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WS«. Freitag, den SS. April. Lbvaaemeat-pret» r I» ck,»t»«k« : /Lkrliot»: .... 18 ^jktrrlwtl: 4 Ltsrk bv kk. k!ia»«Io« Huwivor»: 1V?L L»—rd»Id äs« äevt»ci»ei koiol»«» tritt kost- uou 8towp«Isu»ct»t»^ tuoiu los«r»1«i,prel8»r rar äso k»r>M eiosr ^s«p»Iteveil kstitpsils ro kt votsr „Li»8«E»"ät" äi» Leils 80 ?k. K« 1'»doU«v- uuä 2iAvro»ittr üü Auk»olil»g Lrsolielosii: l^lick mit AoonLtiw« äsr 8onn- und keisrtL^s Adsuct« für äsn fol^»»»<l«>n 1»;/. DttMerIourml. Verantwortliche Redactton: Oberredacteur Rudolf Günther in Dresden. 1884. lossrLtvusnnitkms »U!»v»tr1sr Lstprt»: ^>r Lranä*tett«r, OomwisrionLr äs» Dresävsr dourost»; NLwdarx N«rU» - Vis» - I.«tp»lg 8»»«I ^»«vkl^rl ». >l : //aa v>^t«n F k<-A/er,' LerUn-Vi«» Snmdurg- ?r»8 - I-siprix 1 r»LLS»rt «. H.-NL»rd»»: /t«ä. S,rUa: /irakickenäanL, Lr«m»»: /?. Le/'lotte- 8r»»1»a: /. Luneau rHii Anda?/«), krsvkkrr » N r F'. ^ar</er'«eir« tiuokdLoälunx; v8rM»: fr. AtÄksr; L»noov«r: O. ^c/ii^^er, k»rt, SsrUo - rr»uilkurl ». N.- 8totlg»rt: Darads ct 6o. / SLwdnrg: slä. Ä«»»«' NerLus^edvrr ^Soiet Lrpsäitiov äs» krssäoer äourv»!», Vrssäev, /«in^srstra»»« LV. Amtlicher Theil. Drt-den, 17. Apnl. Se. Majestät der König haben dem Kirchschullehrer an der MichaeliSschule in Bautzen, Cantor Karl Ernst Becker, das Verdienst- kreuz Allergnädigst zu verleihen geruht. Nichtamtlicher Theil. Telegraphische Nachrichte >. Wien, Donnerstag, 24. April, Morgens. (W. T. B.) Wie die „Presse" meldet, wird in den nächsten Lagen dem ungarischen Abgeordneten haus» «iu Gesetzentwurf vorgrlegt werden, nach Selchern der TheißregulirungSgesellschaft die Auf nahme einer Anleihe von 1« Millionen Gulden bewilligt wird. Buda-Pest, Mittwoch, 23. April, AbendS. (Lorr.-Bur.) DaS Abgeordnetenhaus beschloß heute bei der Kerathung drS Gewerbeg-setzeS, die Tages arbeit in Fabriken dürfe nicht vor 5 Uhr Mor gen» beginnen und nicht über S Uhr Abends auS- ardchnt werden. Im weitern Verlaufe der Sitzung beantwortete der Minister Baron Orczy die In terpellation deS Abg. Thaly, betreffend eine Raufe rei zwischen Soldaten eines ungarischen und eine» deutschen Regiment» in Trebinjr, und sagte, daß laut der Mittheilung deS KriegöministerS die Rauferei au» einem Zerwürfnisse zwischen den Köchen entsprungen sei, daß der Streit nicht durch Rationalitätszwistigkeiten oder sonstige ernste Ur- sacken hrrvorgrrufen wurde, und daß die hierbei verwundeten 2 Soldaten wieder zur Dienstleistung eingerückt find. Brüssel» Mittwoch, 23. April» AbendS. (W. T. B.) In der heutigen Sitzung deS Senats tuterpellirte Crocq dir Regierung wegen der Be- theiligung von Militär bei dem feierlichen Ein züge drS Bischofs von Namur. Der Minister de» Aeußern erklärte, die Regierung habe anS Rücksichten der Courtoifie früheren Borgängen entsprechend verfahren. Der Senat nahm darauf einstimmig eine Tagesordnung mit dem AuSdrucke de» Vertrauens zur Regierung an. London, Donnerstag, 24. April. (Tel. d. DreSdn. Journ.*) Der Ministerrath hielt gestern eine 4stündige Sitzung ab. Den Hauptgegenstand der Erörterung bildete die Sudanfrage. Der General Wolseley war zugezogen worden. Ein Telegramm des „Daily Telegraph" auS Kairo vom gestrigen Tage meldet: Der Gouver- nenr von Berber telegraphirt, die einzige Hoff- nnng zur Rettung der Garnison bestehe in der Ueber-abe; er erwarte den Angriff der Rebellen in 2 biS 3 Tagen. Konstantinopel, Mittwoch, 23. April, Nach- mittags. (W. T. B.) Der Dampfer „Miramar" ist heute Morgen» in Mudania eingetroffrn. Die Kronprinzessin Stefanie von Oesterreich-Ungarn wollte infolge eine» leichten Unwohlsein» die Fahrt nach Brussa nicht fortsetzen, und da der Kron prinz seine Gemahlin nicht verlassen wollte, so ging nur da» Gefolge nach Brussa. (Vergl. die „Tagesgeschichte".) *) Nachdruck verboten. D. Red. Feuilleton. Redigirt von Otto Banck. Eine Schauspielerin. Novelle von F. L. Reimar. (Fortsetzung.) „Es ist gleich!" sagte sie dann unmitt- tbar darauf fast heftig, „ich kann keine Ausnahme machen und ich will es nicht! Gieb die Blumen zurück!" Mit einem Seufzer ging Josefe hinaus Pauline aber trat mit einer zerstreuten Bewegung ans Fenster und sandte unbewußt ihre Blicke ins Weite. Vielleicht waren ihre Gedanken noch bei dem Namen, der soeben hier ausgesprochen worden war, und wohl mochte es fein, daß mit ihm die Gestalt deS jungen Mannes vor ihr auftauchte, welche sie so oft von der Bühne aus in dem Zuschauerraum, wo sie sich edel und anmuthig unter den Kameraden zeigte, gesehen hatte, seine Gestalt und jenes glänzende, dunkle Augenpaar, nach dem sie zu blicken pflegte, wenn man ihr huldigte, weil sich ihr der eigene Triumph nir gends so hell spiegelte, wie hier. Indessen erleichterte sich ihr das Herz bei dieser Erinnerung nicht; das sagte der schwere Athem ihrer Brust und das sagte die Bewegung, mit der sie jetzt die Stirn gegen die kalten Scheiben drückte. — Ihre Blicke glitten dabei nun wieder über andere Gegen stände hin, und damit gewannen auch die Dinge da draußen allmählich wirkliche Gestalt für sie, trotz der Dämmerung, welche bereits ihre grauen Schleier über sie deckte. Dresden, 24. April. Der Wiener Gemeinderath hat neuerdings gegenüber den vitalsten Interessen der Kaiserstadt an der Donau ein Verhalten beobachtet, welches die ent schiedenste Mißbilligung erfährt und auch durch die ein stimmige Vottrung der „Entrüstung" über die unpatrio tische Kundgebung deSVorsteherS der Wiener Fleischhauer» aenossenschast, welcher bei der Eröffnung deS Preß- burger Viehmarktes für die Oesterreicher den Schutz der Ungarn anrief, nicht gemildert werden kann. Der Gemeinderath hat der Regierung die Verantwortung für alle Folgen der neuen Viehmarktordnung zu gewälzt und ausdrücklich Bestimmungen derselben zu rückgewiesen, von denen eine Herabsetzung der Fleisch preise erwartet wurde. Als vorgestern der Bürger meister Uhl in dieser Angelegenheit mit dem Minister» Präsidenten Grafen Taaffe conferirte, erklärte dieser: Die neue Marktordnung wurde von der Regierung er- laflen, damit die notorischen Uebelstände, welche aus dem St. Marxer Biehmarkt bestanden, beseitigt, insbesondere aber der .Fleischring' gebrochen werde, der den freien Handel unmög lich machte. Die Regierung erwartete, daß sie, die von der besten Absicht im Interesse der Bevölkerung geleitet war, von allen betheiligten Factoren werde unterstützt werden. Diese Erwartung ist leider nicht in Erfüllung gegangen. Die Regierung werde nun jene Maßregeln in Erwägung ziehen, die geeignet sind, die Approvisionirung Wiens zu sichern und dem Markte in St. Marx seine bisherige Bedeutung zu erhalten. Im Laufe des weitern Gespräches gab Graf Taaffe seiner entschiedenen Mißbilligung darüber Ausdruck, daß die Wiener Fleischhauer den Preßburger Markt besucht haben, da hierfür keine Nöthigung vorlag. Es sei constatirt, daß Fleischhauer von Preßburg aus ihren Bedarf telegraphisch auf dem Wiener Markte decken ließen. Ferner wurde die Eröffnung der ru mänischen Grenze berührt. Der Ministerpräsident er klärte, daß er diese Maßregel keineswegs unbedingt perhorrescire, daß jedoch eben jetzt einzelne Bezirke m Rumänien verseucht seien. Die Grenzsperre ist be kanntlich erfolgt, um die österreichische Landwirthschaft zu schützen, deren Viehzucht durch die Einschleppung der Seuche schon mehrmals aufs Aergste bedroht war. Von Seiten des Wiener Fleischringes, der bedeutende Großviehhändler zu seinen Mitgliedern zählt, welchen durch die Sperre ein Theil ihres Profits entgehen mußte, wurde aber aufs Heftigste dagegen agitirt, und zwar immer mit Unterstützung der eng mit dem Ring liirten liberalen Mehrheit des Gemeinderathes. Die „Wiener Landwirthschaftliche Zeitung" brachte dieser Tage unter der Ueberschrift: „Wir haben gesiegt!" einen Artikel über den Ochsenkrieg, den die Fleischwucherer dem österreichischen Ministerium erklärt Haden, in welchem das Treiben des jüdischen Wucherringes, auf den der Viehzüchter allein angewiesen ist, mit Beispielen be legt wird, welche auf dasselbe ein grelles Schlaglicht werfen. Die Aufkäufer sind unter sich einverstanden; der Eine stört die Zirkel des Andern nicht, und falls der Bauer sein Vieh selbst zu Markte bringt, kauft ihm Niemand dasselbe ab. Die sogenannten unga rischen „Großmäster" sind Capitalisten, welche selber sich dem Handel widmen und mit der Landwirthschaft nichts zu thun haben; sie werden heute die „siebente Großmacht" genannt und heißen Linzer, Neumann, Küffner, Stern, Spitzer, Fürst rc„ sind also durch ihre Namen schon befähigt, am Wiener Platze zu erscheinen, ohne gelyncht zu werden. Das Ereigniß, so unbe deutend an sich, ist von großer symptomatischer Be deutung. Es zeigt die Macht, welche der jüdische Wucherring heute schon erlangt hat, und beweist das Selbstbewußtsein desselben, daß er sich nicht scheut, einer relativ geringfügigen Sache wegen den Kampf gegen die höchsten Räthe der Krone aufzunehmen. Das geschäftliche Interesse oder, wie man es nennt, „die Freiheit des Handels" scheint für die Mehrheit Ihrem Fenster gegenüber erhoben sich die schlanken Thürme der schönen gothischen Kirche, deren Bau sie wohl schon bisweilen bewundert hatte, ohne daß sie aber von frommer Andacht bisher in ihr Inneres ge zogen worden wäre. Sie sah jetzt, wie sich die Fenster drüben erhellten — die Lichter für den Abendgottesdienst wurden offen bar an gezündet! — In früheren Tagen — das fiel ihr jetzt ein — war sie wohl auch oft den Weg zur Kirche gewandelt, wenn auch in einer weit entfernten Stadt, als Kind, zur Seite der Mutter; und neben dieser hatte sie alsdann gekniet. Und wenn sie sich auch der eigenen Ge danken aus jener Zeit nicht mehr zu entsinnen vermochte: das Antlitz der Mutter, welches auf dem Heimwege immer so verklärt geleuchtet hatte, sah sie noch vor sich, und ebenso war ihr gegenwärtig, was dieselbe manchmal gesagt hatte daß man sich aller Noth und aller Schuld ledig fühle, wenn man Gottes Ohr gesucht habe. Gottes Ohr! — Wohl war es später zuweilen auch von ihr selbst gesucht worden, aber hatte sie es verfehlt, weil sie dasselbe nur durch seine Priester erreichen wollte, oder waren Noth und Schuld nicht so tief und so groß gewesen, daß ihr daS volle Gefühl der Erlösung kommen konnte? Sie fragte sich das, als sie sich zugleich die andere Frage vorlegte, wie lange es sei, daß ihr Fuß die Wohnung Gottes nicht betreten habe; und dann wie der vergaß sie, sich auf beides zu besinnen, weil sie sich plötzlich von dem Verlangen ergriffen fühlte, jetzt, gerade in dieser Stunde dem Winke jener erleuchteten Fenster »u folgen und eS zu versuchen, ob auch von ihr alle schweren Gedanken weichen wollte», wenn sie unter den Andächtigen in der Kirche kniete. des Wiener GemeindcratheS — die Umsätze, welche aus dem Wiener Viehmarkte gemacht werden, betragen im Jahre ungefähr 80 Millionen Gulden — die Grenze des Patnotismus zu bezeichnen. Ueberaus charakteristisch für die Wiener Verhältnisse ist der Um stand, daß der Magistrat sich herbeiließ, einer aus beuterischen Clique in ihrem mit den zweideutigsten Mitteln geführten Kampfe gegen die Regierung bei zustehen. Auch in Bezug auf das Uebereinkommen des StaateS mit der Nordbahngesellschaft läuft der Wiener Gemeinderath Gefahr, einen ähnlichen Fehler zu begehen. Die bevorstehende Berathung des Neichsrathes hierüber wirst bereits ihre Schatten voraus. Die Agitation gegen den Vertrag wird immer lebhafter, besonders von gemeinderäthlicher Seite betrieben. Von dieser ging nicht blos ein dieser Tage im Gemeinderathe gestellter Antrag, bei dem Reichsrathe um Ablehnung des Uebereinkommens und um Verstaatlichung der Nordbahn zu petitioniren, aus ; sondern es wurde auch in der Volkshalle des neuen Rathhauses unter dem Vorsitze des Ritters v. Schönerer eine Wähler- oder, besser gesagt, Volksver- fammlung für den Zweck einer gleichfalls gegen den Nordbahnvertrag gerichteten und für die Verstaat lichung eintretenden Resolution veranstaltet. Es wurde beschlossen, die einstimmig angenommene Resolution in Form einer Petition vor den Reichsrath zu bringen. Die Versammlung verlief sehr stürmisch, und besonders kam es bezüglich der Präsidentenwahl zu einem hefti gen Kampfe zwischen den Demokraten und den Anti semiten, welche letztere, wie die Wahl Schöncrer's zum Präsidenten zeigt, die Oberhand behielten. Auch noch 2 andere Versammlungen besprachen mit großem Miß fallen das vorläufige Uebereinkommen der Regierung und haben es mit Bestimmtheit als annehmbar be zeichnet. Im Reichsrathe scheint nach Berichten, die in einzelnen Blättern auftauchten, die Linke Stel lung gegen den Nordbahnvertrag nehmen zu wollen. Das „Vaterland" schreibt: „Ueber die secundäre Frage der Verstaatlichung war die Meinung ge- theilt, obschon wir nicht bezweifeln, daß, wenn nur erst jener Präliminarvertrag corrigirt ist, die Ver staatlichung nicht mehr so pressant erscheinen wird. Ueber die Gemeinschädlichkeit des bisherigen Wir kens der Nordbahn glauben wir kein Wort mehr ver lieren zu sollen. Die Bewucherung des Volksvermögens durch die Praxis jener Bahn hat noch Niemand mit irgend einer Wahrscheinlichkeit zu bestreiten unternom men. Ist es doch bezeichnend, daß selbst unsere liberale Presse es nicht wagt, positiv für jene Bahn einzutreten, sondern sich mit Schweigen begnügt. Man hat von ansehnlichen Summen erzählt, durch welche die Nord bahn auf die Fabrikanten der öffentlichen Meinung eingewirkt habe — aber weiter, wie bis zum Schweigen hat sie es doch nicht bringen können. Nur die „Neue freie Presse" tritt mit der Hingebung unbedingter Diensttreue für das Rothfchild'sche Bewucherungsinstitut ein, und dies Factum ihres Alleinstehens genügt schon, um jeden Zweifler zur Genüge aufzuklären. Wenn sich nun die öffentliche Meinung — die neuerlichen Versammlungen zeigen es deutlich genug — von ihren gewohnten Leithammeln emancipirt hat: was kann sie thun, um das Unheil, mehr noch die Schmach, weiche Oesterreich durch ein Obsiegen der Nordbahn droht, abzuwenden? In dieser Beziehung ist der Vorgang mit dem Fleischwucherring recht belehrend gewesen. Die Ungarn haben gezeigt, wie man es machen muß, und wir haben wieder einmal gezeigt, wie man es nicht machen muß. Insofern ist der trübselige Vorfall, der Triumph einer miserablen kleinen Clique von Händlern und Mastern nebst ihrem tributären Gefolge von Fleischhauern über die verständigen, auf das Volkswohl abzielenden Maßnahmen unserer Regierung recht nütz Hastig griff sie nach ihrem Hut, ihrem Mantel. Ein Gebetbuch befand sich noch von der Mutter Zeiten her unter ihren Sachen; und so trat sie denn, nach dem sie Josefen nur flüchtigen Befcheid gegeben hatte, den Weg an, welchen ihr die Thürme gewiesen hatten; zu einer Stunde, die sie sonst nur in Vorbereitungen des abendlichen Auftretens auf der Bühne gefunden hatte. Der Gottesdienst war zu Ende und unter dem Nachhall der majestätischen Klänge, welche ihn begleitet hatten, strömte die Menge aus der Kirche. Mit ihr trat auch Pauline bis in die Vorhalle. Der herab gelassene Schleier bedeckte ihre Züge, so daß ihr Aus druck nicht zu erkennen war; achtete man aber auf die gesenkte Haltung ihres Hauptes, den unsichern Schritt ihrer Füße, durfte man kaum annehmen, daß auf das Antlitz etwas von dem Strahl übergegangen war, welcher das der Mutter einstens verklärt hatte. Sie war jetzt bis an das Weihwassergefäß gekom men, wäre wohl aber gedankenlos weiter gegangen, wenn ihr nicht in diesem Augenblick einer der Vorder männer zu der eben von ihm selbst geübten Verrich tung den Wedel gereicht hätte, im Glauben, daß auch sie nach ihm verlange. Die unerwartete Auf forderung erschreckte sie etwas, sie griff wohl hastig nach dem dargebotenen Gegenstände, ließ aber damit das Gebetbuch aus ihrer Hand gleiten Ein Herr, der in ihrer Nähe gestanden und sic, wie sie jetzt mit einem Male, aber ganz deutlich wußte, schon eine Weile beobachtet hatte, hob dasselbe sofort auf und überreichte es ihr mit einer ehrerbietigen Ver neigung. Ihre Blicke trafen die seinen und eine mo mentane Röthe, die indessen dem aufmerksamen Auge lich gewesen. Man hat gesehen, wohin eS führt, wenn die öffentliche Meinung sich irreführen läßt, wenn sie diese Regierung bei einer so gemeinnützigen Action charakterlos oder dumm im Stiche läßt Wir leben nicht mehr in den Zeiten einer absoluten Regierung, wo das Ministerium die Verantwortung für ihre selbstgewvllten Schritte allein zu tragen hatte. Heute achtet eine jede Regierung auf daS Votum der Volksstimme, und wenn diese schweigt oder gegen ihr eigenes wohlverstandenes Interesse spricht, so darf sie der Regierung nicht die Schuld für nachtheilige Maß» regeln zuschieben wollen. Auch das Parlament will wissen, ob es bei seinen Beschlüssen auf die Zustim mung des Volkes rechnen darf, oder nicht. ES ist allerdings sehr bequem, sich als Pessimist im Hinter gründe zu halten und unter der billigen Redensart: „es nützt doch nichts!" geschehen zu lassen, was ge schehen will, um dann, wenn es zu spät ist, mit er bittertem Tadel über Diejenigen herzufallen, welche man selbst im Stiche gelassen hat. Wenn auf der einen Seite ein klug geleiteter, vor keinem Mittel der Corruption zurückschreckender Wille steht, dem eine dienstbereite Schaar von wohlgeschulten Helfershelsern zur Verfügung ist, und auf der andern Seite ein apathisches , jeder gesetzlichen Selbsthilse entwöhntes Volk, so kann eS kaum ausbleiben, daß der Erstere überall und immer Sieger bleibt. Es ist eine unselige österreichische Gewohnheit, alle Sorge auf die Pegie- rung abzuwälzen, als wenn sie allmächtig wäre. Die Lection, welche Wien in der Fleischfrage erhalten hat, dürfte sehr heilsam sein. In Sachen der Nordbahn hört man jetzt schon vielfach das beliebte Wiener Schlagwort: „„Es nützt ohnehin nichts mehr; der Staat ist von Rothschild zu abhängig und muß thun, was derselbe will. Der Finanzminister ist bei unserm per manenten Deficit dem Großwucherer gegenüber in einer Zwangslage."" Nichts ist uneinsichtiger, als diese Meinung! Glaubt man denn, Rothschild borge Oesterreich einen Gulden aus Freundschaft, Ge- müthlichkeit oder um der schönen Augen deS Hrn. v. Dunajewski willen? Der Profit, welchen der Großcapitalist in Aussicht nimmt, entscheidet allein, und je mehr er einen Staat schon in seiner Gewalt glaubt, um so größern Profit beansprucht er. Ganz mit Recht; denn um so mehr ist der Untergang desselben besiegelt und nahe bevorstehend und um so geringer die Sicherheit für das dargeliehene Geld. Welche Ansicht müßte Rothschild nun von Oester reich gewinnen, wenn er ebenso in der Nordbahnfrage unter allgemeiner Volksindolenz obsiegte, wie der mes- quine Fleischwuchererring in der Marktfrage — aus schließlich durch Schuld der Wiener — gesiegt hat? Uebrigens heißt es die derzeitige Lage des großen Ca- pitales völlig verkennen, wenn man glaubt, dasselbe mache seinen Schuldner in besonders hohem Grade von sich abhängig. Das ist keineswegs der Fall: der Weltvampyr ist von seinen Opfern wenigstens ebenso abhängig, als diese es von ihm sind. Man beachte nur die ungeheuere Capitalmasse, welche sich in relativ wenigen Händen gesammelt hat, und die jährlich wach sende Schwierigkeit, dieselbe zinstragend anzulegen. Nachdem die Türkei bis aufs Aeußerste ausgewuchert ist und die völlige Zerstückelung des europäischen Theiles derselben immer näher rückt, ist die Reihe der gewohnheitsmäßig Schulden machenden Staaten eine so geringe geworden, daß das große Zinscapital bereits sehr schwer einigermaßen sichere Unterkunft findet. Dasselbe ist daher schon gezwungen, sich auf Speku lationen von mehr denn fragwürdiger Natur einzulassen. Wenn wir nicht unser chronisches Deficit hätten und Ungarn nicht darauf loshauste wie ein lüderlicher Student, so wäre Rothschild in der Tyat in schweren Nahrungssorgen, wie er seine sauer verdienten Kreuzer fructificirlich machen könnte. Wir sind ihm daher un- selbst durch den Schleier hin sichtbar werden durfte, färbte ihre Wangen; ihren Mund aber öffnete sie nicht, sie begnügte sich mit einem stummen Danke. (Fortsetzung folgt.) Aus Grillparzer'» literarischem Zugendltben. Heinrich Laube hat soeben bei Cotta in Stutt gart „Franz Grillparzer's Lebensgeschichte" herausgegeben. Es ist ein bedeutsamer Erfolg für die fleißige Arbeit des alten klar und scharf auftreten den Theaterkenners, daß man auch von Wienerischer Seite den Werth seiner Biographie anzuerkennen scheint, denn nicht immer befindet sich Laube im seeli schen Einklang mit seinen Helden und nicht bei jeder Episode des Lebens oder gar des literarischen Strebens ist sein praktisch rückhaltloser, doch mannhaft resoluter Sinn im Stande, die Träumereien der früher» öster reichischen Literatur sensitiv nachzufühlen. Doch sein Urtheil verhält sich hier einem von ihm aufrichtig ge liebten Dichter gegenüber schonend, erklärend, pietät voll, und so werden jene Empfindlichkeiten vermieden, die so leicht von den spröden Ansichten des Nord länders im Gemüth des Süddeutschen mit Verstim mung hervortreten, zumal, wenn die unbedingte patri otische Verehrung eines der Ihrigen beeinträchtigt werden könnte. Von gani allgemeinem Interesse für alle gebilde ten Literaturfreundc ist in dem Buche Laubc'S ein Abschnitt, der über Grillparzer's Berührung mit West (Schreyvogel) handelt und die Entstehung der „Ahnenfrau" schildert. Die Ursache, daß die .Ahnfrau" entstehe/' konnte, reicht zurück in Grillparzer's kurze Dienstzeit, welche