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Beilage zur Weiheriy-Zeitung 98. Zahldang Freitag, am 2V. Dezember 1929 Nr. 295 ist, kommt «S aber liche Bedeutung di' Nach der Verkündung des Urteils in der Frage der Beamteneintragungen zum Volksbegehren gab der Vorsitzende des Staatsgerichtshofs Dr. Bumke, eine aus führliche Begründung des Urteils. Er bejahte darin zunächst das Borliegen einer VerfassungSstreitigkeU sehr wesentlich auf die staatsrecht- , eser Betätigung an. Die Einzeich- nung in die Listen eines zugelassenen Volksbegehrens nnd die Abstimmung bei dem sich daran anschließen den Volksentscheid ist rechtlich nicht die Ausübung des Petitionsrechts im Sinne von Artikel 126 der Rücktritt Hilferdings? Rene Schwierigkeiten in der Kreditfrage. — Kanzler» besprechung mit den Parteiführern. — Berlin, 19. Dezember. Im Reichstag verkantete am Donnerstag von neuen Schwierigkeiten, die sich in der Krage deS Neber- brücknngskrediteS ergebe« haben, gleichzeitig Härte man, daß die Stellung des Reichsfinanzministers Dr. Hil ferding in verschiedenen Fraktionen als erschüttert an gesehen werde, so daß ein Rücktritt des Ministers als wahrscheinlich angenommen werden könne. Große Beach» tung fand eine Konferenz der Führer der Regiernngs- parteien mit dem Reichskanzler. Rach der Konferenz beim Reichskanzler erstatteten die Unterhändler ihren Fraktionen Bericht. innerhalb eines Landes und erklärte, die beutschnätio- nalen Anträge seien nicht so aufzusassen, als wenn st« den preußischen Ministerpräsidenten und die Minister für eine DersassungSverletzung verantwortlich machen wollten. ReichSgerichtSprästdent Dr. Bumke fuhr fort: Die Durchführung des Volksbegehrens beruht auf Artikel 73 der Reichsverfassung. Ihrem Schutz dienen aber auch andere Bestimmungen der Reichsverfassung, insbesondere Artikel 130 Absatz 2. Er gewährleistet den Beamten die Freiheit ihrer politischen Meinung auch beim Volksbegehren. Er gilt für alle Beamten, auch für die preußischen. Lie in Artikel ISO, Absatz 2, der ReichSverfas- sung de» Beamten gewährleistete Freiheit, ihre Po- litisch« Gesinnnng zu äußern und zn betätigen findet allerdings ihre Schranken in den besonderen Pflichten, die den Beamten auf Grund ihres Amtes obliegen. Bei der Frage, ob die politische Betätigung «tneS Beamten mit seinen besonderen Pflichten vereinbar Pause in den Saarverhandlungen Fortsetzung der Konferenz am 10. Januar. — Rück kehr der deutschen Delegation znm WeihnachtSfest. — Berlin, 20. Dezember. Mit Rücksicht auf das bevorstehende Weihnachts fest sind die in Paris geführten deutsch-französischen Saarverhandlungen für kurze Zeit unterbrochen wor den. Die deutsch« Saardelegatiou hat Paris am Ton- nerstagnachmittag verlassen. Die Wiederaufnahme der Verhandlungen erfolgt am 10. Januar. Die Unterbrechung der deutsch-französischen Saar- konfevenz während der Weihnachtstage war bereits seit langem angekündigt. Mit welchen Erfolgen die deut schen Delegierten vorübergehend heimkehren, ist schwer zu beurteilen, weil die Verhandlungen streng vertrau lich geführt wurden. Bedeutsame Fortschritte zur Lö sung der Saarsrage dürsten jedoch bisher in Paris nicht erzielt worden sein. Die Differenz zwischen den 'Forderungen der Franzosen und den möglichen Zu geständnissen Deutschlands war von Anfang an sehr groß und wird inzwischen kaum geringer geworden sein. In deutschen Kreisen besteht zudem der Eindruck, daß die Franzosen bestrebt waren, sich die Hände frei zu halten. Sie haben so erreicht, daß die Schlutzkon- ferenz im Haag beginnt, ohne daß Klarheit in der Saar frage besteht. Es wäre nun zu wünschen, daß die deutsch-französischen Verhandlungen, wenn sie im Ja nuar, wenige Tage nach der Eröffnung der Schluß- konferenz, wieder ausgenommen werden, weit lebhafter als bisher geführt würden. London dementiert. - Keine Sanktions forderungen. Die englische Regierung veröffentlicht eine kurze Erklärung zu den sensationellen Mitteilungen des fran zösischen Journalisten Pertinax im „Echo de Paris" und stellt darin fest, daß die Gerüchte, der englische Schatzkanzler Snowden habe den Wunsch, Strafbestim mungen für den Fall der deutschen Zahlungsunfähigkeit in den Aoungplan auszunehmen, jeder Grundlage ent behren. Es bleibt also dabei, daß Pertinax Snowden vorgeschoben hat, um die Sanktionsfrage nochmals aufs Tapet zu bringen. Vaterland. Abgesehen von Rußland har aber auch England erheblich zur Verschärfung der Gegen sätze aus dem Balkan beigetragen. Jedenfalls sind die Dokumente in der Aktenveröfsentlichung nicht sel ten, aus denen hervorgeht, daß auch England Serbien recht häufig den Rücken gesteift hat. Die englische Presse aber tat alles, um Oesterreich bei den Kon flikten als den Schuldigen erscheinen zu lassen, ein gedenk des Stichwortes des britischen Auswärtigen Amtes, Oesterreich alle nur denkbaren Schwierigkeiten zu bereiten. Alles in allem hat die Veröffentlichung der öster reichischen Akten erneut gezeigt, wie völlig unbegründet der in Versailles verhängte Schuldsprüch ist. Der, Weltkrieg ist nicht durch teuflische Pläne der Mittel mächte ausgelöst worden, sondern der große Krieg der europäischen Völker hat seine Ursache in den tiefen Gegensätzen dieser Staaten im allgemeinen und in der österreichisch-serbischen Hochspannung aus dem Balkan im besonderen. Der Kampf Deutschlanvs und aller einsichtigen Männer gegen die Kriegsschuld lüge aber muß durch die Veröffentlichung der Akten der Wiener Geheimarchive einen neuen Auftrieb er halten. Wieder Einfuhrüberschuß im November. Im deutschen Ausfuhrhandel überwiegt nach den soeben veröffentlichten Ergebnissen im November wie der die Einfuhr. Während die Ausfuhr um rund 100 Millionen Mark auf 1153 Millionen Mark zu rückgegangen ist, ist die Einfuhr um 54,5 Millionen auf 1161 gestiegen; der Ueberschuß der Einfuhr über die Ausfuhr beträgt somit 8 Millionen Mark. Im Oktober war ein Ausfuhrüberschuß von 147 Millionen Mark zu verzeichnen. Die Zunahme der Einfuhr ist hauptsächlich auf die Steigerung der Rohstoffetnfuhr, der Rückgang der Ausfuhr dagegen auf die Abschwä chung der Fertigwarenaussuhr um 72 Millionen Mark zurückzuführen. Panzerkreuzer A als Franzosenschre«. Der Marineberichterstatter des „Daily Telegraph" schreibt, Frankreich habe während der Vorbesprechungen über die Flottenkonferenz zum Ausdruck gebrach, es könne sich mit der Gleichstellung der italienischen mit der französischen Flotte auch deshalb nicht einverstanden erklären, weil Deutschland im Rahmen des Versailler Vertrages eine zwar kleine, dafür aber sehr starke Kriegsflotte bauen könne und bereits mit dem Bau begonnen habe. Der neue deutsche Panzerkreuzer A, dieses „Taschenschlachtschiff", sei ein wahres Wunder werk, mit dem sich kein Kreuzer der Welt messen könne. Der „Daily Telegraph" bemerkt zu diesen Phanta stereien, es sei zu befürchten, daß Frankreich in London einfach jede Bindung mit dem Bemerken ablehnend werde, es müsse sich die Hände freihalten, weil es nicht wisse, wieviel weitere Wunderkreüzer Deutschland noch bauen werde. Beratung des Sofortprogramms. Zwei Reichstagssitzungen am Donnerstag. — Vegi»« der Plenardebatte über das AoNgefetz. — Berlin, den 19. Dezember 1929. Der Reichstag, der nach den letzten Dispositionen statt am Sonntag am Freitag die Weihnachtsferien beginnen will, hielt heute zwei Sitzungen ab, um auf- zuarbeiben. In der ersten Sitzung wurden di« zur Durchfuhr««- de» Sofort-Programm» von den Regierungspartei«« einge» Beamtenrecht und Volksbegehren Das Urteil des Staatsgerichtshofs. — Eintragungen und Stimmabgabe nicht strafbar. — Leipzig, 20. Dezember. In dem Verfassungsstreit um das Recht der Be amten, sich am Volksbegehren und am Volksentscheid zu beteiligen, hat der Staatsgerichtshof für das Deut sche Reich auf die Klage der deutschnationalen Land tagsfraktion in Preußen gegen das Land Preußen für Recht erkannt: Di- in Artikel 1S0 Absatz 2 der Reichsverfassung de« ««amte« gewährleistete Freiheit ihrer politischen Gesinnnng umfaßt das R«cht, sich bei einem zuge« lass«»«» Volksbegehren ohne Rücksicht auf dessen In halt einz« tragen und beim Volksentscheid abznstimmen. Di« nxitergehenden Antrag« werben abgewiesen Chronik des Tages. — Mit Rücksicht auf da» bevorstehende Weihnachtsfest sind die deutsch-französischen Saarverhandlungen unter brochen worden. „ . „ — Der Reichstag, der am Donnerstag über das So- fort-Programm und die TarifnoveUe verhandelte, will am heutigen Freitag die Weihnachtsferten beginnen. — Ab 2 Januar 1930 kostet in Berlin die Fahrt auf Straßenbahn, U-Bahn oder Omnibus für Erwachsene 25 gegen bisher 20 Pfennig, Schüler 15 gegen bis her 10 Pfennig. Einmaliges Umsteigen ist gestattet. — Im Kieler Munitionsprozeß wurden sämtliche An- geklagte freigesprochen. — Vor dem Bahnhof Mülheim-Ruhr-EPPinghoven fuhr eine Lokomotive in eine Arbeiterkolonne und forderte sechs Todesopfer. — — In Frankfurt a. M. wurde gegen sieben Beamte des Hochbauamtes ein Disziplinarverfahren wegen passi ver Bestechung eingeleitet. — In der Mordsache Berta Weinmann wurde ein 22iähriger Hilfsarbeiter aus München festgenommen. Die Erhebungen sind noch im Gange. — Die englischen Südafrikaflieger sind am Atlas- Gebirge tödlich abgestürzt. Der Weg zum Weltkrieg. Die Kriegsschuldfrage im Lichte der österreichischen Geheimakten. — Berlin, 20. Dezember. Dem Beispiel Deutschlands und Rußlands fol gend haben in den letzten Jahren fast alle am Welt krieg beteiligten Großmächte ihre Geheimarchive geöff net und die wichtigsten diplomatischen Akten aus den letzten Jahrzehnten vor dem Kriege veröffentlicht. Als letzter tritt jetzt die Macht auf den Plan, die im Welt krieg ihr Dasein verloren hat: Oesterreich-Un garn. Die Veröffentlichung der österreichisch-ungarischen Geheimakten begann in Wien in aller Stille und ohne große Reklame. Und doch verdienen gerade die öster reichischen Akten ernste Beachtung: den äußeren An laß zuw Weltkrieg gab die Ermordung des öster reichischen Thronfolgers ab, und diese Mordtat wiederum war nur ein Ausdruck der Spannungen auf dem Balkan. Aber auch noch aus einem anderen Grunde muß auf den Inhalt der Wiener Archive htnge- wiesen werden. Ist nicht auch Oesterreich-Ungarn ange klagt, durch seinen Machthunger den Weltkrieg ver schuldet zu haben? Das Studium der österreichischen Akten zeigt nun aber, daß das alte Oesterreich aus dem Balkan Arm in Arm mit Deutschland nicht finstere Pläne verfolgte, sondern daß es sich durchaus in der Abwehr befand! Der Balkan war vor dem Weltkrieg ein Gebiet werdender Völker und Staaten. Die Serben, die Bul garen, die Griechen und die Rumänen hatten in den Jahrzehnten zuvor das türkische Joch abgeschüttelt und erstrebten nun die Vereinigung aller Volksgenossen in einem Staat. Immer begehrlicher blickten sie auf die von ihren Volksgenossen besiedelten Gebiete in der alten Donaumonarchie, immer glühender wurde ihr Hatz gegen Wien, immer größer ihre Gier nach Macht und Land. Deutlich zeigt sich beim Lesen der Akten, daß Oesterreich-Ungarn am Balkan nichts gewinnen wollte, sondern daß es sich nur dagegen wehrte, etwas ein zubüßen. Die Balkanstaaten dagegen waren im An griff, sie wollten der Donaumonarchie weite Gebiete entreißen, und in Serbien entfaltete der Geheimbund der „Schwarzen Hand" eine große Agitatton für den großserbischen Staat. Agitation ist ein gutes Recht der Politik; aber die „Schwarze Hand" kämpfte nicht nur mit der Waffe Des Wortes und der Schrift für ihre Ziele, sie orga nisierte auch Verschwörungen und schreckte selbst da vor nicht zurück, den Mord als politische Waffe zu benutzen! Ihre Wühlereien bildeten eine schlimme Ge fahr für den Bestand des österreichischen Staates, ihre Propaganda der Tat eine Herausforderung, die keine Großmacht unbeanstandet lassen konnte. Und ooch hat Oesterreich-Ungarn vieles eingesteckt, ohne zu den Waffen zu greifen und den Angreifer niederzu- Magen. Selbstverständlich gab es in Wien auch Männer die zuweilen ein kräftiges Wort liebten und einschnei dende Maßnahmen für erforderlich hielten. So enthält di« Wiener Aktenpublikation z. B. manches Dokument kr dem der Generalstabschef Konrad v. Hoetzendorf den ' Präventivkrieg befürwortet. Entscheidend ist aber, daß > diese Männer auf den Gang der österreichischen Außen- l Politik keinen entscheidenden Einfluß zu gewinnen ver- - Dochten, sondern der alte Kaiser Franz Joseph und lein Außenminister Aerenthai eine klare konser- »ative Politik trieben, die sich darauf beschränkte, Aas Vorhanden« zu erhalten. Und entscheidend ist fer ner, daß Deutschland Oesterreich-Ungarn nicht zu Ueber- strtsfen ermunterte, sondern gleichfalls im Sinne der krhaltung des Friedens wirkte! Ueber die einzelnen Handlungen der Berliner v»p Wiener Diplomatie mag man denken wie man Dill, für die Beurteilung der österreichischen Politik At der Grundzug dieser Politik maßgebend, und dieser Mrundzug war ein friedlicher! Was die übrigen Mächte angeht, so zeigen auch Pie österreichischen Akten wieder, wie groß die Ver antwortung des zaristischen Rußlands ist, dessen Außen- Minister Iswolski, von Ehrgeiz und Hatz getrieben, Nichts unversucht ließ, um den Frieden zu unter graben und die Mächte gegen Wien aufzuputschen. DaS ist dem Verschwörer Iswolski zwar gelungen, aber L» den Opfern seiner Politik gehört auch sein eigenes Rcichsverfassung, sondern sie ist Teilnahme an der Volksgesetzg«bung. Diese Volksgesetzgebung ist der unmittelbare Weg zur Verwirklichung des Hauptgrundsatzes der Reichs verfassung: die Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie kann daher ebenso wie die Stimmabgabe bei der Reichstagswahl keinen beamtenrechtlichen Bindungen unterliegen, vielmehr steht die Teilnahme am Volks begehren und Volksentscheid ohne Rücksicht aus seinen Inhalt allen Beamten frei. Nu» ist eS allerdings richtig, daß das preußisch« Staatsministerium den ihm unterstellten Beamte« dl« Teilnahme am Volksbegehren «»d Volksentscheid nicht verboten hat. Die Gesamtheit seiner Kundgebung ließ aber in den Beamten die Besürchtnng anskommen, daß sie sich schon durch Einzeichnung i» die Listen und durch bloße Stimmabgabe einer disziplinarische» Ahn dung anSfetzen könnten. Dieser Zustand beeinträch tigt die durch Art. 125 der Reichsverfassung u-ch be sonders geschützte Wahlfreiheit und steht dicher mit de» Grundsätze» der ReichSverfaffuug nicht i« Einklang. Die Behandlung der Werbetätigkeit. Darüber hinaus allerdings gewährt die Reichs verfassung den Beamten keinen besonderen Schutz für ihre Teilnahme an der Volksgesetzgebung. Jede Wer betätigkeit kann eine Verletzung der besonderen Beamtenpflichten enthalten und daher mit der Beam- tenstsllung unverträglich sein. Insbesondere ist die Ansicht der Antragstellerin unrichtig, daß nicht schon aus dem bloßen Inhalt eines -»gelassenen Volksbe gehrens gefolgert werden dürfe, vah das Eintreten dafür beamtenrechtlich unzulässig sei. Ob der Inhalt ein«S Volksbegehrens derart ist, daß die Beamte» über Eintragung und Stimmabgabe hinaus an seiner D»rch- setzung nicht Mitwirken, darüber ist im Einzelfall vor ven Disziplinargerichten zu entscheiden. Grundsätzlich unzulässig ist ein disziplinarisches Borgehen auS die sem Grunde nicht.