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Beilage zur Weitzeritz-Zeilung Nr. 218 Sonnabend, am 18. September 1926 92. Jahrgang Sächsisches Pirna. Der viergleisige Ausbau der Strecke Dresden—Pirna, der bis Heidenau fertiggestellt ist, findet jetzt auf der Strecke Hei denau—Pirna seine Fortsetzung. 3m Zusammenhang mit dieser Gieiserweiterung steht auch der Vau eines sogenannten Ablauf- beracs kgr den Güterverkehr in der Nähe des Hirsch an der Alten Dresdner Slraßc, für den die Erdarbeiten bereits begonnen haben, ön zwei Zähren hofft man den gesamten Gleiserweiterungsbau sertiancstcllt zu haben. Horna. 5» der letzte» öffentlichen Stadlverord»elensitzu»g wurde die Ausnahme einer Anleihe von 56 000 Mark zu Woh- Mmmgsöaiizweckc» beschlossen. DaS Geld ist vom Staate billig zur Mlsügung gestellt worden. Es wird damit ein Zwischenkredit in Höhe von 60 OM M., der der Eisenbahner-Baugenossenschaft früher schon zugesprochen wurde, gedeckt, 20 000 M. erhielt die Genossenschaft als weiteres Darlehen und rund 6000 M. werden rum WohuungScinbau im Eichamt verwendet. Siebenleh». Die schon seit längerer Zeit geplante Ausstellung des Marktbrunncns geht nunmehr seiner Verwirklichung ent gegen. Als Standort ist die Mitte des oberen Marktes vorge sehen. Der Brunne» oder besser das Standbild verkörpert die ehemals in früheren Jahren in hoher Blüte stehende und Heuke noch in unserer Stadt heimische Hand-Schuhmacherei und stellte ! den altbekannten typischen „Siebenlchner Schusterjungen" -ar, ! wie er leibt und lebt, auf dem Schemel sitzend und einen auf seinen Knien liegenden Stiefel bearbeitend. Heuke schon heisst deshalb der Brunnen im Volksmunde der „Schusterbrunnen". Dieser wird neben entsprechender Breite eine Höhe von drei Bietern haben, und zwei Wasserspiele an den Seiten werden daS Gesamtbild noch verschönen. Unser an und für sich schöner Markt wird durch dieses Kunstwerk in seinem Aussehen nur gewinnen. Annaberg. In der Knopffabrik Emil Kaden entstand am Mittwoch ein Großfcuer, daS große Mengen von Halb- und Fer tigfabrikaten sowie wertvolle Vorräte an Zelluloid und Gallolilh vernichtete. DaS Feuer konnte erst nach mehrstündiger Arbeit auf seinen Herd beschränkt werden. Der Schaden wird auf 75 000 Mark geschätzt. Er ist durch Versicherung gedeckt. Der Betrieb wird längere Zeit unterbrochen bleiben, wodurch leider eine große Anzahl von Arbeitern und Arbeiterinnen erwerbslos werden. WocheuschM. Nun weht der Herbstwind über kahle Felder, Es weint die Welk, eS lacht Herr Stresemann, And Neinholü sagt: „Ich Habs dicke Gelder, Sobald mir einer etwas pumpen kann." Doch wenn sie sich den Völkerbund besehen, Der Gustav Skresemann und der Finanz, So werd'n sie heimlich sich wodl eingeslehen: ,,.s ist alles bei ihm auch nur Talmiglanz. Bei Goik, bei Moses und den Propheten! Nur Nordamerika hak noch Moneten! Bei ihm allein nur ist noch alles da . . . Nur gut, so pumpen wir bei U.S.A." Die mögen zahlen, und wir zählen, Um hinterher uns für den Zins zu quälen. Die allen Schulden sind wir losgsworden, — Wie? wissen Nenlner, die im Elend leben — geben?" Nun streben wir aufs neue nach Rekorden Und frag'» im Ausland: „Wer will uns was Wieviel? Na, das kommt erst in zweiter Reihe, Doch nicht wie Danzig 30 Millionen Gulden, Und ohne das; Ich das Geschäft beschrele, Sag' ich: „Wir machen größ're Schulden!" Und dann — dann kurbelt Gustav Skresemann Mit vr. Reinhold unsre Wirtschaft an. Wär's überall, wie es ln Gens gewesen, Dann hätten wlr nur Glanz und lustig Leben, Da könnt' man täglich in der Zeitung lesen, Was alles hat's an Braten und Kompott gegeben. Es floß der Wein, es stossen auch die Reden, Der Optimismus überschlug sich fast, Und gute Worte Halle man für jeden. c Für uns: Entbehre gern, was du nicht hast! Entbehre Braten, nimm die trockne Rinde DeS Brotes; fie macht dir die Wangen rot Und blieb vom Geld dir nur das eisern Spinde, Bedenke, andre hab'n noch größ're Not. Und wardst du Oberschlesien los und Memel § Und Schleswig, Posen, Elsaß und die Saar, Sieh, seh' dich still auf deinen Schemel , Und glaub', der Völkerbund mach' alles klar. Der macht den Rhein dir deutsch; daS Wort Briands Vom internationalen Strome - j Ward mißverstanden. Also drang's Herüber. Und die deutschen Dome In Köln sowohl wie in dem lust'gen Mainz > — Darüber ist Briand mit Stresemann sich eins Und wird niemals mit ihm darüber streiten — Die blecken deutsch für allen Zeiten. i Und die Besatzung geht nun auch hinaus. - — Wird es nicht jetzt, so wird's ganz sicher später — j Wir haben wieder dann ein deutsches Zaus. Undeutsch darin bleibt leider noch so manch fenetre. ! Der Völkerbund ist froh, doch macht er sich Gedanken, Bas; jetzt, wo Spanien und Brasilien gehn, Ihm weilre Säulen mit der Zeit nock wanken. Und weiter Völkerbünde noch entstehn. i Dann wären wir bald wieder aus dem alten Fleck. s Da gibt'S Gesichter schon, wie Essig sauer, j Da schwimmen manchem schon die Felle weg Und „Pöstchen" auch. Der Wochenschauen Chronik des Tages. - — Am Freitag nachmittag fand die angekiindigte politi sche Aussprache zwischen Stresemann und Briand statt. — Die nächste Sitzung des VölkerbuudSrates wird vor- f ank-sichtlich im Dezember unter dem Vorsitz des deutschen ! AustcumiuisterS in Berlin stattsinden. i — Chamberlain hat sich nach der Genfer Konferenz nach ' Genua begebe», um von dort aus aus einer Jacht eine län gere Kreuzfahrt ius Mittelmeer gnzntrctcn. c — Der Hauptausschus; des deutschen StädtctagcS ist in Stettin ,zn einer Tagung znsammcngctreten, um zu der Frage der Fiuanzrcsvriu Stellung zu nehmen. Von Woche Zu Woche. Nandbcmcrknngcn zur Zeitgeschichte. Die Herbsttagung des Völkerbundes irr Genf ist mit großer Spannung erwartet worden, aber sie ist schneller und ohne diejenigen Sensationen vorüberae- gangen, mit denen man vielfach gerechnet hatte. Die Aufnahme Deutschlands ist einstimmig erfolgt, die neun nichtständigen Ratsmitglieder, darunter das unvermeid liche Polen, sind in den Nat gewählt, und zwischen Briand und Stresemann sind ausführliche Besprechun gen über die Nhcinfragen im Gange. Der Locarnopakt ist iilit der feierlichen Niederlegung der Ratifikations urkunden im Vundesbureau in Kraft getreten. Damit hat die Völkerbundsversammlung ihre Hauptarbeit ge leistet, und es bleibt abzuwartcn, wie sich die Genfer Beschlüsse in der Zukunft auswirken werden. Selbstverständlich werden Briand und Stresemann ihren Negierungen alsbald Bericht über ihre Bespre chungen erstatten, und die beiden Kabinette werden sich dann eingehend mit der Angelegenheit befassen müssen. Die endgültige Entscheidung über den ganzen Fragen komplex dürfte jedoch noch nicht so bald fallen, da vffenlmr von französischer Seite versucht wird, die Zustimmung zu einer Verminderung der Bcsatzüngs- trnppen am Rhein und einer beschleunigten Räumung des linken Nhcinufers von neuen Zugeständnissen Deutschlands abhängig zu machen. Der französische Bölkerbundsdelegierte Loncheur hat angeblich vorge schlagen, daß Deutschland einen Teil seiner Eisen- bahnobligationen an Frankreich abtreten und dieses dafür in eine frühere Freigabe von Rhein- und Saargebiet einwllligen soll. Ob die Pariser Regierung tatsächlich ein derartiges „Handelsgeschäft" beabsichtigt, steht noch nicht einwandfrei' fest. Früher wollte man in Paris von diesem Projekt nichts wissen,' unter dem Einfluß der Finanzkrisis scheint sich aber die An schauung geändert zu haben, und cs ist nicht unmöglich, daß Briand mit einem derartigen Angebot an Dr. Stresemann herantreten wird. Selbstverständlich ist da bei aus deutscher Seite zu überlegen, ob wir bei diesem Geschäft nicht gar zu sehr den Kürzeren ziehen, denn die Räumung von Rhein und Saar müßte im Geiste des Locarnovertrages und der Versöhnung der Völker sowieso in absehbarer Zeit stattfinden. Allerdings werden wir auch gut daran tun, uns nach dem Beitritt Deutschlands in den Völkerbund nicht allznaroßen Hoffnungen hinzugebcn. Wir dürfen nicht vergessen, daß es Frankreich gelungen ist, nicht weniger als vier seiner Vasallenstaaten in den Bölkerbundsrat hineinzubringcn und außerdem noch die Wiederwähl barkeit Polens durchzudrücken. Nicht umsonst äußert die Pariser Presse ihre Befriedigung über den Aus fall der Ratswahl und stellt mit Genugtuung fest, „daß nur vier Mitglieder als ebvaige Gegner Frank reichs in Frage kämen: Deutschland, China, Holland und vielleicht Italien". Auch in der englischen Presse herrscht die Auffassung vor, daß das Ergebnis der Natswahlcn einen überwältigenden Sieg der Fran zosen und des lateinischen Blocks darstellt. Das Bombenattentat auf den italienischen Mi nisterpräsidenten Mussolini, das ohne Schaden für den Bedrohten verlaufen ist, hat heftige Zänke reien zwischen Italien und Frankreich hervorgernfen, weil die Negierung in Paris ein antifaschistisches Komitee duldet, das sich als erbitterter Gegner des Faschismus anfspiclt. In Frankreich sind gegenwärtig 800 000 Italiener als Arbeiter tätig, und cs ist natür lich schwer, ans dieser Menge die Verschwörer gegen den italienischen Machthaber herauszufinden. Die Franzosen werden heute daran denken, wie sehr sie sich darüber amüsierten, als die Italiener im Frühling mit uns wegen der Deutschen in Südtirol anbändeltcn. Heute trifft cs sie. SLreseMann über Genf. Eine Rede vor der Presse. Der Leiter der Presseabteilung der NcichSrrgie- rung, Ministerialdirektor Kiep, veranstaltete am Don nerstag abend am Sitz der deutschen Delegation einen Empfang der deutschen Presse, an dem sämtliche Mit glieder der deutschen Delegation sowie alle in Genf weilenden deutschen Pressevertreter teilnahmen. Im Laufe des Abends nahm Ncichsanßcnminister Dr. Stresemann zu den verschiedenen Anschauungen, die in bezug auf die gegenwärtige Genfer Tagung wie- dergcgcben werden, in groß angelegten Politischen Aus führungen von grundsätzlicher Bedeutung Stellung. Der Minister erklärte, er empfinde ein tiefes Gefühl der Genugtuung über die Stellung, die sich Deutschland in der Welt wieder erobert habe. Bei sei- i nein Amtsantritt Ware als ein Narr bezeichnet wor den, wer vorhergesagt hätte, daß Deutschland heute mit solchem Jubel begrüßt, als gleichwertige Großmacht in den Völkerbund einziehen würde. „Ich habe", so führte der Minister weiter ans, „heute die Empfind»!,», daß dieser Vorgang, und zwar nicht nur von außen gesehen, ein Ansgcbe» des Geistes von Ver sailles bedeutet. Wir sind nicht bebingnitgöloS in den Völ kerbund eingetretcn. In Locarno sprachen wir eS auS, daß unser Eintritt in den Völkcrbnnd niemals die Anerkenn«»«! moralischen Unrechts von deutscher Seite bedeuten könne; mir haben nnS dagegen verwahrt, daß wir unfähig seien, an der kolonialen Arbeit anderer Weltvölkcr teilznhabc». ES gibt keine ausdrucksvollere Zurücknahme der moralischen Au- ichnldigung, alö die Ausnahme Deutschlands selbst, so, wie sie sich am Freitag, begrüßt von den Nationen der Welt, voll zogen hat. Indessen: Die Größe der deutschen Wicderanf- richtnng wird dranßen in der Welt weit mehr anerkannt, als in unserem eigenen Volke. Für nnS war die große Frage, ob wir einmal in der Welt die moralische Genngtnnng erhal ten würden. Diese ist nnö in Gens zuteil geworden. Man kann naturgemäß nicht verlangen, daß all dir- realen Diuge, die durch den verlorenen Krieg zur Tatsache geworden sind, mit einem Schlage ihre Bedeutung verlieren. Wir sind machtlos, von wasfeustarrendcn Nachbarn umgeben, nicht mehr im Sonncuglanz deutscher Weltgeltung, nnd wir müsse» versuchen, schrittweise daS zurückzubringe». was wir verloren haben." Dcr Minister erörterte dann die Tagesereignisse nnd sagte, daß man nicht erwarten könne, daß die früheren Feinde aus Früchte ihres Sieges verzichten und auf Deutschlands Forderungen hin Entsagung üben sollten, die wir in gleichem Falle ebensowenig geübt haben würden. Aber die moralischen Erfolge seien Gewähr für eine weitere Entwicklung. Er habe die feste Ucberzcugung, daß Briand seine Rede aus dem Inuersten seines Herzens gehalten habe, daß er diese Empfindungen wirklich und aufrichtig hege. Nicht das sei das Entscheidendste aber, daß er sie gehalten habe, sondern, daß er sie halten konnte, ohne von dem sranzösischen Volk desavouiert zu werden. Zum Schluß streifte Dr. Stresemann noch kurz die Frage der Verständigung mit Frankreich. Hierbei hätten, so betonte er, finanzielle Leistungen grundsätzlich hinter dem Gedanken znriickzutreten, daß die Politischen Fragen das oberste Ziel unseres Stre bens sein müssen. Dabei kommt es auch nicht auf Ta- gesersolgc, wie etwa eine kleine Verminderung der Bcsatzuugstruppen an, sondern aus die vollständige Vereinigung der zwischen uns und unseren ehe maligen Gegnern schwebenden Punkte — eine Frage, i die dnrch die vollkommen veränderte geistige Atmo- > sphäre ihrer Erledigung entgegcnreift. * Nach dem Reichsaußenminister sprach im Namen ' der parlamentarischen Delegierten der Reichstagsabge- > ordnete Prälat Kaas, der ganz besonders als Ver- ! treter des besetzten Gebietes davor warnte, dem Gefühl ' eines tatsächlich unberechtigten Pessimismus.Vorschub zu leisten. Das besetzte Gebiet habe in erster Linie die Opfer gebracht und habe ihr Ertragen auch auf län gere Sicht für weniger wichtig gehalten, als das Er reichen großer Ziele. Deshalb dürfe man fordern, daß die anderen außerhalb des besetzten Gebiets ihre begreifliche Ungeduld ebenfalls zügeln. Die moralisch und rechtlich nicht mehr haltbare Position sei von der Gegenseite innerlich bereits aufgegeben. GLe erste Ratssitzung. Die Dezen; Vertagung voraussichtlich in Berlin. Der Völkerbundsrat ist am Donnerstag abend in seiner neuen Zusammensetzung zu einer nichtöffentlichen Sitzung zusammengetretcn, mit dcr gleichzeitig die Herbsttagung des Rates eröffnet wurde. In dieser Sitzung Hütte Deutschland nach der alphabetischen Rei henfolge — Allemagne — eigentlich den Anspruch aus Uebernahme des Vorsitzes. Auf Vorschlag des Reichs- Ministers Dr. Stresemann behielt jedoch der tschecho slowakische Außenminister Dr. Benesch, der bereits in der letzten Natssession dem Rate präsidierte, auch für die Herbstsitzung den Vorsitz bei. Infolgedessen wird auf dcr kommende» Dezem- bcrtagiiilg des Rates, die voraussichtlich in Berlin abgehaltc» wird nnd bedeutend wichtigere Beratungs- gegenstände habe» wird, dcr Vorsitz dem dcntsche» Außenminister znfallcn. An die Geheimsitzung schloß sich eine öffentliche Ratssitzung an, in der Benesch das deutsche Reich und seinen Vertreter Dr. Stresemann als ständiges Nats- mitglicd herzlich begrüßte. Nach dieser kurzen Be grüßungsansprache trat der Völkerbundsrat in die Be handlung seiner Tagesordnung ein, die übrigens nur Punkte untergeordneter Bedeutung enthielt. * Stresemanns Aussprache mit Briand. Eine Zusammenkunft außerhalb von Gens. Im Laufe des Freitags fand die seit mehreren Tagen in Aussicht genommene allgemeine politische Aussprache zwischen Briand und Dr. Stresemann statt. Kurz nach 11 Uhr verließ der deutsche Außenminister in Begleitung eines Legationssekretärs das Hotel Me tropole, nm sich im Automobil zur Zusammenkunft mit dem französischen Außenminister Briand zu be geben. Au dcr Anlegestelle vor dem Hotel Beau-Ri- vage verließ Dr. Stresemann jedoch das Anto, um ein Motorboot zu besteigen, das in der Richtung Ver- soix wcgsuhr. Das Publikum war irregcführt worden