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überschmale Briefhülle stammte aus der Mappe seiner Frau, die schiefgekritzelten Schriftzüge der Aufschrift rührten von Hans her. Auch auf dem roten einliegen den Bogen fand er die Schrift seines Sohnes. Ohne Anrede begannen die Worte seiner kühlen Mitteilung gleich unter dem grünen in das Papier eingepreßten Glücksklee: „Ich reise mit Mama zu meiner Brant, um ihr den Ring wieder an die Hand zu stecken, den Du ihr mit List entlocktest. Wenn Du diese Zeilen zu Gesicht bekommst, sind wir schon außer Landes, und die Heirat findet in den allernächsten Tagen statt. Daß Du mich enterben willst, macht mir- wenig Kummer. Meiner Mutter wirst Du ihr Ver mögen nicht vorenthalteu können, welches sie mit in die Ehe gebracht hat, und Dein Ehrgefühl wird Dich zwingen, dessen eingedenk zu bleiben, daß das Vermögen meiner Mutter den Grundstock zu Deinen Millionen bildete, und im Gedanken hieran jene Summe angemessen zu vergrößern. Hans." Kein Gruß, kein liebendes Wort zum Abschied! Dann kamen noch einige Zeilen von Fran Maries ungeübter Hand stammend: „Lieber Jean! Ich konnte den Jammer des guten Jungen nicht länger mehr untätig mit ansehen. Ich mußte handeln. Dn wirst uns angemessenen Unterhalt gewähren, denn ohne mein Vermögen wärst Du kein Millionär geworden, wie Du mir selbst oft gesagt hast. Denke nur an den Skandal, wenn ich klagen müßte! Aber Du wirst vernünftig sein. Lebe wohl, Du hast es nicht anders gewollt. Marie." Dann hatte er den Brief vor sich ans die Fenster bank gelegt und versucht, sich von der Größe des Schlages, der ihn so unerwartet getroffen hatte, eine Vorstellung zu machen. In seinem Hirn siedete und toste es wie tausend Wasserstürze, wie vor Jahren die blaue Adria im Wintersturm, es pochte und hämmerte in seinen Schläfen, flirrende Farbenkreise sprühten vor seinen Augen. — „Das nimmt kein gutes Ende mit mir," sagte er laut und vernahm seine Stimme wie die eines Fremden ganz fern und leise; von Minute zu Minute verloren seine Glieder an Kraft und Biegsam keit. Bevor der volle Zusammenbruch seiner Kräfte kam, erledigte er noch eine Angelegenheit: mit bebenden starren Fingern, an denen die Nägel bleifarben geworden waren, entnahm er seiner Brieftasche einen Scheckschein und zeichnete mit unendlicher Mühe sechs Ziffern in die schraffierte Rubrik und darunter seinen Namen, ganz oben an den Rand aber „für meine Frau Marie." M öiMö And Wölls schwer an das Stuhlbein schlug, allein er verspürte keinen Schmerz. Immer betäubender brauste es in seinem Kopf, immer schneller drehten sich die Feuer räder vor seinen Augen, wie Orgelklang und Glocken ton und Gesang unzähliger Chöre erscholl es in der Ferne. — Als er erwachte, lag er zu Bett in seinem Zimmer; neben ihm auf dem Marmortischchen standen gelbe Himmelsschlüssel in einer rotbraunen Majolikovase. Heller Sonnenschein flutete voll ins Zimmer und um wob seine Thilda wie mit schimmernden Goldfäden; neben ihr stand der Bürgermeister mit dem alten, krummbeinigen Sanitätsrat. „Thilda!" rief er. Da kamen sie alle gelaufen und jubelten durcheinander und beglückwünschten ihn zur beginnenden Genesung. Genau vor drei Wochen war es gewesen, an einem Samstag wie heute. Er sah in den sonnigen Garten und sog in vollen Zügen den kräftigen Erdgeruch ein, den der Wind herüber wehte. Innige Dankbarkeit über das neugeschenkte Leben erfüllte ihn. Er wollte mit aller Kraft seines Willens schnell und vollständig gesunden und wieder an seinen Platz treten, den er vordem im Leben ein genommen hatte. Er besaß nunmehr wieder den Mut, sogar etwas wie Lust zum Leben, dessen Wert er im Angesichte des Todes schätzen gelernt hatte. Während der Krankheit war er ein Anderer geworden, wie er zu fühlen vermeinte. Worin diese Aendernng bestand vermochte er sich allerdings nicht zu sagen; das müßte die Zukunft lehren. Er glaubte sich einst weilen berechtigt, diese Aendernng, welche er in seinem Innern fühlte, auch auf die trübe Gruudstimmung, die seine letzten Lebensjahre beherrscht hatte, zu über tragen und zu hoffen, daß die kommende Zeit ihm die heißersehnte Herzensruhe bringen werde. Wie so oft schon seit seiner Wiedergenesung, nahm er sich auch jetzt wieder mit aller Entschlossenheit vor, dem wahren Glück alles zu opfern, wenn es ihm begegnete. „Thilda!" bat er fanft. Sie kam gehorsam an seine Seite und schmiegte sich an ihn. „Du wünschest, liebes Väterchen?" „Ist es nicht schon neun Uhr?" „Schon eine Viertelstunde darüber." „Hasselbeck oder Schefer müßte doch schon hier sein!" Die Beiden hatten während der Krankheit des Prinzipals die Geschäfte mit Fleiß und Umsicht ohne Unterbrechung weitergeführt; seitdem er sich auf dem Wege der Besserung befand, kam täglich um die neunte Morgenstunde einer von ihnen 'zur Berichterstattung in Johann Wilhelms Privatwohnung. „Es wird wohl gleich jemand kommen," antwortete Thilda beschwichtigend und streichelte ihm das eis graue, schon dünn werdende Haar. Johann Wilhelm ergriff die Hand seiner Tochter. Es war zu fühlen, daß sie in der letzten Zeit der Sorge um den Vater schmaler und schlaffer geworden war, und an den Fingerspitzen waren Runzeln. Einen Blick voll Liebe und Dankbarkeit warf der Millionär auf die schlanke Mädchengestalt an seiner Seite. Ja, die Krankheit hatte ihn nicht allein ver ändert, auch mit Thilda war eine Wandlung vorge gangen. Das Gesichtchen schien nicht allein durch das schlichte, schwarze Kleid, welches seine Tochter trug, so bleich. Die bange Sorge um den Vater, der Gram über den herzlosen Undank der Mutter und des Bruders hatten die einstige frische Farbe verblaßt, die weichen Züge vertieft und bleifarbene Ringe um die lieben, guten Augen gelegt. Es wurde wirklich Zeit, daß er voll auf gesundete, wenn nicht das Mädchen zu Grunde gehen sollte. Das gute Kind! Das Weiche, mitleidige Herz hatte sie von ihm geerbt. Von der Mutter hatte sie kaum einen Zug. (Fortsetzung folgt.) — Dieser Tage — so schreibt man der „Frkfrt. Ztg." — besuchte ich den Zoologischen Garten. Zahl reiches Publikum stand vor dem Löwenkäfig und be wunderte den König der Tiere. Dieser lag ausgestreckt, das mächtige Haupt auf die Vordertatzen gelegt und musterte mit weltverachtendem Philosophenblick die ihn anstaunenden Menschlein. Plötzlich erscholl eine Mnderstimme: „Mama, lug da, a Mäusle!" Aller Augen folgten dem Fingerzeig des Kindes und siehe da, ein Mäuslein war in der Tat hervorgekrochen und näherte sich, von Zeit zu Zeit schnuppernd um sich äugend, mit raschem Trippelschritt dem riesigen Raubtier. Es lief auf die Vordertatzen zu, zwei Finger breit von diesen entfernt, machte es Halt und schnupperte um sich. Atemlose Stille. Jetzt kriecht es die erste Tatze hinauf. Der Löwe macht eine ruckartige Be wegung mit dem Kopf und heftet einen durchdringen den Blick auf das kühne, winzige Tierchen. Die Maus hält inne und schnuppert zu den großen Augen des Löwen auf. Dann springt sie herab mitten zwischen beide Tatzen, auf die zweite hinauf, diese wieder hinab und schnuppert an einem Knochen, der von des Löwen Mahlzeit übrig geblieben war. Dieser, der bis dahin mit Kopf und Äugen jeder Bewegung des Mäuschens gefolgt war, nimmt keine weitere Notiz von ihm, sondern mustert wieder mit alter überlegener Würde das atemlos wartende Publikum. Das Mäuschen aber hält reichliche Mahlzeit von den Resten der Löwen-Mahlzeit, dann trippelt es weiter, kriecht durch das starke Gitter an den Rand des Käfigs und schnuppert, Männchen machend, in die nunmehr lebendig gewordene Menschenmenge. Ähnungslos verläßt es den Käfig. Kaum aber war es in den Bereich der Menschheit gelangt, als diese mit Stöcken und Steinen unter Johlen und Schreien seinem vertrauensvollen, schuld losen Leben ein Ende machte. Der Löwe, aus seiner philosophischen Beschaulichkeit aufgeweckt, ließ ein ver haltenes Knurren vernehmen und streckte sich verachtend zur Seite. Ich aber ging bestürzt und beschämt von dannen und fragte mich: Wo ist das Raubtier? Nachrichten des K.Standesamtes zu Reichenbrand vom 8. bis 14. August 1903. Geburten: Dem Fleischbeschauer Heinrich Gustav Seifert in Reichenbrand 1 Mädchen; dem Schlosser Albin Emil Meinert in Reichenbrand 1 Knabe; dem Nadelmacher Her mann Theodor Schubert in Reichenbrand 1 Mädchen; dem Maler Gotthold Richard Weißflog in Reichenbrand 1 Mäd chen; dem Fabrikarbeiter Robert Richard Köhler in Reichen brand 1 Knabe; dem Handarbeiter Martin Schuster in Reicheubrand 1 Mädchen. Aufgebote: Vakat. Eheschließungen: Der Stricker Otto Friedrich Schreiber in Grüna mit der Näherin Selma Lina Hartig in Reichenbrand. Sterbefällc: Vakat. Krpeditionszeit des Standesamtes. Wochentags: 8—12 Uhr Vorm, und 2—6 Uhr nachm. Sonntags: Vsl2—12 Uhr Vorm. nur zur Entgegennahme von Totgeburtsanzeigen. Nachrichten des Kgl. Standesamtes Rabenstein vom 7. bis 14. August 1903. Geburten: 1 Sohn dem Schraubendreher Paul Max Steuer in Rottluff. 1 Tochter dem Tischler Mathias Valentin Biegler in Rabenstein. Eheaufgebote: Keine. Eheschließungen: Keine. Sterbefällc: 1 Sohn des Wirtschaftsgehilfen Franz Julius Heinig in Rabenstein, 3 Monate alt. 1 Tochter des Schneiders Robert Max Werner in Rottluff, 2 Wochen alt; des Malers Ernst Friedrich Möckel in Rabenstein, 2 Monate 3 Wochen alt. Zusammen: 2 Geburten und zwar 1 männl, und 1 Weibl. — Eheaufgebote. — Eheschließungen. 3 Sterbefälle und zwar 1 männl, und 2 weibl. Geschäftszeit. .W 1» M > Ul üOW io Sonntags: 11—12 Uhr vorm. nur zur Entgegennahme von Totgeburtsauzeige«. Kirchliche Nachrichten. Parochie Reichenbrand. Am 10. Sonntag p. Irin, den 16. Ang. L. c. Vorm. ^9 Uhr Predigtgottesdienst. Parochie Rabenstein. Am 10. Sonntag x>. Irin, den 16. Aug. L. c. Vorm. 8 Uhr Beichte, ^9 Uhr Predigtgottesdienst mit hl. Abendmahl. — Kollekte für die Judenmission. Besetzerinnen für Dampfbetrieb sucht bei den höchsten Löhnen 6. Ikeolloi' Miien, Trikotagenfabrik, Reichenbrand. 1 gebr. Waschmaschine sehr billig zu verkaufen. Näheres bei Barbier Bast, Reichenbrand. in allen pneialagen, ßk.Lsmos ßk. 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