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E s hat nie in der Vergangen- F heit, nicht einmal in der kur zen Geschichte unserer Republik, deutsche Studenten gegeben, mit denen so gerechnet worden wäre, die so gebraucht, so sehr erwar tet worden wären wie die 17 000 „Neuen“, die wir in diesen Tagen an unseren Universitäten und Hochschulen begrüßen. Anzahl und Qualität der wissenschaft lichen Kader bestimmen auf lange Sicht unser Tempo in der technischen Revolution. Aber wir haben, besonders in Naturwis senschaft und Technik sowie in den entsprechenden pädagogi schen Disziplinen, zuwenig Hoch schulabsolventen; und werden — Spätfolge des zweiten Weltkrie ges — noch bis gegen 1970 Mühe haben, alle Studienplätze zu be setzen. So oder ähnlich ist die Si tuation sicher von jedem Rektor in der feierlichen Immatrikulations rede skizziert worden. Ich war Ende August/Anfang September mehrere Tage in Pots dam, an der Pädagogischen Hoch schule im Park von Sanssouci, um Empfang und Start des neuen 1. Studienjahres, dessen Auftakt vor dem Ernteeinsatz mitzuer leben. Dort interessierten mich vor allem die neuimmatrikulier ten Mathematik- und Physikleh rerstudenten, weil die Kombina tionen dieser Fächer auf Jahre hinaus den dringlichsten volks- wirtschaftlichen und pädagogi schen Schwerpunkt unserer ge samten Lehrerausbildung darstel len. Im „Forum“ will ich, gestützt auf meine Potsdamer Gespräche und Einblicke, nur drei Fragen auf werfen. die auf die Grundvoraus setzung für ein erfolgreiches 1. Studienjahr, auf die Einstellung zum Studium und zum künftigen Beruf, auf das Funktionieren der wichtigsten Antriebsmotive für den vollen Kraftansatz, für die volle Entfaltung der sozialisti schen Studentenpersönlichkeit zielen: 1. Wie genau, wie intensiv ist den Studenten die mit ihrem Stu dienfach, mit ihrem künftigen Be ruf verbundene volkswirtschaft liche und gesellschaftliche Verant wortung bekannt, bewußt? 2. Wie klar ist ihnen die Bedeu tung der an der Hochschule ge lehrten wissenschaftlichen Kennt nisse und Methoden für ihre spä tere Berufspraxis? 3. Wie tre' d, wie konkret, wie uaufassenu wissen sie Uber die Anforderungen der sozialen Rolle Bescheid, die sie nach dem Abschluß des Studiums ausfüllen müssen? Ich glaube, die Antwort auf diese drei Fragen kann einen ersten Gradmesser dafür darstel len, wie ernst die allgemein an erkannte Orientierung auf das 1. Studienjahr wirklich genom men wird und wie ernst es den Studenten selbst mit ihrem Stu dium ist. Diese Antwort soll und kann hier nicht global für die ganze Pädagogische Hochschule gesucht werden — wir fänden da übrigens ein sehr differenziertes Bild —, sondern nur für die Fach kombination Mathematik/Physik. Auch dort geht es mir weniger um Allseitigkeit oder Vollständigkeit als um die Pointierung der Pro bleme und um gewisse Ansatz punkte für ihre Lösung. Anderer seits dürfte das Exempel als sol ches mehr oder weniger für jede Fachrichtung an jeder Hochschule von Interesse sein. 1 Auch in Potsdam trug der Rek tor, Prof. Dr. Junghähnel, in sei ner Immatrikulationsrede der eingangs erwähnten Tatsache Rechnung, daß unsere Republik auf jeden Hochschulabsolventen und vor allem auf jeden Natur wissenschaftler und Techniker wartet. Dem spezifischen Auftrag der Pädagogischen Hochschule ge mäß unterstrich er eindringlich die vorrangige Bedeutung des naturwissenschaftlichen Lehrer studiums. Die fünf Studenten des neuen 1. Studienjahres Mathema- tik/Physik, mit denen ich sprach, wußten auch ausnahmslos — teils von ihrem Lehrern, teils durch die verstärkte Werbung für ihre Fachkombination —, daß unseren Schulen Mathematik- und Physik lehrer am allermeisten fehlen. Also ist alles gut? Die vier Studenten aus dem vorigen 1. Studienjahr Mathema tik/Physik bzw. Physik/Mathema- tik, mit denen ich sprach, wußten das vor einem Jahr wahrschein lich auch. Jedenfalls versicherten sie mir, sie wüßten jetzt „so un gefähr Bescheid“, welche Sorgen die Schulen mit dem Lehrerman gel in ihren Fächern haben. Man kriege das allmählich mit an der PH, es läge sozusagen in der Luft am Mathematischen und Physika- lischen Institut. Aber für drei die ser vier Studenten ist das, wenn auch mit graduellen Unterschie den, ein blasses, unverbindliches, subjektiv zu nichts verpflichten des „Wissen“ geblieben, das diesen Namen nicht verdient. Beweis: Manfred Paprott (22) hat es nach seinen eigenen Worten fertigge bracht, das ganze 1. Studienjahr hindurch „nichts zu tun“, so daß er, der als „As“ begonnen, den Stoff zu leicht befunden und dann den Anschluß verpaßt hatte, jetzt die Mathematik-Zwischenprüfung nachzuholen hat und — falls er wieder nicht besteht — seine Ex matrikulation riskiert. Klaus Becker (21) hat im l.Stu- dienjahr ffeiner Unterschied) fast nichts getan, kam aber (grober Unterschied:) nur mit den Vor lesungen, ohne zum Buch zu grei fen, gut „über die Runden“ — ein unausgelastetes Talent, dem es. wenn schon, dann um die Mathe matik, nicht um den Lehrerbe ruf zu tun wäre. Doris Nicolai (19) ist — als fleißige Studentin, „wenn auch noch etwas mehr drin ge wesen wäre“ — zwischen zwei und drei im vorderen Mittelfeld an gekommen, findet jedoch das pri vate Risiko zu groß, sich vier Jahre anzustrengen, ohne ver sichert zu sein für den Fall, daß sie am Ende durchs Staatsexamen fällt: „Wer kümmert sich dann?“ Sie sagt, ähnlich dächten auch andere Studentinnen ihrer Grupppe. Peter Hoffmann (21), der vierte, im Unterschied zu den anderen Hauptfach Physik, hat selbst tap fer seinen Mann gestanden: „Ich brachte große Lücken mit. Im 1. Semester habe ich kein Land gesehen. Wenn ich nicht hart ge- gearbeitet hätte, wäre nichts ge worden.“ Ergebnis: Fürs erste in beiden Fächern 3. Vorbilder er kennt man, zumindest nach dem 1. Studienjahr, nicht unbedingt am Zensurendurchschnitt. Aber „dafür“ sind aus seiner Gruppe nicht weniger als drei Studenten, die fachlich keine Schwierigkei ten und — nach Peters Wissen — auch sonst keine zwingenden Gründe hatten, per Exmatrikula tion verschwunden. Manfred, Klaus, Doris — die drei aus Peters Gruppe —. alle betrachten ihr Studium auf diese oder jene Art als Privatsache, un- eingedenk ihrer sozialen Verant wortung, bis hin zu Manfreds Bummelei, die man eigentlich nur noch gewissenlos nennen kann. Was bewirkt, was garantiert also die ungefähre, auch im neuen 1. Studienjahr vorhandene Ein sicht, „daß Mathe- und Physik lehrer fehlen“? Sie hat in vielen Fällen offenbar noch nicht einmal die Haut geritzt. Warum? Nach meinen Beobachtungen geht sie deshalb nicht tief, weil sie nicht tief ist, weil sie die kon kreten volkswirtschaftlichen Zu sammenhänge, Hintergründe, Konsequenzen, die gesellschaft lichen, ja politischen Fernwirkun gen eines möglichen persönlichen Versagens gerade in dieser Fach kombination nicht einschließt, weil sie im Laufe eines ganzen Studienjahres nicht gefestigt, nicht ausgebaut, weil sie selbst im entscheidenden Moment nicht einmal zitiert wird. Als Freund Paprott gegen Ende des Studien jahres endlich als Abstiegskandi dat erkannt wurde, heißt es so wohl in der Gruppe, was schlimm genug ist, als auch seitens des Lehrkörpers, was schlimmer ist, für Manfreds Ohren nur: „Jetzt hau aber ’ran, sonst gehst du über Bord.“ Und das wäre dann sein — privates Pech?! Wie kann man unter Pädagogen die kolossale er zieherische Chance auslassen, die eine besonders hohe gesellschaft- liche Verantwortung bietet? Wer darauf verzichtet, sie als Argu ment einzusetzen, hat wohl die fragliche Situation selbst noch nicht bis in alle perspektivischen Konsequenzen durchdacht. Genosse Prof. Karl, Direktor des Mathematischen Instituts, war etwas ärgerlich, als ich ihm diesen Gedankengang vortrug. Seine Ent gegnung war: Wenn sie als den kende Menschen Augen und Ohren aufsperren, müssen die Studenten selber auf diese Zusam menhänge kommen. Die einschlä gigen Tatsachen pfeifen die Spat zen schon von jedem Schuldach, Dennoch lasse ich öfter entspre chende Hinweise einfließen. Muß man denn für jedes wichtige Thema eine besondere Veranstal tung machen? Zeit ist kostbar. Im übrigen kann man den Studenten auch nicht immer aufs Wort glau ben ... Das ist also die berech tigte Gegenfrage, ob man von einem normalen Studenten nicht einfach fordern muß, daß er sich aus eigener Initiative oder wenig stens auf Initiative seiner FDJ- Gruppe über Sinn und Zweck seines Studiums klar wird? Die meisten nutzen nicht einmal das direkte Angebot, Informationen aus erster Hand zu erhalten. Dennoch kann ich Prof. Karl hier insgesamt gesehen nicht fol gen. Angesichts der viele Fach richtungen betreffende prekären Wie wissen's die neuen Studenten? modernes Vorurteil ausspricht, das sich schon über zehn und fünfzehn Jahrgänge von Lehrer studenten forterbt, nicht nur in der Mathematik, aber dort be sonders ausgeprägt. Dieses Vor urteil ist — heute noch — für den Anfang unvermeidlich, weil der neue Student, falls er nicht einen ganz ausgezeichneten Leh rer hatte, die Mathematik mehr oder weniger nach dem Schema beurteilt, das er in der Schuie er lebt hat. Der Schüler weiß in der Regel nicht, daß sein Lehrer nicht einfach „im Stoff ein Jahr vor aus“ ist. sondern die Mathematik auf einer qualitativ anderen Stufe beherrschen muß — weiß es doch mancher Lehrer selber nicht so recht. Gegenwäitig kommt aber noch etwas völlig Neues hinzu: Die Studenten, die in diesen Jah ren an die Hochschule kommen, sollen nach dem Staatsexamen einen in bestimmter Hinsicht prinzipiell anderen Mathematik- unterricht erteilen, als sie selbst in ihrer Schulzeit erhielten. Bewerbersituation einerseits und der notwendigen Studienreform andererseits werden die Hoch schullehrer in den nächsten Jah ren mehr denn je gezwungen sein, die Studenten erst einmal so zu nehmen, wie sie sind und zwar gerade, weil sie nicht so bleiben sollen. Vor allem aber wird nie mand den Mathematikern die Aufgabe abnehmen, ihren Studen ten von vornherein ein möglichst exaktes, möglichst detailliertes, möglichst plastisches, unter die Haut gehendes Bild über die per spektivischen Folgen, die direkten und indirekten gesellschaftlichen Fernwirkungen heutiger Lücken und Versäumnisse in ihrem Beruf zu vermitteln. Denn so konzen triert, wie sie das wissen müssen, pfeifen es die Spatzen doch nicht von den Dächern. Wenn er nicht selber darauf kommt, muß ein Manfred Paprott gedanklich dazu gezwungen wer den, für sich persönlich zu begrei fen: Jeder, der während der vier Studienjahre diesem Beruf ver- lorengeht, fügt unserer Gesell schaft nicht nur den gut bekann ten materiellen Verlust zu, son dern er ist schlechthin unersetz lich auf der Lehrerstelle, die er hätte einnehmen sollen: Wird doch gegenwärtig nicht einmal die Hälfte des Mathematikunterrichts in unseren Schulen vom Fachleh rer erteilt! Jedes Versagen, jeder Qualitätsabstrich wird sich an der nächsten Generation, auch an den eigenen Kindern, rächen. Die technische Revolution bedeutet, um nur einen Aspekt zu nennen, unter anderem einen internatio nalen Wettlauf um die Studenten zahlen in Naturwissenschaft und Technik; selbst der Philologe wird 1980 ein solides mathematisches Fundament brauchen — der Ge schichtslehrer kann hier nicht ein- springen. Unser Abschneiden in der technischen Revolution aber ist unser wichtigster Beitrag zum Kampf gegen den deutschen und internationalen Imperialismus... Leider ist in der ganzen Situ- tion sehr zu spüren, daß auch die FDJ-Organisation einschließlich der HSGL „die Sache so noch nicht gesehen hat“, wie mir Wolfgang Knauer, der Studienfunktionär der HSGL, sagte. Sie bestimmt ihre Schwerpunkte sozusagen nach „verbandsinternen“ Regeln: Wo etwa die schwächste Fachlei tung ist, wird die meiste Kraft investiert. Über das Mathematik-, Physik lehrerproblem als vorrangigen volkswirtschaftlichen Schwer punkt der ganzen Hochschule weiß man in der HSGL eigentlich nur genauso ungefähr Bescheid wie jene Studenten selber. Aber muß es nicht zumindest in den Mittelpunkt der FDJ-Arbeit bei den Mathematikern gerückt wer den? Einstweilen sagten mir Peter Kolbe und Wolfgang Knauer von der HSGL: „Wenn du fragst, ob es ,unten' in den Gruppen, in den Fachschaften, z. B. in der Mathematik, einen ech ten Kampf gegen vorzeitige Ex matrikulation gibt — das müssen wir verneinen ..Da bin ich ver sucht zu fragen: Wozu ist denn die FDJ überhaupt da? Jeder Ab gangskandidat — und es gibt deren erfahrungsgemäß im 1. Stu dienjahr am meisten — gibt doch nicht nur Anlaß, sondern zwingt unbedingt dazu, konkret und per sönlich, d. h., auf den betreffen den Studenten zugeschnitten, die erste Aufgabe der FDJ an einer Hochschule, die Auseinanderset zung über den gesellschaftlichen Auftrag Studium, auf die Tages ordnung zu setzen. 2 „In die Mathematik dringt man nicht ein ohne echtes Interesse fürs Fach. Mathematisches Den ken ist nicht durch formale Stoß arbeit in den Nächten vor der Prüfung erlernbar. Mathematische Bücher, mit denen Sie sich zeitig befreunden müssen, fordern die Ausdauer und den Schweiß des Lesers.“ So Prof. Karl in seiner Einführungsvorlesung. Das bedeu tet streng genommen: Ohne Liebe zur Wissenschaft, ohne die Über zeugung voii der Notwendigkeit ihrer Aneignung für den Lehrer beruf ist ein Mathematiklehrer studium eigentlich aussichtslos. Daß auch dieses zweite große An triebsmotiv vielfach nicht oder nicht genügend funktioniert, zeigt der verbreitete, hier von Doris Nicolai formulierte Standpunkt: „Wir haben zuwenig Schulmathe matik. Den Stoff, den wir in den Vorlesungen und Übungen haben, werden wir später fast gar nicht brauchen.“ Wer ernstlich so denkt, wird den Lehrveranstaltungen gar nicht erst gründlich folgen und das „üerflüssige Zeug“ dann in letzter Minute gerade auf die VTeise pau ken. mit der man’s — siehe oben — nie begreift. Doris weiß nicht, daß sie da ein ebenso hartnäckiges wie un- Dieser Beitrag ist ein Aus zug aus dem Artikel »Wie wissen's die neuen Studen ten?", der als dritter in der Reihe „Vorlauf" im „Forum“ Nr. 19/65 erschien. Obwohl es sich um die Pädago gische Hochschule Potsdam handelt, veröffentlichen wir diesen Beitrag, weil wir meinen, daß die Probleme in ähnlicher Weise auch bei uns aktuell sein dürften, und zwar durchaus nicht nur für die Lehrerausbildung. Die Redaktion Und wie steht's bei uns? Prof. Karl hat selbst wesent lichen Anteil an der inhaltlichen Neugestaltung der Zeitschrift „Mathematik in der Schule". „Wenn sie die Studenten lesen würden“, sagte er, „dann wüßten sie, wohin wir mit dem Mathe matikuntericht wollen.“ Sie lesen nicht, aber es ist schwer zu sagen, was hier Ursache, was Wirkung ist. Bei ihrem gegenwärtigen Stand kann man ihnen auch den Text im Bildungsgesetz (§ 16). wo nach Inhalt und Aufbau des Ober stufenunterrichts „weitgehend am System der Wissenschaften zu orientieren“ sind, wonach die Schüler „in zunehmenden Maße zur Erkenntnis und Anwendung von Gesetzmäßigkeiten und wis senschaftlichen Theorien zu be fähigen“ sind, immer wieder zum Lesen geben — sie werden gerade den springenden Punkt für ihr Studium nicht erfassen. Wieso das Gesetz (§ 29) sogar den promo vierten Lehrer anstrebt, das ist am Ende schlechthin transzendent. Müßten nicht sowohl der Lehr körper als auch die FDJ den Aus gangspunkt für eine Veränderung in der Einstellung zur Wissen schaft darin sehen, erst einmal eingehend das neue Mathematik lehrprogramm bekanntzumachen, nicht so sehr die Details natürlich als vielmehr die ihm zugrunde hegende theoretische Konzeption, die jede Trennung von Unterricht und Wissenschaft ausschließt? Ganz begreifen werden sie's frei lich nur, wenn der Geist schöpfe rischer, produktiver und nicht nur reproduktiver wissenschaft licher Arbeit den Alltag ihres Stu- diums durchdringt, wern Sie &urer dessen Gesamtanlage gezwungen werden, selbst die Schülereinstel lung zur Wissenschaft abzulegen. 3 Je genauer, konkreter, umfas sender man die Möglichkeiten kennt, die der künftige Beruf für die produktive Entfaltung der eigenen Persönlichkeit bietet, je besser man die Anforderungen kennt, denen man dann gewach sen sein muß, um so intensiver wird man sich auf ihn vorberei ten. Das Berufsziel, wenn es zu gleich auch als Ideal und Berufung empfunden wird, ist das dritte große Antriebsmotiv für die Durchgangsstufe Studium. Wie be wußt wird dieses letzte Motiv, in gewissem Sinne die Synthese aller anderen, gefördert und ein gesetzt? Wissen die Studenten, was sie erwartet? Wissen sie, daß es kaum einen schöneren, vielseitigeren Beruf als Lehrer gibt — wenn man ihn schöpferisch bewältigt und'in allen Richtungen ausschöpft? Nein. Nein? Sicher, es ist voreilig, „die Studenten“ zu sagen. Einige der älteren Kommilitonen, die jetzt das Studium aufnehmen, haben schon ein Bild davon. Aber die meisten bringen von der Ober schule naturgemäß eine recht ein geschränkte und „ideale“ (in Wirklichkeit eher beschauliche) Vorstellung mit, in der sich die Spannweite des Lehrerberufs im wesentlichen auf das Verhältnis zum Fach und zur Klasse, „mit der man auch mal Ärger haben kann“, reduziert. Kritisch wird es erst, wenn es nach dem 1. Studien jahr noch dabei geblieben ist, wenn in einem Jahr Hochschule weiter nichts dazugekommen ist als — wie bei Doris Nicolai — Angst vor Prüfungsversagen und vor dem möglichen Nervenzusam menbruch im ersten Schuljahr. Falls man die Korrektur dem schulpraktischen Semester im letzten Studienjahr überläßt — wie viele Chancen hat dann man cher drei Jahre lang schon aus gelassen! Auch die Trägen und Bequemen unter den Studenten müssen z. B. im 1. Studienjahr darauf gestoßen werden, daß der Lehrerberuf ein außerordentliches Maß an weltanschaulich-politi scher. wissenschaftlicher und kul turell-künstlerischer Allgemein bildung verlangt. Noch weniger wissen die Stu denten. auch nach dem 1. Stu dienjahr, was die Schule als ge sellschaftliche Wirklichkeit, die doch* wie jede andere Sphäre un seres Lebens mitten in den um fassenden Aufbau des Sozialis mus, damit auch in die Wider sprüche dieser Etappe der Über gangsperiode vom Kapitalismus zum Kommunismus hineingestelit ist, an Konflikten für den jungen Lehrer bereithält. Ich denke etwa an das Tagebuch der jungen Leh- rerin Mathilde Dau, das vor zwei Jahren im „Forum“ stand. Dort wurde sehr deutlich: Jeder junge Lehrer wird an der Schule auch mit Kollegen (nicht nur mit offen sichtlich rückständigen), ja mit Leitern in Berührung kommen, die sich innerlich zur Ruhe gesetzt haben, für die der Sozialismus schon fertig, unsere Revolution schon zu Ende ist. Wer da nicht schon von der Hochschule Steh vermögen, Rückgrat mitbringt, wird sich nur zu schnell anpassen. Insbesondere in der FDJ müssen sie sich doch zum Kampf für das Neue rüsten, und das heißt auch zum Kampf sowohl gegen die heute vor allem moralischen Mut termale der alten Gesellschaft im eigenen Haus als auch’ gegen die alte Gesellschaft im Westen selbst und gegen ihren Einfluß auf un ser Leben. Wieso wurden die Studenten des vorigen 1. Studienjahres weder durch den Lehrkörper noch in der FDJ mit der Tatsache konfron tiert, daß es in unserem Schul alltag Konflikte gibt — sondern durch den Roman „Liebe ohne Wenn und Aber“ in einer Wochenzeitung? über den wurde nämlich — „neben der FDJ“ — diskutiert. Müßte nicht der ganze Ausbild- dungs- und Erziehungsstil an der Hochschule darauf gerichtet sein, die Studenten auf den Kampf um die Verwirklichung des einheit lichen sozialistischen Bildungs- systems. dieser großen Konzep tion zur Heranbildung freier schöpferischer Menschen, einzu stellen und vorzubereiten? Muß nicht die Studienarbeit der FDJ getragen sein von der Erkenntnis: Nur wer um sein Fach, um sein Studium kämpft, wer „das Risiko“ nicht fürchtet, nur auf den kann man rechnen, wo es auf Ausdauer und Festigkeit in den mitunter komplizierten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen unserer Tage ankommt. Und wie man selbständige Ar beit nur durch selbständiges Ar beiten lernen kann, so auch mora- lisch-politisches Kämpfertum nur durch die Teilnahme an der gesell schaftlichen Auseinandersetzung. Auch hier kommt es auf den rich tigen Stil an, den Stil des Jugend kommuniques! Ich hörte von Stu denten, zufällig nicht in Potsdam: „Man sagt uns immer, wir sollen parteilich sein, man fordert Klar heit. wir sollen .einen Standpunkt haben' usw., aber es klingt immer wie: .Ihr sollt mit allem einver standen sein, so wie es ist. Es gibt zwar noch kleine Mängel und Schwächen. Schönheitsfehler sozu sagen, es gibt auch noch Schwie rigkeiten. Aber im Prinzip ist alles in Ordnung, und ihr habt ja zu sagen'.“ Was für ein Mißver ständnis! Und was für ein fal scher Stil der politisch-ideologi schen Arbeit, der so einen Ein druck erweckt! In Lenins letzter Schrift, dem Aufsatz ..Lieber weniger, aber besser“ (Lenin Werke, Band 33, Seite 476), kann man sich authen tisch informieren, wie die Klassi ker darüber dachten. Lenin hatte alle Hoffnungen gesetzt auf „die besten Elemente, die es in unserer sozialen Ordnung gibt — nämlich: erstens die fortschrittlichsten Ar beiter und zweitens die wirklich aufgeklärten Elemente, für die man bürgen kann, daß sie kein Wort auf Treu und Glauben hin nehmen. kein Wort gegen ihr Ge wissen sagen werden — sich nicht scheuen, jede Schwierigkeit einzu gestehen, und vor keinem Kampf zur Erreichung des Zieles zurück zuschrecken, das sie sich ernsthaft gesteckt haben“. Genau solche „aufgeklärten Elemente“ fordert das Jugendkommunique. Genau solche „aufgeklärten Elemente“ braucht unsere Schule. Rudolf Bahro „Hochschul-Spiegel" Redaktionskollegium: Dipl.-Leh rer H. Model (Redakteur), Ing. Chr. Dölling, Dipl.-Ing. G. Eil hauer, Dipl.-Sportlehrer G. Hauck, Dipl.phil. A. Heidemann, Dipl.-Ing. Kempe. A. Lohse, Dipl.-Math. Mätzel. Dr. rer. nat. Schneider. Herausgeber. SED-Betriebspar teiorganisation der Technischen Hochschule Karl-Marx-Staat. Veröffentlicht unter Lizenz-Nr. 125 K des Rates des Bezirkes Karl-Marx-Stadt. Druck: Druck haus Karl-Marx-Stadt. 2513 A41