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^169. Dienstag, den 23. Juli, abends. 1889. ZÄr vrosäo» viortsljltkrUok > ÜI. bv kl., d«i 4ao ÜLi»vrl. äonttoboo viortel- Mu-liot» 3 bt.; »u»,vrb»lb äs« ävut-cboa N«iole« tritt kost- uocl 8t«wp«1ra»vbiLz bü»a. LLlcklnälxuox^godkdreli r kür ä«a L»aa> oiver xöspicltvoen 2oilo tlsirer koüritt SO kk. Dotsr „Lio^sEldt" äco 2«U« bv kl. ö« k»bsU«L- ULÜ iLiNorL8»tL oottpr. Lrscdotusu, Ttl^Uvi» mit ^a»»»tuo« äor 8oa»- vnä kviert»8» »k«vll,. k»rn,pr»«tl-^L,ol»Ills,- Ur. 12VL. Dres-llerIsmMl. ^ür die Gesamtleitung verantwortlich: Hofrat Otto Banck, Professor der (itteratur- und Kunstgeschichte. v«> F»KL»LIx»»-«» »«Ntlrt», Lolxstx: />>. 6ommü»io»^r äo» Urv-äaer 1oorQ»1»; L»«dnrU - S»rU» - Visa - - PrmUclurt ». IS.: L kvAter,- N-rUo-VW» Sisdiuij- kr»x-L«tr«t3-kr»iUrrllrt ». H.-IlLoeü«»: /<««<. L7o«« / r»rt,-L»»äo»-L«rUo-k>»llkkr1 ». T>a»b« L Oo.,- N»rU»! /nvatt<i«»ttt«nt, 08-Ut»: O. LM«r« ^«7-i/ota«',' L»!u><,r»rr v. Lcäü«>t«-,' S»U« ». s.i Larct L Oa. Lkvi^I Lrpv'iitioo äo» t>r««closr ^onrimt». vrs-aon, 2»io^vritrL»»s tO. korvip^oeb-^veottto«»: Ur. ILÜK. Amtlicher Teil. Dresden, 23.Juli. Ihre Majestäten der König und die Königin sind gestern Abend, von Franzens- bad kommend, im Königlichen Hoslager zu Pillnitz wieder eingetroffen. Nichtamtlicher Teil. Telegraphische Wachrichten. Selsoevik, 22. Juli. (Tel. d. DreSdn. Journ.) Die kaiserliche Jacht „Hohenzollern" verließ gestern abend 10 Uhr Dtggermulen, kam heute früh um 4 Uhr in Vodoe an und fuhr nachmittags in den Holandfjord. Der Kaiser begab sich hier au Land, um die bis fast an das Meereönivcau hinunter- gehenden Gletscher der Svartiscnkctte zu besuchen. Das Wetter war unvergleichlich schön, die Tage-- temperatur betrug 15 Grad Reaumur. Abends 8 Uhr wurde die Fahrt bei spiegelglatter See nach Bergen fortgesetzt. Karlsruhe, 22. Juli. (W. T. B.) Nack offizieller Darstellung deS Verlaufs der Krankheit deü Erbgroßbrrzegs find gestern abend znm ersten Male Erscheinungen einer Beteiligung des Lun- grngewtbtS bei der Erkrankung in einem etwa thalergroßen Bezirke nachgewiesen worden. Dem am Morgen ausgegebenen Bulletin zufolge besteht die Krankheit in einer absteigenden Entzündung der Luftwege, welche zu einer Beteiligung des Lungengtwcbeö führte. Die letzte Nacht war besser als die vorhergehende; die Temperatur sank von 40,2° 0. am Abend vorher auf 30" 6. Das Allgemeinbefinden ist gut. Außer dem behandeln den geh. Hofrat Bäumler sind die Grh.-Räte Tenner und Kußmaul hier anwesend. Dieselben stimmen hinsichtlich der Beurteilung der Krank- heit überein. Paris, 23. Juli. (Tel. d. DreSdn. Journ.) Die „Mpublique fran^aise" will wissen, die Kommission des obersten StaatSgerichtsbofeS würde am nächsten Sonnabend gegen Boulanger und Genossen die „Verlustordonnanz" erlassen, wodurch den Ange- klagten, welche sich dem Gerichtshöfe nicht gestellt hätten, die Ausübung der bürgerlichen und politi- scheu Rechte entzogen und Boulanger, Roche fort und Dillon infolgedessen von Sonnabend ab nicht mehr wählbar wären. WaS Boulanger an geht, so verlangt das genannte Organ, daß sofort ein Kriegsgericht zur Aburteilung dieses Mauueö zusammentrete. Row, 22. Juli. (W. T. B) Der „Osserva- tore Romano^ hebt der „Riforma" gegenüber her vor, wenn der Papst von Rom abreise, so geschähe dies nur, weil ein Verbleiben in Rom ihm durch daS Vorgehen der Regierung unmöglich gemacht, und seine provisorische Entfernung durch zwingende Gründe geboten würde. Der Papst werde, wo immer er sich auch befinden möge, niemals der Anstifter eines Krieges, sondern immer der souveräne Trä- grr der Ordnung und deS Friedens bleiben. Die „Tribuna" weist darauf hin, daß, da am 31. Dezember d. I. der Vertrag zwischen Italien und Tunis ablaufr und beide Kontrahenten be rechtigt seien, Abänderungen anzuregen, die Frage entstehe, ob eö möglich sei, daß die geänderte Sach lage in Tunis die Bestimmungen des Vertrages beeinflussen könne. DaS Blatt hebt hierbei die große handelspolitische Wichtigkeit dieser Frage hervor. Konstantinopel, 23. Juli. (Tel. d. DreSdn. Journ.) König Milan ist gestern nach Belgrad abgerrist. Dresden, 23. Juli. Die Türkei und der Dreibund. Deutsche und auswärtige Zeitungen haben dieser Tage die Nachricht von dem Eintritte der Türkei in den Dreibund gebracht und ohne viel Mißtrauen gegen die Zuverlässigkeit der Meldung sich eifrig über die Be deutung des Ereignisses ausgesprochen. Diese Glau- benSseligkeit ist aber keineswegs in der gesamten ein flußreichen Presse zum Ausdruck gelaugt, vielmehr hat eine Anzahl deutscher Blätter die Mitteilung gar nicht oder doch sehr skeptisch ausgenommen. Zu den letz teren gehört auch die »Netivnalzeitung*, welche die Nachricht als ein sehr bedenkliches Zeichen von som merlichem Stofjmangel auf politischem Gebiet bezeich nete und diese ihre Ansicht in einer längeren Betrach tung verteidigte, deren verständiger und höchstens in seiner letzten Folgerung anfechtbarer Inhalt beachtet sein will. ES herßt in der Auslassung: Die Pforte kennt seit dem letzten Kriege gegen Rußland keine andere Politik mehr, als die, es mit niemand zu verderben, und wie sie um sich der die tiefste Ruhe wünscht, so vermeidet sie auch selbst jede geräuschvolle Bewegung, um auf ihr Vorhandensein ja möglichst wenig ousmerssam zu machen. Ein solcher Staat sucht leine Allianzen, da solche immer an an derer Stelle Anstoß erregen müssen, wird aber auch von niemand als Alliierter gesucht, am allerwenigsten von den Friedensmächten, da eS in der Natur der Dinge liegt, daß die Pforte von selbst der von den selben verfolgten Politik das beste Gelingen wünschen und nötigenfalls mit ihnen gemeinsame Sache machen muß. Die Verbreiter dec eingangs erwähnten „Neuig keit" hatten ja recht, wenn sie erzählten, Rußland habe sich in letzter Zeit wieder sehr bemüht, die Pforte für sich zu gewivnen. Rußland hat stets derartige Be mühungen gemacht, und hat eS auch nötig, da ihm au» freien Stücken die Pforte weder Bulgarien, vor ausgesetzt, daß sie dazu überhaupt im stände wäre, und mit ihm den Landweg nach Konstantinopel ans- lirsern, noch den Bosporus öffnen wird. Aber auch Rußt md gegenüber beobachtet die Pforte, da sie nie mand durch Widerspruch reizen w.ll, eben jenes ihr eigentümliche und von ihr mit der Zeit zur Virtuosität aus gebildete System des NachgebenSin Worten,deSHinziehenS und schließlichen NichtsthuenS. Es fällt ihr gar nicht ein, Rußland den Weg nach Konstantinopel zu ebnen. Vorübergehende und teilweise Erfolge allerdings haben Rußland und Frankreich beim Sultan fchon erzielt, z. B. damals, als er die türkischen Rechtstitel auf alle ostaftikanischen Küstenplätze geltend zu machen sich an schickte. Es blerbt aber auch in solchen Fällen nur bei ganz vorübergehenden Regungen. Hat Rußland gerade jetzt wieder besonders dringend auf die Pforte einzuwirken gesucht, so ist das wohl darum geschehen, werl die angeblichen Erfolge Rußlands in Belgrad und Rumänien einen Eindruck in Konstantinopel zu machen verhießen. Uber die wirkliche Bedeutung der selben ist man aber dort sicher rechtzeitig von anderer zunächst interessierter Seite genügend unterrichtet wor den, und so konnte ein entscheidender Eindruck durch Rußland in Konstantinopel sichert ch nie erzielt wer den. Ebendamit fallen auch die angeblichen eifrigen Anstrengungen höchster deutscher Instanzen, die Pforte wieder von Rußland loszubringen, welche schließlich von Erfolg gekrönt worden fein und den förmlichen Beitritt der Türkei zur Tripelallianz herbeigeführt haben sollen, dahin; diese Anstrengungen wären gegen standslos gewesen. Bon ihnen zu fabeln, ist eigent lich nur ein Thema für russische Hetzblätter. Werden Feuilleton. Verschlossenes Herz. IS Novelle von Adolf Stern. (Fortsetzung.) Auch Hermine sah nicht den Almgängern nach, sie schaute nach den ostwärts gelegenen morgenhellen Wänden und Gletscherfeldern hinüber, zwischen denen auch das Ziel der rüstigen Fußgänger lag. Sie em pfand es mit Bitterkeit, daß sie sich die Teilnahme der frischen Wanderung versagen mußte. Ein leises Frösteln überkam sie, sie besann sich, daß sie im ein fachen Kleid, ohne jede weitere Hülle in der Kühle des Septembermorgevs im Freien stand und eilte, das große Gastgemach, in dem die beiden allen Damen frühstücken wollten, wieder zu erreichen. Sie wußte jedoch zugleich, daß der Schauder, den sie empfand, ein innerer sei, welchen die Wärme de» Zimmers und heißer Kaffee nicht vertreiben würden. Aber sie war froh, für den Augenblick sich selbst und den unverständ lichen Regungen in ihrer Seele zu entrinnen — sie hoffte aus ein gleichgiltig behagliches Gespräch mit Tante Clotilde und begann, als sie zu drei am Tisch faßen, dies Gespräch mit der Frage: »Haben Sie dem Papa geschrieben, Tante, ist Ihr Brief fchon weg?" »Zum Glück ward ich nicht fertigt entgegnete das alte Fräulein. ,Zch setz« mich nachher gleich hin und erzähle Gebhard, daß Gott ein Wunder gewirkt und Lein Herz erschlossen hat." »Was träume« Sie denn, liebe Tante?* fragte Hermine zurück. »Was nennen Sie ein Wunder? Sie wissen, daß ich so hohe Worte nicht liebe, wenn von mir die Rede ist." »Nun, ich halte eS fast für ein Wunder, daß Du Herbert zu Liede heute hier bleibst, ihm sogar ent- gegensahren willst. — Um ganz offen zu sein, Kind — ich hätte es Dir kaum zugetraut, so kühl und so unbräutlich warst Du immer gegen den armen Herbert, der Dir sein ganzes Herz giebt und dafür ein wenig Anrecht auf daS Deine hat." »Von alledem weiß ich nichtsI* fagte Hermine, deren Gesicht einen düsteren Ausdruck zeigte. »Sie wissen, daß ich Herbert auf den Wunsch meine» Papas heiraten und versuchen werde, ihm eine so gute Frau zu sein, als meine Pflicht ist. Ich weiß, daß er um meine Hand wirbt, weil er mit meinem Vater in wichtigen Verbindungen steht und ein großes Haus zu machen wünscht, was für einen unverheirateten Mann unmöglich ist. Er hat mir nie eine Roman phrase gesagt und weiß wohl, daß ich ihm dies hoch anrechne. Ihm würde der Werther zu Gesicht stehen, wie mir die Lotte — ich glaube, selbst Sie müßten lachen." »Wie Tu wieder sprichst, unheilig und unver ständig!* erwiderte Tante Clotilde mit kauendem Munde und der Gegensatz ihrer Worte und der mit Butterbrod gefüllten Backen wirkten Hermines ernster Stimmung zum Trotz unwiderstehlich komisch. »Als ob eS keine andere, keine edlere Liebe gäbe, als die alberne Romanleidenschaft.* »Giebt eS eine andere, fo kennen sie Herbert und ich noch weniger', warf Hermine kurz hin. »Lassen Sie nn» da» zwischen mir und meinem künftigen Ge- von deutscher Seite überhaupt irgend welche Anstreng ungen in Konstantinopel gemacht, so beziehen sich die selben höchstens auf die thunlichste militärische Regene ration der Pforte, zu welchem Zwecke ihr gestattet wurde, meist deutsche Offiziere rn ihre Dienste zu nehmen, ein deutlicher Beweis, daß man in Berlin von ihr keine andere militärische Aktion, als eine solche zur Verteidigung ihres Bestandes mehr erwartet. Ist aber die Türkei zu aggressivem Vorgehen und damit auch zu jeder Aggresivolliavz, wie Rußland sie allein anbieten könnte, unfähig geworden, so auch zu jeder anderen Anstrenaung, welche über die Lebens- fristung von einem Tage zum andern hinausgeht. Dem Berliner Vertrag zufolge müßte die Pforte schon längst Reformen und eine gewisse Autonomie in Mazedonien und Armenien ewgesührt haben. Bis jetzt, also 11 Jahre nach Abschluß jenes Vertrages, rst auch noch nicht der geringste einleitende Schritt hierzu geschehen. Tie Pforte fühlt sich einfach un fähig zu einer solchen Krastanstrengung; die Durch führung von Reformen kostet Geld, welches sie be kanntlich nicht hat, sie erfordert tüchtige Männer, welche ein lebendiges Interesse an dem Wohl der be treffenden Länder und überhaupt der Unterthanln deS Sultans besitzen. Aber solche Männer würde man unter den PafchaS vergebens suchen. Jede die Lage der Christen verbessernde Reform ferner würde in Maze donien sowohl wie in Armenien wahrscheinlich den Widerstand der Muselmanen Hervorrufen und bezüg lich des zuerstgenaunten Landes auch die verschiedenen christlichen Stämme, welche in demselben wohnen, die Serben, Bulgaren und Griechen, in eine bedenk liche Erregung gegenseitiger Eifersucht versetzen. Die Erfahrung endlich hat die Pforte gelehrt, daß jedes Zugeständnis autonomer Einrichtungen an gewisse Landesteile nur ein Abschnürungs- Verfahren rst, welches die gänzliche LoLtrennung deS betreffenden Gliedes vorbereitet. Lord Salisbury hat dies in feiner jüngsten Rede selbst anerkannt, indem er die völlige LoLtrennung Kretas von der Türkei als eine reine Frage der Zeit bezeichnete. Daß ein solches Ereignis nicht den für den Frieden bedroh lichen Bestrebungen zu Gute kommen kann, dafür zu sorgen rst u. a. sicher auch das auf das Mittelmeer bezügliche Abkommen zwischen England, Italien und Österreich-Ungarn bestimmt. Wenn der ebengenannte Staatsmann kürzlich, im Unterhause interpelliert, ob die englische Negierung nicht bei der Pforte auf die Abstellung der schre-enden Mißstände in Armenien zu dringen gedenke, erwiderte, er beabsichtige letzieres nicht, England habe seinen Einfluß bci der Pforte eingebüßt, da es während der letzten rufsisch-türkijchen Krieges nicht thätig sür sie erngetreten sei, so hat er insofern die Wahrheit ge sagt, als England sich wegen der Armenier schwerlich erhitzen dürfte, den eigentlichen Grund dafür aber hat er nicht angegeben. England hat, indem cs Cypern okkupierte, dcr Türkei ihr Gebiet garantiert unter der Bedingung, daß sie die ihr auferlegten Reformen in Ar- meisten durchführe; auf den ersten Blick könnte man glau ben, diese Vertragsklausel allein gebeEngland dieMöglich- leit eines starken Drucks auf die Pforte an die Hand. Dies ist indessen nur Schein. Jede neue Verstümmelung dcr Türkei würde dieselbe zur ferneren Behauptung Kon stantinopels unfähig machen; mit oder ohne Reformen in Armenien muß also England eine solche doch mit allen Mitteln h'.ntauzuhalten suchen und das weiß man in Konstantinopel ebenso gut wie in London. Ein Versuch Englands, die Pforte zu Reformen zu drängen, wäre also zweifelsohne erfolglos und würde bestenfalls der türkifcheu Regierung die bekannten be deutungslosen Redensarten abnötigen. Auch die Freunde der Türkei haben den Glauben ihrer Regene- rationsfähigkeit verloren, sie gerade wissen, daß auf mahl schlichten, Tante! Denken Sie lieber mit mir darüber nach, wie wir hier etwas zusammenstellen, was Herbert ein Diner nennen wird, damit ich nicht in seinen Augen von vornherein als ganz unbrauch bare Hausfrau gelte.' »Dein Herz ist doch nicht so offen, wie es sein sollte!' bemerkte Fräulein Clotilde kopfschüttelnd. ^Aber der Finger Gottes rührt schon zu rechter Zeit daran — nicht wahr Emilie? Das haben wir im Leben ost erfahren," wandte sie sich zu der schweig samen Pastorin »Danken Sie Gott, daß mein Herz bleibt, was Sie verschlossen nennen!' entgegnete Hermine, der es bei diesem Gespräch zum Bewußtsein kam, wie elend sie sich innerlich fühlte. War denn ihr heiterer Lebensmut, ihre sichere Ruhe in die Lüste verweht, welche über diese Höhen streichen? Sie wollte die Tante um keinen Preis in ihr Inneres blicken lassen und empfand, daß sie schon zuviel gesagt habe. So nahm sie jetzt die Miene an, nur mit den äußersten Sorgen des Tages beschäftigt zu sein, sie ließ den Gasthalter, die Wirtschafterin und Burgei herzurufrn, sie ordnete das Mtttagscffen an und wählte die besten Weine de» HaweS aus, sie sandte telegraphische De peschen nach Borwio hinab und bestellte da- Fuhr werk für Santa Marra auf Mittag, sie traf bereits Vorsorge sür die demnächst bevorstehende Abreise. Indem sie drm Gasthalter die Adressen in Meran und Bellaggio diktierte, an welche Koffer und Kisten ge schickt werden sollten, wandelte sie ein schmerzliche» Vorgefühl der Zeit an, m welcher sie wieder fern von ihrer geliebten Bergwelt fein werde. Sie erhob sich rasch und sagte ausatmend: dieses zerfallende Reich der Sah Anwendung findet: 8it ut est, aut NOU sit. So wie sie ist, kann die Türkei bei einer kriegerischen Katastrophe immer noch ein Ge wicht zu Gunsten der konservativen Mächte in die Wagschole werfen, beunruhigt man sie durch schließlich doch fruchtlose Bedrängung mit Resormforderungen, so beschleunigt man nur die Zersetzung. Mit einer Macht, von welcher man fo denkt, und welche ihrerseits von solchen Gesichtspunkten, wie die oben skizzierten, sich leiten läßt, schließt man keine formulierten Bünd nisse auf lange Sicht, so"dern man rechnet bezüglich ihrer mit der Logik der Thatsachen. Diese aber redet bezüglich der Türkei eine deut liche Sprache. Kommt cs zu einem großen Kriege, so springt derselbe ohne Zweifel auch auf die Balkan- Halbinsel über, unter welcher Etikette er auch begonnen werden möge. In diesem Falle aber kann die Türkei nicht neutral bleibeu, denn ihre Existenz ist es, um welche dort gekämpft wird, und eben darum kann sie nur Seite an Sette mit den Mächten auftreten, welche die Fristung ihrer Existenz anstreben. Die Tripel allianz ist einer Kommanditgesellschaft zu vergleichen; sie hat stille Teilhaber; einer davon ist jedenfalls die Türk i, aber nicht erst seit neuerer Zeit, sordern fchon längst Ohne die Tripelallianz würde sie vielleicht schon heute nicht mehr bestehen. Lagesgeschichte. * Berlin, 22. Juli. Se. Majestät der Kaiser erledigte nach Eintreffen in TromSö am Freitag, 19. Juli, Regierungsangelegenheiten und verblieb den Nachmittag an Bord. Am Sonnabend, 20. Juli, vormittags, begab Sich Se. Majestät in TromSö ans Land und unternahm in Begleitung des Grafen Wal- dersce einen längeren Spaziergang. An Bord zurück gekehrt, arbeitete Se. Majestät allein und befahl um 4 Uhr nachmittags bei schönstem Wetter die Weiter fahrt uach dem Rastsund der Losoteninselu. Aus dem Wege dahin wurde nachts um 11 Uhr die auf 69 Grad nördlicher Breite gelegene Enge bei der Insel Haslö erreicht und dabei em schmaler, von vielen Hundert Möwen bewohnter Felsabhang unmittelbar passiert. Die Mitternachtssonne strahlte in den buntesten Far ben, einzelne Wale stießen ihre Wasserstrahlen über das ruhige Meer hinaus. Nördlich um die Insel Andö steuernd, erreichte die Jacht am Sonntag, 21. Juli, 8 Uhr morgens, den Gavrfjord. Um 10 Uhr hielt Se. Majestät nach Besichtigung der Besatzung den Gottesdienst Allerhöchstseldst ab. Gegen mittag ankerte die Jacht vor Diggermulen im RaftsunV. Se. Maje stät befindet Sich im besten Wohlsein und beabsich tigte, gestern abend die Rückreise über Bodö fortzu fetzen. Der Wiener »Pol. Corr.* wird aus Berlin Fol gendes geschrieben: Seit einigen Wochen findet man in den verschiedenen hie sigen Blättern heftige Klagen über das, was man .offiziöse Kundgebungen" zu nennen beliebt, und es treien dabei Widersprüche und Begriffsverwirrungen zu Tage, die cs er wünscht erscheinen lassen, zur Aujklärung des auswärtigen Publikums einige Worte darüber zu sagen. Die Bezeichnung »offiziös" wird von denjenigen Blättern, die eS sich zur Ehre anrechnen, so häufig mit der Regierung in Widerspruch zu stehen, daß sie niemals für .offiziös gehalten werden können, vielfach ganz willkürlich angewandt. Es genügt in vielen Fällen, daß eine Zeitung, welche die Politik der Re gierung unterstützt, einen in dieser oder jener Richtung bemer kenswerten Artikel über irgend eine Tagesstage bringe, um im entgegengesetzten Lager vereinzelte oder zahlreiche Stimmen wachzurusen, die diesen Artrkel schlankweg ohne weitere Begrün dung al» eincn .offiziösen' bezeichnen. Nun sind aber gerade in jüngster Zeit Kundgebungen der Presse, von denen die eine genau Vas Gegenteil dessen behauptete, was die andere gesagt hatte, gleichzeitig oder succesive als »offiziöse' Kundgebungen hmgcstellt worden. WaS versteht man nun eigentlich unter drm Worte offiziös? Soll dasselbe soviel wie mittelbar amtlich, von amtlicher Seite eingegeben oder Ähnliches bereuten, io bleiben „Die Lust hier drückt mich, Tante Clotilde. Wenn Sie also nach Haus schreiben, grüßen Sie Papa. Eincn Brief von mir erhält er, sobald wir drunten in den Bagni sind. Jetzt will ich einen kurzen Spa ziergang wachen, wenn inzwischen Antwort von Bor wio kommt, Herr Blaa», fo können Sie den Wagen nach Santa Maria anspannen lassen!* Und mit ihrem alten elastischen Schritt verließ sie daS Zimmer, das HauS und ging die leichte Steigung längs der Ebeubachschlucht auswärts. Die Morgensonne hatte die Nebel tief herabgedrückt, nur an den Wiesenhängen jenseits der Schlucht und über dem braunen Schnee der nächsten Höhe wirbelten noch ein paar Streifen wie Rauchwolken dahin, über den ferneren Höhen leuchteten die bläulich schimmernden EiLwäude und die weißcn Spitzen, der Himmel war rein und tiefblau wir gestern und versprach noch eine Reihe schöner Tage. Nur die Luft dünkte Hermine herbstlicher, kälter als gestern — oder war auch das nur in ihr? Sie hatte nicht allein sein wollen und doch war ihr die Gesellschaft dcr Tante und ihrer alten Lebensgefährtin alsbald unerträglich geworden, ihr Geplauder vermehrte die innere Pein, die sie empfand. Am liebsten wäre sie ziellos in die Weite zwischen die Eisfelder, die Höhen und Schluchten des Gebirges hinein gestürmt. Denn sie spürte immer deutlicher, daß sich eine fremde Macht in ihr Leben drängte, daß sie unablässig an Rainer Tiefenbrunner dachte und sein verwegenes Hoffen mit innerem Mit leid nachlebte. Sie malte sich aus, welche bange, öde, traurige Wochen und Monate ihrem Führer in dem langen Winter, drunten in dem armcn Dorfe, bevor- standen, sie fand eS so menschlich verzeihlich, daß der