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seit gestern vollzogen hatte. Und weil er noch nicht daran glauben konnte, kam er ihrer Aufforderung nur zögernd nach. »Lotte ist ein sehr kluges Mädchen.' Hanna nickte, als wollte sie sagen: das glaube ich dir ohne weiteres. .Ich kenne sie von klein auf, hatte sie aber nie sonderlich be achtet. Sie ist ein schönes Mädchen; doch sind in meinem Hause viele schöne Mädchen, und da wäre mir die eine auch nicht besonders ausgefallen. Aber als ich sie näher kennenlernte, da wußte ich, daß ich nicht mehr ohne sie sein konnte.' Er schwieg, und sah Hanna mit einem mißtrauischen Blick an. »Warum willst du heute von ihr hören, gestern warst du doch absolut ablehnend?' »Man ändert zuweilen seine Meinung, Jakob.' - »So?' Er hielt noch immer den Blick auf sie gerichtet. Wenn Hanna sich gut zu Lotte stellt, ging es ihm durch den Kopf, - dann wird es Eva auch tun, und dann würde die Har monie in der Familie nicht gestört werden. Es lag ihm immer viel daran, daß er mit allen seinen Angehörigen in gutem Einvernehmen lebte. »War deine Braut hier im Hause beschäftigt?' fragte Hanna, und dachte dabei an die Mannequins. »Rein, das heißt, sie hat zuweilen für ihre Mutter Arbeit abgeliefert. Ich bot ihr einmal die Stelle als Mannequin an, sie weigerte sich aber, nachdem ich sie engagiert hatte, dieselbe anzutreten.' „Weil?' forscht» Hanna. Er zog die Schultern hoch. »Wirst du es glauben, wenn ich dir sage, daß sie zu prüde war?' Hanna nickte, und änderte im stillen das Wort »prüde' in »klug' um. Sie konnte es dem Mädchen nicht verdenken, das sich durch seine Klugheit eine gesicherte Position ge schaffen hatte. »Es paßt euch nicht, Hanna, daß ich ein einfaches Mäd chen heirate. Ich weiß es, Hanna, du brauchst dir keine Mühe zu geben, es zu leugnen.' Sie lächelte. »Ich denke nicht daran, es zu leugnen. Aber wir werden uns damit abfinden müssen.' »Und wie werdet ihr euch zu Lotte stellen?' »Das wird von ihr abhängen.' Jakob ereiferte sich. »Du wirst sie kennenlernen, wirst mir zugeben, daß sie ein feines Mädchen ist, ein kluges Mädchen. Sie ist so, daß man sie auch in die seinste Gesellschaft einführen kann.' Seine kleinen grauen Aeugleln suchten in Hannas Ge sicht nach dem ironischen Lächeln, das er unbedingt er wartete. Aber eS war nicht vorhanden; Hannas Gesicht hatte den Ausdruck innigster Anteilnahme. Dem Bruder die Hand hinstreckend, sagte sie: »Bring' sie mir, daß ich sie kennenlerne. Bring' sie mir bald, Jacky l' Die Freude über das Entgegenkommen der Schwester trieb ihm alles Blut inS Gesicht. »Wann dars ich mit Lotte kommen?' »Heute noch, oder morgen, wann du willst.' Gleich nachdem Hanna das Geschäft verlassen Halle, ging auch Jakob aus. Er fuhr in die Gleditschstraße, um Lotte die Einladung seiner Schwester zu überbringen. Erich, sein zukünftiger Schwager, öffnete ihm auf sein Klingeln an der Menkinschen Wohnung die Tür, und führte ihn in die Arbeitsstube, wo er Lotte und ihre Mutter bei der Arbeit vorfand. Erich ging trotz der vor gerückten Jahreszeit auf bloßen Füßen, und sein Gesicht und seine Hände zeigten Spuren beträchtlicher Un sauberkeit. »Der muß von der Straße ferngehalten werden', sagte Geyer, -er muL amb von der Nnlksrcknts 'runter — mutz höhere Schulbildung bekommen und dann etwas Tüchtiges werden.' Lotte sah flüchtig zu ihm auf, nähte dann aber ruhig weiter. „Aber Lotte, du wirst doch deinem Bräutjam nich zu- muten, det er hier sitzen soll', sagte die Mutter. „Macht doch nichts — macht doch nichts', entgegnete Geyer, und schob sich einen Stuhl an den Zuschneidetisch, über den Mutter Menkin ihre Stoffe gebreitet hatte. Geyer sah. minutenlang interessiert zu, wie sie die Muster auf legte und nach diesem zuschnttt; dann sagte er: „Das ist die letzte Lieferung. Goldmann und Geyer kann es sich leisten, eine alte Stütze der Firma zu pensio nieren.' Mutter Menkin sah ihn säst erschrocken an. „Das soll doch nich etwa heißen, daß ich keine Arbeit mehr kriegen soll?' Geyer nickte. „Das soll es! Dafür gibt es monatlich eine Pension.' „Nee, bloß nich; ich nehme nichts jeschenkt.' „Frau Lotte Gehers Mutter wird nicht mehr Morgen röcke für die Firma arbeiten.' Und sich an feine Braut wendend, bat er: „Lotteken, davon mußt du deine Mutter überzeugen, daß das nicht geht. — Und nun hör' mal zu, ich will dir einen Vorschlag machen. Meine Schwester Hanna hat uns für morgen nachmittag eingeladen. Damit du in vor nehmer Aufmachung vor ihr erscheinen kannst, laß uns jetzt zu Gerstel fahren und einiges für deine Toilette kaufen.' „Ich habe genug anzuziehen, Jakob.' Sie nahm den seidenen Morgenrock von der Puppe^M dem sie eben die letzten Stiche gemacht hatte, und hing ihn über einen Bügel. „So, nun setz' dich mal zu mir, Lotte, und hör' zu, waS ich dir sagen will!' Sie kam seinem Wunsche nach. „Also, was nun, fahren wir zu Gerstel oder Hausdorf? Du würdest mir eine große Freude dadurch machen — ich denk' es mir so nett, für dich elnkausen zu können.' Sein Vorschlag hatte für Lotte viel Verlockendes; aber es widerstrebte ihr doch, sich von Jakob etwas schenken zu lassen. „Ich habe wirklich alles, Jacky.' Ihre Wangen hatten sich gerötet, und ihre Augen sahen scheu an ihm vorbei. Er faßte nach ihrer Hand, und streichelte sie. „Du bist zu bescheiden, Lotte; aber das brauchst du nun nicht mehr zu sein. Ich habe so viel, daß du dir keinen Wunsch zu versagen brauchst — und jetzt würdest du mir nur meinen Wunsch ersüllen. Begreif doch: ich will Ein druck mit dir machen. Meine Schwester legt viel Wert auf Eleganz, ihr Mann nicht minder. Ich hab' dir doch schon erzählt von meinem Schwager; er ist Künstler: Maler. Siehst du, Lotte, solche haben immer einen Blick sür das Schöne. Nun brauchst du ja, um schön zu sein, nicht erst einen Hut vom Hausdorf und ein Kleid von Gerstel; aber dennoch — ich will, daß du elegant vor ihnen er scheinst.' „Na, laß du dich doch nich so lange bitten, Lotte', sagte die Mutter. Lotte sah ihren Bräutigam nachdenklich an. „Verzeihe, Jacky, ich kann nicht!' „Du bist spießerisch, Lotte, schäme dich, kein Berliner Mädel ist so. Ich hatte mich nun so darauf gefreut, mit dir auszufahren.' „DaS können wir ja — in zehn Minuten bin ich bereit.' „Es ist aber kühl. Du mußt deinen Mantel anziehen.' Sie sah erschrocken zu ihm aus. »Mein Mantel, der ist nun doch nicht mehr prüfen- tabel.' Und dann fügte sie rasch hinzu: „Ach, ich friere aar nickt in, Snktiini * wieder Abteilur Gegen weilten