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288 Nr. 4. .STAHL UND EISEN.“ April 1888. skandinavischen Granitregion, so dafs man glauben könnte, in den gesegneten Gefilden des südlichen Schonen zu sein. Bei Katerineholm, wo die Südbahn einmündet, gewinnt die Landschaft dagegen wieder den richtigen schwedischen Charakter, welche, je mehr man sich der Hauptstadt nähert, desto mehr ihre eigenthümlichen Reize entwickelt. Das ganze Dreieck, welches der Mälarsee im Norden und die Ostsee im Süden begrenzt, ist eine mächtige, von zahllosen tiefen Rissen durchfurchte, waldbedeckte Felsplatte, und Hunderte von Seen bilden ein wahres Wasserlabyrinth. Dieser Theil von Södermanland ist daher uner schöpflich an lieblichen Landschaftsbildern, belebt durch die zahlreichen Villen und Schlösser der schwedischen Aristokratie. Neben der Tanne tritt hier die Eiche in den Vordergrund und zwar in solchen alten knorrigen Exemplaren, als wollten sie den trotzigen Sina jener alten Geschlechter widerspiegeln, die auf kühnen See fahrten in gesegneteren Ländern zusammenraubten, was die rauhe nordische Heimath ihnen versagte. Dieser Boden, welcher dem Spaten und Pflug nur wenig Raum bietet, drängte seine Kinder hinaus auf die See. Während der letzten Stunden dieser Fahrt hatten wir das Glück, die Bekanntschaft eines Mitreisenden zu machen, dessen Haltung und schneidige Manieren uns schon längst den gewesenen Soldaten verrathen hatten. Er sprach fliefsend deutsch, zeigte sich über Land und Leute genau unterrichtet und wufste über wissenschaftliche und technologische Fragen, speciell auch über die schwedische Eisenindustrie, ein so klares und fachmännisches Urtheil abzugeben, dafs wir ihm eine wesentliche Bereicherung in unserer Kenntnifs schwedischer Verhältnisse verdanken. Durch die uns beim Abschiede eingehändigte Karte erfuhren wir, dafs es Major a. D. N. war, welcher jetzt eine der höchsten Stellungen in der Leitung des schwedischen Wasser bauwesens bekleidet. Es war bereits io Uhr vorüber, als wir in die nordische Metropole einfuhren. Das Dämmerlicht war noch ausreichend, um wenigstens ahnen zu lassen, welchen unbeschreiblichen Eindruck der von Süden kommende Reisende empfängt, wenn er, den unter der Südstadt hergeführten Tunnel verlassend, plötzlich Stockholm im vollen Glanze vor sich liegen sieht. Stockholm. Nachdem wir im Grand-Hötel Quartier genommen, machten wir uns trotz der Ermüdung von der langen Reise doch noch auf, um die eine Stunde, welche noch an Mitternacht fehlte, an einem der schönsten Plätze dieser bezaubernden Stadt zu verbringen. Als wir hinaustraten, sahen wir die Stadt und das gewaltige Schlots jenseits des Wassers im purpurnen Dämmer schein vor uns liegen, aber stromaufwärts, gleichsam auf den Wellen schwimmend, erglänzte im Strahle von tausend bunten Lichtern ein Feengarten mit hohen Bäumen und blühenden Rosenlauben. Die Klänge des Wienerwaldwalzers treffen von dorther lockend unser Ohr. Das ist Strömparterren. Auf dem kurzen Wege dorthin eröffnet sich auch nach der Nordseite hin ein grofser Park, aus dessen Hintergründe ebenfalls Musik erklingt. Wir gelangen auf den Gustav-Adolf- platz und die breite Nordbrücke. Trotz der späten Stunde sind die Wege erfüllt von fröhlichen Menschen, welche die reine Luft der lauen Sommernacht geniefsen und sich der Musik erfreuen. Breite Steintreppen führen von der Brücke hinab zu Strömpaiterren. Wir sind so glücklich, inmitten der zahlreichen Besucher noch ein Plätzchen am Stamme einer alten Silberpappel leer zu finden. Speise und Trank ist schnell zur Stelle und bald versinken wir träumend in jene behaglich leichtsinnige Stimmung, in welcher man weder an Ver gangenheit noch Zukunft denkt. — Wir verlebten jetzt 4 Tage und später nach der Rückkehr .vom Norden noch einen Tag in Stockholm. Vom besten Wetter begünstigt, waren wir gewissenhaft bemüht, die Stadt, die Menschen und die Natur nach allen Richtungen hin kennen zu lernen. Ich werde aber die Schilderung dessen, was wir gesehen und erlebt, nur so weit ausdehnen, als es allgemeines Interesse haben kann. Zur Orientirung müssen einige geographische Bemerkungen vorangeschickt werden. Die Stadt liegt in und an dem etwa einen Kilometer breiten Wasser strom, welcher den Mälarsee mit der Ostsee verbindet. Letztere bildet vor Stockholm eine Bucht, deren Felsenküste von zahllosen Fjorden zerschnitten ist, während Tausende von Inseln ihr Inneres erfüllen, oft nur schmale Wasserrinnen übrig lassend. Dieser Schären garten erstreckt sich 50 km weit in die See. Einen ähnlichen Charakter zeigt auf der andern Seite der 130 km lange Mälarsee mit seinen vielen Armen und Buchten und mehr als tausend groisen und kleinen Inseln. Mitten im Verbindungsstrom, da wo Salz- und Süfswasser sich berühren, liegt die rundliche 600 m breite Insel Stockholm und dicht davor nach der Mälar- seite hin die weit kleinere Insel Riddarholm. Hier war es, wo Birger Jarl 1255 die Stadt gründete. Bis dahin waren die weit landeinwärts an einem Arm des Mälar in fruchtbarer Gegend gelegenen Städte Upsala und Sigtuna die Hauptstädte des alten Schwedenreichs. Altstockholm, die Stadt auf der Insel mit dem Schlofs, ist heute vorzugsweise Hafen- und Geschäftsstadt. Erst unter den Wasas wurden auch die beiden Ufer seiten bebaut, wo sich jetzt zwei die City an Gröfse und Schönheit weit überragende Stadttheile entwickelt haben, im Norden das flach ansteigende elegante Norrmalm, im Süden auf hoher und steiler Felswand das stille Södermalm. Drei Brücken führen von Norr malm nach der Inselstadt hinüber, wovon die schon erwähnte Norrbro die gröfste und wichtigste ist. Von hier aus beginnen wir nunmehr einen orientirenden Spaziergang durch Stockholm, nicht ohne zuvor die herrliche Aussicht nach beiden Seiten hin bewundert zu haben. Die Brücke führt direct auf das schwedische Königs- schlofs, welches durch seine gewaltige Gröfse und seine einfachen und edlen Verhältnisse alles Andere überragt, man mag die Stadt erblicken, von welcher Seite man will. Der Hauptbau bildet ein Quadrat von 120 m Länge, welches, ringsum frei liegend, die Höhe auf der Nordwestecke der Insel einnimmt. Eine grofsartige Auffahrt führt zu dem Nordportal vor uns; Bronce- löwen mit der Weltkugel unter der Vordertatze halten zu beiden Seiten die Wacht. Vor der nach der Salzsee gewandten Front liegen zwei niedrige Seitenflügel und dazwischen auf hohen Terrassen ein anmuthiger Blumengarten. An der Terrasse beginnt der breite Quai, welcher sich bis zur Südspitze der Insel hinzieht und das reich belebte Bild eines Seehafens darbietet. Die Häuserreihe ist von vielen ganz schmalen Gassen durchbrochen. Ueberhaupt ist die Altstadt mit Aus nahme der Mälarseite ein wahres Labyrinth enger, oft steiler Strafsen, in welche das Tageslicht kaum ein dringt, worin aber gleichwohl ein äufserst reges Handels leben pulsirt. An der Südspitze angelangt, überschreiten wir die Schleusenbrücke. Vor uns ragt auf steiler Höhe die Südstadt Södermalm, welche jeder Fremde ihrer be rühmten Aussichtspunkte wegen besucht. Fufsgänger, welche die steilen Wege nicht hinaufwandern wollen, werden in wenigen Secunden durch Katharina Hissen per Dampf für 5 Oere hinaufbefördert. Dieser Aufzug ist ein Meisterwerk der Ingenieurkunst und selber eine Sehenswürdigkeit Stockholms. Ganz frei stehend erhebt sich 35 m hoch ein aus Eisengitterwerk luftig con- struirter Pfeiler, in dessen Innern sich die beiden an Drahtseilen hängenden Fahrstühle auf und ab bewegen. Von der oberen Plattform führt über die am Abhange