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Ls ist schon lange her, und ich war damals noch so klein, daß ich eben erst das siebente Gebot auswendig gelernt hatte. Kur; genug war es ja, aber für ein braves kleines Mädchen wohl ziemlich überflüssig l Denn solch kleines Mädchen ist doch kein Spitzbube, der sich in fremde Häuser schleicht, um den Leuten etwas fortzunehmen. Nein, da hätte Silber und Gold haufenweise liegen können, ich würde nichts davon an» gerührt hoben. war rin schöner Lag, und ich war mit meiner etwas älteren Freundin Linchen in unserem Garten. Der Garten war sehr hübsch. Die Laube hatte mein Vater selbst gezimmert, und das 2mmergrünbee1 davor gehörte mir Auf den schönen Grasplätzen zwischen den Obstbävmen weidete unsere Ziege, und aus die rirlrn Vslaumen, Birnen und Apfel an den Baumen konnte man sich freuen, solange he unreif waren. Wenn sie reif wurden, so holten sich die werten Spitzbuben. Denn der Garte" hatte einen großen Fehler, er befand '.ch gute zehn Minuten von unserem House erlernt, und das liebten die Spitzbuben sehr. Noch einen anderen Fehler bemerkte ich an dem Sorten: Ls standen wohl eine Menge Zohannisberr- sträucher darin, — und die Zohannirbeeren ließen die großmütigen Spitzbuben uns — aber kein einziger Stachelbeerbusch war vorhanden. Nebenan, nur durch einen Querstangen- zauo von dem unsern getrennt, war der Garten des Amtmanns. Dort standen viele, viele Stachelbeerbllsche. Der Amtmann hatte es überhaupt besser als wir; sein Haus stand dicht hinter dem Garten. Linchen und ich beschäftigten uns mit Zohannisbeerenessen. Zammerschade war es ja, daß wir nur Zohannisbeeren hatten; denn weil wir nur Zohannisbeeren hatten, ——— machten Linchen und ich uns natürlich gar nicht viel aus ihnen, und weil wir keine Stachelbeeren hatten, mochten wir Stachel beeren Uber alles gern. Ansehen mußten wir uns die schönen Stachelbeeren drüben doch. Wir stellten uns an den Zaun und blickten trübsinnig hin über. Nein, wie voll die Sträucher hingen! Ob wohl die roten oder die grünen Beeren besser schmecken mochten? Ach, wenn man doch da drüben hinter einem solchen Strauche sitzen und schmausen könnte! Sehen können würde uns dort kein Mensch. Ls würde auch niemand merken, wenn dort ein paar Hände voll Stachelbeeren weniger hingen. Die ersten Sträucher der Neihe waren ganz nahe. Wenn der Zaun ein paar Schritte weiter hierstände, so würden sie überhaupt uns gehören. Wenn man bloß schnell einmal durch den Zaun schlüpfte und ein paar Beeren kostete? Nur um zu sehen, wie sie schmeckten. „Nein, nein, nein!" sagte ich, als diese» Sedanke zuerst ausgesprochen wurde. Aber Lie Beeren winkten: ,Za, ja, jal" Und im nächsten Augenblick saßen wir beide, Linchen zur Linken und ich zur Rechten de» Mittel weges, je hinter einem Stachelbeerstrauch. Diese ersten Sträucher trugen nicht so gute Beeren wie die nächsten, daher glitten wir weiter zum zweiten Strauch in der langen Neihe. Die Beeren schmeckten prächtig. Ligentlich war es ja nur »in bißchen Kosten", und auch ein bißchen Vergeltung ' war er; denn man hatte uns erzählt. daA des Amtmanns Knechte in aller Früh« nr unserem Garten die besten Apfel und Birnen naschten. Natürlich wußte der Herr Amt mann nichts davon. Schon begannen wir uns hinter unseren Sträuchern ganz gemütlich zu fühlen, als