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Beilage zur Weitzeritz-Zeitung Nr 271 Freitag, am 22. November 1929 95. Jahrgang Chronik des Tages. — In der Eröffnungssitzung der deutsch-französischen. Saarkonferenz wurden drei Unterausschüsse eingesetzt. — Die Neichsregierung hat zunächst für 1V0V deutsch russische Bauern die Einreiseerlaubnis erteilt. — In Kassel begann der Reichsparteitag der Deutsch nationalen Volkspartei. — Beim Zusammenbruch des Bankhauses Bürkle u. Co. in Freiburg i. Br. soll der Deutsche CharttaS-Berband einen Verlust von 300 000 Mark, das Kloster Sankt Truk- . berg einen Verlust von 500 000 Mark erlitten haben. — In Wien hat der Erfinder des „fliegenden Motor rades", Karl Czerny, Selbstmord begangen, ewil er „nichts als Ruhe haben" wollte. — Die Bank von England hat in ihrer letzten Bev- waltunaSsttzung beschlossen, den Diskontsatz um V» v. H. auf 5V- v. H zu ermäßigen. — Unter dem Vorsitz von Lord Cecil hat sich in London ein Ausschuß gebildet, der Geldmittel sammeln will, um die alte „Fram", das Schiff, mit dem seinerzeit Fridtjof Nansen seine denkwürdige Arktis-Forschung durch, führt«, zu erhalten. Der vergessene Osten. — Berlin, 28. November. Seit Jahren stand di« Rheinlandfrage im Mittelpunkt der politischen Erörterungen. Di« deutsche Außenpolitik hatte unverkennbar ihr« Hauptaufgabe darin gesehen, zunächst einmal im Westen reinen Tisch zu machen. To kam es, daß der Westen die ganzen Jahre hindurch im Brennpunkt des öffentlichen In teresses stand, während der deutsche Osten gewisser maßen wie ein Stiefkind behandelt und immer mehr in den Hintergrund gedrängt wurd«. Hier ist jetzt eine gründliche Wandlung nötig! Di« Voraussetzungen dafür sind gegeben. Der bevorstehend« Abschluß oe« AoungplaneS, die endlich geglückte Befreiung des Rhein landes und die schwebenden Verhandlungen über die Lösung der künstlich geschaffenen Saarstage lassen «S angebracht sein, di« deutsche Oeffentlichkeit von neuem auf die gewaltigen Schäden aufmerksam zu machen, di« die Grenzziehung im deutschen Osten im Gefolge hatte. Schon ein Blick aus die Karte müßte genügst, - um die großen Verluste, di« das Deutsche Reich durch den Friedensvertrag im Osten erlitten hat, in ihrer ungeheuren Tragweite zu erkennen. Während der Westen und der Norden «in Gebiet von 1 95V 030 Hek tar mit 2100 36K Einwohnern eingebüht haben, hat der Osten k 102 918 Hektar mit 4 375 285 Einwohnern, also mehr als das Doppelte an Land und Leuten, ver loren. Das Schwergewicht unserer Ver luste liegt demnach im Osten! Diese Verluste sind um so schwerwiegender, weil di« Grenzziehung noch mit einer Willkür und Brutalität vorgenommen worden ist, die dem vielgepriesenen Grundsatz des freien Selbstbestimmungsrechtes der Völker geradezu Hohn spricht. Entgegen der Waffenstillstanosabred« sind weite Teile der deutschen Ostmark rücksichtslos von Deutschland abgetrennt worden, obwohl die Bevöl kerung nicht unzweifelhaft polnisch war. Rein deutsch« Gebiete wurdön kurzerhand dem neuen polnischen Staate einverleibt, oder, wie das urdeutsche Danzig, in ein lebensunfähiges Staatengebilde umgewandelt. Selbst dort, wo es zu einer Abstimmung kam, z. B. in Oberschlesien, wurde der klare Spruch der Bevöl kerung achtlos beiseitegeschoben und die neue Grenz« skrupellos mitten durch das oberschlesische Industriege biet gezogen. An vielen anderen Stellen der Ost- grenze, so z. B. in Niederschlesien, in der Grenzmark Posen-Westpreußen und in Pommern wurde die Grenze nach rein strategischen Gesichtspunkten festgelegt, olMe Rücksicht darauf, daß die deutsche Bevölkerung dadurch von ihrem Mutterland und ihrem Kultur zentrum losgertssen wurde, daß dem Wirtschaftsleben des deutschgebliebenen Ostens unheilbare Wunden ge schlagen, die bestehenden Verkehrswege zerrissen und die meist in dem abgetretenen Gebiete liegenden Ab satzmärkte mit einem Schlag gesperrt wurden. Ganz abgesehen auch davon, daß durch die Grenz ziehung — die Reichshauptstadt liegt nur 156 Kilo meter, eine knappe Flugstunde, von der neuen Grenze entfernt — die politische Sicherheit des Reiches aufs Die Äzer^eitzung durch Versailles in Genf ist und bleibt ein schweres Unrecht, das völkerver giftend wirken muß. Sie ist ein schweres Verbrechen gegen das deutsche Volkstum, gegen Wirtschaft und Vvlkswohlfahrt. Deutschland hat deshalb einen un verlierbaren Anspruch aus eine Revision der Ostgrcnze, auch im Interesse einer wahrst Befriedung Europas. Eine Anerkennung der Ostgrenzen oder die Aufgabe wirklich grundlegender Ansprüche für die Reviston der Ostgrenzen ist deshalb unmöglich, alle Teile Deutschlands sollten darin ebenso zum Osten stehen wie der Osten dem Westen beigestanden hat in der Frage von Nuhrbesetzung und Nheinlandräumung. Gegenwärtig hat man allerdings im Osten dal Empfinden — und das Nicht mit Unrecht —, daß Regierung und Parlament es an dem nötigen Der. ständnis für die bedrohliche Lage deS deutschen Ostens fehlen lassen. An den maßgebenden Stellen in Berlin, so sagt man sich im Osten, ist man sich offenbar gar nicht dessen bewußt, daß di« Leute in der Ostmark aus einem politisch, wirtschaftlich und kulturell überaus gefährdeten Vorposten stehen. Während die Polen kein« Mittel und Anstrengungen scheuen, um ihre neuge wonnene Stellung auszubauen und in ihrem Land hunger darüber hinaus immer weiter nach Westen vorzudringen suchen, scheint man sich auf deutscher Seite des Ernstes der Gefahr leider auch zur Stunde Noch nicht in vollem Umfange bewußt zu sein. Sonst muyte vte Front im Osten eine ganz andere Rücken, stärkung im Reiche finden. Was bisher an finan ziellen Mitteln in die Ostprodtnzen geflossen ist, ge nügt bei weitem nicht, um die ungeheuren Kriegs schäden im deutschen Osten zu lindern. Gewiß, es ist schon manches geschehen, das wird auch im Osten dankbar anerkannt, aber die Not ist ungeheuer groß, und was der deutsche Osten bisher an Staatsmfttem zum Wiederaufbau des zerrissenen Straßennetzes usw. erhalten hat, ist nur ein Bruchteil dessen, was er forderlich ist, um die Schäden des Weltkrieges und der verhängnisvollen Grenzziehung einigermaßen aus- zugleichen, geschweige denn, die Ostmark zum Boll werk des Deutschtums zu machen. Es ist das drin gende Gebot der Stunde, Än« einheitliche und großzügige Hilfe für die sechs Ostprovinzen zu organisieren. Dem Westen ist bisher das Wohlwollen des deutschen Volkes in reichem Maße zuteil gewor den, nun gilt eS, den Blick mehr und mehr nach Osten zu wenden und unsere Brüder in der bedrohten Ost mark in ihrem schweren Kampfe zu stützen und damit auch das Reich selbst zu stärken. Denn die Ostprobleme find und. bleibe« die Schicksalsfragen Deutsch, lands. Der Saarkampf entbrannt. Die erste Sitzung in' Paris .— Drei Unterausschüsse eingesetzt. — Paris, 23. November. «m LnnnerStag wurde im große« Speisesaal d«S französischen Außenministeriums di« deutsch-franzSsi- sche Ssudertouferenz zur Siegelung der Saarfrage er öffnet. von der deutschen Delegation erschien als erster ihr Vorsitzender, Staatssekretär z. D. von Stin son. I« Begleitung des deutsche« Delegatio«Sch«fS befand sich Botschafter po« Hoesch, doch «ah« der deut sche Botschafter an den Verhandlung«« seldst nicht teil. Bor der Eröffnung der Konferenz hatte Staatssekre tär do« Simso« «och dem fra«zöstschen Anße«mi«r. ster Brian» und dem Generalsekretär im Auswärtige« Amt eitteu Besuch adgestattet. Die erste Sitzung der deutschen und französischen Unterhändler war nichtöffentlich. Zur Begrüßung der deutschen Delegation nahm der Vorsitzende der fran- »üfischen Abordnung, der Minister für öffentliche Ar. betten, Pernot, das Wort. Kür die Deutschen erwi. derte Staatssekretär von Simson, wobei er — ein guter Kenner der Verhältnisse und der Wirtschaft des Saargebietes — die deutschen Ansichten über di« Lö sung der in Versailles künstlich geschaffenen Saarfrag« darlegte. Das praktisch« Ergebnis der ersten Sitzung war die Bildung von drei Unterausschüssen, in denen nunmehr der Kampf um die Befreiung des Saar landes fortgeführt werden wcrd. Nach Beendigung der Eröffnungssitzung wurde eine amtliche Mitteilung verbreitet, zu deren Abfassung man eine Stunde Zeit benötigt hatte. Besondere Schlüsse läßt dieses Communiqu? jedoch nicht zu, eS beschränkt sich vielmehr auf die Wiedergabe des äußeren VeAaufs der Eröffnungssitzung. Sem Wortlaut ist folgender: Die deutsch-französischen Verhandlungen über die Saarfrage haben im Außenministerium begonnen. Der Minister für öffentliche Arbeiten Pernot, der Vor- sitzende der französischen Delegation, hat die deutsch« Abordnung begrüßt, die Aufgaben der Konferenz dar gelegt, und den Wunsch der französischen Delegation zum Ausdruck gebracht, zu einer Verständigung zu ge- langen, die geeignet ist, die wirtschaftlichen Beziehun- gen zwischen den beiden Ländern zu fördern. Herr von Simson, der Vorsitzende der deutschen Delega tion, hat auf die Ansprache Pernots geantwortet, in dem er zum Ausdruck brachte, daß die deutsche De legation den gleichen Wunsch habe und indem er das von Deutschland in diesen Verhandlungen exstrebte Ziel bargelegl hat. Im Anschluß hieran wurde geprüft, welche Ber- hanvlungSmethodc Vie zweckmäßigste ist. Es wurve »i« Bildung von vrei Unterausschüsse« beschlossen; es sind Vies: ein Nnteransschnß für Bergwerksfragen, ei« Un terausschuß für Handels- und Zollfragen und drittens ein Unterausschuß für juristische Frag«»». Kerner wurde vereinbart, daß diese Unterausschüsse zusammentret«« sollen, sobald das Arbeitsprogramm von de« Vorsitzen den beider Delegationen sestgelegt ist. * Lange Dauer der Konferenz. Ausgangspunkt der deutsch-französischen Saarver» vandlungen sind die Abmachungen zwischen Strese mann und Briand im Haag, wie st« in dem Brieft wechsel vom 30. August niedergelegt find. Rach ««sicht der Reich»r«gier««g ««» d«S Vent, schen Volkes darf bei »er Regelung der im Haag ans, geworfenen Kragen di« Lös««- der Saarfrage ««ter keine« Umständen fehle«. Tragbar Ist fiir ««S jedoch «ur «in« solche Lösung, d«rch di« da» Saarland ««. verziiglich de« Deutsch«« «eich wi«d«r ««gegkiedert wird und d«rch di« da» Eigent«« a« den Saar, gruben von dem französische« wieder «ms de« preußi- schen «n» bayerischen Staat übergeht. Für die Aushandlung des RückkaufSpreiseS find der deutschen Delegation enge Grenzen gezogen. Bon dem Neuaufbau de« Zoll- und Wirtschaftssystems bars Frankreich keine unbilligen Preisvortetle für seins Wirtschaft erhoffen, da man Deutschland nicht W muten kann, den Absatz der französischen JndusttH im Saargebiet aus deutsche Kosten zu erleichtern. Antz gesichts der übertriebenen Erwartungen Frankreichs hiH sichtlich der deutschen Gegenleistungen für die vorzeH tige Freigabe des Saargebietes ist eine lange Dauetz der Saarkonferenz mit Bestimmtheit vorauSzusKgen. BÄ zum Herbst 1930 — wie es einig« Franzos« als mög, lich hinstellen - dürfen sich di« Verhandlungen freiM nicht hinztehen! Für wahre Volksgemeinschaft. Kundgebung der »Katholischen Aktion Berlin". — Gin« Ansprache deS Bischof» Dr. Schreiber. 0I d«l Pichst, Der Btschos sei PvarmÜ d«.Papst, verbunden, er habe aber auch unermeßliche SAVe Mw deutschen Volke. sei et« Unrechh des Volke» M eim^ver Per, und « set PMchtz müßte« mit chevde«. BA detz betont« Hst chtnur für dst Antreten, svrüwrn , sozinbe« «Kd zum neuen Staat aus Liebs zum « zeugung. Die Revolution a» KB aber dadurch, daß sich die die Republik erklärt habe, s 'assung geltendes Recht :des Kacholiken, jeden neuen m stürz abzu lehnen. Bestehe erfassungsmähigen Mitteln k Behandlung der brennende» Die „Katholische Aktion" in Berlin veranstaltet« im Sportpalast eine Kundgebung, in deren Mittelpunkt eine Rede des neuen Bischofs von Berlin, Dr> Schrei« ber, stand. Bischof Dr. Schreiber, der bet seinem Einzug in vollem Ornat von den 12 000 Anwesenden begeistert begrüßt wurde, legte in programmatischen Ausfüh rungen feine Auffassung über di« Ausgabe des m» schüflichen Amtes dar. Stärkster Beifall wurde ihm zuteil, als er auf di« Politischen Fragen eingehend die Zurückstellung der konfessionellen Ge gensätze und die Schaffung einer wahr«« VolkSge» meinschast forderte. Er, der Bis Im Laufe der Veranstaltung wurde an de» Reichs, Präsidenten von ' gesandt; die des Antwort: die Versammlung d cm. Ein zt ging an den Papst. — Unter den lich Versammlung betnxchnten, sah man I a. D. Marx und die Reichsminister w gerwald, Wirth und GchätzÄ. Deutschnationaler Parteitag, Der Auftakt der Kasseler Tagung. — Reserate über Wirtschastsfragen und Steuerreform. — Kassel, 22. November. Der diesjährige Reichsparteitag der Deutschna- nonalen Volkspartei, der in Kassel stattfindet, nahm mit einer Sitzung des Parteivorstandes und Sonder tagungen der Ausschüsse seinen Anfang. Im Hin blick auf die innenpolitisch« Lage steht man dem Ver lauf des deutschnationalen Parteitags allseits mit großem Interesse entgegen. " Im Arbeitsausschuß deutschnationaler Industriel ler führte Reichstagsabgeordneter Leopold aus, daß die deutsche Wirtschaft trotz der staatlichen Bevormun dung in der Lage gewesen sei. dem Volke Beschäf tigung und Arbeit zu geben, sei ein Verdienst des privatwirtschaftlichen Schaffens. Der nächste Redner, Abgeordneter Dr. Oberfohren, wandte sich gegen die Forderung aus Herabsetzung des steuerfreien Exi stenzminimums und bezeichnete es als unerwünscht, wenn der Kreis der von direkten Steuern befreiten Ein kommen noch vergrößert werd«. Notwendig sei die so fortige Aufhebung der Jndustriebelastung und der Ren tenbank-Zinsen, ferner sei Äne radikale Senkung der Realsteuern am Platze. Im landwirtschaftlichen Reichsausschutz erklärte der Präsident des Landbundes Schiele, die Not der Landwirtschaft könne nur dann beseitigt werden, wenn mindestens 250 Stimmen im Reichstag für die not wendigen Agrargesetz« gewonnen würden. Kührertagung de» Reichälairvbunves. — Berlin, 22. November. Am heutigen Freitag und am Sonnabend findet in Berlin die diesjährige Führertagung des Reichslandbundes statt. Die Tagung steht unter dem Leitgedanken: „Der deutsche Bauer und das deutsche Volkstum." Die Fükrertagung soll den engen Zusammenhang zwischen landwirtschaftlicher Rentabilität, Landflucht, Geburtenrückgang, Landarbei terfragen und den Fortbestand des deutschen BolkStumS inner- und außerhalb der Reichsgrenzen darlegen. Die Stütz««- des Roggenmarttes. »lwe amtliche Mitte»««-. An einer amtlichen Mitteilung, die sich «tt den Maßnahmen zur Stützung de« Roggenmarktes be schäftigt, heißt «S u. a.: Der Gedanke, durch Einführung eines Beimah- lunaszwanges von Rogge« Mm Wetzen einen ver mehrten Roggenverbrauch M erziele«, hat sich iw- folge unüberwtndltcher technischer Schwierigkeiten als durchführbar herauSg«steltt. ES bleibt daher nur übria. einen Anreiz »ur verstärkte« Noggenverfütt«-