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UZ stellt ein Forschungsprojekt vor: Konfliktherd Nahost In der Ansprache anläßlich seiner Amtseinführung führte Magnifizenz Weiss u. a. aus, daß die Dritte-Weit- und Konfliktforschung im Ensemble der Dis ziplinen an der Alma Mat er Lipsiensis auch in Zukunft ihren Platz haben wer den. Anhand eines Forschungsprojektes zum Krisenherd Nahost möchten wir den Versuch unternehmen, notwendige Auf gaben und Ziele sowie mögliche Vor gehensweisen darzustellen. Der Nahen Osten gibt den mit ihm be rufsmäßig Befaßten wie dem interessier ten Zeitgenossen gleichermaßen Fragen und Rätsel auf. Wieso ist es nicht mög lich, den nunmehr fast ein halbes Jahr hundert währenden arabisch-israeli schen Konflikt beizulegen? Warum bre chen immer wieder Kriege aus, deren Sinn der Außenwelt weitgehend verbor gen bleibt, die sich über viele Jahre hinziehen, um schließlich ohne greifbare Ergebnisse zu enden? Der irakisch-irani sche Krieg dauerte von 1980 - 1988, der libanesische Bürgerkrieg, wenn er denn nun wirklich beendet sein sollte, hätte es auf fünfzehn Jahre ge bracht. Ähnliche Fragen drängen sich angesichts der Krise und des Krieges am Golf auf. Keineswegs zufällig wird angenom men, daß der biblische Garten Eden im Süden des heutigen Irak lag. Ein insgesamt günstiges Klima, aus reichende Wasserressourcen, relativ fruchtbarer Boden, eine Fülle von Bo denschätzen, darunter gut zehn Prozent der Weltölreserven, nicht zu dicht und nicht zu dünn besiedelt - das Land zwi ¬ schen Euphrat und Tigris ist potentiell ei nes der reichsten der Region. Mit einer zielklaren und maßvollen Politik wäre es in der arabischen Welt wohl am ehesten in der Lage gewesen, den Sprung vom Entwicklungs- zum Industrieland zu schaffen. Allein, es ist anders gekommen. Ein Großteil der aus dem Öl erzielten Milliarden erlöse wurde in die Rüstung gesteckt, und nach zwei Jahrzehnten Krieg, gegen die Kurden, gegen Iran, gegen Kuwait und schließlich gegen eine übermächtige Koalition mit den USA an der Spitze, liegt das Land in Trüm mern. Bürgerkriegsähnliche Zustände stellen seine territoriale Integrität in Frage. Warum diese Abfolge von Krise und Krieg, weshalb versagen die Mittel der Kriegsverhinderung, gibt es keine Mög lichkeit, die Konflikte politisch zu ent schärfen und schließlich zu lösen? What has gone wrong in the Middle East (Was ist im Nahen Osten falsch gelaufen?) lau tet die Hauptfrage eines gut besuchten Studienganges an der Universität Exeter (Großbritannien). Über diese und damit zusammenhän gende Fragen wird auch an unserer Uni versität nachgedacht, sowohl in der Ver gangenheit als auch gegenwärtig. Der ge sellschaftliche Umbruch der Jahre 1989/90 und die Vereinigung der beiden deutschen Staaten bieten - neben all den bekannten Problemen - neue Chancen, solche komplexen und schwierigen wis senschaftlichen Fragestellungen anzuge hen. Was für ein Projekt verfolgen wir? Es trägt den Arbeitstitel „Konflikt potentiale im Nahen und Mittleren Osten in den 90er Jahren“ und besteht aus vier Teilen. Nach einem gedrängten Rück blick auf die 80er Jahre werden im zwei ten Teil die - wie wir annehmen — wichtigsten Gegenwartsprobleme des Nahen Ostens auf ihre „Konfliktträch tigkeit“ abgeklopft: wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung, geistig religiöse Strömungen (Stichwort Islam), Militarisierungsprozesse, regionale Kriege und Konflikte, Umweltfragen, Bevölkerungsentwicklung. Im dritten Teil „Europa und der Nahe Osten im Nord-Süd-Konflikt“ geht es darum, die aus der Analyse gewonnenen Erkennt nisse zu einer Synthese zu verdichten. Der vierte Teil soll in konziser Form praktische Schlußfolgerungen und Emp fehlungen enthalten.Ob und in welchem Maße sich die von uns avisierten Ergeb nisformen realisieren lassen (wissen schaftliche Konferenzen, Workshop, Publikation) wird wesentlich von der Drittmittelunterstützung abhängen. Einen Antrag auf Sachbeihilfe haben wir bei der Deutschen Forschungsgemein schaft gestellt. Wir haben dieses Projekt initiiert, da wir der Auffassung sind, daß der Nahe und Mittlere Osten für Europa aufgrund der geographischen Nähe, der vielfälti gen historischen Bindungen, der welt wirtschaftlichen Verflechtung, der star ken Migrationsbewegungen, aber auch wegen politischen und moralischen Fak toren (Existenzrecht Israels, Holocaust, Flüchtlingselend) eine außerordentlich wichtige Region darstellt. Die sich dort bildenden Konfliktpotentiale und beson ders ihre eruptive Entladung zeitigen mit Notwendigkeit früher oder später Aus wirkungen auf Europa. Ein weiterer Ausgangspunkt unserer Überlegungen besteht darin, daß nach der letzlich überflüssigen, gefährlichen und enorme Ressourcen verzehrenden Ost- West-Konfrontation die Entstehung ei nerähnlichen Konfliktkonfiguration ent lang einer Nord-Süd-Achse mit unter Umständen noch fataleren Folgen ver hindert werden muß. Die im Rahmen des Projektes vorgesehene Forschungsarbeit verstehen wir als Versuch einer voraus schauenden Analyse von potentiellen bzw. bereits realen Konflikten im Nahen und Mittleren Osten, sowohl innerhalb von als auch zwischen Staaten. Dabei sollen auch Erkenntnisse für die zukünf tige Gestaltung des Verhältnisses zwi schen Europa und dieser Region ge wonnen werden. Vor allem möchten wir untersuchen, ob und wie wirtschaftliche, soziale, politi sche, ideell-kulturelle, militärische u. a. Entwicklungen diese Staaten in Krisen- und Konfliktsituationen bringen, welche Formen und Ausmaße der Konfliktrege lungsmöglichkeiten bestehen. Um zu diesen Ergebnissen zu gelangen, bemühen wir uns um die Verbindung von länderorientierten Fallstudien und über greifenden Problemstellungen, um die Bewertung bestehender und bevorste hender Konflikte, um die Rückschau und Prognose, um die Sichtweise unter schiedlicher Fachgebiete durch die Hin zuziehung von Spezialisten mehrerer europäischer Länder. Kurdische Opfer des Giftgasangriffs durch Saddam Husseins Soldaten auf die Stadt Halabcha am 17.3.1988. Grausiges Re sultat: 5 000 Tote, 10 000 Verwundete... (Repro: TIME) Tatsächlich wird ein solches Projekt nur zu bewältigen sein, wenn es inter disziplinär angelegt und international abgestützt wird. Zusagen zur Mitarbeit mit unterschiedlichem Verbindlichkeits grad liegen von Wissenschaftlern der Universitäten Tübingen, Hamburg, Exeter und Uppsala, vom Stockholmer Internationalen Friedensforschungs institut (SIPRI) sowie vom Schwedi schen Institut für Internationale Ange legenheiten vor. Wir gestehen gern, daß wir von diesem internationalen Sachverstand profitieren möchten - für uns und unsere Univer sität. Kontakte mit Fachkollegen sind da bei stets in vielfältiger Beziehung anre gend. In Uppsala erfuhren wir beispielswei se, daß das dortige Institut für Friedens- und Konfliktforschung jährlich ein inter national gut besuchtes, etwa vierwöchi ges Seminar zur Konfliktlösung ausrich tet. Allein als Teilnahmegebühr wird pro Person die nicht unbeträchtliche Summe von 8 000 US-Dollar erhoben... Dr. ROLF MÜLLER-SYRING Dr. sc. HENNER FÜRTIG, Sektion ANW Hannover (vws) Auf seiner ersten Sitzung in diesem Jahr hat das Kura torium der Volkswagen-Stiftung für die Inventarisation und Dokumentation des historischen Baubestandes in den neuen Bundesländern 3,65 Mio DM bereitgestellt. Ziel dieses Programms ist es, eine wissenschaftlich gesicherte Bestandsaufnahme der teilweise erst rangigen, aber stark gefährdeten Bau denkmäler in der früheren DDR zu erarbeiten, die als Grundlage für Er- haitungs- und Restaurierungsmaßnah men dienen kann. Gleichzeitig sollen Voraussetzungen für eine wissenschaft lich fundierte Denkmalpflege in den neuen Bundesländern geschaffen werden. Ferner wurde in das Förderprogramm der Stiftung ein neuer Schwerpunkt „Recht und Verhalten: Entstehung, Wirkung und Fortentwicklung von Recht im Kontext menschlichen Ver haltens“ aufgenommen. Recht und menschliches Verhalten sind vielfältig miteinander verbunden. So ist das Recht ein Instrument, menschliches Verhalten zu steuern und zu ordnen, gleichzeitig ist es selber eine besondere Erschei nungsform menschlichen Verhaltens. Ziel des neuen Förderschwerpunktes ist es, Forschungsarbeiten anzuregen, die diese wechselseitigen Beziehungen empirisch und interdisziplinär untersu chen. Angesprochen sind alle Teil gebiete des Rechts und Disziplinen der Rechtswissenschaft, gleichgewichtig aber auch die für das Recht relevanten ''erhaltenswissenschaftlichen Diszi plinen. Das Kuratorium traf ferner eine Rei he wichtiger Einzelentscheidungen, von denen hier nur wenige Beispiele ge nannt werden können. Insgesamt hat die Volkswagen-Stiftung im Jahre 1991 bereits rund 26 Mio DM bewilligt. Für den Aufbau einer Forschungs bibliothek des Internationalen Begeg- nungs- und Forschungszentrums für Informatik Schloß Dagstuhl (Saarland) die der Kunstgeschichte die Einbezie hung und Weiterentwicklung von Methoden der EDV-gestützten Infor mationsermittlung und -erschließung ermöglichen und damit neue Perspekti ven in Forschung und Lehre eröffnen soll. Neue Förderungen der VW-Stiftung hat die Stiftung als Starthilfe 2 Mio DM zur Verfügung gestellt. Das Zentrum, das im August 1990 seine Arbeit auf genommen hat, soll zu einer zentralen Begegnungs- und Forschungsstätte für die Informatik ausgebaut werden, ver gleichbar dem Mathematischen For schungsinstitut in Oberwolfach, das von der Volkswagen-Stiftung vielfältig gefördert worden ist. Erneut hat das Kuratorium Mittel bewilligt für die Einrichtung „Neuer Professuren“, mit denen die Volks wagen-Stiftung die fachliche Innovati on an den Hochschulen erleichtern und zugleich die Chancen für be rufungsfähige Wissenschaftler vor al lem der jüngeren Generation erhöhen will. Die Universität Marburg erhielt 620 000 DM für eine Professur, Die Einrichtung einer Professur zur juristischen Zeitgeschichte an der Uni versität Frankfurt wird von der Volks wagen-Stiftung mit 1 Mio DM unter stützt. In der Rechtsgeschichte, die bislang weitgehend bei der Behandlung von Themen aus Antike und Mittelalter verharrte, entwickelt sich ähnlich wie in der allgemeinen Geschichts wissenschaft in den letzten Jahren das Fach der (juristischen) Zeitge schichte. Mit der Finanzierung der „Neuen Professur“ will die Volks wagen-Stiftung dazu beitragen, daß die juristische Zeitgeschichte, die sich bisher vor allem in einzelnen Unter suchungen und in einer Reihe von neu gegründeten rechtswissenschaftlichen Zeitschriften niederschlägt, einen Kristallisationspunkt in der univer sitären Forschung und Lehre erhält. womit sich gleichzeitig dem wissen schaftlichen Nachwuchs auf diesem Gebiet attraktivere Perspektiven er öffnen dürften. Für eine interdisziplinäre Studie zur Vorbereitung eines Bodenschutzgeset zes erhält das Institut für wassergefähr dende Stoffe e. V. an der Technischen Universität Berlin 854 800 DM. In der Studie sollen die Instrumente rechtli chen Bodenschutzes auf ihre Wirksam keit untersucht und wissenschaftlich fundierte Vorschläge für künftig gesetz liche Regelungen erarbeitet werden. Die Untersuchung bezieht vergleichend die Entwicklungen in der Schweiz und in Südkorea ein, um eine einseitig durch die deutsche Rechts- und Gesellschafts entwicklung geprägte Sichtweise zu vermeiden und zu einem Regelwerk zu kommen, das möglichst auch interna tional transferfähig ist. Insgesamt 1 Mio DM erhalten das In stitut für Fabrikanlagen der Universität Hannover, das Institut für Steuerungs technik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen der Univer sität Stuttgart und das Institut für Werk zeugmaschinen und Betriebswissen schaften der Technischen Universität München für ein fachübergreifendes Gemeinschaftsprojekt „Entwicklung von Verfahren zur Produktionsregelung bei variantenreicher Serienfertigung“. Die heute bekannten Produktionspla- nungs- und Steuerungssysteme können den rapide wachsenden Forderungen nach kurzen Durchlaufzeiten, niedrigen Umlaufbeständen und verbesserter Lie ferbereitschaft nicht mehr gerecht wer den. Ziel des Projektes ist es, auf der Grundlage regelungstechnischer Theo rien neue umfassende anwendungsori entierte Modelle hierzu zu erarbeiten. Wider die dogmatische Philosophie Philosophie sollte nach der Ansicht der Marxisten-Leninisten uner ande rem die allgemeinsten Gesetze des Seins finden und lehren. Bei Stalin wurden 4 solche allge meinsten Gesetze des dialektischen Materialismus genannt. Nachdem Stalin seiner unglaublichen Verbre chen wegen in Mißkredit geriet, war oft die Rede davon, daß die Lehre des großen Führers des Weltproletariats zu primitiv gewesen sei und Weiteres folgen müsse. Als Ergänzung moch te auch das von Engels genannte Ge setz der Wechselwirkung erscheinen. Aber vor allem muß wohl kritisch angemerkt werden, daß es eigentlich wohl das Schwerste in der Wissen schaft ist, die allgemeinsten Gesetze des Seins zu finden, zu begründen und zu lehren. Mußte nicht bei demjeni gen ein ungeheures Fachwissen in den verschiedensten Bereichen erwartet werden, der von sich sagte, daß aus gerechnet er die allgemeinsten Geset ze des Seins kenne und die noch voll ständig? Gewiß, auch in einem Ein zelvorgang läßt sich bereits das „Ge setz“ fassen. Ein einzelner Stein fällt eben gemäß dem „Fallgesetz“, und die Gesetze der Planetenbewegung sind im wesentlichen an einem Pla neten ebenso festzustellen wie an mehreren. Aber wenn beispielsweise über die allgemeinsten Gesetze der „Entwicklung“ befunden werden sollte, die sowohl für die menschliche Gesellschaft wie für Himmelskörper, Organismen und Böden gelten muß ten, welcher Sachverstand mußte die sen Aussagen zugrundeliegen? Eine verallgemeinernde Hypothese oder Theorie wird in der Wissenschaft ge wiß nicht erst dann aufgestellt, wenn eine große Zahl von Einzeluntersu chungen vorliegt. Eine „Hypothese“ oder Theorie wird gewöhnlich aus wenigen, vielleicht gar einem Sach verhalt entwickelt und dann die Rea lität auf die Gültigkeit dieser „Hypo these“ überprüft. Charles Darwin ent wickelte seine Abstammungs„lehre“ aus noch vagen Beobachtungen auf seiner Weltreise 1831-1836. Aber mit der Hypothese oder Theorie ausgerü stet, haben sowohl Darwin als zahl reiche andere Forscher diese Theorie geprüft und immer wieder und wieder erheblich modifiziert. Die Probleme der Organismenentstehung gelten noch heute vielen als nur teilweise gelöst und die Forschung geht weiter. Die allgemeinsten Gesetze des Seins können in der menschlichen Wissenschaft wohl stets nur den Cha rakter von Hypothesen beanspruchen und bedürfen weiterhin ständiger Überprüfung, nicht der Vermittlung in ein „gefestigtes Bewußtsein“. Wie leicht werden Dogmen entwickelt! Wie naiv, wenn im 19. Jh. manche Gelehrte glaubten, daß der junge Mann Hegel die großartigste Einsicht in alle menschliche Geschichtsent wicklung habe, wenn er alles unter dem Gesichtswinkel von „These“ - „Antithese“ und „Synthese“ betrach tete. Wie leicht kann aus solchen Dog men, etwa über den Klassenkampf, unheilvoll das Schicksal von Millio nen Menschen bestimmt werden. Wer hätte eigentlich die Verantwortung dafür übernehmen können, daß solche Dogmen richtig sind? Aber, sehr dra stisch ausgedrückt, was für „Arschlöcher“ haben von sich be hauptet, mit höchster Einsicht ausge stattet zu sein? Der Wissenschafts philosoph Karl Popper stellte fest: „Wir Intellektuellen haben schreckli che Dinge gemacht.“ Sein sicherlich auch kritisch zu diskutierendes Werk „Das Elend des Historismus“ (deutsch 1974) widmete er „Dem An denken ungezählter Männer, Frauen und Kinder aller Länder, aller Ab stammungen, aller Überzeugungen“, die „Opfer von nationalistischen und kommunistischen Formen des Irr glaubens an unerbittliche Gesetze ei nes weltgeschichtlichen Ablaufs“ waren und sind. In der alten DDR war Popper sehr unbeliebt! Intellektuelle als Problem? Am 7. März 1889 schrieb Fürst Otto von Bismarck, 1871-1890 Kanzler des deutschen Kaiserreiches, an den preußi schen Minister für „kirchliche, Unter richts- und Medicinalangelegenheiten“, von Goßler, daß zu viele Lehrer ausge bildet werden. Manche könnten wegen fehlender Berufsaussichten niemals ih re aus der Studienzeit anstehenden Schulden bezahlen. Die Stimmung die ser enttäuschten Leute wäre gefährlich. Wie Bismarck ausführte: Die „Opposi- tion von dem einfachen Fortschritts mann bis hinab zum Sozialdemokraten und Communisten“ bezöge „ihre ge fährlichste Förderung aus den gebilde ten Kreisen..., es sind Leute, welche in Folge ihrer Erziehung Ansprüche an das Leben zu haben glauben ...“. Der Kultusminister stimmte dem zu. Ei ne „Überproduktion“ von Intellektuel len, also potentiell gefährlichen Leuten, wäre zu vermeiden. Auch andere deutsche Staaten ließen sich verneh men. Aus Weimar wurde mit Schreiben vom 6. Mai 1889 dem Reichskanzler versichert, „daß unsere beiderseitigen Auffassungen über die Schädlichkeit eines gelehrten Proletariats sich decken...“ Dieser Briefwechsel wirft Fragen auf, die für eine Demokratie von allerhöch ster Bedeutung sind! - Auf der einen Seite, das ist klar, kann eine moderne Gesellschaft nicht ohne höchst ausge bildete Fachleute bestehen. Es darfauch nicht nur Spezialisten geben. Auch die Grundregeln des Denkens, die kritische Haltung zu den Ergebnissen der Wis senschaft, muß von einer Reihe allge mein und philosophisch ausgebildeter Personen wahrgenommen werden. - Andererseits kann nicht jeder Professor, Lehrer, Forscher oder Manager sein. Es gibt eben auch Arbeiten, die ungeachtet ihrer Schwere von intellektueller Seite manchmal als „einfache“ bezeichnet werden. Wer darf das eine, wer das an dere? Sollte gewechselt werden? Wel che Bildung ist an alle zu vermitteln? Wie kann verhindert werden, daß die so genannte „Bildungselite“ sich allzu vie le Privilegien anmaßt? Gebildete haben nicht nur gute Eigenschaften! Jean Jacques Rousseau (1712-1778) warnte 1750 in Beantwortung einer Preisfrage der Akademie in Dijon, ob „die Wiederherstellung der Künste und Wissenschaften zur Verbesserung der Sitten beigetragen hat?“ vor gefähr lichen Auswirkungen der Wissen schaft für das Zusammenleben der Menschen. An sich, meinte Rousseau, wären die Wissenschaften „schön und erhaben“. Aber „das Herz“ des Menschen wäre zu sehr voller Leiden schaften, als daß er die Wissenschaften nicht übel anwenden sollte. Wer wissend und nicht naiv ist, der wird falsch, macht Keuschheit und an dere Tugenden lächerlich, schmeichelt dem Mächtigen und hintergeht andere doch. Auf Gleichheit ausgehende revolu tionäre Bewegungen haben schon seit der Französischen Revolution versucht, ein gleiches Bildungsniveau für alle ein zuführen. Möglichst sollte keiner sich über andere erheben. Im Geheimen ta ten das jene, die im Besitz des „Herr schaftswissens“ waren, natürlich doch. Und die fehlende Eliteauswahl nach Leistung hat schlimme Folgen nach sich gezogen! Aber Intellektuelle sind manchmal zu eigenwillig. - Der engli sche Schriftsteller Aldous Huxley (1894—1963) schreibt in seinem Science fiction-Roman „Schöne neue Welt“ (1932) von einem „Zypernexperiment". Dort, auf einem Phantasie-Zypern, soll ten nur „Alphas“, also höchstintelligen te Menschen, angesiedelt worden sein. Aber ihre Gesellschaft war rasch ver fallen. „Leute", meinte Huxley, „die vorübergehend für niedere Arbeiten eingesetzt waren, intrigierten unabläs sig, um höhere Posten zu erlangen, und alle Leute mit hohen Posten intrigierten gegen sie, um - koste es, was es wolle - ihre Stellung zu halten.“ Also wäre nur eine hierarchisch aufgebaute Gesell schaft mit abgestuften Intelligenzgra den allein stabil? Zumindest sollte jede Anmaßung der Intellektuellen kritisch gesehen werden. - Wenn Linke den Namen des Soziologen Helmut Schelsky (1912-1984) hören, mögen sie zum Protest neigen. Aber sein Buch „Die Arbeit tun die anderen. Klassen kampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen“ (1975) sollte eher zum Nachdenken anregen! Ist es nicht so, daß gewisse Leute sich als Nur- Intellektuelle fühlen und überall als „Sinn-Vermittler“ auftreten, auch un gefragt und ohne Kenntnis des Lebens? Ihr „Anarchistenlook“, ihre einheitliche Mao-Kleidung - war es das, was die arbeitenden Menschen wollten? - Einst waren die Intellektuellen hoch an gesehen. Als die Wanderversammlung der Gesellschaft deutscher Naturfor scher und Ärzte 1829 in Heidelberg tag te, waren „die Häuser neu angestri chen“, und 1856 waren auf einer Ex kursion der Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Wien alle „Gebäude sowie Lokomotiven in Kränzen und Blumen“ geschmückt. „Eine Masse Volks aus den umliegen den Ortschaften war herbeigekommen, um die Naturforscher zu sehen“, wird berichtet. Heute ist man kritischer. Viel wird von den Intelektuellen erwartet. Und Verantwortung für das Ganze, das ist mehr gefragt, denn jemals. Intelli genz ist auch nicht immer an akademi sche Grade gebunden; Mitdenken soll ten viele - trotz Bismarck. Dr. rer. nat. GOTTFRIED ZIRNSTEIN