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M233. Freitag, de« 6, Oktober. 1882. ^d«»Qei»ei»1,pret»r I« U»»«« AUirUed: . ... 18 L1»rlr. ^MrUcti- 4 00 kk. »uattusrv: 10 ?t. L»»»rd«Id 6»« 6«ut»clle» ltsicds» tritt?o«t- uv6 8t»wpelru,c^l«^ I»8vrnte»prvl«vr ktlr 6»n kl »um siosr ^e«p»Iteosn ?«titr«Ns LV ?k. 6»t«r „IÄo^e»»»6t" 6iv 2«>lo SV kk. L»i 1'»>»»U«o- uo6 2i8vrL»»tr SO ^»Sielrl»^. krxrlieliie» r l^liot» mit Xun>»tim« 6«r 8ouo- »n6 k'eivrtLL» ^l>«»6« kür 6vo kvI^oaüsL 1'»^. DreMtrÄurMl. Verantwortliche Redaction: Oberredacteur Rudolf Günther in Dresden. Io»er»t«o»no»dm« »u«M>rt»r /^r. Lra»»ct»trtt«r, OommimiooLr 6s« I-reiner 6ourn»I»; S»iodarU »,r»u - Visa r«tp,i^ L»»«l Lr«,I»a Vr»uilkilrt ». N //aa«rn«trin <S kvA/«r, 8«rUo-Vi«» N«mdllrx- kr«^-l,«ip»i^-?r»i»>lkiii't ». U. - Uüllcd»»: kluel. ^So«e,' Lori»»: /nra/xte-i^anl', Lr-woii: Lekkott«,' Lr««I»u: /> Ltan^^n'» Lureau L^adal^),' kr«alit»re ». H.: ^akA<^«:tis Liiedtiü.n6Iuo8i 08rM«: 6k. Lkükier; S»uuov«r: 0. §c?»««ler, k«rt» Lsrli» - kr»»>ltllr1 ». N.- Stlltlzsrt t Daade<SA>., s»wdur^: ^16. §t«ner. H«r»u8xsd«rr Lövisl. Lrpeäitioa 6s» vr«»6o«r 6oura»I», Dre»6so, Lvinzvrstr»«« Ho. LV. Ämtlichrr Theil. D reibe«, 2. October. Se. Majestät der König haben dem Bürgerschuldirector Traugott Leberecht Kummer in Dresden da» Ritterkreuz II. Klasse vom Verdienst-Orden Allergnädigst zu verleihen geruht. Bekanntmachung. Nachdem der zeitherige Finanzzabl meist er, Kammerrath Otto Amadeu- Schmelz auf sein An suchen vom I. diese» Monat» an in Ruhestand ver setzt und von derselben Zeit an dies« Stelle dem bis herigen Finanzhauptkassen Controleur Moritz Schnau der, die Stelle de- Finanzhauptkassen - Controleur- aber dem zeitheriqen Finanz,ohlamtSassisten»en Carl Friedrich Ewald Richter übertragen worden ist, so wird die» für die mit dem Finanzzahlamte und der Finanzhauptkasse in Verbindung stehenden Behörden und Personen andurch bekannt gemacht. Dresden, den 2. October 1882. Finanz-Ministerium, von Könueritz. Nichtamtlicher Theil. Uedirsich«: Telegraphische Nachrichten. Zeitung-schau. (Neue Preußische Zeitung. Vater land. Presse.) TageSgeschichte. (Berlin. Wien. Preßburg. Paris. Rom. St. Petersburg. Konstantinopel. Kairo. Lima.) Ernennungen, Versetzungen re. im öffentl. Dienste. DreS-ner Nachrichten. Feuilleton. TageSkalender. Telegraphische WitteruvgSberichte. Inserate. Beilage. Provinzialnachrichten. (Leipzig. Chemnitz. Zwickau. Crimmitschau. Waldenburg. Strehla Zittau.) Vermischte». Statistik und LolkSwirthschaft. Eingesandte». Börsennachrichteu. Telegraphische Nachrichten. Wien, Mittwoch, 4. October, Abend». (Tel. d. Boh.) Heute Nachmittag war hier stark da» Gerücht verbreitet, daß e- hier Abend» in den Vororten zu Judenexcessen kommen werde. Dir Polizei ermittelte jedoch, daß da» Gerücht au der Börse von Contremiueur» an-gesprevgt warde. Preß bürg, Mittwoch, 4. October, Abend». (Tel. d. Boh.) Der Obrrgespan Graf Stefan ESzter- hazy erhielt vom Ministerium telegraphisch die Weisuug, da» Staudrecht insolange nicht »u ver künden, al» nicht concrete Fälle die Publicirung vothwrndig machen. Der von Buda-Pester und Wiener Journalen veröffentlichte Erlaß, betreffend die Proclamiruvg de» Standrecht» für da» Preß- karger Comitat (vgl. die „TageSgeschichte*), wurde irrthümlich publicirt. Thatsächlich wurde da» Standrecht nicht proclamirt, nvd die Negierung glaubt, daß die Rothwendigkeit dazu sich auch nicht ergeben werde, nachdem die einlaufrndev officirllrn Nachrichten sehr günstig lauten. Der von den Journalen mitgrtheilte Erlaß ist darum nicht apokryph; derselbe wurde thatsächlich nach Preßburg für alle Fälle erpedirt uud irrthümlich publicirt. Dieser „Verstoß" begegnet mavaich- fachen Glossen. London, Donner»tag, 5. Oktober. (Tel. d. DreSdn. Journ.) Die „Lime»" melden au» Kairo, Arabi'» directe Mitschuld au deu Massacre» und der Plünderung in Kairo sei documentarisch nach- grwiesev. Gla»gow, Donver»tag, S. October. (Tel. d. DreSdn. Journ.) Sir Stafford Northcote hielt gestern Abend eine Rede in einer conservativen Ver sammlung, worin er den Krieg gegen Aegypten al» uvnöthig, folglich ungerechtfertigt bezeichnete. Der Krieg wäre vermieden worden, wenn die Ne gierung bei Zeiten Festigkeit und Entschlossenheit entfaltet hätte. Die Lösung der ägyptischen Frage werde große Schwierigkeiten bereiten. Bukarest, Mittwoch, 4. October, Abend». (W. T. B.) Der „Nomanul" meldet, daß die Kam- meru zum 22. Oktober zu einer außerordentUchen Session einbervfev werden, welche am 27. No- vembrr in eine ordentliche Session übergeht. Alexandrien, Mittwoch, 4.Oktober, Abend». (W. T. B.) Die Organisation de» Gendarmerie- corp» dauert fort. E» find bereit» hier mehrere Hundert Personen für dasselbe eingeschrieben worden. Dresden, 5. October. Seit dem Eintreffen de» königl. Commissar» v. Jekelfalussy in Preßburg ist die Ruhe in der königl. Freistadt und deren Umgebung wieder her gestellt, und da» energische Rundschreiben de» Ministers de» Innern, v. Ti»za, an die Municipien dürfte auch in den anderen Gegenden Ungarn» Excessen vorbeugen. Al» wir jüngster Tage die Preßburger Vorgänge an dieser Stelle besprachen, wiesen wir darauf hin, daß dieselben namentlich von der ungarischen Regierungs presse zu dem Zwecke der Deutschenhetze reichlich auSgebeutet werden; denn die Buda-Pester Blätter, welche bisher behaupteten, in Ungarn gebe eS keine magyarische, keine slowakische rc., sondern bloS eine ungarische Nation, haben plötzlich die Entdeckung ge macht, daß auch in den Ländern der StefanSkrone ver schiedene Raren wohnen. Der „Nemzet* behauptete nicht nur, daß der Antisemitismus aus Deutschland ein geschleppt worden sei, sondern machte auch den „Deutschen Schulverein* sür die gegen die Juden gerichtete Be wegung verantwortlich. Ebenso beschuldigte der „Pester Lloyd*, da» von den Herren Max Falk, Leo Veigel»- berg und Abraham Neumann (Nemvnyi) m deutscher Sprache redigirte bedeutendste ungarische Journal, nicht etwa den magyarischen Antisemitismus des schnödesten Undankes gegen die ungarischen Juden, die in der Ent wickelung Ungarn» eine so hervorragende Rolle spielen und die, selbst die Gefahr der Lächerlichkeit nicht scheuend, al- fanatische Kernmagyaren austreten, sondern behauptete viel mehr, daß die Ungarn mit der Preßburger Affaire eigent lich gar nicht» zu thun hätten. Da» „ungarische Ele ment* sei derzeit in Preßburg noch zu spärlich, um solche Ausschreitungen verhindern zu können. Nun ist aber thatsächlich das Deutschthum der Stadt Preßburg genau von derselben Beschaffenheit wie da« Deutschthum de» „Pest. Ll.*, nur mit dem Unterschiede, daß die Physiognomie der erstern antisemitisch und die de» letzter» semitisch ist. Der „Westungarische Grenz bote* de» Preßburger Antiseuntenführer» erscheint in deutscher Sprache wie der „Pest. Ll.* ist aber gleich wohl genau wie der „Pest. Ll.* ein kernmagyarische» Blatt. Hr. Ivan Simonyi soll zwar einmal in grauer Vorzeit Zuckermann geheißen haben; aber heute ist er ebenso wenig deutsch, wie Hr. Nemsnyi, dessen Ahne» sich Neumann nannten. Die Preßburger sind Ungarn mit Leib und Seele, und wenn gleichwohl ein großer Theil der Bevölkerung der magyarischen Sprache nicht mächtig ist, so rührt die» einfach daher, daß man sich viel leichter da» ungarische Nationalgefühl, als die schwierige „ungarische*, d. h. die magyarische Sprache anzueignen vermag. Die tschechischen Organe haben bereit- für ihre Agitation gegen die Deutschen Böhmen» von den De- nunciationrn deriungarischen Blätter Nutzen gezogen und empfehlen den Juden Böhmens dringend die vollstän dige „Nationalisirung*, wenn in Böhmen ähnliche Vorkommnisse vermieden werden sollen. Die Prager -Politik* druckt aus einem antisemitischen Wiener Wochenblatte einen Artikel gegen die Juden ab, welchen das Tschechenblatt ausdrücklich „den Juden zur Beherzigung dringend empfiehlt*. In dem Artikel heißt eS: „Nicht nur, daß die jüdischen Finanzmatadore mit den Kornblumenblauen Hand in Hand gehen, sind auch die jüdischen Stimmführer in Prag commandirt, an der Spitze der deutschen Jrredenta zu marschiren, und folgen dem Gebote in um so energischerer Weise, als sie glauben, Das, waS die jüdischen Weisen und Patrioten in Wien thun und zu thun heißen, müsse unbedingt im Interesse de» StaatSwohleS und in dem der Juden gelegen sein, während sie ä« Leto nur die egoistischen Interessen der jüdisch-christlichen ChabruS-Rittec fördern.* Leider sind diese Vorwürfe, mit Ausnahme der frivolen, weil völlig unerwiesenen Beschuldigung landeS- verrätherischer Tendenzen, nicht völlig unbegründete, denn e» ist im Laufe der Zeit dahin gekommen, daß i» Oesterreich der Liberalismus und der PlutokratiS- «uS identisch mit dem Deutschthum geworden sind. In der „Neuen Preußischen Zeitung*, welche so eben den „Deutschen in Oesterreich* eine Reihe von Artikeln widmet, heißt e»: „Prüfen wir die Namen der jetzt wortführenden Deutschliberalen, so zeigt eS sich sofort, daß ebenso viele Slawen unter ihnen sind, al» Deutsche; namentlich aber muß eS auffallen, daß das semitische Element eine auch numerisch sehr hervorragende Rolle darunter spielt. Die entschie densten Gegner dieser sogenannten drutschliberalen Partei aber finden sich gerade auf deutscher Seite, wie denn auch unter den Abgeordneten das meist aus Deutschen bestehende „Centrum* und „rechte Centrum* den entschiedensten principiellen Gegensatz gegen die „vereinigte Linke* bildet. . . . Die DiSciplin der deutsch-semitischen Partei ist von der Art, daß sie bereit» durch die fragwürdigsten Mittel aufrecht er halten werden muß, da sonst die ganze Gesellschaft auseinander liefe, namentlich ein großer Theil sich gegen die gestrenge Herrschaft der deutsch-böhmischen Führer auslebnen und Diejenigen, welche noch irgend deutsches Ehrgefühl aufzuweisen haben, sich von dem compromittirenden Auftreten de» präpotenten jüdischen Elemente- abwenden würden. Aber allerdings übt die Wiener Judenpresse und der Zusammenhalt der Pluto- kratie einen solchen TerroriSmuS aus, daß eS ihnen gelungen ist, ein Paar abtrünnige Mitglieder der Linken wenigsten» „zum abscheulichen Exempel* sür alle SecessionSgeneigten zu justificiren. Der eine war Baron WalterSkirchen, ein anständiger Mann, aber sehr konfuser Kopf, der es denn doch mit Ehre und Gewissen nicht länger verträglich hielt, im Gefolge de» l)r. Herbst mitzulaufen. Gegen ihn wurden die Bourgeoi»elemente de» eigenen Wahlkreises aufgewühlt, so daß er sein Mandat angeekelt niederlegte. Schlauer noch spielte die Clique dem Dr. Kronawetter, einem biedern Wiener MagistratSsecletär, mit.* Einzig der Umstand, daß in der Wiener Journalistik einschließlich derjenigen Vertreter der Presse, welche sich deS besondern Vertrauen» der Re ¬ gierung erfreuen, mit wenigen Ausnahmen blo» da» semitische Element zum Worte kommt — um die un bestrittene Herrschaft diese» Elemente» zu erkennen, ge nügt ein auch nur flüchtiger Besuch m den Gesell- sellschaftSräumen de» Wiener Schriftsteller- und Jour nalistenverein» „Concordia*, in welchen übrigen» selbst der entschiedenste Verfechter der christlichen Staat»idee einer collegiattsch-liebenSwürdigen Gastfreund schaft sich versichert halten darf —, macht eS erklär lich, daß die anläßlich der Preßburger Vorgänge von den ungarischen Zeitungen betriebene Deutschenhetze in der Kalserstadt an der Donau nicht mit der gewohnten Energie und mir dem üblichen Pathos zurückgewiesen worden ist. Zwei Seelen wohnen in der Brust deS Wiener Journalisten, und die Sympathie für die ver folgten Glaubensgenossen, welche allerdings vor der Uebertreibung von Thatsachen sich sorglicher hüten sollte, drängt die Kampflust für da- Deutschthum zeitweilig in den Hintergrund. Um so erfreulicher ist es, daß ein bei dieser Frage wenig interessirteS Blatt, das ultramontane „Vaterland* gegen die neueste Verunglimpfung der Deutschen durch die Ungarn Front macht. Dies geschieht in einer „Keine Juden-, wohl aber eine Deutschenhetze* überschriebenen Buda- Pester Correspondenz, in welcher gesagt wird: „WaS bei den Aeußerungen der ungarischen Journale ins besondere beachtenSwerth erscheint, das ist neben dem Hasse gegen alles Christliche die Feindseligkeit gegen über dem Deutschthum. „Pester Lloyd* und „Nem- zet*, also die regierungsfreundlichen Blätter ebenso wie die oppositionellen Journale wetteifern in der An schuldigung, daß der „Antisemitismus* eine „deutsche* Erscheinung sei, daß er nach Ungarn von Deutschland importirt wurde und Hierlands nur bei Deutschen Auf nahme, Verbreitung und Wirksamkeit gefunden habe. Die Excesse in Preßburg wären nur möglich, weil Preßburg eine deutsche Stadt sei; in einem magyari schen Orte hätte derlei niemals stattfinden können. Der Deutsche sei verfolgungssüchtig, der Magyar besonnen, ruhig, tolerant u. s. w. Es spitzt sich Alle- auf eine Verfolgung gegen das Deutschthum zu; das Deutsch- hum soll der Prügeljunge fein, damit der „Schaud- leck* deS Antisemitismus vom „echten Ungarthum* erngehalten oder abgelehnt werde. Diesen absicht- ichen Verdrehungen und Amchuldigungen gegenüber thut eS noth, ein ernstes Wort de» Proteste» zu sprechen. Die Behauptung, daß der Antisemitismus ein „deutsches* Product sei, ist eine lächerliche Phrase ohne jegliche Berechtigung. Oder haben die Juden- hetzen in Rumänien, die seit Jahrzehnten dort per manent waren, auch Deutsche hervorgerusen? Wurde der AntlfimitiSmuS in Rußland und Polen durch Deutsche auSgestreut und au-gebreitet? Woher stammt der Antagonismus gegen die Juden in Spanien, in Italien, in Serbien? Auch von den Deutschen? Noch mehr! In Ungarn selbst sehen wir periodische Judenverfolgungen in älterer und neuerer Zeit; haben diese ihre Urheberschaft den Deutschen zu danken? Die Opposition deS Adels gegen die jüdischen und i-mae- litischen Wucherer im 13. und 16. Jahrhunderte — waren sie etwa auch „deutsches* Product? Und wie ist eS mit der Gegenwart? Wer steht an der Spitze der antisemitischen Bewegung in Ungarn? Sind e- Deutsche? Wir sehen keinen einzigen Deutschen unter den „Führern*. Die Herren Jstoczy, Onody, Simonyi Okollcsanyi u. s. w. sind mindestens ebenso echte Ma-' gyaren, als Hr. v. PulSzky selbst. Und war für ein Wahlbezirk sendet Jstoczy trotz dessen antisemitischen Tendenzen seit einer Reihe von Jahren immer wieder inS Parlament? Ist'« viell.icht ein deutscher? Mit nichien. Und verdankt Hr. Onody deutschen Wählern sein ReichStagSmandat? Magyaren sind eS, die durch diese Wahlen ihre Gesinnung bekundet haben. End lich: Unter der ungarländischen Journalistik giebt e» Feuilleton. Rrdigirt von Otto Banck. Wandlungen. Novelle von F. L. Reimar. (Fortsetzung.) „Ei garl* rief er aus. „Ich kann doch nicht in einer Versammlung vor Leute hintreten und ihnen sagen: Macht nur aber um GotteSwillen, wenn ich spiele, die Augen zu, damit ihr mich nicht sehll Nein, nein, ich bleibe, wa» ich bin, ein simpler Advocaten- schreiber, der sich mit der Feder tagsüber tüchtig ab- plagt, um nur, wenn er Abend» allein ist, sich ein Bißchen Musik vorzumachen! Soll ich Ihnen aber sagen, wa» ich möchte, Anna?* fuhr er nach einer kleinen Pause lebhaft sort, „daß Sie ein Clavier hätten und darauf zu spielen verstünden — welche Lust für un» Beide, wenn ich Sie dann mit meiner Geige be gleitete!* Die Reihe zu lachen war nun an ihr; sich nach der Art der vornehmen Damen am Clavier denken zu sollen, war doch zu komisch! Er freute sich ihrer Heiterkeit und stimmte wohl auch für einen Moment m dieselbe ein; dann aber fragte er ganz ernsthaft: „Ja, aber warum lachen Sie eigentlich? Glauben Sie denn, daß Ihnen darum, weil Sie nicht zu den Vornehmen gehören, verboten bleibt, jenen an Bildung nachzueifern?* Statt der Antwort hielt sie ihm ihre Hände hin, die freilich klein und recht wohlgesormt waren, doch aber deutliche Spuren de» gewohnten Arbeiten» an sich trugen und mit den gepflegten, schlanken Fingern einer Clavierspielerin in bedeutendem Contrast standen. Er zuckte die Achseln, ohne daß ihm da» Bedauern aber gerade sehr tief zu gehen schien, denn al» er entgegnete: „Ja, ja, jetzt wäre e» freilich zu spät!* lächelte er schon wieder auf» Neue. Ihre eigenen Züge hatten jedoch jenen heitern Ausdruck rasch ver loren; sie sah nachdenkend vor sich hin und blickte nur bisweilen etwa» scheu nach ihrem Gefährten hinüber. „Karl!* begann sie endlich schüchtern. „Nun?* ermunterte er sie, al» sie stockte und blickte sie aufmerksam an. „Ich hätte wohl einen großen Wunsch, aber Sie dürfen ihn nicht allzu thöricht finden * „Ich? Gewiß nicht!* versicherte er treuherzig. „Sehen Sie*, fuhr sie fort, aber ohne ihn anzu blicken, „ich habe in dieser Zeit ost gedacht, wie so sehr unwissend ich doch sei; ich weiß nicht, wie e» zu geht, aber ich komme mir jetzt so gering vor, weit mehr noch al» früher — und weil ich mich nun meiner Einfalt schäme und weil Sie vorhin sagten, e» sei wohl erlaubt, sich auch Einige» von der Bildung der Vornehmen anzueignen, so ist mir der Gedanke ge- kommen, ich könnte auch noch etwa» zu lernen ver suchen.* Sie hielt inne, offenbar, um erst zu hören, wa» er sagen würde, denn sie ihre Augen jetzt mit einem schnellen, fragenden Blick zu ihm auf. Eine Sekunde vorher noch hätte sie in seinen Zü gen lesen können, daß er nicht allein Verwunderung, daß er etwa» wie ängstliche Betroffenheit über ihre Worte empfand; bei ihrem Aufblick jedoch lag nichts Andere» mehr al» die alte, freundliche Gutmüthigkeit in ihnen, gleichwie in dem Ton, mit dem er jetzt scher zend auSrief: „Ei, Anna, höre ich recht: gelehrt wollen Sie mit einem Male werden?* Sie schüttelte den Kopf und sagte dann, zu ihrer gewohnten Einfachheit zurückkchrend: „Ich möchte nur ein Bißchen klüger werden! Sie haben so viele Bücher — haben Sie nicht auch einige für mich, au» denen ich lernen könnte, was Ihnen etwa gut für mich scheint?* Einen Augenblick lang rieb er sich da- Kinn — er mochte ihr nicht sagen, daß er ihre Bitte lieber nicht gehört hätte, daß e» ihn zugleich etwas rathloS mache, wie er ihre Ausbildung, die sie so vertrauens voll in seine Hände legte, leiten sollte; dann aber ent gegnete er kurz entschlossen: „Ei ja, eS wird sich schon etwas finden lassen — ich will Ihnen Bücher bringen, Anna!* Sie aihmete hoch erfreut auf und reichte ihm dan kend ihre Hand. Zu einer weitern Unterhaltung blieb nun zwi schen den Beiden nicht länger Zeit, denn Philipp kehrte in diesem Augenblick von seinem Geschäftsgang heim und trat in» Zimmer. Er begrüßte den Freund als einen willkommenen Gast, und diesmal brauchte man seine Freundlichkeit nicht für eine erkünstelte zu halten, denn e» verrieth sich sofort, daß er den Besuch de», selben al» für seine eigene Person vortheilhast erkannte. „Gut, daß ich Dich treffe*, waren seine ersten Worte; „ich habe wieder allerlei Schriftstücke abzufassen, und da Du Dich gut auf den Etil und die Redeweise bei solchen Dingen verstehst, so könntest Du mir mit Deinem Rath zur Hand gehen!* Dem kleinen Schreiber war e» nicht» Neue», daß Philipp eS liebte, die Kenntnisse, welche er sich im Dienste seine» Herrn, al» dessen rechte Hand er galt, erwarb, für sich auSzunützen und ihn deshalb bei sei nen Besuchen so in Beschlag zu nehmen pflegte, daß eS ihm selten möglich blieb, noch ein weitere» Gespräch mit Anna zu führen, sobald der Bruder in- Zimmer getreten war; und so wußte er denn auch jetzt, al» er sich mit Philipp vor dessen Schreibtisch setzte, im Vor aus, daß die angenehmere Hälfte de- Abe dS nun ihr Ende erreicht hatte. Wie e» ihm aber seine Gut- müthigkeit nie erlaubte, sich seine- Freunde- Ansinnen zu widersetzen, oder auch kürzere Antworten auf seine Elkundigungen zu geben, al- zur völligen Aufklärung erforderlich waren, so zeigte sich auch jetzt nicht- von Verstimmung in seinem freundlichen Gesicht. Er schien fast ebenso eifrig zu sein, dem Bruder bei seinen Ge- schäst.n zu helfen, wie er e» vorhin sich hatte ange legen sein lassen, die Schwester in eine heitere Stim mung zu venetzen, und nur bisweilen entzog er sich der gegenwärtigen Beschäftigung aus einen Moment, um dem jungen Mädchen, das still zu seiner Arbeit znrückg kehrt war, irgend ein scherzende- Wort zuzu- rufen und e» dadurch zu nöthigen ihm da- blosse Ge sichtchen, auf dem er glücklich wieder «in Lächeln hrr- vorgerusen hatte, flüchtig zuzuwenden. Philipp hatte sich heutv vielerlei Informationen von seinem Lehrmeister zu erbitten. Müller mußte ihn unterrichten, welche Form man allen nur möglichen Urkunden — Schenkungen, Testamente rc. eingeschlossen — zu geben habe, damit sie später die vom Gericht