikwelt am 8. Dezember 1980 feiern kom^ te, interpretieren die Dresdner Philharmoni(H unter ihrem Chefdirigenten Prof. Herbert Ke gel heute das wohl bedeutendste Orchester werk des Komponisten, seine großangelegte Sinfonie für Streicher, deren Ur fassung 1946/47 in Chäteau-d’Oex (Schweiz) und in London für den englischen Dirigenten Arnold Goldsbrough geschrieben wurde, den er während seiner Emigrationsjahre in Eng land (1933—1947) kennengelernt hatte. 1957/58 unterzog der Komponist das Werk weitreichen der Umarbeitungen. Die Uraufführung erfolg te 1958 mit dem Leipziger Rundfunk-Sinfonie orchester unter Gerhard Pflüger. Entstanden in den schweren Jahren der Emigration, voll endet schließlich in endgültiger Gestalt in der DDR, ist diese hochexpressive Sinfonie erfüllt von Erinnerungen und Hoffnungen, die den Komponisten nach dem Ende des Krieges be wegten, erfüllt von Gedanken des Ringens und Kämpfens, von unerbittlichen Ausein andersetzungen, aber auch von der Gewiß heit des Sieges, vom Glauben an die Men schen und ihre Zukunft. Prof. Dr. Alfred Brockhaus, aus der wissen schaftlichen Schule Prof. Meyers hervorq^ gangen, analysierte das Werk seines Leh(^B wie folgt: „Der erste Satz (Adagio molto ma? stoso) ist dreiteilig gegliedert. Sofort setzt das Hauptthema ein, in weiten Intervallen und scharfpunktierter Rhythmik, es ist hart, düster und aufbegehrend (sempre appassionato e marziale lautet die Anmerkung des Kompo nisten). Nach einer knappen Entwicklung bricht dieser thematische Gedanke unvermit telt ab, und es folgt ein zweites Thema, das wohl aus dem motivischen Gehalt des Haupt themas abgeleitet ist, aber einen anderen As pekt der Gefühlshaltung zum Ausdruck bringt: die vorwiegend von Trioien geprägte Melodie ist von schmerzlicher Klage erfüllt. Von hier aus steigert sich die Entwicklung immer mehr, drohend pochende Baß-Figuren werden von schwirrenden Klängen der Violinen und Brat schen begleitet, bis zu einem Höhepunkt mit peitschenden Rhythmen und grellen Dissonan zen. Dem schließt sich ein Mittelteil an, in dessen gedämpften Melodien zunächst eine nachdenkliche Haltung hervortritt. Hier ist die ausdrucksvolle Linienführung der Violinen ton angebend — jedoch nicht lange, denn wieder erklingen die mahnenden Baß-Intonationen, und eine breitströmende, unerbittlich vor- wärtstreibende Passage leitet zur Reprise. Sie knüpft an das Hauptthema an; noch einmal fjichtet sich der Satz zu schrillen Dissonan- , um dann plötzlich mit einem knappen, ein Aufschrei wirkenden Motiv abzubre chen. Der zweite Satz (Assai allegro) greift den Scherzo-Ton auf. Nach einem Einleitungsab schnitt, in dem das für alles Folgende ver bindliche thematische Material erklingt und kurz ausgedeutet wird, folgt eine vorwiegend polyphone Verarbeitung der verschiedenen Motive, in der vor allem die häufig bitonale Harmonik auffällt. In diesem Scherzo vereinen sich heitere Züge mit ironischen und herben Schattierungen, so daß trotz des schnellen Tempos, der vorwiegend tänzerischen Rhythmik und auch grazilen Melodik der Grundcharak ter ein grotesker ist. Eine verkürzte Reprise be schließt den Satz. Eine feine, zarte Innigkeit und starkes Pathos prägen den Gehalt des dritten Satzes (Lar ghetto). Im Vordergrund steht das melodische Spiel einzelner Instrumente, dem an einigen Stellen kraftvolle Tutti-Partien eingefügt sind. Ausgesprochen akkordische Episoden stehen neben polyphonen Abschnitten des Streicher- Chors. Der Komponist gab dem Satz die Vor trags-Anweisung: 'Nachdenklich, mit großzü- ^hem, ernsthaftem Ausdruck.' Nach der Härte rmcl Wucht des ersten und den bitteren Iro- nismen des zweiten Satzes kommt hier die volle strömende Kantabilität der Streicher zur Gel tung. Die Instrumente des Ensembles ertönen vorwiegend con Sordini (mit Dämpfer), dennoch repräsentieren die Höhepunkte — am Ende des ersten Teiles und in der Reprise — jenes kraftvolle Pathos, aus dem dann die Ent schlossenheit zur Überwindung des Leides, der Bitterkeit und auch der Ironie und Groteske entspringt. Der Satz verklingt mit leisen Fla geolett-Akkorden des Tutti und einer feinzi selierten Melodie der Solo-Violine. Dann tritt mit der langsamen Einleitung des Finales (Adagio) noch einmal das Thema des Drohenden, Mahnenden auf, das der Kompo nist aus dem ersten Satz übernimmt. Ihm schließt sich das Thema (Allegro con fuoco) ei ner Variationenfolge an, die dem Schlußsatz das tragende Formgerüst verleiht. Dieses The ma wird in neun Variationen ausgedeutet, die sich in drei Gruppen gliedern. Deren erste (Variation 1—4) steigert die Klänge zu immer dringenderer, leidenschaftlicherer Aussage bis zu einem Höhepunkt im Furioso. Lyrisch und expressiv verläuft die zweite Gruppe (Variation 5—7), in langsamen Tempi, besinnlich und zu rückhaltend. In der fünften Variation treten alle Instrumente solistisch auf; dieser Teil ist von fast transparenter Klarheit, im übertrage nen Sinne mit einem Pastellgemälde zu ver gleichen. Nach der Steigerung in der sechsten Varition, in der in ausdrucksvoll-zarter Tonge bung wieder volle Streicherklänge vorherr schen, ist die siebente ganz kurz. Glissandi und extrem hohe Lagen der Violinen geben dieser ins Phantastisch-Atmosphärische füh renden Variation im Pianissimo das Geprä ge. Mit der achten Variation (Allegretto gra- zioso) setzt eine erneute Zusammenballung ein, der Charakter ist energischer und führt zu einem Con fuoco (9. Variation), bis schließlich in der Coda, parallel zum Variationenthema, wiederum das Hauptthema des ersten Satzes erklingt. Es wird von einem erregten Pauken wirbel begleitet und bestätigt die Grundidee der Sinfonie: das Leid und die Bitterkeit der Vergangenheit zu überwinden und zielbewußt vorwärtszuschreiten." Der Einführung in Robert Schumanns Violinkonzert d-Moll seien zunächst einige Bemerkungen des Interpreten, Prof. Manfred Scherzer, vorangestellt: „Unter den Violinkonzerten unserer großen Meister fristet bisher noch immer das Werk von Robert Schumann ein Schattendasein. Es entstand im Frühherbst des Jahres 1853 und ist eines der letzten vollendeten Werke des Komponisten. Joseph Joachim hatte ihn bei sei nem Besuch in Düsseldorf nach der Vollendung der Violinfantasie C-Dur dazu ermutigt. In knapp 14 Tagen beendete Schumann die Nie derschrift. In diese Zeit fiel auch der Besuch des zwanzigjährigen Johannes Brahms, der Robert und Clara Schumann mit seinen Kom positionen bekannt machte. Es waren für Schu mann glückliche Tage, die ihm neuen Auftrieb gaben und zweifellos auch im Violinkonzert