Volltext Seite (XML)
(Nachdruck verboten.) Es hatte wahrhaftig den Anschein, al- ob sie Roman von Waldbröl. (3. Fortsetzung.) über mein Verlangen nach den Schlüsseln ganz aus dem Häuschen käme. In meinem Leben habe ich noch nicht so etwas von Schreck und Bestürzung gesehen. Nach allerlei anderen Winkelzügen erklärte sie, sie hätte die Schlüssel verlegt, und wir müßten uns ge dulden, bis sie sie wiedergefunden hätte. Aber bei mir hat man mit solchen Sperenzien kein Glück. Ich kannte von meinen früheren Besuchen her den Platz, an dem die Schlüssel zum Heidehause hingen, und ehe sich die Alte dessen versehen, hatte ich sie glücklich er wischt. Aber es fehlte nicht viel, daß sie sie mir mit Gewalt wieder entrissen hätte. So eine Verrücktheit!" „Und doch haben Sie mir die würdige Dame, auf die Sie jetzt so schlecht zu sprechen sind, eben erst als Aufwärterin oder Haushälterin empfohlen?" „Mit gutem Gewissen. Sie kocht ausgezeichnet, und sie ist sonst die Bescheidenheit und Gefälligkeit selbst. Der Himmel mag wissen, was heute, in sie ge fahren war." Was er von seiner kurzen Verhandlung mit der Witwe Jürgensen gesagt hatte, war keineswegs über trieben. Und er hatte sich nicht getäuscht, als er wahrzunehmen glaubte, daß die ältliche, zu gewöhn lichen Zeiten sehr harmlos und gutmütig aussehende Frau durch sein Verlangen nach den Schlüsseln in hochgradige Bestürzung versetzt wurde. In dem Augenblick, da sich draußen auf der Dorfstraße die Halbchaise wieder in Bewegung setzte, rief sie mit allen Anzeichen größter Aufregung in den durch eine Hecke von dem ihrigen getrennten Nachbargarten hinüber: „Betty I — Betty! — Komm doch schnell! Es ist etwas Schreckliches geschehen." Die Gerufene leistete ohne Zaudern dem mütter lichen Befehl Folge. Sie war eine in strotzender Ge sundheit blühende ländliche Schönheit von neunzehn oder zwanzig Lenzen, und der Schreck über die An kündigung von etwas Schrecklichem hatte die satten Farben eines gekochten Hummers auf ihren runden Wangen hervorgerufen. „Um des Himmels willen, Mutter — was ist denn passiert?" „Der junge Welcker ist dagewesen — mit einem fremden Herrn, den ich nicht zu Gesicht bekommen habe. Und er hat die Schlüssel mitgenommen, weil er diesem fremden Herrn das Heidehaus zeigen will. Es sei ein neuer Mieter, sagte er, der es eingehend besichtigen wolle. Was, um alles in der Welt, sollen wir jetzt anfangen?" habe." Das Dorf, das jetzt im Hellen Sommer- sonnenschein vor ihnen lag, machte einen Ot-? recht freundlichen und anheimelnden Eindruck. Es bestand nur aus einer verhältnismäßig kleinen Zahl ziemlich dicht zusammen gedrängter Häuschen, von denen jedes seinen kleinen, wohlgepflegten Blumengarten hatte. Die Bewohner schienen sehr auf Sauberkeit und Nettigkeit zu halten und sich — wenigstens nach bescheidenen ländlichen Be griffen — einer gewissen Wohlhabenheit zu erfreuen. Vor dem zweiten oder dritten der kleinen Häuser brachte Philipp Welcker sein Pferd zum Stehen und schnalzte mit der Peitsche. Da sich aber nicht sogleich jemand blicken ließ, verlor er die Geduld. „Die Weiber sind wahrscheinlich in ihrem Gemüse garten hinter dem Hause", sagte er. „Entschuldigen Sie mich einen Augenblick. Ich werde hineingehen, um die Schlüssel zu holen." Er sprang herab, und Robert Arenberg hatte im Verlauf der folgenden Tage mehr als einmal Veran lassung, sich zu vergegenwärtigen, wie ganz anders sich vermutlich sein Leben gestaltet haben würde, wenn der junge Mann auf seinem Kutscherbock geblieben wäre und abgewartet hätte, bis sich eine der Be wohnerinnen des Hauses zeigte. Ein ganz gering fügiger Umstand, eine scheinbar bedeutungslose Zu fälligkeit sollte hier, wie so oft im nzenschlichen Dasein, die allerbedeutsamsten Folgen nach sich ziehen. Es war ihm, als hörte er aus dem Gärtchen hinter dem Hause ein Hin und Her von Stimmen, deren eine dem jungen Welcker angehörte, während die andere die eines offenbar ziemlich aufgeregten weiblichen Wesens war. Er konnte nicht verstehen, was sie miteinand c sprachen, und er zerbrach sich darüber auch nicht weiter den Kopf. Denn schon nach V«lauf einiger Minuten kam sein Führer wieder zum Vorschein, einen Bund Schlüssel in der Hand und mit etwas lebhafter gerötetem Gesicht. „Der Henker hole all das närrische Weibervolk!" schimpfte er, während er aufstieg und wieder nach den Zügeln griff. „Ich habe die Frau Jürgensen immer für eine leidlich vernünftige Person gehalten. Heute aber führte sie sich auf wie eine richtige Törin." „Wieso?" fragte Arenberg. „Hat sie Ihnen Schwierigkeiten gemacht wegen der Besichtigung des Hauses?"