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SO Lange hielten sich die beiden Frauen umschlungen, und allmählich versiegte Ilonas Tränenstrom. So sand sie Doktor Staudinger, der mit Bill Firth, der heule schon zur Mittagszeit gekommen war, die Terrasse betrat. * , * Vins kurz« Wegstunde, hart am Strande von Alexan drien, stand eine wundervolle Villa. Man nannte sie mit Recht: das Schloß am Meer. Der weit ausgedehnte, wundervolle Palmenwald, der das ganze Grundstück umsäumte, zog sich von der Meeresküste bis hinaus zu der kleinen Anhöhe, aus deren Mitte die Villa emporragte. Der Wunderliche, imposante Bau war schon von fern er sichtbar, und weckte das Interesse vieler Reisenden, Hne daß sich einer rühmen konnte, sie je betreten zu haben. Eine hohe Ziegelmauer schloß das Ganze noch dichter von der Außenwelt ab, und nur der Ausblick auf das offene Meer war freigeblieben. Das Haus war bis zu etwa zwei Meter Höhe aus weißen Steinquadern erbaut, auf denen dann ein moder ner, geschmackvoller Holzbau fußte. Die vordere Seite schmückten zehn wuchtige Marmor säulen, die eine große breite Terrasse stützten, zu der aus der Liese des Parks eine ebenfalls aus weißem Marmor bestehende, gewaltige Freitreppe emporführte. Es war noch früh am Morgen. Gerade wurden die mächtigen Flügeltüren, die auf die Terrasse mündeten, geöffnet, und ein Herr in weißem, ge schmackvollem Anzug trat hart an die Brüstung, und spähte lange nachdenklich über das Meer hinaus. ES war Ernö Karolanyi, der Herr dieser wunder schönen, einsamen Besitzung am Meer. AuS seinem scharsgeschnittenen, sonnengebräunten Ge sicht leuchteten zwei große, schwermütige Augen, der Mund erschien durch des Lebens hartes Leid fester zusammen gekniffen, und gab dem ganzen Gesichtsausdruck etwas Hartes, Abweisendes. In dem langen, weit aus der Stirn gekämmten Haar schimmerten Weiße Silbersträhnen, und zeigten den Mann, der die erste Stufe des Lebenswinters bereits überschritten hatte. Ein Diener erschien, deckte geräuschlos den Frühstücks tisch, und verschwand mit einer kurzen Verbeugung. Ernö Karolanyi rührte sich zuerst nicht, dann wandte er sich langsam dem Tisch zu, und ließ sich aus einen Sessel fallen. Doch der nachdenklich grüblerische Zug wich auch setzt nicht au- seinem Gesicht, und er schob sehr bald unlustig das silberne Kaffeeservice weit von sich. Ebenso unlustig griff er nun nach dem bereitliegenden ZeitungSblatt, das einzige, was ihn noch mit der Welt da draußen verband, mit dieser Welt, die er haßte, und der er, wo er nur konnte, aus dem Wege ging. Kurz studierte er die Kurse. Karolanyi war Inhaber vieler Handelshäuser, die sich bis weit nach Indien er streckten. Die Führung dieser Unternehmen ruhten in Hän den bewährter langjähriger Angestellter, während Karo lanyi selbst nur einmal im Jahre das Schloß am Meere verließ, um auf mehrwöchentltcher Reise eine sogenannte Revision abzuhalten. Sonst blieb er einsam, verkehrte mit niemandem und erschien nie in den Klubs der Europäer- Viertel. So war Ernö Karolanyi zu einer merkwürdig geheim- nisvollen Persönlichkeit geworden, von der die Welt aller- Hand zu sagen und zu berichten wußte: sensationelle Ge schichten, die die Wahrheit nicht im mindesten berührten. Von all dem Geschwätz und der Neugier seiner Um gebung nahm Ernö Karolanyi keinerlei Notiz, sa, es war die Frage, ob er es überhaupt wußte, daß man sich gerade mit seiner Person so viel und so eingehend beschäftigte. Ernö Karolanyi war auch dieses Jahr wieder einige Wochen unterwegs gewesen, und genau vor zwei Monaten au! seine Besitzung zurückaekebrt. Sonst einsam und allein, nur betreut von einem Kam merdiener, einem Koch und dem Chauffeur, der zugleich mit die Funktion eines Gärtners ausübte, hatte er dies mal von seiner Seereise zwei Menschen in sein einsames Haus mitgebracht. Ein junges Mädchen und deren Pflegerin. Seit dieser Zeit war seine Stirn sorgenvoll umwölkt, und aus den stets melancholisch blickenden Augen war der grüblerische Ausdruck nicht mehr gewichen. Von den gepflegten, von breiten Palmenwedeln be schatteten Kieswegen des Gartens kam jetzt ein leises knirschendes Geräusch, als wenn ein Wagen auf Gummi rädern vorübergeschoben würde. Ernö Karolanyi beugte sich über die Brüstung der Terrasse und sah hinab. - Sein Kammerdiener rollte gerade einen Fahrstuhl, im dem ein wunderschönes, zartes, junges Mädchen lag, nach einer Parkecke, in der der Chauffeur bereits einen breiten roten Sonnenschirm aufgestellt hatte. Neben dem Stuhl schritt in schlichtem, grauem Gewände eine katholische Schwester. »Gott im Himmel, diese Aehnlichkeit quält mich noch bis zum Wahnsinn', murmelte Ernö Karolanyi, und fuhr sich nervös über die tiesgefurchte Stirn. »Oft glaubte ich, daß alles nur Einbildung ist, aber je öfter ich sie sehe, um so mehr ist sie es, Bebe Milton, die kleine Chansonette, die ich unendlich geliebt habe.' Bebe Milton! Er lachte kurz auf. Bebe Milton! Wie konnte sie es sein? Tor, der er war. Bebe Milton war längst eine stattliche Matrone und lebte da irgendwo in Berlin als Minchen Müller, wie sie in Wirklichkeit ge heißen hatte, oder als die Frau eines biederen Schusters. Oder sollte sie vielleicht gar Karriere gemacht haben, sollte dieses zarte, junge Geschöpf da unten, das er dem sicheren Wellentode entrissen hatte, vielleicht ihre Tochter sein? Das Leben spielte oft seltsam und führte wunderliche Pfade! Ernö Karolanyi erhob sich und verließ, noch immer nachdenklich, langsamen Schrittes die Terrasse, und wandte sich dem Park zu. Auf halbem Wege kam ihm die Schwester entgegen, im Begriff, ihn aufzusuchen, um ihm den allmorgendlichen Bericht zu erstatten. .War Doktor Conning bereits da?' fragte Karolanyi, die Pflegerin freundlich begrüßend. .Er hat vor knapp einer Viertelstunde das Haus ver lassen und ordnete an, die Kranke jetzt täglich in der frischen Morgenluft zu fahren.' .Hat sie noch immer nicht gesprochen?' forschte der alte Herr weiter. „Nicht mehr als das rührende .Dankes wenn ich ihr eine Keine Handreichung machte. Sonst liegt sie apathisch, ohne von ihrer jeweiligen Umgebung Notiz zu nehmen, in ihren Kissen, und hält die Augen geschlossen.' .Und sie spricht nicht, auch dann nicht, wenn sie Doktor Conning etwas fragt?' .Nein, Mister Karolanyi, sie macht nur bejahende oder verneinende Bewegungen. Heute sagte Doktor Conning, daß es wohl besser sei, wenn wir die Aermste in ein Nervensanatortum brächten. Er glaubt, daß ihr Verstand durch die Schrecknisse des Schiffunterganges gelitten hat. zum mindesten hat sie das Gedächtnis ganz verloren.' .Entsetzlich', murmelte Karolanyi. .Sie bleibt hier', fuhr er dann auf. .Conning soll sich meinetwegen zum Teufel scheren, wenn er nichts versteht. Ich werde einen Nervenarzt aus Kairo kommen lassen. Oder sind Sie bereits der Pflege müde, Schwester?' .Wo denken Sie hin, Mister Karolanyi. Mir tut ja das arme, schöne Kind in tiefster Seele leid. Eine an genehmere und sanftere Kranke kann ich mir gar nicht Wünschen. Mir erscheint ihr Zustand jedoch langsam be-