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fragen wir die Herren, die erst bei blendendem Sonnen schein den Heimweg angetreten haben sollen. Aus der Aindheit der Eisenbahn. Die ersten Fahrten auf der Leipzig-Dresdener Eisenbahn im Juli 1838.*) Es war am 19. Juli 1838, als von Dresden aus die erste Dampfwageufahrt bis zu dem noch heute existierenden Anhaltepunkt, unweit dem Gasthof zur „Weintraube", vor Kötzschenbroda ausgeführt wurde. Ganz Dresden war über das sensationelle Ereignis in Bewegung. Der Bahnhof und die zum Betriebe errichteten Gebäude waren klein und einfach, ebenso die Personen halle und vor allem das Restaurationslokal. Es gab fünf Hallen für fünf Lokomotiven. Aus jeder Halle führte eine Bahn auf die Drehscheibe und sodann zur Hauptbahn. Man sah ferner noch einen Wasserbehälter, eine stehende Dampfmaschine, eine Werkstatt für Holz arbeiter und eine solche für Schlosser, endlich auch eine Wächterwohnung. Schon wochenlang vorher beschäftigte sich die Be völkerung von Dresden mit der Eröffnung der Bahn, und in Leipzig war es nicht anders. Dort fuhr man die ersten Male bis nach dem Dorfe Althen, wo der Wirt des Hotels de Pologne in Leipzig eine Restauration errichtet hatte. Bou Dresden aus sollte, wie schon erwähnt, bis zur „Weintraube" gefahren werden, und der höchste Wunsch in den der ersten Fahrt voraus gehenden Tagen bestand darin, ein Billet zu erhalten. Sechshundert sollten zur Ausgabe gelangen. Alles war darüber starr vor Staunen. Sechshundert Billets zu einer Fahrt! Dazu hätte der so viel gerühmte Eilwagen zwischen Leipzig und Dresden, die gelbe Kutsche, nicht weniger als 217 Bei chaisen gebraucht. Der Weg von Dresden nach der „Weintraube" beträgt etwa eine Meile, und diese sollte in nicht mehr als zehn Minuten zurückgelegt werden. Diese verheißene Schnelligkeit erregte sogar bei vielen Besorgnis, wenn nicht gar Furcht und Angst, denn ein sonst hochgeachteter Mediziner in Dresden hatte laut in einer Gesellschaft erklärt, eine so schnelle Fahrt halte niemand aus, der Luftdruck müffe ganz entsetzlich sein! Am 19. Juli früh um 8 Uhr nahte der große weltgeschichtliche Augenblick, wo tausende Schaulustiger auf den Beinen waren, um das neue Wunder der Welt anzustaunen. Es erschienen die von den Direktoren hohen Staatsbeamten des Zivil- und Militärstandes, die Väter der Stadt, Räte und Stadtverordnete, allerhand andere Beamte und Würdenträger, sowie endlich auch eine große Anzahl Damen. Vertreter der Tagespresse gab es damals in Dresden noch nicht, denn die sächsische Residenz hatte nur ein belletristisches Blatt, die Abendzeitung, und ein Anzeigeblatt, den Anzeiger. Im Bahnhofe war ein hohes Zelt aufgeschlagen und ein Pavillon errichtet worden, der von blühenden Bäumen umgeben war. Ein breiter, mit Blumen schmuck und Heckenwänden versehener Gang führte bis an die Stufen der Eisenbahn, wo sich das Musik korps des Leibinfanterie-Regiments aufgestellt hatte. Alle die eingeladenen Herren und Damen wurden von den Direktoren des Unternehmens hier empfangen und es nahte nun der mit Spannung erwartete Augen blick, wo die erste Wagenreihe an die zum Einsteigen bestimmten Stufen geschoben wurde. Die reich bekränzte Lokomotive, die den Namen „Edward Bury" trug, rollte heran und erregte die allgemeine Aufmerksamkeit; sie wurde gleichsam als Vorspann an sieben Wagen gefesselt. Als es in ihrem weiten Metallbauche zischte, brauste und brodelte, als der weiße Gischt auftauchte und als das erste Glocken zeichen ertönte zum Fertigmachen, da klopfte doch mancher und manchem der Geladenen das Herz, und das Gefühl der Bangigkeit beklemmte vielen die Brust. Der geheizte Kessel erschien ihnen wie ein Hexenkessel, der Lokomotivführer und seine beiden Heizer aber kamen ihnen vor wie die drei Männer im feurigen Ofen. Als nach dem zweiten Glockensignal alle ihre Plätze eingenommen hatten und rauschende Musik die Abfahrt verkündete, setzte sich die Lokomotive mit grellem Pfiff in Bewegung. Alle Wagenräder drehten sich und kamen mit jeder Umdrehung immer mehr in Schwung. So klirrte der Zug hinaus, augestaunt und begrüßt von Tausenden, die sich längs der Bahn linie aufgestellt hatten. Allgemeines „Hurra!" ertönte unter dem Schwenken der Hüte und Tücher. Väter hoben ihre Kinder empor, damit sie noch in späterer Zeit sich des Tages erinnern sollten, wo in Sachsen der erste Dampfwagen gegangen. Alte Leute, die weit aus den Dörfern der Nieder lößnitz, der Gegend auf dem rechten Elbufer unter halb Dresdens, herbeigekommen waren, standen in Verwunderung da und konnten die Sache, von der *) Entnommen aus der Illustrierten Zeitschrift für Touristik, Landes- und Volkskunde, Kunst und Sport „Wandern und Reisen" (Verlag von L. Schwann in Düsseldorf.)' o lange die Rede gewesen war, schlechterdings nicht legreifen und nicht enträtseln. Nun rückte auch die zweite Lokomotive, der „Komet", heran, an die acht Wagen gehängt waren. Mit Sausen und Brausen dampfte auch dieser Zug mit seinen Insassen hinaus, der „Weintraube" zu. In die Helle Glut der Julisonue sprühten die Funken, während die Dampfwolke gleichsam wie ein grauer, langgedehnter Schleier dahinzog oder sich wie lichte Schneewehen auftürmte. Die an der Bahn zunächstgelegenen Punkte hatte man vorsichtshalber mit Militär- und Polizeiposten besetzt. Tschakos und Bajonette sah man in Menge, die ganze Gendarmerie war auf den Beinen. Als die Züge an der „Weintraube" anlangten, erschallten die fröhlichen Weisen des dort aufgestellten Musikkorps, md die Weinbergsböller wurden gelöst. Die Geladenen liegen aus und begaben sich unter Führung der Direktoren in die Restauration, wo eine halbe Stunde verweilt wurde. Sodann ertönte die Glocke wieder zum Einsteigeu, die Musik fing von neuem an zu spielen nnd die Böller krachten. Die Lokomotive begann zu pusten und zu fauchen, und die Fahrt ging nach der Residenz zurück, wo die beiden Züge nach zehn Minuten glücklich wieder anlangten. Die ohne jeden Unfall abgelaufenen Probefahrten flößten manchem Zaghaften Mut eiu, und so kam es, daß an demselben Tage noch sieben Fahrten mit zwei Wagenkondukten ausgeführt wurden. Der Andrang zur Teilnahme steigerte sich von Tag zu Tag, denn ein jeder wollte doch einmal probieren, wie sich's mit dem Dampfwagen fährt. Selbst am 22. Juli, an welchem Tage es wie mit Kannen goß, ließen es sich gegen 2000 Personen nicht nehmen, hinaus nach der „Weintraube" zu dampfen. . . Von Tag zu Tag stieg bei den Dresdenern das Begehren nach dieser Eiseubahufahrt. Es gehörte in enen Tagen schlechterdings zum guten Ton, die Fahrt venigstens einmal mitzumachen, wenn man als gebildeter Mensch erscheinen wollte. Wohlhabende Leute aus den kleinen Städten der Umgegend kamen herbei, um nach der „Weintraube" zu fahren, und wer dies hinter sich hatte und abends im Ratskeller seines Wohnortes davon erzählen konnte, der wurde angestaunt wie ein Wundermann und nicht selten als Wagehals gepriesen. So wurde denn die kleine Probebahnstrecke vom 30. Juli bis zum 5. August von 13686 Personen befahren, für die damalige Zeit eine unerhörte Zahl, die unendliches Staunen hervorrief. Original-Roman von Hans Dahlen. <7. Fortsetzung.» Johann Wilhelm geriet in Wut; es kostete ihm Mühe, sich zu bezwingen. „Und Sie wollen meinen Sohn heiraten?" „Mein Herr, Sie erschrecken mich. Er begehrt mich zum Weibe." „Aber ohne meinen Willen. Handelt er demselben entgegen, wird er enterbt." „O, Sie scherzen gewiß!" „Gräfin Polanco, wissen Sie, was ein Mannes wort bedeutet?" Die Schauspielerin war aus einen Sessel gesunken und preßte die schmalen Hände vor das Gesicht, schluchzte heftig und jammerte unausgesetzt, „dies sei der Tod ihrer Liebe." Johann Wilhelm kreuzte mit dem Bürgermeister einen schnellen Blick des Triumphes. „Nun, dann ist's ja gut," sprach er weiter auf die Schauspielerin ein. „Erlauben Sie mir noch die Frage, ob ich Ihnen die Begräbniskosten Ihrer Liebe bezahlen darf." Sie zuckte zusammen und schluchzte heftiger. „Ich hatte Hans wirklich gern; beleidigen Sie mich nicht, indem Sie mir Geld bieten. Aber ohne Vermögen kann ich ihn eben nicht heiraten, das ist sonnenklar. „Freut mich, daß Sie die Angelegenheit so ver nünftig auffaffen," antwortete Johann Wilhelm an erkennend. „Ich darf doch meinem Sohne mitteilen, wie Sie über die Sache denken?" „Geben Sie ihm diesen Ring zurück," sagte die Gräfin, ihre Tränen trocknend. „Es ist ja Ihr fester Wille mit der Enterbung?" fragte sie nochmals zur größeren Sicherheit. Und erst als Johann Wilhelm entschieden bejaht hatte, reichte sie ihm mit spitzen Fingern den Goldreif dar. Dann wandte sie ihm mit Verachtung den Rücken und begann mit dem Bürgermeister, der sich des Lächelns kaum erwehren konnte, in geschäftliche ihr Gastspiel betreffende Be sprechungen einzutreten. Johann Wilhelm fand es an der Zeit, sich höflich zu verabschieden und ging in weitaus besserer Laune, als er mitgebracht hatte. Was Frau Marie und Hans erst sagen würden, wenn er ihnen den so leicht erlangten Verlobungsring vorhielt? Er tastete liebevoll auf der Westentasche hin und her, in welcher er den Goldreif untergebrachl hatte. Eins wunderte ihn: die Polanco hatte keine Ent ¬ schädigung annehmen wollen. Im Grunde genommen fand er das äußerst anständig von ihr. Sie hätte nur zu fordern brauchen —. Im Uebrigen bestätigte diese Handlungsweise den guten Leumund, dessen sie sich unbestritten erfreute. Aber von Gefühl besaß sie keine Spur, sie hatte feinen Sohn gewiß nicht geliebt, sondern sich nur eine Versorgung schaffen wollen. Nun also einen Strich durch die ganze Geschichte. Und Neumann ging langsamen Schrittes längs den Straßenbahngeleisen, während er mit Mißbehagen die Spuren des eintretenden Tauwetters beobachtete. Der Wind war lau und unstet; der Schnee setzte sich in schweren Klumpen an seine Gummischuhe; die weiße Schneedecke begann sich schon stellenweise zu senken und eine dunklere Färbung anzunehmen, die auf durch dringende Nässe deutete. Die Spatzen auf den Gesimsen und in den Kronen der Platanen an der Promenade schrieen und lärmten gar, als ob schon der Frühling vor der Tür stünde. Johann Wilhelm aber dachte an den Schmutz, den man ihm morgen ins Kontor tragen würde, und daß er dann gewiß genötigt sein werde, eine halbe Stunde vor der gewohnten Zeit Feierabend zu machen, damit eine gründliche Reinigung stattfinden könne. VI. Ein entzückend schöner Frühlingsmorgen liegt über die Welt gebreitet. Der Himmel ist so blau und weit; ambra- nnd rosenfarbene Federwölkchen segeln langsam von Osten nach Westen. August hat mit vieler Mühe die südlichen, in Folge der Winternässe aufgequollenen Scheibenrahmen des Wintergartens in die Höhe geschoben, und seinen Herrn im Krankenstuhl dicht au die Brüstung gefahren, damit der Genesende den herrlichen Morgen so recht genießen kann. Thilda geht auf leisen Sohlen hin und wieder, rückt das Kissen zurecht, zieht die Pelzdecke fester um die Kniee des Vaters und ist bemüht, dem Kranken all die kleinen Bequemlichkeiten zu verschaffen, die sorgende Kindesliebe ausfindig machen kann. Johann Wilhelm atmet mit Wonne die reine tau frische Luft ein und blickt in den Garten, aus dessen braunschwarzen frisch umgeworfenen Beeten unter dem warmen Schein der Sonne die Feuchtigkeit wie ein feiner, weißer Nebel emporquillt. An den Zweigen und Aesten vom Baum und Strauch, die im Morgen wind schwanken und leise knarrend aneinanderschlagen, dehnen sich branngrüne Knospen, die ordentlich mit jedem Augenblick anschwellen und die gelbgrünen Blattspitzen, die sie in treuer Hut umschließen, weiter in die verjüngte Welt Hinausschauen lassen. Der MM h! sii» gelber Krokus dringt durch die frostbefreite Grasnarbe empor zum belebenden Licht. Vorbei ist der Winter mit seinen Tagen ohne Sonne, ohne Licht und Wärme, und neues Leben ist überall. Neues Leben! Auch Johann Wilhelm durch strömte es mit Macht und fast will er meinen, es sei wieder ein Stück von der früheren Kraft über ihn gekommen. Aber die zitternde Hand vermag noch kaum das Weinglas zum Munde zu führen. Dennoch hat sich sein Befinden in den letzten Tagen außer ordentlich gebessert; der Arzt hatte es wohl ein dutzend- mal im tiefsten Ernst behauptet und Thildas Gesichtchen zeigt an, daß der Doktor nur die Wahrheit gesagt hat. Ja, er fühlt sich sogar wieder so stark, daß er mit völliger Ruhe überdenken kann, wie es gekommen ist, daß er wochenlang hat mit dem Tode ringen müssen. An jenem Abend im Februar war es gewesen. O, er entsann sich ganz wohl. Er hatte am Fenster gesessen und das überaus schöne Abendrot bewundert. Da war Nina, die treue Dienerin, leise ins dämmerige Zimmer gekommen, so leise, daß er zuerst gar nichts gehört hatte und zusammengeschreckt war, als sie neben ihm stand und so schmerzlich seufzte. Die gnädige Frau und der junge Herr seien am Vormittag mit einer Mietskutsche fortgefahren und hätten alle Kleider und sämtliche Wäsche mitgenommen. Wie mit scharfen Messern begann der Schmerz sein Inneres zu durchwühlen. Seit dem frühen Morgen war er in Geschäften außerhalb gewesen und erst vor einer kleinen halben Stunde heimgekehrt. Frau Marie hatte ihm vorher keinerlei Andeutung gegeben. Dann die Abfahrt in der Mietskutsche, mit großem Gepäck — er ahnte das Schreckliche gleich. Aber es durfte nicht bekannt werden, um alles in der Welt nicht. „Es ist gut Nina, ich weiß Bescheid." Mit Auf bietung aller Energie hatte er die Worte über die Lippen gebracht. „Sie sind verreist, mit meiner Zu stimmung." „Und hier der Brief lag auf dem Toilettetisch der Gnädigen." „Gieb her!" „Gott tröste Sie, mein lieber, guter Herr!" Johann Wilhelm hatte eine kühle Entgegnung geben wollen, denn auch Nina sollte nicht einmal den wahren Sachverhalt ahnen, aber die Dienerin war schon hinausgeschlüpft und hatte ihn mit dem Briefe allein gelaffen. Wie glühendes Eisen lag das veilchenduftende Papier in seiner zitternden Hand. Die ponceaurote