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10 Wangen erklärte und berichtete, und den Langen, der — teilnahmslos für alles um ihn her — sich die allabendliche Mischung bereitete. Es war doch recht häßlich gewesen von ihm, den Klei nen bei Tisch so grob zu behandeln. Er mußte doch wissen, daß sich der Kleine nicht wehren konnte, daß er — Idealist, der er war — dem ironisierenden Ton des Langen nie mals gewachsen sein konnte. Und aus einem gewissen Gefühl der Mütterlichkeit, des Schützenwollens um jeden 'Preis, hatte sie sich den Langen vorgenommen. Daß er sie so unfreundlich abfahren ließ, ärgerte sie noch nicht einmal sehr. Benn er nur den Kleinen in Ruhe ließ! ES schien ja fast so, aber wer kannte sich in dem Lan gen auSl Man hatte sich in die bequemen Stühle vergraben. Wärmespendend flackerte das Feuer, spiegelte sich im Sil ber des Ztgarrenkastens und warf zuckende Reflexe gegen Band und Deckengewölbe. Prasselnd sprühten die Funken, wenn ein Holzscheit umgesallen oder das Harz eines Klobens zu brennen be gann. Sonst war alles still. Die alte Dame übersann noch einmal die Dispositionen für den kommenden Tag. Hatte sie auch nichts von all dem anzuordnen vergessen, was ein großer Gutshaushall an täglichem Vorausdenken erfordert? Eigentlich hätte sie noch einmal aufstehen sollen, um mit der Mamsell wegen des Frühstücks sür den Gast morgen... doch sie be sann sich im letzten Augenblick und sah verschüchtert zu dem Laugen hinüber, der diese Störung in den Tod nicht lei den konnte. Und gerade jetzt sah er so wütend aus, schob sich seine breite Unterlippe nach vorn, über die hinweg die halbzrrkaute Zigarre hing. „Wie dit Schwester sich wieder für den Kleinen ins Zeug gelegt hatte I" mutzte der Lange denken. Ging sie doch gar nichts an! Konnte wohl keinen Spaß verstehen? Und doch mußte er sich eingestehen, daß er keineswegs zum Scherzen aufgelegt war, als er bei Tisch ein paarmal dem Kleinen über den Schnabel gefahren war. Aus den Augenwinkeln schielte er zu den beiden hin über, die wie zufällig nebeneinandersaßen. In der Größe wenigstens paßten sie zusammen, aber sonst...! Der kleine Koofmichsjunge und die Komteß aus dem alten Geschlecht! Seine alten Herrschaften würden sich im Grabe umdrehen, wenn sie erführen, daß er das zugelassen. Ordentlich ein Kratzen verursachte ihm der Gedanke in der Kehle und zugleich ein Durfigefühl, das ihn aus seinen Betrachtungen riß. >r „Wo nur der Kerl mit den Getränken bleibt!' i. Der Kleine hatte verträumt in den Kamin gesehen. ' Er fühlte sich unbehaglich in diesem Kreise und über legte doch zugleich, ob er nicht auch ein wenig Schuld daran trug, daß der Lange so ärgerlich geworden war. Warum mutzte er auch so umständlich berichten; konnte er nicht kürzer sein? Auch daß er von seinem Schlittenkauf gesprochen halte! War es nicht Protzenhaft gewesen, gerade hier da von zu sprechen, wo alles, was mit Geld zusammenhing, so selbstverständlich hingenommen wurde? Aber hatte nicht andererseits die Schwester ausdrück lich danach gefragt? Sie war überhaupt so teilnehmend und nett -u ihm gewesen, ganz anders als der Lange, der nur immer kritisieren und verdammen konnte. Verstohlen sah er zur Schwester hinüber, und sekunden lang trafen sich ihre Blicke. Die Schwester hatte den Kleinen schon längere Zeit un auffällig beobachtet. Eigentlich war er doch ein hübscher Kerl, nicht schön im Sinne jener Modefatzken, wie sie etwa der junge Führer verkörperte, aber schnittig im Profil, männlich in den Zügen des anständigen Gesichts. Der Lange wiederholte seine Frage nach den Geträn ken. Der Kleine suhr aus seinen Gedanken hoch. Und, als wollte er den Langen nicht erneüt verstimmen, stand er, der etwas von Getränken verstanden hatte, hilfsbereit auf und nahm das Tablett mit den Likören in die Hand, dal er dem Langen hinüberreichte. Der sah wie versteinert zu ihm hinauf. Wollte ihn dei Kleine zu allem übrigen hin auch noch verhöhnen? Odei war er wirklich so unkultiviert, datz er unter Getränter, nur Schnaps verstand? Oder wollte er gar dienern...? Mit einem verächtlichen Blick auf die Flaschen vor seiner Nase, erhob er sich, nahm dem Kleinen die Liköre aus der Hand und stellte sie auf den Tisch zurück. Dann sprach er, jedes Wort durch die Zähne ziehend, an dem Kleinen vorbei, während er sich in den Sessel zu rückfallen Netz: „Wir haben uns offenbar mißverstanden. Wir wollen doch nicht den ganzen Abend Schnaps trinken. Wir pflegen uns nach dem Mokka eine anständige Pulle vor die Nase zu klemmen I" Der Kleine biß die Zähne aufeinander. Daß er auch nicht besser zugehört hatte! Gerade wollte er zu seiner Entschuldigung ansetzen, als das leise Läuten aneinander klingender Gläser verriet, daß der Diener eingetreten war. Und der Kleine hütete sich wohl, dem Langen in dessen Gegenwart noch einmal Gelegenheit zu geben, ihn zurecht- zustutzen, denn seine Erfahrungen bei Tisch lehrten ihn, daß der Lange keinerlei Rücksichten nahm. Die Schwester hatte den Langen nur einen Augenblick mehr traurig als ärgerlich angesehen, dann war sie auf gestanden. Mit einer Schale Konfekt kam sie zurück und setzte sie auf den kleinen Tisch, den der Diener in die Mitte des Kreises gestellt hatte. Der Diener goß ein, stellte die Flasche in den Kühler neben den Stuhl des Langen und verschwand, lautlos, wie er gekommen war. Einen Moment herrschte jene feierliche Stille, der selbst der Profanste unterliegt, wenn ihm aus klarem Kristall das Gold des Weins entgegenlacht. Dann beugte sich der Lange zum Glase vor, und auch die anderen folgten seinem Beispiel. Mit leichtem Kopfnicken in die Runde, führte der Hausherr das Glas zum Munde, schnüffelte an der Blume und schlürfte den ersten Schluck mit der Miene des Kenners. Auch die Schwester hatte ihr Glas erhoben. Wartend sah sie den Bruder an, ob der etwas sagen würde. Dann lächelte sie dem Kleinen zu: „Noch einmal herzlich will- kommen!", und als der gedankt hatte, tranken auch sie, jeder mit guten Wünschen für den anderen. „Wollten Sie nicht mit mir noch über die Meisterschaft sprechen?" Der Lange sah den Kleinen voll an. Richtig, das war ja der Hauptgrund gewesen» weshalb er sich hier angesagt hatte. Verdammt nochmal, da saß er ja schön in der Tinte Aber was half es, er mußte reden. „Ja, allerdings" begann er zögernd, „ich habe mir da so verschiedene Punkte vornotiert; aber ich kann ja viel leicht morgen früh beim Frühstück, wenn ich den Zettel bei mir habe..." „Morgen früh habe ich leine Zeit, muß zum Landrat, aber vielleicht können Sie jetzt aus dem Kopfe das Wich tigste herbeten?" Es half also nichts, er mußte sich herausreden, so schwer ihm das auch fiel. Wenn er nur erst einen Anfang hatte, das übrige würde der Lange schon besorgen, der ihn ja doch kaum zu Worte kommen lassen würde Mutig griff er aus seiner Korrespondenz mit dem Klub, dem die Meisterschaft zm Austragung übergeben worden war, einen Punkt heraus, den er längst selbst erledigt hatte. „Da schreibt mir der Generalsekretär ves Schierstädter Klubs, wer denn eigentlich die Rennleitung übernimmt?" „Aber das ist doch ganz klar! Ich verstehe die Leute nicht! Sollen ihre Nase in die Deutsche Bobsahrer-Ord- nung stecken, steht ja alles haarklein drin!" „Das wollte ich den Leuten auch schreiben", sagte der Kleine, mußte aber zugleich daran denken, daß er es ihnen vor Wochen schon geschrieben hatte.