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BEETHOVENS SINFONIK In seinen Sinfonien — wie überhaupt in seiner Instrumentalmusik — knüpft Lud- wigvan Beethoven deutlich an das Werk Joseph Haydns und Wolfgang Amadeus Mozarts an. Für diese war die Form der Sinfonie, die eben erst von Haydn zur vollen Entfaltung gebracht worden war, ein festes Gehäuse, in dem musikalische Gedanken untergebracht und miteinander in Bezie hung gesetzt wurden. Zwar gibt es keine Musik ohne seelischen Hintergrund (dies wäre ein Widerspruch in sich), doch über wiegt hier das „tönend bewegte Spiel“ der musikalischen Einfälle, wie es der Wiener Kritiker Eduard Hanslick formuliert hat. Musik ist „aufgelöste Architektur“, flie ßende Linearität. So sind auch die beiden ersten Sinfonien Beethovens, wie später auch die vierte und die achte, reine Musizier-Sinfonien, d. h- Werke, die noch völlig unbeschwert sind von außermusikalischen Inhalten, die nur die überkommene Form der Sinfonie mit neuem Leben erfüllen wollen. Wir erfahren nichts von dem Leben des Komponisten zu der Zeit, als er die Werke schrieb, nichts von seinen seelischen Zuständen, nichts von Leid oder Freud. DieersteSinfonie beginnt, wie dies noch die Norm war, mit einer langsamen Einleitung. Aus ihr führt ein auf- und abwärtssteigender Gang der Streicher in das erste Thema, das nach dem Prinzip der „durchbrochenen Arbeit“, wie es von Haydn in die Sinfonie eingeführt worden war, geformt ist. Seine Linie wird nämlich nicht von einem Instrument fort- und zu Ende geführt, es wird vielmehr in seinen ersten vier Takten von den ersten Violinen gebracht, dann findet es seine Fortsetzung in den Holzbläsern (Flöte, Oboe, Klarinette und Fagott). Genau so ist die zweite Hälfte des Themas, nun nach Moll umgedeutet, organisiert. Zu dem fri schen, lebendigen Charakter dieses ersten Themas bildet die Anmut des Seiten themas (in G-dur,a!so regelrecht in der Dominante) einen wirkungsvollen Gegensatz. Reizvoll die Instrumentation: die Melodie ist verteilt auf Oboe und Flöte, die Streicher geben mit Staccato-Vierteln den Untergrund dazu, beteiligen sich aber dann sehr bald an der melodischen Führung. Die Schlußgruppe zeichnet sich durch einen interessanten harmonischen Verlauf aus. Nachdem die Dominant-Tonart erreicht war, bemächtigt sich die Durchführung in der Hauptsache des ersten Themas, das in allen möglichen Varianten erscheint Die Reprise wieder holt den ersten Teil, allerdings mit eini gen Kürzungen und mit Veränderungen in der Instrumentation. Eine verhältnismäßig ausgedehnte Coda (Schlußteil) kombiniert verschiedene Motive aus dem Vorausge gangenen. Der langsame Satz ist ein heiteres Pa storale. Wolkenlos spannt sich der Him mel über einer arkadischen Landschaft. Das schlicht-anmutige Thema wird fugiert durchgeführt. Der dritte Satz heißt noch „Menuett“, hat aber mit dem höfischen Tanz gar nichts mehr zu tun, er ist vielmehr schon ein echt Beethovensches Scherzo, in dem sich sein grimmiger, grotesker Humor aus spricht. Das Trio steht besänftigend dann vor der Wiederholung des Hauptteils. Auch dem letzten Satz geht eine lang same Einleitung voraus. Es ist eine beson dere Feinheit, wie Beethoven hier aus der immer wieder ansetzenden Tonleiter das Thema herauswachsen läßt Es ist, als ob ein Schütze den Bogen spannt, absetzt, ein zweites, ein drittes, ein viertes Mal die Spannkraft prüft, um endlich den Pfeil be flügelt in die Lüfte zu senden. So gleitet der Komponist aus der aufsteigenden Skala unvermutet in das Hauptthema des Satzes, der ausgelassene Lebensfreude widerspie gelt. Jene Einleitung hat großes Aufsehen und Widerspruch erregt. So ließ sie ein Musikdirektor Türk in Halle nach Jahr zehnten noch weg, weil er fürchtete, seine Hörer damit vor den Kopf zu stoßen. Wie überhaupt die Sinfonie, die am 2. April 1800 unter des Komponisten Leitung zur Urauf führung kam, den Zeitgenossen recht miß fiel. „Einen bis zur Karikatur hinaufge triebenen Haydn“ nannte man sie und bemäkelte die „ziemlich konfusen Explo sionen dreisten Übermutes eines jungen Mannes von Talent*. Man sieht, man soll solchen „Explosionen“ gegenüber etwas vorsichtig sein.