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vsr IWgttladr wi7. In Frankfurt hatte sich schon im Juli 1816 die Erhö- hung der Futterpreise bemerkbar gemacht; allmählich folgte eine Teuerung der meisten Lebensmittel. Wegen des beständig kühlen und regnerischen Wetters war an die Ernie erst sehr spät zu denken. Nach verschiedenen Vorschlägen und längeren Beratungen wurden Ende Ok tober bei den Aemtern und milden Stiftungen, die den eignen Bedarf übersteigenden Beträge an Brotfrüchten enteignet und auf die Stadtkasse übernommen, ferner der Ankauf eines größeren Betrages an auswärtigem Korn und Kartoffeln zur Aufspeicherung verfügt, um für Be dürftige Suppenspeisungen oder Naturalspenden im Winter und Frühjahr veranstalten zu können. Mit den Bäckern wurden Brotlieferungsverträge aus diesem Getreide abgeschlossen und kurz vor Weihnachten 1816 konnten die wöchentlichen Brotabgaben beginnen. Das städtische Brot konnten alle als würdig und bedürf tig bezeichnete Personen gegen ein vorher ausgehändigtes „Zeichen 3", in Empfang nehmen: und zwar wurde der tz pfündige Laib Roggenbrot 4 bis 6 Kreuzer unter dem amtlichen Taxpreis abgegeben, der damals im Dezember schon auf das Doppelte des ursprünglichen Preises ge stiegen war. Daneben hatte sich gegen die wachsende Not schon An fang November aus mehreren bemittelten Frankfurter Bürgern ein sogenannter „Kornverein" gebildet mit der Absicht, durch freiwillige Spenden Getreide und bil liges Brot für Unbemittelte zu beschaffen. Für die Aus teilung des Brotes bestellte dieser Verein eine besondere Kommission, wir würden heute sagen Brotkommission, die im engen Einvernehmen mit den städtischen Behörden und unterstützt von mehreren Bürgern als freiwilligen Helfern in jedem Stadtquartter die einlaufenden Gesuche prüfte und die Listen führte. Schon wenige Tage nach dem Beginn der städtischen Brotausgabe in der Nikolaikirche konnte der Kornverein mit der Verteilung von 5000 Laib Brot für die Woche den Anfang machen. Die Verteilung geschah wie bei der Stadt gegen gestempelte. Brotkarten, die wöchentlich von der Brotkommission ausgegeben wurden. Gegen eine solche Karte konnte man bei sämtlichen Frankfurter Bäckern einen 6-Pfund-Laib zum gleichen Vorzugspreise erhalten wie Lei der Stadt. Der Mehrbetrag gegen die amtliche Taxe wurde den Bäckern ans der Vereinskasse vergütet. Die Polizei wachte darüber, daß die Bäcker auch immer gutes Brot in hinreichender Menge bereit hielten. Da der Mangel jedoch stetig weiter wuchs, beschloß der Senat im Januar 1817 außer der öffentlichen Abgabe des wohlfeilen Brotes bis zur nächsten Ernte die unent geltliche Verteilung von Kartoffeln vorzunehmen. Feder Bedürftige erhielt wiederum eine Kartoffelkarte, gegen die er wöchentlich eine bestimmte Kartoffelmenge abholen konnte. Als dann im Frühjahr die Kartoffelbestände zu Ende gingen und die weitere Beschaffung wegen des Man gels und der Kosten schwierig war, wurde Reis angekgust -und ebenfalls gegen Karten ausgeteilt. - - Sehr viel zur Verschlimmerung der wirtschaftlichen Verhältnisse vor 100 Jahren trug bei, daß so mancher die allgemeine Notlage zu seinem Vorteil auszunutzen suchte, wie ja leider auch heute in unserer Bedrängnis. Vor- nehmlich trieb damals der Getreidewucher sein Unwesen. Um dem entgegrnzuwirken, haben damals die „Frankfurter Nachrichten" die Schrift Martin Luthers vom Jahre 1540: „An die, so Wucher treiben und doch Christen sein wollen" in ihrem ganzen Umfang zum Abdruck gebracht. Viel ge nützt hat diese Mahnung aber nicht, und es ist traurig, daß wir auch heute aller eindringlichen Vorstellungen un geachtet nicht besser daran sind. Im April nahm die Nah- rnngsnot überhand, und das als Notvorrat angekaufte Korn mußte angegriffen werden. Zugleich wurden Wei- iere Koruanschassungen im Ausland gemacht, UM den Vorrat voll zn erhalten und womöalich noch zu vermehren. Dennoch war die Verpflegung der Stadt keiä neswegs gesichert. Die Aussichten für die neue Ernte wa ren zwar gut, aber bis dahin war es noch weit. Nun hatte sich das rechtzeitige Eintreffen der von Holland erwarteten Kornsendungen durch Anschwellen des Rheins sehr unlieb sam verzögert; zu Land erwartete Sendungen wurden durch Fehlen von Zugvieh zurückgehalten. Indessen schmolzen die vorhandenen Kornvorräte immer mehr zu sammen, so daß Anfang Juni nur noch eine sehr gering» Menge vorhanden war. Drückender Mangel an Brot konnte also schon in den nächsten Wochen eintreten, was zu unbe rechenbaren Folgen führen mußte. In dieser peinlichen Verlegenheit setzte der Senat alle Hebel in Bewegung, um die Versorgung der Stadt nicht ins Stocken kommen zu lassen. Neue Ankäufe als Ersatz' für die ausgebliebenen wurden sofort ins Werk gesetzt. Um das hier gebackene Brot auch wirklich in der Stadt zu behalten, durste an Auswärtige kein Brot mehr verkauft werden, außer, wenn sie hier zu arbeiten hatten, und auch dann nur je ein Laib. An den Toren der Stadt war Polizei aufgestellt, welche Fremde mit größeren Mengen Brot nicht hinauslassen durften. Sodann wurde die Be schlagnahme aller auf den Höfen und Dorfschaften des ganzen Stadtgebietes befindlichen Vorräte an Korn, Wei zen, Hafer und Gerste verfügt sowie deren unverweilte Be standsaufnahme vorgenommen. Das Ergebnis war nie derschmetternd. Manche Pächter besaßen nicht einmal mehr ihren eigenen Bedarf. Mehrere Gemeinden, wie Born heim, Nieder- und Oberrad, hatten nicht mchr für 14 Tag» den nötigen Unterhalt; die Bornheimer Bäcker zeigten anj daß noch in der laufenden Woche ihr Vorrat für die Be völkerung zu Ende gehe. Die anderen Ortschaften hatten nur das Notwendige bei völligem Mangel an Kartoffeln, Obst usw. Die Wetterau, wo diL Stadt Frankfurt von altersher ihren Bedarf an Getreide gedeckt hatte, befand sich selbst in den größten Verpflegungsschwierigkeiten. Immerhin wurde eine Bitte des Senates um Aushilfe an das Staatsministerium in Darmstadt durch den Groß- Herzog von Hessen genehmigt und der Stadt mehrere 100 Malter Korn aus der Provinz Oberhessen wenigstens leih weise überlassen. Auch die bayerische Regierung stellte die erleichterte Ausfuhr eines größeren Getreidebetrages in Aussicht. So hatte man wenigstens die Sicherheit, über die nächste- Zeit hinwegzukommen. Der Juni ist der schlimmste Monat gewesen. Der Preis für das 6-Pfund- Brot war damals auf mehr als das Zweieinhalbfache ge stiegen. In Württemberg kostete es allerdings mehr als einen Gulden. Glücklicherweise trat bald der Umschwung ein. Mit der Monatswende kamen die sehnlich erwarteten Zusuhren aus Holland an; unter der günstigen Witterung war eine reiche Ernte geraten. Festlich geschmückt wurde Anfang Juli der erste Erntewagen feierlich eingebracht, wozu der betreffende Besitzer selbst die Anregung gegeben hatte. Und nun kam nach und nach alles wieder in seinen gewohnten Gang. Wenn wir uns so die Zeit von 100 Fahren vergegen wärtigen oder gar noch schwerere Zeiten, wie die deS dreißigjährigen Krieges, wo sich die Menschen sogar aus. dem Schindacker Nahrung suchten, dann vermag uns, den in schwerer Gegenwart Lebenden, ein solcher Rückblick in die Geschichten einen Trost wenigstens zu geben, daß auch die schlimmsten Zeiten vorübergegangen sind, und wir ge winnen Stärkung, gleich unseren Vorfahren, auszuharrdn und durchznhalten. Ed. E. Ser Mrcbies. x Von Bruno Biedge in der „Liller Kriegsztg.". „ „Dreizehn Monde, heiße, kühle, regenfeuchte und frühlingssonnige, hatte ich während meiner Ruhetage im Waldlager von meinem Budenfenster aus die sieb zehn Alten drunten am Maasufer beieinander stehen sehen. Verhutzelte, altersgraue Pappeln waren es und ragten nicht auf säulenschlank und wie gotisches Ge-