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den Rand der Scharte gesprengt, welche der Flufs in die Granitterrasse genagt hat. Nach der Karte zu urtheilen, mufsten wir längst an den Fällen vorbei sein. Wir riefen daher dem Kutscher zu: „Nicht nach den Schleusen, nur die Fälle sehen.“ Statt der Antwort trieb er die Pferde zu vollem Galopp. „Ja die Schweden sind überaus gründliche Leute,“ bemerkte Herr B. „Wir sollen Alles sehen. Sie können es nicht in ihren Sinn bringen, dafs Reisende aus Deutschland Trollhättan verlassen sollen, ohne auch die Schleusen angestaunt zu haben.“ Und so befanden wir uns denn richtig, als der Wagen hielt, auf dem Altan von Äkersberg mit seiner wundervollen Aussicht auf den grünen, durch schöne Baumgruppen eingefafsten Abhang, an welchem die beiden gigantischen Wassertreppen 33 m tief bis zum Flufs hinabführen, die ältere achtstufige und die breitere, 1844 von Erikson erbaute, mit elf Schleusen, durch welche jährlich 7000 Fahrzeuge die Trollhätta- fälle umgehen. Unser Führer, ein Junge mit be- schildeter Mütze und einem guten Gesicht, in welchem sich der Zug entsetzlicher Gründlichkeit deutlich aus prägte, bedeutete uns zu folgen. Der Wagen war bereits abgefahren. Ein Blick auf die Uhr zeigt, dafs wir in einer halben Stunde am Bahnhof zurück sein müssen. Der Junge hört auf nichts, versteht auch wohl nichts und stürmt den Berg hinab. Wir sind in seiner Ge walt und müssen die Schleusen auch in der Nähe sehen. Ich beginne einen Dauerlauf oder vielmehr Dauerspringen, dabei fürchterlich scheltend. Alle Mi nuten halte ich eine Weile, schaue Eriksons Wunderbau an und warte, bis die beiden anderen Herren, denen ihre Körperfülle das Rennen unmöglich machte, herangekommen sind. Es war Mittag und die Sonne lachte uns vom blauen Julihimmel dermafsen ins Antlitz, dafs wir kirschroth wurden. Es half aber kein Widerstreben, der Junge schenkte uns nichts, wir mufsten ganz bis zum Unterwasserspiegel des Elf hinab, darauf wieder eine Abtheilung der neuen Schleusen aufwärts. Hier bestiegen wir den wartenden Wagen und zurück ging’s im rasenden Galopp. Bei den Fällen wurde ausgestiegen, und wir haben wirklich Alles ge sehen. Wir standen eine Weile auf dem vorspringen den Felsplateau der Villa Utsigten vor dem wunder baren Landschaftsbilde, in dessen Mittelpunkte der dritte Katarakt liegt und welches in seiner ganzen Scenerie an den Rheinfall erinnert, indem namentlich die schöne Kirche von Trollhättan in ähnlicher Weise über dem schäumenden Wasser auf steiler Höhe emporragt, wie das Schlofs Laufen über den deutschen Strom. Wir traten ferner auf einige Secunden an den tosenden Schlund, welchen man bereits zu Anfang des vorigen Jahrhunderts sprengte, um mittels einer einzigen Schleuse die beiden mittleren Fälle zu überwinden. Schliefslich eilten wir an verschiedenen industriellen Anlagen, welche sich die ungeheure Kraft des Stromes zu Nutze machen, vorüber zu dem höchsten der Wasserfälle und standen eine volle Minute auf dem Toppö- Felsen, wo die gewaltige Wassermasse in zwei schmalen Spalten 13 m hinabstürzt. Am Bahnhof hatten wir gerade noch 2 Minuten Zeit, um von unserm Staatsanwalt herzlichen Abschied zu nehmen, welcher an diesem Tage noch nach Göteborg und von dort über Jütland in die Heimath zurück reisen wollte. Von Trollhättan nach Filipstad. Die nunmehr beginnende 9 stündige Eisenbahnfahrt bot ausreichende Zeit zur Beruhigung der Nerven und zur Ordnung der gewonnenen Eindrücke. Mein Reisegenofs hatte übrigens schon in früheren Jahren die Tollhättanfälle in aller Mufse besucht und fafste diese Tour lediglich unter den Gesichtswinkel des Humors. So grofs mein Zorn vor einer halben Stunde auch gewesen, so war ich jetzt aufrichtig erfreut, doch ein Gesammtbild von Trollhättan empfangen zu haben, und dankte im Stillen dem energischen Jungen, welcher uns so erbarmungslos an alle Sehenswürdigkeiten heran getrieben hatte. Mancher Leser wird über solche Art zu reisen wohl den Kopf schütteln und bezweifeln, dafs man Genufs und Nutzen davon haben könne. Dem gegenüber meine ich, dafs ein Mann mit gesundem Körper und einem empfänglichen Sinn, der nicht lange an einem lauschigen Plätzchen ausruhen und austräumen, sondern neue Länder, Menschen und Sitten in kurz bemessener Zeit kennen lernen will, schnell und mit Anspannung aller Kräfte reisen mufs. Zum Sehen bedarf es nicht langer Zeit, wenn man nur mit Interesse sieht und mit der festen Absicht, genau zu sehen. Das Auge nimmt Momentbilder in sich auf, welche ähnlich denen der photographischen Platte gar nicht auf der Stelle entwickelt zu werden brauchen. Ja ich habe es auf meinen vielen Reisen be stätigt gefunden, dafs bei kräftiger Beleuchtung und energischer Stimmung in kurzer Zeit meistens bessere Erinnerungsbilder erhalten werden, als wenn man sich den Eindrücken in aller Behaglichkeit lange überläfst. Eine Studienreise ist immer eine Arbeit, oft sehr anstrengend und nicht immer angenehm. Der wahre Genufs harrt unser erst daheim, wenn wir in guter Stunde alle die Bilder an der Seele vorüberziehen lassen. Dann wirft auch der Humor sein verklärendes Licht auf Dinge und Ereignisse, die uns seinerzeit nicht gerade vergnüglich stimmten. Die Bahn führt an der Nordwestseite des Wenern entlang, der aber nur dreimal für einige Augenblicke sichtbar wird, so hinter Mellerud, wo die Christiania linie abzweigt. Fern am Horizonte ragt über die meerartige Wasserfläche die Kuppe des Kinnekulle, jenes geologisch und landschaftlich so merkwürdigen Berges auf der andern Seite des Sees. An der Stelle, wo wir uns jetzt befinden, liegt auch der Eingang zu jenem Labyrinth schmaler Seen, welche, durch den berühmten Dalslandkanal verbunden, eine Wasserver bindung bis nach der norwegischen Grenze herstellen. Reisende, welche über hinreichende Zeit verfügen, können auf einem Dampfer drei Tage lang die wechseln den und doch so gleichartigen Bilder von Wasser, Fels und Tannenwald an sich vorüber ziehen lassen und dem Tosen der Wasserfälle lauschen, welche das Schiff mittels Schleusen umgeht. Zufällig fuhr mit uns von Oexnered ab der Capitän des Dampfers, welcher die Dalslandtour macht. Dieser liebenswürdige, deutsch redende Herr schilderte die Reize jener Gegenden, so dafs wir beim Abschiede versprachen, falls uns ein gütiges Geschick nochmals nach Schweden führen sollte, uns der schmucken Laxä anzuvertrauen, welche mit wehenden Flaggen dicht neben dem Bahnhofe auf ihren Lenker wartete. Uebrigens vermochten wir auch vom Eisenbahn wagen aus den Charakter dieser Landschaft zu erkennen. Der Boden ist nicht mehr eben, wie südlich vom Wenern, sondern leicht gewellt und von zahllosen Flüssen und Seen mit steilen Felsufern zerschnitten. Die Tannen und Kiefern entwickeln ihre hohen und schlanken, für Skandinavien charakteristischen Formen. An der Nordwestecke des Wenern ändert sich zeitweilig die Gegend, indem Wald und Fels fruchtbaren Getreide feldern und Wiesengründen Platz machen. Grofse saubere Dörfer und stattliche Einzelgehöfte bekunden die Fruchtbarkeit dieses Theils der Provinz Wermland. Abends 10 Uhr fanden wir im Stadthotel von Filipstad ein vorzügliches Unterkommen. Schwedische Hotels und weibliche Bedienung. Ich knüpfe hier die Bemerkung an, dafs der Rei sende nirgends besser aufgehoben ist, als im Hotel einer schwedischen Kleinstadt. Was zuerst auffällt, ist die Gröfse und Ausstattung der Gastzimmer, welche