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266 Nr. 4. „STAHL UND EISEN.“ April 1888. Herr Oechelhäuser steigt hoch zu Rofs und wirft mit grofsen Worten um sich, anstatt mit Zahlen und Thatsachen. Solchem Gebahren gegenüber huldigen wir stets dem Grundsätze des trefflichen Entspekters Bräsig, der dem Freiers mann seines Pathenkindes, als dieser ihn etwas von oben herab behandeln wollte, erwiderte: „Wenn Sie glauben, dafs Sie mich mit Vor- nehmigkeit importiren könnten, dann sitzen Sie sehr in Bisternifs“. Inhalt und Form der Oechelhäuserschen Socialschriften sind herzlich schwach, nicht so harmlos aber der in befreundeten Blättern darüber geschlagene Lärm und die Versuche, den Mann als arbeiterfreundlichen Grofsmeister zu feiern. Unser letztes Decemberheft weissagte neue Ueberraschungen von jener Seite für die Reichs tagszeit. Wenige Tage später erfolgte unter Paukenschlag und Trompetenklang die Gründung des Vereins anhaitischer Arbeitgeber, welche etwa 4000 Arbeiter beschäftigen, während der Bochumer Verein allein mindestens gegenwärtig 1200 mehr hat. Selbst das sich anschliefsende Festmahl mit den unvermeidlichen zündenden Reden und Trinksprüchen fand gebührende Er wähnung in den Zeitungen. Die jüngste literarische Leistung — Ueber die Durchführung der socialen Aufgaben — wurde von der Parteipresse ebenso überschwenglich ge priesen wie die früheren. Die »Köln. Ztg.« vom 14. Januar d. J. zeugt dafür. Die deutsche Eisenindustrie fühlt nicht die geringste Lust, Herrn Oechelhäuser als leuchten des Vorbild auf dem socialen Gebiete anzuer kennen, vermifst im Gegentheil an demselben die ersten und nothwendigsten Eigenschaften eines Musterknaben. Das zu beweisen war und ist unsere Absicht. Wir selbst hatten darauf hingewiesen, dafs den rheinisch-westfälischen Berg- und Hütten werken ihre grofse Arbeiterzahl ungewöhnliche Opfer auferlege. Herr Oechelhäuser greift nach diesem Strohhalme und behauptet schlankweg, die Vergleiche müfsten sich auf die Kopfleistungen beschränken, Dividenden und Tantiemen hätten damit nichts zu thun. Wenn ein Arbeitgeber 100 Leute beschäftigt und diesen 46 1000 aus einem Gewinne von •6 100 000 spendet, so ist er nicht so wohl- thätig wie ein anderer, der für 1000 Leute 46 10 000 aus einem Gewinne von nur •/6 50 000 hergiebt, obgleich die Gaben auf den Kopf in beiden Fällen •46 10 betragen. Der Erste opfert den 100. Theil, der Zweite aber den 5. Theil seines Gewinnes. Beim Bochumer Verein betragen die Aufwendungen zu Wohlfahrtszwecken für Arbeiter und Beamte 22,58 bezw. 30,84 % der in den letzten 10 Jahren vertheilten Dividende, bei der Dessauer Gesellschaft nur 1,56 %. Die letztere beschäftigte 1880 im ganzen 716 Arbeiter, welche Zahl wir als Durchschnitt zu Grunde legen, da eine andere uns nicht zu Gebote steht. Der jährliche Aufwand für Arbeiter zwecke betrug demnach: 39 713.50 + 149 241,46 10 x 716 — •6 26,4 auf den Kopf. Der Bochumer Verein beschäftigte durch schnittlich 4860 Arbeiter. Berücksichtigen wir in der betreffenden Aufstellung nur die Posten 1 — 7 unter I, so ergiebt sich als jährliche Durchschnittsleistung auf den Kopf 1 472 262,26 ,o.. 10 X 4860 •‘6 30,3. Wird der vierte Theil der indirecten Auf wendungen unter II, jedoch mit Ausscheiden der Posten 5 und 6, zugezählt, so erhält man als jährliche Kopfleistung: 1 472 262,26 + 616 440,88 10X4860 — 06*3- Der Bochumer Verein leistete also bei einer fast 7fachen Arbeiterzahl 14,8 bis 62,9 % mehr auf den Kopf als die Dessauer Gesellschaft. Seite 25 der Oechelhäuserschen Schrift — Die socialen Aufgaben der Arbeitgeber — heifst es: „Es erscheint hiernach als humane Pflicht und auch als Gebot des eigenen Interesses, dafs überall, wo es noch nicht geschehen, der Arbeit geber die gründlichste Untersuchung anstellt, um die Grenzen zu ermitteln, wo die kürzeste Ar beitszeit sich mit der besten Arbeitsleistung deckt. Das Resultat dieser Untersuchung wird fast in jedem Falle dahin gehen, dafs die Herabsetzung auf eine lOstündige, höchstens 11stündige Ar beitszeit für alle Gewerbszweige zulässig, und in allen Beziehungen vortheilhaft für den Arbeit geber ist.“ Die Gasanstalt der Stadt Mülheim a. d. Ruhr war bis zum 1. Februar 1886 im Besitze der Dessauer Gesellschaft. Der daselbst ausgehängten gedruckten Arbeiter-Ordnung entnehmen wir fol gende Bestimmungen: „Die Arbeitszeit für die Betriebsarbeiter dauert von Morgens 6 Uhr bis Abends 6 Uhr für die Tagesschicht, und von Abends 6 Uhr bis Morgens 6 Uhr für die Nachtschicht, mit Ausnahme der Sonntage, an welchen der Schichtwechsel stattfindet.“ „Die Arbeitszeit für die übrigen Arbeiter dauert, sofern nicht Anderes ausdrücklich fest gesetzt ist, von Morgens 6 Uhr bis Abends 7 Uhr. Während dieser Arbeitszeit ist für Frühstück eine Pause von 8— 81/2 Uhr, für das Mittagessen von 12—1 Uhr, für Vesper von 4— 41/2 Uhr gestattet.“ „Arbeitet ein Arbeiter über die angegebene Zeit, so erhält er für jede Ueberstunde den zwölften Theil seines Lohnes.“ Die Sonntag früh 6 Uhr eintretenden Betriebs arbeiter verbleiben bis Montag früh 6 Uhr, also volle 24 Stunden in Arbeit, wodurch ein wöchent-