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geschäft aufzunehmen. (Forrjetzung folgt.) ringsrem Werte sein als der Spruch des Gerichtshofes, der mich binnen kurzem vor seine Schranken fordern wird. Den Namen Gotter, unter dem ich hier bekannt war, habe ich niemals mit vollem Recht geführt ; denn ich wurde vor beiläufig sechzig Jahren geboren als der zweite Sohn des Kaufmanns Henning Holderegger. Mein Vater starb, noch ehe ich mein zweites Lebens jahr vollendet hatte, und meine Mutter heiratete bald darauf in zweiter Ehe seinen früheren Teilhaber Ewald Gotter, den sie jedoch ebenfalls schon nach einer kurzen Reihe von Jahren durch den Tod verlor. Ich will noch bemerken, daß meine Mutter eine geborene Volk- Hardt war, und daß das Haus, in dem wir uns jetzt befinden, schon seit vielen Jahrzehnten zum Besitz ihrer Familie gehörte. Mein einziger Bruder Bernhard, nur um ein Jahr älter als ich, hatte in diesem Heide hause Las Licht der Welt erblickt, und zwar unter Um ständen, von denen meine Mutter niemals anders als mit Schauern des Entsetzens sprechen konnte. Sie war damals infolge eines furchtbaren Schreckens an den Rand des Grabes gebracht worden, und wenn das Lebensschickjal meines unglücklichen Bruders sich zu einem so namenlos traurigen gestaltete, so sind viel leicht zu einem nicht geringen Teil auch die Verhält nisse dafür verantwortlich zu machen, unter denen er in diese Welt eintreten mußte. Jedenfalls war er seit seiner frühesten Jugend ein Gegenstand der Sorge und des Kummers für meine arme Mutter. Schon als Knabe beging er unausge setzt die leichtsinnigsten und bösartigsten Streiche, wurde wiederholt von der Schule fortgejagt und entging mehr fach nur mit genauer Not einer gerichtlichen Bestrafung. Dabei war er keineswegs unbegabt, und ich glaube, daß seine Anlagen die meinigen um ein erhebliches übertrafen. Da bei seiner Unbeständigkeit und seiner Abneigung gegen jede andauernde, beharrliche Tätig keit an ein wissenschaftliches Studium nicht zu denken war, wurde er mit sechzehn Jahren zu einem Bankier in die Lehre geschickt, und vorübergehend hatte es den Anschein, als ob in seinem Charakter eine Wandlung zum Besseren eingetreten sei. Zwischen Bernhard und mir hatte niemals ein innigeres brüderliches Verhältnis bestanden. Meine Versuche, sein Vertrauen und seine Freundschaft zu gewinnen, erfuhren stets von seiner Seite eine schroffe oder höhnische Zurückweisung, und es konnte darum nicht ausbleiben, daß auch ich nur noch wenig Sympathien für ihn fühlte. Im übrigen hatten sich unsere Lebenswege frühzeitig getrennt. Meine Mutter legte meiner Neigung zu den Wissen schaften kein Hindernis in den Weg; ich absolvierte meine Gymnasialzeit in einem Internat und studierte au einer auswärtigen Universität, so daß ich mit meinem Bruder gewöhnlich nur während der Ferien im Eltern hause zusammentraf. Er hatte damals schon eine gut bezahlte Anstellung und führte ein sehr üppiges, um nicht zu sagen ausschweifendes Leben. Und schon zu jener Zeit nahm ich mit Schrecken wahr, daß er be sonders zu übermäßigem Trinken neigte. Meine Mutter, der ich einmal meine Befürchtungen mitteilte, erzählte mir unter heißen Tränen, daß es sich dabei ohne Zweifel umeinunglückseligesErbteilhandle, dennunterden männ lichen Angehörigen der Familie Volkhardt, der sie ent stammte, sei das Laster der Trunksucht schon seit Gene rationen verbreitet gewesen, und sie könne sich der Sorge nicht entschlagen, daß Bernhard, wie in manchem andern, so auch in dieser Hinsicht ein echter Volkbarüt sei. Immerhin beging mein Bruder während jenes Abschnittes seines Lebens keine eigentliche Schlechtigkeit, und seine glänzende geistige Begabung, die ihn zu einem hervorragend tüchtigen Kaufmann machte, be stimmte einen reichen Herrn setper Bekanntschaft, ihn als Teilhaber in das von ihm neu gegründete Bank- 15. Kapitel. Des Rätsels Lösung. Und also lautete Stephan Holdereggers Geständnis: „tzoie müssen mir gestatten, ziemlich weit zurückzu- gehen in mein vergangenes Leben, damit Ihnen alles verständlich werde, was ich zur Rechtfertigung oder — falls eine solche unmöglich sein sollte — zur Erklärung meiner Handlungsweise zu sagen Habel Sind auch die hier Versammelten noch nicht meine berufenen Richter, und hätte ich auch vielleicht das Recht, meine Erzählung hinauszuschiebeu bis zu dem Augenblick, wo ich vor diesen Richtern stehen werde, so gewährt es mir doch eine gewisse Erleichterung, mich schon jetzt rückhaltlos auszusprechen, und Ihr Urteil wird mir von nicht ge- Noch ehe Arenberg in seiner grenzenlosen Ueber- rasckung ein Wort der Erwiderung hatte vorbringen können, klang hinter ihm eine jubelnde Stimme: „Papa! Lieber, Üeber Papa! Du selbst bist mit der Mama gekommen! O, nun wird alles, alles gut!" Margaretens scharfe Augen hatten das teure weiße Haupt e kannt, und alle Mattigkeit war mit einem Schlage von ihr abgefallen. Flink-wie ein Reh eilte sie Durch Gras und Heidekraut herzü und lag wenige Minuten später unter Lachen und Weinen in den Armen tzrer Eltern. - Gemeinsam legten die vier die Fahrt nach dem Heidehause zurück, und sie hatten unterwegs Zeit genug, sich in rascher Aussprache über die Ereignisse der beiden letzten Tage zu verständigen, „Es war mein Wille gewesen, nie mehr hierher zurückzukehren-, sagte Stephan Holderegger, der gar nicht gedrückt und schuldbewußt aussah, „aber aus dem Telegramm, das uns die Freundin schickte, sah ich, daß es im Rate der Vorsehung anders beschlossen war. Und ich meine, daß es so auch um vieles besser ist. Nun wird' alles klar werden, und welches auch die Folgen für mich sein mögen, es wird doch für den Rest meiner Tage eine schwere Last von meiner Seele genommen sein!" Seine Frau drückte ihm die Hand und voll inniger Zärtlichkeit begegneten sich die Blicke der beiden Gatten. Weiter aber sprach der Schriftsteller sich zunächst nicht aus, und Arenberg stellte keine Frage. Margarete er zählte, ohne ihr Herzensgeheimnis» preiszugeben, wie ritterlich sich der neue Mieter des Heidebauses ihrer an genommen, und Stephan Holderegger dankte ihm mit Wärme. Als sie endlich vor dem Gartentore hielten, fanden sie dort eine kMine Ansammlung von Leuten, die augenscheinlich vergebens bemüht waren, den Gärtner Schmidt und Frau Jürgensen zum Oeffnen des Tores zu bewegen. Es waren der Notar Klingenberg, Herr Philipp Welcker junior, der Redakteur Timotheus Kröger und ein vierter, ernst und feierlich blickender Herr, der sich bei Ler Vorstellung als der Bürgermeister von Mildenburg entpuppte. Die Wirkung, die das un erwartete Erscheinen des Totgeglaubten auf diese kleine Versammlung hervorbrachte, ist in Worten nicht zu schildern. Sie äußerte sich in einer allgemeinen Er starrung, in Gebärden des Entsetzens und in unwill kürlichen Ausrufen seltsamster Art. Das würdige Be nehmen des Wiedergekehrten aber machte der Szene rajch ein Ende. Er ersuchte die vier Herren, ebenso wie Arenberg, ihm und seinen Angehörigen in das Zimmer des Dr. Paul Sommer zu folgen, da nach seinem Wunsch auch dieser Herr ein Zeuge Ls Mit teilung sein solle, die zu machen er sich gedrängt fühle. Er hatte auch nichts dagegen einzuwenden, daß Frau Jürgensen, Betty und der alte Schmidt in der halb offenen Tür stehenblieben. „Ich habe nichts mehr zu verbergen", sagte er, als alle sich um ihn versammelt hatten. „Wollen Sie also die Güte haben, meine Herrschaften, mich ruhig anzuhören l"