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Oertliches. Weltstadt, 13. August. Heute vormittag 10 Uhr ist Herrn Johann Christian Adolph Hößler hier, welcher über 30 Jahre als Güterbodenarbeiter bei der Firma A. Th. Schubert L Söhne in Chemnitz, Ladeunternehmer der Staatseisenbahnverwaltung, be schäftigt gewesen ist, das vom Ministerium des Innern verliehene, durch Verordnung vom 10. August 1894 gestiftete Ehrenzeichen für Treue in der Arbeit durch Herrn Reg.-Rat vr. Oertel, im Beisein des Herrn Gemeinde-Vorstandes Geißler hier und des Herrn Curt Schubert, Mitinhaber der genannten Firma, in feierlicher Weise in der Königlichen Amtshaupt mannschaft Chemnitz überreicht worden. Möge es dem Herrn Dekorierten vergönnt sein, diese Auszeichnung recht viele Jahre in körperlicher und geistiger Frische zu tragen. Hlaöenstein, 16. August. Heute überreichte Herr Regierungsrat v r. Oertel, als Vertreter der König!. Amtshauptmannschaft, im Beisein des Pfarrers, des Gemeindevorstands und des Arbeitgebers Herrn Rein hold Esche drei treuverdienten Arbeitern im hiesigen Kalk werke und zwar den Herren Friedrich August Fiedler, August Moritz Oettel und August Friedrich Irmscher das tragbare Ehrenzeichen für Treue in der Arbeit, beziehentlich eine Belobigungsurkunde. Der Arbeit geber fügte für jeden ein Geschenk bei. Lreigesprochen. --KÄ Familien-Roman v. Ludw. Nutzer. (Fortsetzung). Der Major grüßte und die Offiziere gingen aus einander. Berger begab sich auf die Hochfläche der terrassen förmig aufsteigenden Höhe und sah durch ein Fernglas in das weitausgedehnte Gelände um sich. Unter ihm lag das Maastal, von dem geschlängelten, breiten Bande des Flusses durchschnitten, dessen Lauf er von dem südlich gelegenen Mouzon bis zu seiner Windung um die Halbinsel Jges, nach Norden hin, zu ver folgen vermochte. Links breitete sich die einem See gleichende Wasser fläche der Maasstauung aus, deren Fluten die welligen Anhöhen von Bazeilles und Balan und das Glacis von Sedan beleckten, dessen Doppelkuppeltürme über die Festungswerke herüberragten. In östlicher Richtung erblickte er offenes, unbegrenzbares Land mit zahl reichen Dörfern und Weilern und den silbernen Streifen der Chiers, deren klares Gewässer in Schlangen windungen durch die Ebene von Douzy fließt, um unterhalb Remilly in die Maas zu münden. Hu seinen Füßen lag der Weiler Aillicourt, etwas nördlicher, Balan westlich gegenüber, das an den Abhang ge schmiegte Wadelincourt, dann weiter unten, bei der Flußwindung, Floing mit seiner wie blankes Silber glänzenden Kirchturmspitze und inmitten der Landschaft die Festung Sedan mit dem dunkeln Höhenzuge des Ardennenwaldes im Hintergründe. Die Armee von Chalons hatte das linke Maasufer vollkommen geräumt und stand nun in dem Dreieck zwischen Bazeilles, La Monzelle, Givonne, Jlly und Floing-Bach auf einem eng zusammengedrängten, gegen Osten, Süden und Westen gerichteten Vogen um Sedan versammelt. Die beiderseitigen Heere befanden sich nahe gegenüber und mit den Vordertruppen in un mittelbarer Berührung. Im Tale, am Flusse und an den östlichen und westlichen Höhen bewegten sich unzählige, kleine dunkle Punkte und lange Wagen kolonnen, und Hunderte von Rauchwölkchen kennzeich neten die Lagerplätze des Gegner. „Guten Abend, Herr Major!" hörte Berger plötzlich eine Stimme aus nächster Nähe, die ihn rasch sich umwenden hieß. „Guten Abend, Herr General!" erwiderte er in strammer Haltung grüßend. „Halten Sie es für wahrscheinlich, Herr Major, daß Mac Mahon in seiner derzeitigen, äußerst un günstigen Position an Ort und Stelle eine Schlacht annimmt?" begann der General, sein Pferd anhaltend. „Meines Erachtens wird er der nahezu vollendeten Umzinglung dadurch zu entgehen suchen, daß er noch im Laufe der Nacht in westlicher Richtung über Mezieres ins Innere des Landes abzieht, was aller dings nur unter Aufopferung eines großen Teiles seiner Armee möglich wäre, oder er müßte, äußersten Falles, über die belgische Grenze entweichen." „Ich bin der gleichen Anschauung, Herr General", versetzte Berger. „Es wäre aber auch möglich, daß er der Einschließungsgefahr durch ein plötzliches Vor brechen auf Carignan und Montmedy zu entrinnen sucht, wenn er überhaupt die Absicht der deutschen Heeresleitung ahnt." General von Schiefweg warf einen Blick auf die Karte in seiner Hand, dann nahm er durch sein Fernglas die östlich gegenüberliegenden Höhen von Bazeilles bis hinunter nach Jlly und Saint Menges in Augenschein. Er mochte in der Mitte der Fünfziger stehen und war von untersetzter, mittelgroßer Statur. Aus seinen Zügen und den offenen, klaren Augen sprach ein tiefer Ernst, und der Klang der Sprache verriet ein warmes Gemüt. Die frische Sonnenbräune seiner Gesichts farbe und der ungezwungene, tadellose Sitz auf seinem Grauschimmel bewiesen, daß er einer widerstandsfähigen Gesundheit und Rüstigkeit sich erfreute. „Wie geht es Ihnen, lieber Berger?" fragte er plötzlich, indem er seine Feldmütze abnahm und sich die Stirne wischte. „Wie immer, Herr General; nicht besser und nicht schlechter", erwiderte Berger. „Es ist sonderbar — ich mußte in der letzten Zeit so oft an Sie und an Ihr Schicksal denken, wie nie zuvor. Die prächtigen Kinder, die Sie haben. Leutnant Hartfeld hat heute in Bazeilles das eiserne Kreuz verdient. Ich werde dafür sorgen, daß er diese Aus zeichnung erhält. Und Sie wollen Ihren Kindern beständig fremd gegenüberstehen? Das ist ein ganz unnatürlicher Zustand." „Herr General dürfen versichert sein, daß ich diesen Zustand schwer genug empfinde." „Ueber die alte Geschichte ist längst Gras gewachsen. Ich meine, Sie sollten sich Ihrer Familie endlich einmal entdecken. Der Strafe wegen Führung eines falschen Namens, die nichts Entehrendes an sich hätte, könnten Sie auf dem Gnadenwege vorbeugen. Ich stehe zu einer hochgestellten Persönlichkeit in freund schaftlichen Beziehungen und bin von Herzen gern bereit, Ihnen den Weg zu ebnen. Unser jugendlicher König ist ja überaus hochherzig und edelgesinnt und wird Sie gewiß nicht fallen lassen." „Herr General sind zu gütig; allein diesen Schritt könnte ich nur tun, wenn meine Unschuld an den Tag käme. Den Fluch des Vorurteils nimmt keine Macht der Welt von mir." „Sie sehen die Sache entschieden schwärzer als sie ist. Ueberlegen Sie sich meinen Vorschlag, Berger", sprach der General, indem er dem Major die Hand reichte. Berger ging dem Lagerplatz des Bataillons zu. Es begann dunkel zu werden. Ueber der Wasserfläche der Maasstauung wogten phantastische Nebelgebilde und von den Höhen hinter Bazeilles und Balan leuchteten, winzigen Fünkchen gleich, die Biwakfeuer des Feindes herüber. Die Gruppen der mit dem Abkochen beschäftigten Mannschaften durchschreitend, gewahrte Berger den Leutnant Hartfeld, der anscheinend jemanden suchte. Er hatte den Helm mit der Feldmütze vertauscht und trug den Arm in der Schlinge. Berger rief ihn an. „Wie geht es Ihnen, Hartfeld?" fragte er den Verwundeten mit auffallender Besorgnis. „Danke, gut, Herr Major", erwiderte dieser; „es hätte schlimmer ausfallen können. Der Arzt glaubt, daß ich in vierzehn Tagen wieder hergestellt bin!" „Nun, das freut mich sehr. War es also nur ein Streifschuß, den Sie in Bazeilles erhielten?" „Ja; aber ein ziemlich tiefer. Der Schuß ging scharf am Knochen vorbei. Geblutet habe ich sehr stark." „Schonen Sie sich nur, Hartfeld! Sie sollten sich ins Bett legen." „Der Verbandplatz ist unter freiem Himmel, Herr Major. Augenblicklich wird ein Haus in Remilly zur Unterbringung der Verwundeten eingerichtet. Ich war eben auf der Suche nach dem Herrn Major", fuhr Hartfeld nach kurzem Zögern weiter. „Wir haben heute ein kleines Biwak-Souper. Darf ich mir ge statten, den Herrn Major zu einer Flasche Wein ein zuladen?" „Sie sind sehr liebenswürdig. Haben Sie in Remilly eine Quelle entdeckt?" „Nein, Herr Major. Ich habe von zu Hause eine Sendung erhalten. Die Kiste war drei Wochen unter wegs. Leutnant Schütz hat sie von Clermont mitge bracht; aber ihr Inhalt ist tadellos angekommen. Es sind zwölf Flaschen Wein, verschiedene Hartwürste und ein großer Vorrat an Zigarren vorhanden." „Den Wein und die Würste könnten Sie jetzt recht gut zu Ihrer eigenen Stärkung und Kräftigung brauchen, lieber Freund." „Darum bin ich nicht besorgt. Es wäre mir eine große Ehre, wenn Herr Major meine Einladung an nehmen würden. Herr Hauptmann Schwarzwild, Schütz und noch einige Kameraden sind bereits ver sammelt. Unser Biwak ist gleich da oben." „Wenn Sie denn nicht anders wollen, Hartfeld, — einen Trunk Wein schlage ich nicht ab", sagte Berger. „Ich würde Sie heute in Remilly besucht haben", fuhr er fort, während sie dem Biwak zuschritten; „einmal um mich nach Ihrem Befinden zu erkundigen, und dann wegen Ihres unglücklichen Vaters." „Herr Major kommen mir in letzterem Punkte zuvor. Ich habe seit dem Ausmarsche nach einer Gelegenheit gesucht, den Herrn Major Hierwegen zu sprechen. Meine Angehörigen warten mit größter Ungeduld auf eine darauf bezügliche Nachricht." „Teilen Sie Ihrer Frau Mutter gelegentlich mit, daß ich alles auf Ihren Vater Bezügliche schriftlich niedergelegt habe. Ich trage den Brief in der Brust tasche hier und bitte Sie, denselben Ihrer Frau Mutter zuzustellen, wenn ich fallen sollte." „Herr Major, das letztere kann ich nicht glauben, nicht fassen!" rief Hartfeld, indem er mit ängstlicher Besorgnis die Hand seines Vorgesetzten ergriff. „Viel leicht sind Herr Major in der Lage, mir über einen Punkt Aufklärung zu geben, der mir am meisten Kopf zerbrechen macht", fuhr er dann nach einer kurzen Pause weiter: „Warum hat sich mein Vater das Leben genommen, wenn er unschuldig war?" „Diese Frage kann ich nicht beantworten, lieber Freund. Auch die Unschuld Ihres Vaters zu beweisen, ist mir nicht möglich; aber ich gebe Ihnen mein Wort, er war unschuldig!" „Wie ist es dann möglich, daß ihn meine Mutter, mein Großvater für schuldig halten konnten, — ihn heute noch für schuldig halten?" „Dieser Umstand darf Ihrer Kindesliebe keinen Eintrag tun. Es war das Schicksal Ihres Vaters, dem er nicht entrinnen konnte." „Warum sind der Herr Major nicht für den Unglück lichen eingetreten, als er noch lebte?" „Jenem Vorurteil gegenüber war ich vollkommen machtlos und bin es heute noch." „Nachdem Herr Major von der Unschuld des Verstorbenen überzeugt sind, zweifle ich nicht mehr, daß er tatsächlich unschuldig war. Herr Major verhalten sich aber in der Hauptsache reserviert und das tragische Ende meines Vaters bleibt nach wie vor ein Rätsel für uns." „Der Brief, den ich bei mir trage, wird das Rätsel lösen." „Es wäre unendlich traurig, wenn es auf diese Weise gelöst werden sollte", erwiderte Hartfeld gedrückt. „Der Soldat im Felde muß in Bezug auf sein Leben mit Tag und Stunden rechnen, lieber Freund- Auch ich hoffe auf eine glücklichere Lösung." Sie waren inzwischen beim Biwak angelangt. Die um das Feuer gelagerten Offiziere erhoben sich beim Anblicke des Majors und gingen ihm ein paar Schritte entgegen. Berger drückte dem Hauptmann Schwarzwild die Hand und bat dann die Herren, ihre Plätze wieder einnehmen zu wollen. Schütz reichte dem Major einen mit Wein gefüllten Becher. „Auf Ihr und Ihrer lieben Angehörigen Wohl!" sprach Berger herzlich, indem er mit Hartfeld anstieß. Man besprach dann die am Nachmittage stattge habten kleinen Gefechte, insbesondere die Wegnahme des Bahnhofes von Bazeilles, und erging sich in Ver mutungen über die Bewegungen und Absichten des Gegners. Bald jedoch stockte die Unterhaltung. Die meisten der Herren fühlten sich stark ermüdet und sprachen dem Weine nur mäßig zu, und selbst die geliebte, mitunter lang entbehrte Zigarre versagte bei manchem ihre anregende Wirkung. Einer nach dem andern breitete seinen Mantel auf dem rauhen Acker felde aus oder benützte ihn als Kopfpolster, und bald herrschte Ruhe um das verglimmende Lagerfeuer. Auch Berger, der auf der Erde saß und mit dem Rücken an einem Grenzstein lehnte, schien zu schlafen. „Schmerzt Dich Dein Arm nicht, Georg?" fragte Schütz seinen Freund Hartfeld, der sich an seiner Seite niedergelassen hatte. „Er schmerzt mich wohl; aber es ist zum Aushalten. Ich meine, Du solltest auch schlafen, Karl. Ich fühle noch kein Bedürfnis dazu, und außerdem werde ich in der nächsten Zeit eine Reihe langweiliger Rasttage haben." „Ich habe ebenfalls kein Schlafbedürfnis", erwiderte Schütz, indem er seine Zigarre an eine glimmende Kohle hielt. „Lieber Hartfeld", ließ sich plötzlich Schwarzwild vernehmen, der dünne Scheiben von einer Hartwurst schnitt und emsig kalke, „Sie sind heute zum zweiten mal der liebenswürdige Festgeber; aber unter ganz andern Nebenumständen, als bei Ihrer Einweihung im altdeutschen Zimmer der Jnnstadtbrauerei. Wenn's dem Geschick gefällt, sind wir in alle Welt morgen zerstreut, hat der Rittmeister Fernwald damals ge sungen. Es soll mich freuen, Hartfeld, wenn ich mich recht bald mit einem solennen, ausgedehnten Früh schoppen bei der Felsenliesel in Passau revanchieren kann." „Auf diesen Frühschoppen will ich mich auch freuen, Herr Hauptmann", erwiderte Hartfeld. „O, daß Sie von so ferner, ferner Zeit und nicht von morgen, nicht von heute sprechen", sagte Schütz elegisch. „Wallensteinzitaterich!" erwiderte Schwarzwild lächelnd. „Im übrigen war dieser Stoßseufzer des alten Questenberg gut angebracht und zeitgemäß." Vom nahen Lagerplatze des Jägerbataillons drang in diesem Augenblicke Gesang herüber. Es war eine ansprechende, innige Volksweise, die da in die Nacht hinanstönte, und mit Interesse lauschten die Offiziere dem Texte des alten vergessenen Liedes: „Dein gedenk ich, bin ich erwacht, Du bist mein Stern in dunkler Nacht; Am blauen Himmel seh' ich dein Bild, Im Sternenschimmer strahlst du mir mild. Doch muß ich scheiden, fort von hier Und darf nicht bleiben stets bei dir; O selige Stunde, verlorenes Glück, Wann kehrst du wieder zu mir zurück." „Was mein Famulus, der Michel, für eine hübsche zweite Stimme singt", sagte Schütz.