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A])ril 1888. „STAHL UND EISEN.“ Nr. 4. 283 Eine vergnügte Studienfahrt nach Schweden. Von Dr. Friedrich C. G. Müller. (Fortsetzung aus Nr. 2.) oS. Von Herrljunga nach Trollhättan. Der Zug geht von Boräs in gemächlichem Tempo nach Norden weiter und überschreitet das ebene, spärlich bewachsene, seenreiche Felsplateau, auf welchem die Wasserscheide zwischen dem Kattegat und dem Wenern- see liegt. Endlich erreichen wir unser heutiges Reise ziel: Herrljunga. Dieser wohlklingende Name gehört nicht einer Stadt, sondern einer kleinen Ortschaft mit Kirche und Schule, sowie einigen freundlichen, ver- hältnifsmäfsig stattlichen Wohnhäusern. Bevor wir in das dortige, etwas versteckte, Eisenbahnhotel einzogen, gab es wieder Weitläufigkeiten. An Stelle eines Portiers wartete am Perron eine nicht mehr junge und keineswegs elegant gekleidete Dame, der wir absolut nicht glauben mochten, dafs sie die Verwalterin des ersten Hotels von Herrljunga sei. Freudig erkannten wir nachher, dafs unser Mifstrauen unbegründet war, denn das einstöckige Holzhaus mit der blühenden Rosenlaube enthält sechs grofse luxuriöse Räume, sowie noch einige freundliche Mansardenstuben. Alles war in musterhafter Ordnung. Restaurant und Caf be findet sich im Bahnhofsgebäude. Nach dem Abend essen unternahmen wir noch einen Gang ins Freie. Der Ort ist umgeben von Getreidefeldern, Wiesen und Gärten. Aber ringsum am Rande dieser freundlichen Oase ragt der Granit und der dunkle Tannenwald. Was uns an diesem Abend ganz besonders entzückte, war die Mitternachtshelle, welche wir hier zum ersten Male kennen lernten. Man konnte um io Uhr noch gut im Freien lesen und um Mitternacht zeigten röthlich glänzende Wolken am Nordhimmel den Ort des Tages gestirns. 1 Es liegt ein unbeschreiblicher Zauber in diesem milden Dämmerschein, als wiegte die ahnende Seele sich in dem Traum eines ewigen Tages, an welchem die finsteren Schatten in Licht verklärt werden. Am andern Morgen gegen 5 Uhr ging die Fahrt weiter zum Wenernsee. Die Landschaft ist immer noch eine ganz ebene Felsplatte mit spärlichem Baum wuchs, und nur selten mit einer Schicht Ackererde überdeckt. Am fernen Horizonte tauchen die einzigen Berge in diesem Landstriche auf, der Hunne- und der Hälleberg an der Südspitze des Wenern. Die Bahn führt zwischen beiden hindurch in einem lieblichen Waldthale. Zur Rechten ragt 100 m hoch eine senk rechte Wand säulenförmig zerklüfteten Granits. Ein vorspringender Felsen, welchen damals eine Blechfigur verunzierte, war zur Zeit der alten Heidengötter eine heilige Stätte, eine Ättestupa. Hier stürzten sich die lebensmüden Recken, welche den rühmlichen Tod auf der Wahlstatt nicht gefunden hatten, hinab, um so der Aufnahme in Odhins Saal theilhaftig zu werden. IV.s Gleich nachdem die Bahn zwischen den beiden Bergen hervorgekommen, überschreitet sie mitten im hohen Tannenwalde auf luftiger Gitterbrücke den Götaelf. Derselbe stürzt an dieser Stelle, kurz nach seinem Austritt aus dem Wenern, seine gewaltigen, grünen Wassermassen über Felsblöcke in mehreren Cascaden hinab. Wenige Minuten noch und wir er reichen Wenersborg. Zum Besuch dieser für die Binnen schiffahrt so wichtigen Stadt, deren mastenreichen Hafen man von der Bahn aus übersieht, fehlte uns die Zeit. Mit der nächsten Station Oexnered sind wir zur Gotenburger Linie gelangt. Die 11/2 Stunden bis zur Abfahrt des Zuges benutzte ich zu einem Streifzug in die Gegend. Kolossale Brocken von Gneifsgranit * sind über das flache Land gewürfelt, mit Tannen und Kiefern eingefafst und mit versengtem Heidelbeerkraut überzogen. Menschen und menschliche Wohnstätten gewahrt man selten in dieser Einöde, aber als Zeug nisse ausdauernden menschlichen Fleifses grüfsen uns die vielen, oftmals nur wenige Quadratmeter über spannenden Ackerfelder, welche zwischen den Fels blöcken versteckt liegen. Auf einem haushohen Stein riesen fand ich einen freien Aussichtspunkt nach Weners borg und dem Wenernsee, welcher, endlos wie das Meer, den Himmel berührt. Mittags fuhren wir in Station Trollhättan ein. Eine neue eingehende Beschreibung der an jenem Ort vereinten weltbekannten Wunder der Natur und der Ingenieurkunst halte ich für überflüssig. Ich will nur erzählen, was wir dort erlebten und wie uns diese Wunder welt entgegentrat. Wir hatten nur 5/4 Stunden Zeit bis zum Abgänge des Zuges, mit welchem Herr B. und ich noch heute Filipstad erreichen mufsten. Aus diesem Grunde wollten wir auf die Besichtigung der 3 Kilometer abwärts liegenden Schleusenbauten verzichten und nur in aller Ruhe die Wasserfälle bewundern. Wir belegten sofort den Hotelwagen und spornten zur Eile. Der Oberkellner im Trollhättahotel, welcher Deutsch ver stand, wurde in unsere Absichten eingeweiht; er möchte uns einen Führer mitgeben und diesem wie dem Kutscher die nöthigen Weisungen ertheilen. Er that das auch, aber mit einer Miene, aus 'der hervorging, dafs ihm irgend etwas an unserem Plan nicht ganz gefiel. In dessen dauerte es kaum eine Minute und unser mit zwei kräftigen Rappen bespanntes Wägelchen flog von dannen, dafs Kies und Funken stoben. Die Strafse läuft neben dem Kanal und ist zugleich mit diesem in * Anm. Der Ausdruck Granit soll in diesen Blättern nicht blofs den echten Granit, sondern über haupt krystallisches Gestein von granitischer Zusammen setzung, wie Gneifs oder Felsitporphyr, bezeichnen. 9